<95> von England den Wiener Hof verstimmt, weil er ihm die üblichen Pässe für die Ausfuhr von Remontepferden verweigerte. Er hatte ferner die Zarin verletzt, indem er Rußland wie einen feilen Kleinstaat behandelte, dessen Hilfe er erkaufen wollte. Seit dem Abenteuer seiner Schwester, der Königin Karoline Mathilde1, stand er sich mit Dänemark auf Kriegsfuß. Doch am meisten über ihn zu klagen hatte der König von Preußen. Er konnte dem König von England den unwürdigen Frieden vorwerfen, den dieser mit Frankreich geschlossen hatte, um ihn im Stich zu lassen, die Treulosigkeit, womit er ihn dem Wiener Hof aufopfern wollte, die schmählichen Intrigen, die er angezettelt hatte, um ihn mit dem Zar Peter III. zu verfeinden2, und schließlich all die Ränke, die England gesponnen hatte, um ihn um den Besitz des Danziger Hafens zu bringen3. England hatte also die völlige Vereinsamung, in der es sich damals befand, lediglich seinem eigenen falschen Benehmen zu danken.
Schweden hatte zwar seine Verfassung geändert4, aber keine neuen Kräfte gewonnen. Seine Handelsbilanz war ungünstig. Von Frankreich erhielt es keine Subfidien, und so war das Land kaum imstande, sich zu verteidigen, geschweige denn jemanden anzugreifen. Es galt im Rate der europäischen Völker noch weniger als jene römischen Senatoren, die man pedarii nannte, weil sie nicht das Recht hatten, selbst ein Votum abzugeben, sondern nur der Meinung der anderen beitreten durften.
Dänemark besaß eine gute Flotte und ein Heer von 30000 Mann. Aber bei seiner Schwäche stand es fast auf der gleichen Stufe wie Schweden.
Der König von Sardinien war durch das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich so gut wie geknebelt. Aus eigener Kraft vermochte er nichts; er konnte nur im Bunde mit einer Großmacht eine Rolle spielen, bedeutete unter der damaligen Konstellation also nicht mehr als Schweden und Dänemark.
Polen war voll unruhiger, leichtfertiger Köpfe. Es unterhielt nur 14 000 Mann, und seine Finanzen reichten nicht einmal aus, um dies kleine Kontingent ins Feld zu stellen. Der russische Gesandte regierte das Land im Namen der Zarin, ungefähr so, wie einst die Prokonsuln die Provinzen des römischen Reiches regierten. Für die Beurteilung Polens war es in Wirklichkeit also ganz gleichgültig, was man in Warschau dachte oder plante, wenn man nur wußte, was in Petersburg beschlossen war.
Preußen hatte sich während des Friedens einiger Ruhe erfreut. Es verfolgte aufmerksam die Pläne, die seine Nachbarn schmiedeten, mischte sich aber in nichts unmittelbar ein und war vor allem darauf bedacht, seine verheerten Provinzen wiederherzustellen. Die Bevölkerung hatte bedeutend zugenommen, die Staatseinkünfte waren um ein Viertel höher als im Jahre 1756, die Armee völlig reorganisiert. Seit 1774 unterhielt der König ein wohldiszipliniertes Heer von 186 000 Mann, das jeden Augenblick kriegsbereit war. Die Festungen waren größtenteils ausgebaut und in gutem Zustand, die Magazine für ein Kriegsjahr gefüllt und ziemlich beträcht-
1 Vgl. S. 39 f.
2 Vgl. S. 4 und 7.
3 Vgl. S. 32. 42.
4 Vgl. S. 37.