<8> zwischen beiden Höfen geherrscht hatte, wirkte ihm heimlich entgegen und wurde darin bei der Kaiserin durch den Grafen Orlow unterstützt, der damals ihr erklärter Günstling war. Der Wiener und Dresdener Hof intrigierten unter der Hand, soviel sie vermochten, um die Unterhandlungen des Grafen Solms1 zu durchkreuzen. Die Österreicher stellten der Zarin vor, daß ihre Macht die einzige sei, mit der ein Bündnis für Rußland vorteilhaft sein könne, weil nur der Wiener Hof ihr gegen ihren gemeinsamen Feind, die Türken, beizustehen vermöchte. Die Sachsen hatten andere Gründe, die Unterhandlungen des Grafen Solms zu hintertreiben. Sie be-warben sich um den Schutz und Beistand der Zarin, um sich im Falle des Ablebens Augusts III. den Weg zum polnischen Throne zu ebnen. Überhaupt waren die Sachsen unter Brühls Regiment von jeher Preußens Feinde gewesen und bereit, sich den Umtrieben aller Mächte anzuschließen, die den Einfluß des Königs von Preußen auf die Geschicke Europas durchkreuzen oder vermindern wollten.
Um diese Krisis zu beenden und die Spannung zu lösen, bedurfte es eines unverhofften Ereignisses. Es traf zur rechten Zeit ein: König August III. von Polen starb zu Dresden am 5. Oktober desselben Jahres. Sein Sohn, der Kurfürst von Sachsen, folgte dem Vater bald ins Grab2; Augusts Enkel, der nunmehrige Kurfürst, war noch nicht großjährig. Diese beiden Todesfälle hintereinander und die Minderjährigkeit des Nachfolgers gaben den Dingen plötzlich eine andere Wendung. Fortan blieben die Ränke und Kabalen der Franzosen, Sachsen und Österreicher in Petersburg wirkungslos.
Graf Panin gewann die Oberhand und wurde Großkanzler des Reiches. Dank dem Einfluß, den er auf die Zarin ausübte, überredete er sie, einen Piasien auf den polnischen Thron zu setzen. Um sicher zu gehen, teilte Katharina ihre Pläne dem König von Preußen mit. Der versprach sie zu unterstützen. Ohne die Unterzeichnung des Vertrages abzuwarten, über den er in Petersburg verhandeln ließ, beauftragte er seinen Gesandten in Warschau3, den dortigen russischen Gesandten4 zu unterstützen und für die bevorstehende Königswahl sowohl dem Primas wie den angesehensten polnischen Großen die stärksten und nachdrücklichsten Vorstellungen zu machen. Dieser wohlberechnete Schritt besiegte endlich die Unentschlossenheit des Petersburger Hofes. Die russischen Minister stellten ihrer Herrin vor, wie sehr der Beistand des Königs von Preußen ihre Unterhandlungen erleichtert hätte, und so entschloß sich die Zarin denn endlich zum Abschluß des angetragenen Bündnisses. Im Januar 1764 wurde das Contreprojekt von Berlin an den Grafen Solms geschickt, und nach Beseitigung einiger Schwierigkeiten, die sich auf den von der Zarin geforderten Beistand des Königs bezogen, wurde der wichtige Vertrag im Laufe des Monats März unterzeichnet5.
1 Graf Viktor Friedrich Solms, der preußische Gesandte in Petersburg.
2 Kurfürst Friedrich Christian starb am 17. Dezember 1763; ihm folgte sein Sohn Friedrich August.
3 Gideon Benoît.
4 Graf Hermann Karl Keyserling.
5 Die Sendung des russischen Contreprojekts erfolgte im Januar, dessen Rücksendung mit ben preußischen Änderungen im Februar, Abschluß und Zeichnung des Vertrags am 11. April 1764.