Schreiben aus Prag an einen Privatmann173-1
(Ende Februar 1743)
Wir sind jetzt sicher, daß die Königin herkommen wird; denn die Krönung soll am 25. April stattfinden173-2. Freilich scheint mir nach allem, was Sie mir mitteilen, diese Krönung etwas verfrüht. Gewiß muß der König von Frankreich ein sehr großer Fürst sein, nach allem zu urteilen, was Sie mir von ihm sagen. In Wien hat man das Vorurteil, Frankreich sei an Menschen und Truppen erschöpft, man brauche nur zu drohen, um alles durchzusetzen, was man verlange, und man könne der mächtigen Monarchie bald ganz enge Schranken setzen. Wir fürchten nichts so sehr wie einen voreiligen Feldzug in Bayern. Ich, der ich die Ehre hatte, dem Herrn Marschall Belle-Isle näher zu treten, der ich Zeuge seiner Tatkraft, seiner guten Dispositionen und seines Eifers für den Dienst seines Königs war, bin fest überzeugt, wenn er den Befehl über die Armee in Bayern erhielte, würde er uns manche Nuß zu knacken geben, wogegen man in Wien den Marschall Broglie gründlich verachtet und von seinem schimpflichen Rückzug nach Beraun173-3 mit aller denkbaren Geringschätzung spricht. Der Marschall ist bei seinen hohen Jahren unfähig, sein Amt zu versehen.<174> Ich hörte viele französische Offiziere, die ihn in diesem Feldzug begleiteten, sagen, er sei nicht imstande, die geringste Disposition zu treffen. Gebe Gott und die heilige Jungfrau, daß unsere Feinde nie andere Heerführer haben als einen Törring und Broglie!
Die Bayern wurden unter Törring überall verjagt und geschlagen; unter Seckendorff sind sie Helden; ebenso wären es die Franzosen unter Belle-Isle.
Von Wien aus tröstet man uns über den Marsch der Armee der Alliierten ins Reich, aber Sie vernichten alle meine Hoffnungen durch die großen Dinge, die Sie mir vom König von Frankreich erzählen174-1. In der Tat, wenn er noch 15 000 Mann nach Bayern schick, wenn er ein Korps von 60 000 Mann an der Mosel versammelt, um die Engländer zu verfolgen, wenn er außerdem 60 000 Mann in Flandern hat, um dort die Operationen nach dem Abzug der Engländer zu beginnen — dann sind die Franzosen uns und unseren Alliierten überlegen. Bedenken Sie jedoch, daß alle jene großen Heere nutzlos sind, wenn ihre Führer nicht völlige Freiheit zum Handeln haben, sondern den Befehlen ihres Hofes unterworfen sind, die bei der großen Entfernung notwendig zu spät kommen müssen. Bedenken Sie auch, daß Bayern ein ausgesogenes Land ist, wo die Franzosen verhungern werden, wenn sie den Feldzug nicht frühzeitig beginnen und Prinz Karl174-2 nicht zwingen, ihnen den Donaulauf bis Wien preiszugeben.
Träfe uns dies Unglück, dann freilich hätten wir alles zu befürchten vom König von Preußen und von den Sachsen, denen man sehr mißtraut, und Böhmen wäre sicherlich völlig verloren. Kurz, alles hängt von den Anstrengungen ab, die Frankreich machen wird, von den kräftigen und raschen Operationen und vor allem von der Tüchtigkeit seiner Heerführer.
173-1 König Friedrich richtet in der obigen Flugschrift an Ludwig XV. die Mahnung, den unfähigen Führer der französischen Armee, den alten Herzog Franz Maria von Broglie, durch Marschall Belle-Isle zu ersetzen. Nach der Räumung von Prag in der Nacht auf den 17. Dezember 1742 hatten sich die Franzosen nach Bayern zurückgezogen (vgl. Bd. II, S. 134).
173-2 Die Krönung Maria Theresias in Prag zur Königin von Böhmen erfolgte am 12. Mai 1743. -
173-3 Vgl. Bd. II, S. 120.
174-1 Ludwig XV. hatte nach bem Tode des Kardinals Fleury (29. Januar 1743) öffentlich erklärt, die Leitung des Staates selbst, ohne einen Premierminister, zu übernehmen (vgl. Bd. II, S. 133).
174-2 Prinz Karl von Lothringen.