<90> verhehlen aber dürfen wir, wie die Menschenkenner über den Charakter des jungen Großfürsten urteilten. Er zeigte sich stolz, hochmütig und heftig, und so fürchteten alle, die die russischen Verhältnisse kennen, er werde Mühe haben, sich auf dem Thron zu behaupten, oder als Herrscher eines harten und halbwilden Volkes, das durch die milde Regierung mehrerer Kaiserinnen verwöhnt war, ein ähnliches Schicksal erleiden wie sein Vater.
In Wien glaubte man nicht, daß der Großfürst nach Berlin kommen werde. Fürst Kaunitz verließ sich auf die Wirkung seiner Ränke. Er war überzeugt, dadurch, daß sein Hof als erster einige den Polen entrissene Gebiete zurückerstattet hätte, sei der Berliner Hof mit dem Petersburger unwiderruflich verfeindet. In dem Augenblick aber, wo er zu triumphieren glaubt, erfährt er, daß der Großfürst in Berlin ist, daß er die Prinzessin von Württemberg heiratet, und daß die Beziehungen zwischen Preußen und Rußland enger denn je sind.
Verfehlte Kaunitz auch seinen Streich in Petersburg, so entschädigte er sich doch auf Kosten der Türkei; denn der Wiener Hof hatte, unter dem Vorwand einer Grenzregulierung zwischen Ungarn und der Walachei, die Bukowina besetzt1, die sich bis auf eine Meile von Chozim erstreckt. Die Türken waren unwissend, oder besser gesagt, töricht genug, ohne einen stichhaltigen Grund von österreichischer Seite und ohne Klage in diese Zerstücklung ihrer Staaten zu willigen. Die anderen Mächte dachten nicht so. Rußland hatte allen Grund, auf die Erwerbung des Wiener Hofes am Dnjestr eifersüchtig zu sein; denn im Besitz eines Gebietes in nächster Nähe von Chozim konnten die Österreicher den russischen Heeren den Übergang über den Dnjestr verwehren, sobald diese ihre Eroberungen auf die Moldau oder Walachei ausdehnen wollten. Ließen sie aber die russischen Truppen hinüber, so konnten sie ihnen als Herren der Bukowina die Lebensmittel abschneiden oder doch wenigstens in den Kriegen zwischen Rußland und der Türkei als Schiedsrichter auftreten, je nachdem, wie es ihnen vorteilhaft dünkte.
Andrerseits intrigierten die Österreicher unaufhörlich in Konstantinopel, um die Erbitterung wachzuhalten, die der letzte Friedensschluß zwischen Rußland und der Türkei erregt hatte, und um neue Zerwürfnisse herbeizuführen. Auch die Franzosen bliesen ins Feuer. Diese geheimen Umtriebe rüttelten endlich den Großherrn auf und führten zu der schon erwähnten Erklärung an den Fürsten Repnin2 und zu den Plänkeleien in der tartarischen Krim, die in der Folge beigelegt wurden.
Wien war damals Europas Pläneschmiede und der Herd der Intrigen. Der höchst anmaßliche und hochmütige österreichische Hof, der die anderen beherrschen wollte, richtete seine Blicke überallhin, um seine Grenzen zu erweitern und die Staaten, die ihm bequem lagen, seiner Monarchie einzuverleiben. Im Osten trachtete die österreichische Ländergier nach Serbien und Bosnien. Im Süden bot sich ein Teil der
1 Vgl. S. 53.
2 Vgl. S. 87.