Die Werke Friedrichs des Großen
In deutscher Übersetzung
Zehn Bände
Mit Illustrationen
von
Adolph V.Menzel
Verlag von Neimar Hobbing in Berlin
1 9 1 3
<III>Die Werke
Friedrichs des Großen
Fünfter Band
Altersgeschichte Staats-und Flugschriften
Herausgegeben von
Gustav Berthold Volz
deutsch von
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Verlag von Neimar Hobbing in Berlin
1 9 1 3
<IV><V>Einleitung des Herausgebers
Mit der Darstellung der polnischen Teilung und des Bayrischen Erbfolgekrieges, der letzten großen Ereignisse seines Lebens, erhalten die historischen Schriften König Friedrichs ihren Abschluß.
Soviel die polnische Teilung betrifft, wiederholt sich hier der gleiche Vorgang wie beim Ersten Schlesischen KriegeV-1: dreimal hat Friedrich sie geschildert. Das erstemal im Jahre 1773 nach Unterzeichnung des Teilungsvertrages vom 5. August 1772 zwischen Rußland, Preußen und Österreich. Von dieser ersten Fassung sind nur die beiden Kapitel über Finanz- und Heerwesen überliefert, die die innere Entwicklung Preußens im Jahrzehnt von 1763 bis 1773 vor Augen führen.
Als im Frühjahr 1775 der polnische Pazifikationsreichstag, der Ruhe und Ordnung im Lande wiederherstellen sollte, sich nach zweijähriger Tagung seinem Ende näherte, erfolgte eine Umarbeitung des Kapitels über die Vorgänge in der auswärtigen Politik, das gleichzeitig bis auf die Gegenwart fortgeführt wurde. Wie das Datum am Schluß bezeugt, wurde diese Arbeit am 18. Februar 1775 beendet. Daran schloß sich unmittelbar die letzte Durchsicht der „Geschichte meiner Zeit“.
Mit dem Abschluß des Teschener Friedens sah sich der König veranlaßt, nochmals seine historiographische Tätigkeit aufzunehmen. Jetzt empfing das Kapitel über die polnische Teilung seine dritte und endgültige Fassung. Gleichzeitig wurden die Kapitel über Finanz- und Heerwesen neu bearbeitet. Am Schluß derselben findet sich von Friedrichs Hand die Angabe, in der er unmittelbar auf seine Vorlage Bezug nimmt: „Verfertigt 1773, verbessert 1779“.V-2 Dagegen neu hinzugefügt wurde die Schilderung der „wichtigsten Begebenheiten von 1774 bis 1778“, sowie die des Bayrischen Erbfolgekrieges. Am 20. Juni 1779 war nach dem darunter stehenden Vermerk das Werk vollendet.
Wie bereits erwähnt, ist die erste Fassung der politischen Geschichte von 1773 verloren; die beiden gleichzeitig verfaßten Kapitel über die innere Geschichte und<VI> die zweite Fassung von 1775 sind noch unveröffentlicht. Gleichwie für die „Geschichte meiner Zeit“, so ist auch hier für die Geschichte vom Hubertusburger bis zum Teschener Frieden der Übersetzung die Ausgabe letzter Hand zugrunde gelegt worden.
In der Folgezeit hat der König noch einmal an die Fortsetzung seines Werkes gedacht. Wenigstens ist aus dem November 1784 eine kleine Aufzeichnung vorhanden, in der er, an die letzte Darstellung anknüpfend, einen kurzen Überblick über die Lage Preußens gibt. .
Indem sich, wie die Glieder einer Kette, Darstellung an Darstellung reiht, zieht in den historischen Werken des Königs die gesamte Geschichte seiner Regierung bis 1779 an uns vorüber. Daher lag es nahe, die Entwicklung an der Hand einiger weiterer Dokumente zu Ende zu führen und mit dem Ausblick auf seinen Ausgang zu schließen. Dieser Aufgabe dienen die im Anhang zur Geschichte des Bayrischen Erbfolgekrieges veröffentlichten „Betrachtungen“ über einen neuen Krieg mit Österreich, die zu der Abhandlung von 1784 überleitende Denkschrift von 1782 und endlich der „Entwurf zum Deutschen Fürstenbunde“ mit den beiden ihn erläuternden Erlassen an die Kabinettsminister vom 21. Februar und 1. November 1784.
Die im zweiten Teile des vorliegenden Bandes mitgeteilten Staats- und Flugschriften bilden die Ergänzung der historischen Werke FriedrichsVI-1. Sie gewähren einen tiefen Einblick in die Werkstatt des Königs, der mit der Feder wie mit dem Schwert gegen seine Feinde streitbar zu Felde zog. Über die Entstehung der einzelnen Stücke ist in Fußnoten das Erforderliche angegeben.
Der französische Text, der den Übersetzungen zugrunde liegt, ist gedruckt in den „Œvres de Frédéric le Grand“ (Bd. 6: Denkwürdigkeiten vom Hubertusburger bis zum Teschener Frieden; Bd. 9: die Abhandlungen „Über die Satirenschreiber“ und „Wer die Schmähschriften“; Bd. 14: die Totengespräche; Bd. 15: die „Briefe an das Publikum“, die Schreiben Richelieus, des Schweizers an einen venezianischen Nobile und an einen Genuesen, eines Sekretärs des Grafen Kaunitz, der Marquise von Pompadour, eines preußischen Offiziers und eines, österreichischen Offiziers, der Glückwunsch von Soubise an Daun und der Zeitungsartikel von 1767; Bd. 29: der Feldzugsplan von 1778, die Instruktion für den Erbprinzen von Braunschweig und die „Betrachtungen“ von 1779 über einen neuen Krieg mit Österreich). Die Entwürfe zu den Manifesten von 1740,1744 und 1745, sowie das „Schreiben des Grafen N. an einen Freund“ von 1742 sind veröffentlicht im ersten Bande der „Preußischen Staatsschriften aus der Regierungszeit König Friede richs II.“ (herausgegeben von R. Koser, Berlin 1877), das „Schreiben aus Prag an einen Privatmann“ von 1743 im Hohenzollern-Jahrbuch (Bd. 9), der „Entwurf<VII> zum Deutschen Fürstenbunde“ und der Erlaß an die Minister vom 1. November 1784 in dem Werk von A. Schmidt: „Geschichte der preußisch-deutschen Unionsbestrebungen seit der Zeit Friedrichs des Großen“ (Berlin 1851), der Erlaß vom 21. Februar 1784 in der historischen Zeitschrift (Bd. 41), die Abhandlung „Über die Politik“ von 1784 ebenda (Bd. 60), endlich das „Breve des Papstes an Feldmarschall Daun“ nach einem Originaldruck und der Feldzugsplan für 1779. und die Denkschrift von 1782 nach den Handschriften im Königlichen Geheimen Staatsarchiv zu Berlin.
<VIII><1>Altersgeschichte
<2><3>Denkwürdigkeiten vom Hubertusburger Frieden bis zum Ende der Polnischen Teilung
Vorwort
Ich hatte allen Grund zu der Annahme, daß das letzte politisch-militärische Werk, das ich der Nachwelt zu geben hätte, die Darstellung der europäischen Ereignisse von 1756 bis 1763, d. h. bis zum Hubertusburger Frieden sein würde. Sieben mühselige Feldzüge hatten meine Lebenskraft verbraucht, und mein zunehmendes Alter ließ mich alle von ihm unzertrennlichen Gebrechen fühlen. Alles zeigte mir das baldige Ende meiner Laufbahn und ließ mich voraussehen, daß ich dem Staate keine anderen Dienste mehr leisten könnte, als durch weise und tatkräftige Verwaltung die zahllosen Wunden zu heilen, die der Krieg allen preußischen Landen geschlagen hatte.
Man durfte hoffen, daß auf so heftige Erschütterungen, wie Europa sie im letzten Kriege durchgemacht hatte, auf so viel Stürme ruhiges und heiteres Wetter folgen würde. Die Großmächte waren erschöpft durch die ungeheuren Anstrengungen, die sie hatten machen müssen. Auch die Zerrüttung ihrer Finanzen erlegte ihnen Mäßigung auf und erstickte die Erbitterung, der sie sich nur zu lange überlassen hatten. Kurz, sie waren so vieler vergeblicher Anstrengungen müde und wünschten nichts sehnlicher als die Befestigung der öffentlichen Ruhe.
Preußen hatte diese Ruhe noch nötiger als das übrige Europa; hatte es doch fast allein die ganze Last des Krieges getragen. Der preußische Staat glich einem von Wunden bedeckten, von Blutverlust geschwächten Kämpfer, der unter der Bürde seiner Leiden fast zusammenbrach. Er bedurfte eines geregelten Lebens, um sich zu erholen, stärkender Mittel, um wieder zu Kräften zu kommen, und heilenden Balsams, um von seinen Wunden zu genesen. Unter diesen Umständen durfte die Regierung nur das Beispiel eines guten Arztes befolgen, der einem erschöpften Körper mit Hilfe der Zeit und lindernder Mittel wieder emporhilft.
Diese Gründe waren so zwingend, daß die innere Verwaltung des Staates meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Der Adel war erschöpft, das niedere Volk<4> ruiniert, viele Dörfer in Asche gelegt, zahlreiche Städte teils durch Belagerungen, teils durch vom Feinde gedungene Brandstifter zerstört. An Stelle geordneter Verwaltung in Stadt und Land war völlige Anarchie getreten; die Finanzen waren in der größten Verwirrung; kurz, das Elend war allgemein. Zu all diesen Mißständen kam noch, daß die alten Räte und Finanzminister während des letzten Krieges gestorben waren. Ich stand sozusagen allein und ohne Hilfskräfte. Ich mußte mir neue auswählen und sie zugleich für die Ämter ausbilden, für die ich sie bestimme.
Die Armee befand sich in keinem besseren Zustande als das Land. Siebzehn Schlachten hatten die Blüte der Offiziere und Soldaten dahingerafft. Die Regimenter waren zusammengeschmolzen und bestanden zum Teil aus Kriegsgefangenen und Überläufern. Die Ordnung war fast verschwunden und die Mannszucht derart erschlafft, daß unsere alte Infanterie nicht mehr taugte als neu ausgehobene Miliz. Es galt also, Rekruten zu beschaffen, wieder Zucht und Ordnung in die Regimenter zu bringen, vor allem die jungen Offiziere durch den Stachel der Ehre anzuspornen, um dieser heruntergekommenen Masse die alte Tatkraft wiederzugeben.
Auch die Politik bot kein erfreulicheres Bild als das eben entworfene. Durch Englands unwürdiges, treuloses Benehmen am Ende des letzten Krieges war das Bündnis mit ihm zerrissen. Der Separatfriede, den England mit Frankreich geschlossen, die Unterhandlungen, die es mit Rußland angeknüpft, um mich mit dem Zaren Peter III. zu entzweien, die Anträge, die es dem Wiener Hofe gemacht hatte, um ihm meine Interessen zu opfern4-1 — alle diese Schändlichkeiten hatten die Bande zwischen Preußen und Großbritannien zerschnitten, und so stand ich nach dem allgemeinen Friedensschluß allein und ohne Bundesgenossen in ganz Europa.
Indes war diese kritische Lage nicht von Dauer, sondern nahm gegen Ende des Jahres 1763 wieder günstigere Gestalt an. Der russische Hof war wie betäubt durch die plötzliche Umwälzung4-2 und bedurfte einiger Zeit, um wieder zur Besinnung zu kommen. Kaum hatte die neue Zarin ihre Stellung im Innern befestigt, so schweiften ihre Blicke weiter, und sie näherte sich Preußen. Zu Anfang suchte man sich nur zu verständigen, bald aber erschien das gegenseitige Bedürfnis einer Einigung nicht mehr problematisch. Gerade zu der Zeit, wo die Unterhandlungen lebhafter wurden, starb König August III. von Polen4-3. Dies unerwartete Ereignis reichte hin, um den Abschluß eines Defensivbündnisses zwischen Rußland und Preußen zu beschleunigen. Katharina II. wollte über den erledigten Thron nach ihrem Gutdünken verfügen: zu dem Zweck schien ihr Preußen der passendste Bundesgenosse, und so wurde denn Stanislaus Poniatowski bald zum König von Polen gewählt, well es die Zarin so wollte. Seine Wahl wäre auch ohne schlimme Folgen geblieben, hätte es die Zarin dabei bewenden lassen. Aber sie verlangte auch noch, daß die Republik den Dissidenten beträchtliche Vorrechte einräumte. Diese neuen Forderungen empörten<5> ganz Polen. Die Großen des Reiches suchten Hilfe bei den Türken. Bald danach brach der Krieg aus, und die russischen Heere brauchten sich nur im Felde zu zeigen, um die Muselmanen bei jedem Gefecht zu schlagen.
Dieser Krieg veränderte das ganze politische System Europas. Neue Perspektiven eröffneten sich, und man hätte schon ganz ungeschickt oder in dumpfe Starre versunken sein müssen, um die günstige Gelegenheit nicht zu benutzen. Ich hatte das schöne Gleichnis von Bojardo5-1 gelesen. Ich ergriff also die Gelegenheit, die sich darbot, beim Schöpfe, und durch Unterhandlungen und Intrigen gelang es mir, unsere Monarchie durch die Einverleibung Westpreußens für ihre früheren Verluste zu entschädigen. Diese Erwerbung war eine der wichtigsten, die wir machen konnten; denn dadurch erhielt Pommern Verbindung mit Ostpreußen, und als Herren der Weichsel erlangten wir den doppelten Vorteil, daß wir Ostpreußen verteidigen konnten und die bedeutenden Weichselzölle erhielten, da der ganze polnische Handel über diesen Fluß geht.
Diese Erwerbung schien mir in den preußischen Annalen Epoche zu machen und bedeutsam genug zu sein, um ihre Einzelheiten der Nachwelt zu überliefern, zumal ich bei jenem Ereignis Augenzeuge und Mitwirkender zugleich war.
Die Originalakten der Unterhandlungen, über die ich in diesem Werke berichte, befinden sich sämtlich im Staatsarchiv. Ich habe diese Denkwürdigkeiten in drei Kapitel eingeteilt. Das erste umfaßt die Unterhandlungen und die politischen Vorgänge vom Hubertusburger Frieden bis zur Pazifizierung Polens, das zweite die Finanzwirtschaft, die neuen Handelszweige, die eingeführt wurden, die Urbarmachungen in verschiedenen Provinzen, die Erträge Westpreußens und die Verbesserungen, die dort möglich sind. Das dritte enthält alles auf die Armee Bezügliche: ihre Reorganisation und Vermehrung, die seit der Erwerbung Westpreußens aufgestellten neuen Truppenteile, den Präsenzstand der Armee, der im Frieden auf 186 000 Mann festgesetzt ist, die Artillerie, alle Vorkehrungen, die zur Mobilmachung dieser Massen nötig sind, endlich einen defensiven Feldzugsplan, der lediglich zur Verteidigung von Ost- und Westpreußen gegen den Einfall jedwedes Feindes bestimmt ist.
Zugleich muß ich den Leser darauf hinweisen, daß es mir widerstrebte, in einer so langen Darstellung stets von mir selber zu reden. Solch Egoismus stößt mich ab, und so zog ich es vor, in der dritten Person zu sprechen. Ich beschränke mich also einfach auf das Amt eines Historikers, der die Ereignisse seiner Zeit wahr und klar beschreiben will, ohne das Geringste zu übertreiben oder zu fälschen. Ich habe zeitlebens keinen Menschen betrogen; noch weniger will ich die Nachwelt betrügen.
<6>1. Kapitel
Die Politik von 1763 bis 1774
Um sich ein rechtes Bild von der politischen Lage Europas nach dem Frieden von Hubertusburg zu machen, muß man sich vergegenwärtigen, daß alle Mächte fast gleich erschöpft waren. Frankreich hatte mit England Frieden geschlossen, weil es keine hinreichenden Mittel für den Feldzug von 1763 mehr aufbringen konnte. Auch die Kaiserin-Königin hätte den Hubertusburger Frieden nicht geschlossen, wären ihre Geldquellen nicht völlig versiegt. Nur der König von Preußen hatte noch bares Geld, weil er so vorsichtig gewesen war, stets für ein Jahr im voraus zurückzulegen.
Dieser Geldmangel beherrschte auch weiterhin die politischen Pläne. Jede Macht wünschte die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, um Zeit zu finden, sich zu erholen und Kräfte zu sammeln. Das hat wahrscheinlich am meisten zur Fortdauer des Versailler Bündnisses beigetragen, das zwischen dem Kaiser, Frankreich und Spanien geschlossen worden war. Das Haus Österreich hatte zweifellos den größten Vorteil davon; denn wenn es vor Frankreich sicher war, brauchte es sich um Flandern und Italien nicht zu sorgen und konnte, falls es nötig wurde, all seine Kräfte ungehindert gegen Preußen aufbieten. Andrerseits hatte Frankreich nichts von Österreich zu fürchten und sah seine Grenzen vor jeder Bedrohung geschützt. Da außerdem ein Kontinentalkrieg nicht vorauszusehen war, vermochte Frankreich, sage ich, seine ganze Kraft auf die Verstärkung seiner Flotte zu verwenden, die, mit der spanischen vereint, der englischen Seemacht eines Tages imponieren konnte. Diese Kombination beruhte auf triftigen Gründen. Der Abschluß des Aachener Friedens war überstürzt<7> worden7-1. Viele Punkte, die einer klaren Fassung bedurft hätten, waren nur obenhin erledigt worden, so der den Franzosen bewilligte Fischfang in Neufundland, das Lösegeld für Manila, das England von den Spaniern forderte, und andere in Wahrheit geringfügige Dinge, die aber unruhigen Köpfen, die Zwist stiften wollen, den gewünschten Vorwand hätten liefern können.
Diese gegenseitigen Vorteile waren nicht die einzigen Gründe, die die beiden Zweige des Hauses Bourbon mit öem neuen Hause Österreich verbanden. Auch Charakter und Denkart der Versailler und Wiener Minister trugen das ihre dazu bei. Fürst Kaunitz7-2, ein Mann von hochmütigem, anmaßlichem und herrischem Wesen, betrachtete den Versailler Vertrag als das Meisterstück seiner Politik. Er rühmte sich, den Erbfeind des Hauses Österreich entwaffnet und ihn so weit gebracht zu haben, dem Kaiser gegen Preußen beizustehen. Der Herzog von Choiseul war ein geborener Lothringer; sein Vater; Graf Stainville, war österreichischer Gesandter in Paris gewesen. Choiseul fühlte sich also noch als Vasallen des Kaisers und hing im Herzensgrunde mehr an Österreich als an Frankreich. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der Versailler Vertrag durch die Parteilichkeit der beiden Premierminister aufrechterhalten blieb. Er wird so lange dauern, als seine Urheber ihren Einfluß auf ihre Gebieter bewahren.
Werfen wir andrerseits einen Blick auf Preußen, so finden wir es gleichsam isoliert und ohne jeglichen Bundesgenossen. Der Grund ist dieser. Als Pitt aus dem englischen Ministerium ausschied, trat der Schotte Bute an seine Stelle. Dieser brach sofort alle Beziehungen zwischen beiden Höfen ab. Bei seinem Friedensschluß mit Frankreich opferte England, wie berichtet, schamlos die Interessen Preußens. Dann beging es eine noch unerhörtere Treulosigkeit. Es bot dem Hause Österreich die Eroberung Schlesiens an; für diesen Liebesdienst sollte der Wiener Hof seine alten Beziehungen zu England wieder aufnehmen. Ja, als ob der Niedertrachten noch-nicht genug wären, setzte Bute in Petersburg alles in Bewegung, um den König von Preußen mit dem Zaren Peter III. zu verfeinden7-3. Das aber sollte ihm nicht gelingen! Durch soviel Übelwollen im Verein mit so offenbaren Verrätereien waren alle Bands zwischen Preußen und England zerrissen, und auf das Bündnis, das gemeinsame Interessen geknüpft hatten, folgte die erbittertste Feindschaft und der glühendste Haß. Der König blieb also allein auf dem Kampffelde, zwar ohne daß ihn jemand angriff, aber auch ohne daß jemand zu seiner Verteidigung auftrat. Diese Situation, die nur vorübergehend zu ertragen war, änderte sich glücklicherweise bald.
Gegen Ende des Jahres 1763 begannen die Unterhandlungen mit Rußland über ein Defensivbündnis7-4. In Petersburg war damals nur Graf Panin für Preußen. Der alte Feind des Königs, Kanzler Bestushew, der Urheber all des Haders, der<8> zwischen beiden Höfen geherrscht hatte, wirkte ihm heimlich entgegen und wurde darin bei der Kaiserin durch den Grafen Orlow unterstützt, der damals ihr erklärter Günstling war. Der Wiener und Dresdener Hof intrigierten unter der Hand, soviel sie vermochten, um die Unterhandlungen des Grafen Solms8-1 zu durchkreuzen. Die Österreicher stellten der Zarin vor, daß ihre Macht die einzige sei, mit der ein Bündnis für Rußland vorteilhaft sein könne, weil nur der Wiener Hof ihr gegen ihren gemeinsamen Feind, die Türken, beizustehen vermöchte. Die Sachsen hatten andere Gründe, die Unterhandlungen des Grafen Solms zu hintertreiben. Sie be-warben sich um den Schutz und Beistand der Zarin, um sich im Falle des Ablebens Augusts III. den Weg zum polnischen Throne zu ebnen. Überhaupt waren die Sachsen unter Brühls Regiment von jeher Preußens Feinde gewesen und bereit, sich den Umtrieben aller Mächte anzuschließen, die den Einfluß des Königs von Preußen auf die Geschicke Europas durchkreuzen oder vermindern wollten.
Um diese Krisis zu beenden und die Spannung zu lösen, bedurfte es eines unverhofften Ereignisses. Es traf zur rechten Zeit ein: König August III. von Polen starb zu Dresden am 5. Oktober desselben Jahres. Sein Sohn, der Kurfürst von Sachsen, folgte dem Vater bald ins Grab8-2; Augusts Enkel, der nunmehrige Kurfürst, war noch nicht großjährig. Diese beiden Todesfälle hintereinander und die Minderjährigkeit des Nachfolgers gaben den Dingen plötzlich eine andere Wendung. Fortan blieben die Ränke und Kabalen der Franzosen, Sachsen und Österreicher in Petersburg wirkungslos.
Graf Panin gewann die Oberhand und wurde Großkanzler des Reiches. Dank dem Einfluß, den er auf die Zarin ausübte, überredete er sie, einen Piasien auf den polnischen Thron zu setzen. Um sicher zu gehen, teilte Katharina ihre Pläne dem König von Preußen mit. Der versprach sie zu unterstützen. Ohne die Unterzeichnung des Vertrages abzuwarten, über den er in Petersburg verhandeln ließ, beauftragte er seinen Gesandten in Warschau8-3, den dortigen russischen Gesandten8-4 zu unterstützen und für die bevorstehende Königswahl sowohl dem Primas wie den angesehensten polnischen Großen die stärksten und nachdrücklichsten Vorstellungen zu machen. Dieser wohlberechnete Schritt besiegte endlich die Unentschlossenheit des Petersburger Hofes. Die russischen Minister stellten ihrer Herrin vor, wie sehr der Beistand des Königs von Preußen ihre Unterhandlungen erleichtert hätte, und so entschloß sich die Zarin denn endlich zum Abschluß des angetragenen Bündnisses. Im Januar 1764 wurde das Contreprojekt von Berlin an den Grafen Solms geschickt, und nach Beseitigung einiger Schwierigkeiten, die sich auf den von der Zarin geforderten Beistand des Königs bezogen, wurde der wichtige Vertrag im Laufe des Monats März unterzeichnet8-5.
<9>Um nicht zu weitschweifig zu werden, will ich mich mit kurzer Wiedergabe seines Inhalts begnügen. Der Vertrag war begrenzt und sollte nur acht Jahre dauern. Beide Mächte garantierten sich darin ihren Besitzstand. Ohne gegenseitige Zustimmung sollte weder ein Waffenstillstand noch ein Friede abgeschlossen werden. Beide Mächte sagten sich gegenseitig ein Hilfskorps von 10 000 Mann Infanterie und 2 000 Reitern zu. In einem Geheimartikel ward ausgemacht, daß, falls der König am Rhein oder die Zarin in der Krim angegriffen würde, an Stelle dieser Truppen eine jährliche Subsidienzahlung von 400 000 Rubeln oder 480 000 Talern preußischer Währung treten sollte. Was Polen betraf, so verpflichteten sich beide Kontrahenten, nicht zu dulden, daß die Krone erblich würde, und allen Versuchen entgegenzutreten, durch Änderung der Verfassung die Monarchie in Polen einzuführen. Ferner versprach man die Dissidenten9-1 gegen Bedrückungen der herrschenden Kirche zu beschützen. Schließlich verpflichtete man sich durch eine am gleichen Tag unterzeichnete geheime Konvention, dafür zu sorgen, daß die Wahl auf einen Piasten fiele.
Dieser Piast war Stanislaus Poniatowski, Stolnik von Litauen, der der Zarin seit lange bekannt und dessen Person ihr angenehm war9-2. Alsbald rückten 10 000 Russen auf Warschau, während preußische Truppen an der polnischen Grenze Demonstrationen machten, die den Republikanern wie den fremden Mächten zeigten, daß jeder, der sich gegen Rußlands und Preußens Willen in die Königswahl einmischen wollte, es mit ihnen zu tun bekäme und daher gut täte, sich die Sache zweimal zu überlegen.
Die Zeit zum Zusammentritt des Konvokationsreichstages rückte heran9-3. Die Würde beider Mächte erforderte, einen Gesandten ersten Ranges hinzuschicken. Der König bestimmte dazu den Fürsten Schönaich,Carolath9-4, der sich sofort nach War, schau begab. Die Form des Reichstages wurde verändert: er tagte in den Formen eines Konföderationsreichstags, um das liberum veto, das niepozwalam der Gegenpartei auszuschalten, sodaß die Stimmenmehrheit zur Gültigkeit der Beschlüsse der von den Woiwodschaften entsandten Landboten hinreichte9-5. Auf diesen Reichstag folgte im August ein zweiter, der gleichfalls die Form einer Konföderation annahm. Dieser Reichstag wählte dank der Unterstützung und der nachdrücklichen Empfehlungen der preußischen und russischen Gesandten am 7. September ein<10>stimmig Stanislaus Poniatowski zum König von Polen. Er wurde von allen europäischen Mächten anerkannt.
Zur Krönung mußte noch ein dritter Reichstag zusammentreten. Die Czartoryski, Oheime öes neuerwählten Königs, wollten unter Benutzung der noch bestehenden Konföderation die völlige Abschaffung des liberum veto herbeiführen, wodurch sie absolute Herren der Beratungen der Republik geworden wären. Der König von Preußen fürchtete die schwerwiegenden Folgen einer so einschneidenden Verfassungsänderung der Republik, die seinen Staaten so nahe lag. Er wies den Petersburger Hof darauf hin, und dieser schloß sich seiner Meinung an. Gleichwohl ließ man die Form der Konföderation bis zum nächsten Reichstag bestehen.
Hierauffanden nur fruchtlose Unterhandlungen zur Abschaffung eines allgemeinen Zolles statt, den der Konvokationsreichstag an Stelle öes vom Adel erhobenen Zolles eingeführt hatte. Diese neue Einrichtung, die dem Wehlauer Vertrage zuwiderlief, ermächtigte den König zu Repressalien gegen die Republik. Goltz10-1 ward nach Warschau gesandt, um den Streit zu schlichten; man rief die Entscheidung der russischen Zarin an, und die neuen Zölle wurden beiderseits abgeschafft.
Der Petersburger Hof war unzufrieden mit dem Verhalten des Königs von Polen und mehr noch mit dem der Czartoryski, seiner Oheime, die ihn regierten. Er schickte Saldern nach Warschau, um sie zu beobachten und ihnen geeignete Vorstellungen zu machen, damit sie sich etwas klüger und maßvoller betrügen.
Von Warschau kam dieser Diplomat mit weitgreifenden Plänen nach Berlin (Mai 1766). Sie stammten vom Grafen Panin, der zu allem neigte, was Aufsehen erregt und in die Augen sticht. Saldern, dem es an äußeren Formen und Geschmeidigkeit fehlte, schlug den Ton eines römischen DMators an, um den König zu zwingen, in den Beitritt von England, Schweden, Dänemark und Sachsen zum Petersburger Bündnis zu willigen. Da dies Projekt den preußischen Interessen stracks zuwiderlief, so konnte der König nicht die Hand dazu bieten. Wie durfte man verlangen, daß er nach all den Treulosigkeiten, die er von England erfahren hatte, eine Verbindung mit dieser Macht einging? Auch der Beistand von Schweden, Dänemark und Sachsen war wertlos; denn man konnte sie nur durch Zahlung großer Subsidien zum handeln bestimmen. Außerdem konnten sie im Bunde mit Rußland zu sehr den Einfluß teilen, den der König in jenem Lande für sich zu gewinnen hoffte. Es war also besser, sie beizeiten fernzuhalten, zumal man ohne Not keine Komplikationen schaffen soll.
Alle diese Gründe bewogen den König zur Ablehnung der Saldernschen Anträge. Der Gesandte war wütend, denn er hielt sich für den Prätor Popilius und den König für Antiochus von Syrien10-2. Er wollte einem Souverän Gesetze vorschreiben; aber der König, der sich durchaus nicht für Antiochus hielt, verabschiedete den Minister<11> sehr kühl, indem er ihm versicherte, er werde stets der Freund der Russen, nie aber ihr Sklave sein.
Saldern war erbost, einen Fürsten angetroffen zu haben, der sich seinen Befehlen so wenig fügte, und reiste von Berlin nach Kopenhagen, wo er nach Herzenslust seinem Despotismus und seiner grenzenlosen Anmaßung freien Lauf ließ. Er schüchterte den König von Dänemark derart ein, daß dieser die ihm mißfälligen Minister und Generale entließ und sie durch seine Kreaturen ersetzte. Darauf schloß er einen Eventualvertrag11-1, durch den das Herzogtum Holstein an Dänemark überging. Als Entschädigung dafür erhielt das Haus Gottorp die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst.
Gegen Ende des Jahres 1766 versammelte sich wieder ein polnischer Reichstag. Die Zarin hatte sich zur Beschützerin der Dissidenten erklärt, die zum Teil griechischkatholisch waren. Sie verlangte für sie freie Religionsübung und das gleiche Recht zur Bekleidung von Ämtern, wie es die Römisch-Katholischen besaßen. Diese Forderung barg den Keim aller folgenden Unruhen und Kriege. Der preußische Gesandte überreichte dem Reichstag eine Denkschrift des Inhalts, daß sein Herr die Abschaft fung des liberum veto, die Auflage neuer Zölle und die Vermehrung der Krontruppen nicht gleichgültig ansehen könne, und die Republik berücksichtigte diese Vorstellung. Minder nachgiebig zeigte sie sich in betreff der für die Dissidenten geforderten Rechte. Weit entfernt, darauf einzugehen, bestätigte der Reichstag in einer Art von fanatischer Begeisterung die Bestimmungen, über die sich die Dissidenten am meisten zu beschweren hatten. Das einzige, was der russische Hof durchsetzen konnte, war die Auflösung des Reichstages und der Konföderation, die ihn gebildet hatte. Die Zarin war tief beleidigt über die unverschämte Grobheit der Polen gegen sie und beschloß, die Sache der Dissidenten mit offener Gewalt durchzusetzen. Sogleich lud sie den König zur Mitwirkung an den von ihr beabsichtigten Maßregeln ein, wozu er Kraft seines Bündnisvertrages ohnedies verpflichtet war.
Während all dieser Unruhen in Polen ward die Ehe des Prinzen von Preußen mit der Prinzessin Elisabeth von Braunschweig, der vierten Tochter des Herzogs, geschlossen11-2. Die Thronfolge ruhte damals nur auf acht Augen, dem Prinzen von Preußen und dem jüngeren Prinzen Heinrich; der letztere war sehr begabt und versprach ungleich mehr als sein Bruder, wurde aber bald darauf durch die Blattern hingerafft11-3. Prinz Heinrich, des Königs Bruder, und Prinz Ferdinand hatten damals keine männlichen Erben.
Doch kehren wir zu Polen zurück, von dem wir uns entfernt haben. Der Despotismus, mit dem der Petersburger Hof in der Republik austrat, brachte die Sarmaten<12> und einen Teil Europas gegen Rußland auf. Der Wiener Hof verbarg seine Eifersucht und Unzufriedenheit nur mit Mühe. Frankreich, das noch einen Rest jener Herrschsucht bewahrte, die sich zur Zeit Ludwigs XIV. so sehr offenbart hatte, konnte es kaum ertragen, daß sich in Europa ein großes Ereignis ohne seine Teilnahme vollzog. Der Herzog von Choiseul, der ohne den Königstitel die Königsmacht ausübte, war der unruhigste und ungeduldigste Geist, der je in Frankreich geboren ward. Er betrachtete die Wahl eines Königs von Polen ohne die Mitwirkung seines Herrn als einen Frankreich zugefügten Schimpf. Um diese eingebildete Beleidigung zu rächen, hätte er sein Land ungesäumt in einen neuen Krieg verwickelt, hätte ihn nicht die Erschöpfung der Finanzen und die Abneigung Ludwigs XV. gegen dergleichen Unternehmungen davon abgehalten. Er entschädigte sich für seine Ohnmacht, indem er die Russen bei jeder Gelegenheit ärgerte. So nahm er, um der Zarin den Titel „Kaiserliche Majestät“ zu versagen, seine Zuflucht zur französischen Akademie, die entscheiden mußte, daß dieser Titel unfranzösisch sei. Solche kleinlichen Racheakte sind eines großen Herzens unwürdig. Ich würde diese Erbärmlichkeiten auch garmcht erwähnen, wenn sie nicht den Charakter der Menschen kennzeichneten.
Im Jahre 1765 war Kaiser Franz l. zu Innsbruck gestorben12-1. Sein Sohn Joseph, der zum römischen König gekrönt worden war, folgte ihm ohne Schwierigkeit. Der junge Kaiser wachte eine Reise durch Böhmen und Sachsen zur Besichtigung der Gegenden, die den Schauplatz des letzten Krieges gebildet hatten. Da er durch Torgau kommen mußte, ließ der König ihm eine Zusammenkunft vorschlagen, der sich aber die Kaiserin und Fürst Kaunitz widersetzten (Juni 1766). Der Kaiser war etwas ungehalten über dies Verbot und ließ den König von Preußen wissen, er werde schon Mittel und Wege finden, um die Unhöfltchkeit, die ihn seine Hofmeister begehen ließen, wieder gutzumachen.
Unterdessen wurde die Unzufriedenheit in Polen fast allgemein. Die ganze Nation erhob ein Geschrei, als wollten die Russen die katholische Religion ausrotten und als hätte jeder im Schoße der apostolischen römischen Kirche geborene Fürst die Gewissenspflicht, Polen beizustehen. Dies oft wiederholte Geschrei begann Eindruck auf den Wiener Hof zu machen, aber noch mehr der Despotismus, den sich die russische Zarin den Polen gegenüber anmaßte. Der Hochmut der Kaiserin Maria Theresia bäumte sich gegen den Stolz der Zarin auf. Infolge des Grolls, der sich der Kaiserin bemächtigt hatte, fanden in den österreichischen Provinzen einige Truppenbewegungen statt. Man begann militärische Anstalten zu treffen, nicht derart, wie sie nötig sind, um sofort ins Feld zu rücken, wohl aber solche, die als Vorbereitung eines großen Unternehmens dienen.
Das Gerücht von diesen Rüstungen, das sich rasch überall verbreitete, verursachte einige Besorgnis am Petersburger Hofe. Die Befürchtungen der Zarin gaben Anlaß
<13>zu einer geheimen Konvention zwischen Rußland und Preußen, die schnell zum Abschluß kam (4. Mai 1767). Sie besagte im wesentlichen, daß die Zarin zur Unterstützung der. Dissidenten Truppen in Polen einrücken lassen werde. Um dem Wiener Hofe neue Besorgnis zu ersparen, sollte der König sich darauf beschränken, die Unternehmungen der Russen durch nachdrückliche Erklärungen zu unterstützen, die geeignet wären, die Unzufriedenen einzuschüchtern. Immerhin wurde ausgemacht, daß der König, falls der Wiener Hof Truppen nach Polen schickte, um feindlich gegen die Russen vorzugehen, den Österreichern den Krieg erklären und offen gegen sie vorgehen, ja eine kräftige Diversion in ihre Staaten machen sollte. Angesichts des Umstandes, daß der König diesen Krieg nur im Interesse der Russen zu führen habe, wurde ferner bestimmt, daß die Zarin ihn mit einem Korps ihrer Truppen unterstützen und ihm beim Friedensschluß eine angemessene Entschädigung auswirken sollte. Die von Tag zu Tag enger werdende Verbindung zwischen dem König und Rußland imponierte dem Wiener Hofe, und da die Gefahren, denen er sich aussetzte, größer waren als die Vorteile, die er ernten konnte, so entschloß er sich, den Ereignissen ruhig zuzuschauen.
Im selben Jahre wurde die Ehe zwischen Prinzessin Wilhelmine, der Nichte des Königs, und dem Prinzen von Oranien geschlossen13-1. Das konnte die Politik in keiner Weise beeinflussen. Die Heirat beschränkte sich darauf, einer Prinzessin seines Hauses eine anständige Versorgung zu schaffen.
Doch kommen wir zu den polnischen Angelegenheiten zurück. Auf Anstiften der Russen bildeten die Dissidenten eine Konföderation13-2. Sie wurde von den russischen Truppen beschützt, die soeben in Polen eingerückt waren. Zugleich erklärte der preußische Gesandte in Warschau, der König betrachte die Wiedereinsetzung der Dissidenten als eine Bestimmung des Vertrages von Oliva und seines Bündnisses mit der Kaiserin von Rußland und ersuche die Republik, die Beschwerden der Dissidenten zu berücksichtigen. Der König von Polen gab den Deputierten der Dissidenten eine Audienz, was eine Tagung des Senates zur Folge hatte, der einen außerordentlichen Reichstag berief. Dieser Reichstag versammelte sich unter dem Schutze der russischen Truppen, die Warschau einschlossen (5. Oktober). Fürst Repnin, der Gesandte Katharinas, ein ebenso heftiger wie verwegener Mann, wandte nur Gewaltmittel an, um den Reichstag einzuschüchtern. Er ließ Kanonen gegen den Sitzungssaal der Landboten richten, ließ die Bischöfe von Krakau und Kiew13-3, sowie den Kron-Unterfeldherrn Rzewuski, lauter erklärte Feinde der Dissidenten, gefangen nehmen, und sie wurden über Moskau hinaus nach Sibirien verbannt. Die übrigen Landboten mußten sich bis zum 1. Februar 1768 vertagen, und es wurden Kommissare ernannt, die bevollmäch<14>tigt wurden, im Namen der Republik endgültige Beschlüsse zu fassen. Der russische und preußische Gesandte, die Gesandten der protestantischen Höfe und die Marschälle der Dissidenten wohnten den Sitzungen der Kommission bei. In ihr wurde eine Akte unterzeichnet, kraft deren die Dissidenten in alle ihre Rechte wiedereingesetzt wurden (24. Februar 1768). Kurz darauf schritt man zur Unterzeichnung der Grundgesetze der Republik, die die Macht der ersten Würdenträger, insbesondere die des Großfeldherrn, beschränkte. Der Reichstag wurde zur Bestätigung dieser neuen Gesetze gezwungen, worauf er auseinanderging (5. März 1768).
So viele Gewalttaten, die eine fremde Macht sich in der Republik erlaubte, empörten schließlich alle Gemüter. Der Stolz, der Hochmut und die Härte des Fürsten Repnin taten ein übriges. Die ersten Würdenträger waren erbittert über die Verminderung ihrer Macht und ertrugen jene Veränderungen nicht, die für ihr Ansehen so nachteilig wie demütigend waren. Die Bischöfe, deren halbe Diözesen aus Dissidenten bestanden, durch deren Bekehrung sie ihren Zehnten zu erhöhen gedacht hatten, sahen ihre Hoffnungen durch die neuen Gesetze vernichtet. Sie verbanden sich aus Eigennutz, und in der Voraussicht, daß das Volk wegen einiger Schädigungen, die sie erlitten, nicht aufzurütteln sein werde, beschlossen sie, den Fanatismus zu benutzen, um diese stumpfen Seelen zur Verteidigung ihrer Priester aufzustacheln. Die Bischöfe und Magnaten, die die gleiche Unzufriedenheit vereinte, sprengten aus, die Russen wollten im Einverständnis mit dem König von Polen die römisch-katholische Kirche abschaffen: alles wäre verloren, wenn man nicht zu den Waffen griffe, und gäbe es noch eifrige fromme Katholiken, so sollten sie alle herbeieilen, um ihre Altäre zu beschirmen und zu retten. Das Volk, das in verschiedenen Gegenden, wo die russischen Truppen verteilt waren, schon arg geplagt wurde, begann unruhig zu werden und gab seiner Unzufriedenheit mehrfach Ausdruck. Die dumme Masse ist ja dazu gemacht, von solchen geleitet zu werden, die sich die Mühe geben, sie zu betrügen: sie ließ sich leicht durch die Priester verführen. Die Religion ward zum Signal und zum Losungswort; der Fanatismus ergriff alle Gemüter, und die Großen benutzten die Begeisterung ihrer Leibeigenen zur Abschüttlung eines Joches, das ihnen unerträglich zu werden begann.
Schon sprühten Funken aus diesem Feuer, das noch unter der Asche glomm. Vielleicht hätte die Übermacht der verbündeten Höfe es erstickt, hätte nicht Frankreich, das aus Eifersucht Verwirrung und Unruhe im Norden stiften wollte, die Flammen geschürt und dadurch eine allgemeine Feuersbrunst herbeigeführt. Der Herzog von Choiseul, ein von Ehrgeiz verzehrter Mann, wollte seinem Ministerium Glanz verleihen. Er war erfüllt von dem sogenannten Testament des Kardinals Richelieu, und stets war ihm das Versprechen des Kardinals an Ludwig XIII. gegenwärtig, er werde seine Monarchie in Europa zu Ansehen bringen. So wollte auch Choiseul Ludwig XV. Ansehen verschaffen. Allein die Zeiten und die Verhältnisse waren unter Choiseul ganz andere als unter dem Kardinal Richelieu. Erstens war Frankreich da<15>mals nicht mit Schulden überlastet. Zweitens hatte sich Europa seit dem 17. Jahrhundert völlig verändert. Rußland, das heute eine so große Rolle spielt, war damals unbekannt und barbarisch; Preußen und Brandenburg waren ohne Tatkraft; Schweden glänzte und ist jetzt erloschen. Und überhaupt: was für Pläne kann ein Minister entwerfen, wenn die Mittel zu ihrer Ausführung fehlen und die Furcht vor dem Staatsbankrott ihn nötigt, sich auf Intrigen zu beschränken und alle kühnen Unternehmungen zu meiden, die ihn aus seiner Untätigkeit reißen könnten? Diese nicht zu beseitigenden Hindernisse beengten Choiseuls Geist, ohne seine Unruhe zu dämpfen, und da er die großen Hebel der Politik nicht in Bewegung setzen konnte, begnügte er sich mit Umtrieben.
Abgesehen von der Eifersucht, die in Frankreich die Wahl eines Königs von Polen erregte, an der es keinen Anteil hatte, konnte man es in Versailles der Zarin nicht vergeben, daß sie aus der großen Allianz ausgetreten war und einen Separatfrieden mit dem König von Preußen geschlossen hatte. Zur Rache dafür hetzte Choiseul die Polen und Türken gegen sie auf. Zugleich sollten die Schweden in Finnland und Esthland einfallen. Durch diese verschiedenen Mittel hoffte er einen Krieg gegen Rußland zu entzünden, aus dem es sich schwerlich mit Vorteil herausgezogen hätte. Seitdem verbreiteten sich überall französische Agenten. Die einen ermunterten die Polen, ihre Freiheit zu verteidigen; andere eilten nach Konstantinopel, um die Pforte aufzuhetzen, sie solle doch nicht gleichgültig zusehen, wie eine Nachbarmacht in Polen ihren Despotismus aufrichtete. Wieder andere gingen nach Stockholm und intrigierten im Reichstage, um die Verfassung umzustoßen und den König zum Selbstherrscher zu machen, damit er zugunsten der Türken und Polen eine Diversion gegen Rußland unternähme.
Mit soviel Umtrieben noch nicht zufrieden, wollte Choiseul auch den König von Preußen von einer Macht loslösen, die er leicht zu erdrücken hoffte. Zu dem Zweck schlug er einen Handelsvertrag vor, der in Versailles aufgesetzt werden sollte. Guines knüpfte in Berlin die Unterhandlungen an. Der König konnte nicht umhin, Goltz nach Paris zu senden15-1. Der Handelsvertrag, der nur geringe Vorteile bringen konnte, war an unannehmbare Bedingungen geknüpft, die das Bündnis zwischen Preußen und Rußland direkt verletzten. Der Vertrag kam selbstredend nicht zustande. Ebenso scheiterte Choiseul in Schweden, wo die russische Partei im Reichstage über die französische siegte. Anders aber kam es in Polen und in der Türkei.
Seit dem Monat März 1768 bildete sich in der polnischen Stadt Bar eine Konföderation gegen die Russen; ein Krasinski15-2 wurde zu ihrem Marschall erwählt. Diese Konföderation zeitigte mehrere andere. Die Rebellen taten den ersten Schritt zum Aufstande, indem sie die neuen Gesetze aufhoben. Weit entfernt aber, es bei dieser ersten Kraftprobe bewenden zu lassen, erstrebten sie Hoffnungstrunken und im<16> Taumel der Leidenschaft nichts Geringeres, als den König zu entthronen, und warteten nur auf eine Gelegenheit zur Ausführung ihres verbrecherischen Planes. Der König von Polen erfuhr davon. Durch die drohende Gefahr beunruhigt, berief er den Senat zur Tagung, wo man beschloß, Rußland um Beistand und Schutz Poniatowskis zu bitten, den die Zarin ja auf den polnischen Thron gesetzt hatte.
Das war das Signal zum Ausbruch der Feindseligkeiten. Obwohl die Russen keine 10 000 Mann im Lande hatten, schlugen sie alle Konföderierten, die ihnenWiderstand leisteten. Da sie aber nicht zahlreich genug waren, um sie zu vernichten, tauchte der hier zerstreute Wespenschwarm dort sogleich wieder auf. Bei einem jener Treffen in Podolien verfolgten die Russen die Konföderierten unwissentlich bis auf türkisches Gebiet. Bei diesem Kampfe wurde das Städtchen Balta, in das sich die Polen geflüchtet hatten, niedergebrannt.
Diese Gebietsverletzung nahmen die Türken zum Vorwand, um Rußland den Krieg zu erklären. Sofort ließen sie den russischen Gesandten in Konstantinopel, Obreskow, ergreifen und in die Sieben Türme werfen (6. Oktober 1768).
Die Türken verstanden sich weder auf den Frieden noch auf den Krieg. Sie brachen die Kriegserklärung vom Zaune und gaben dadurch den Russen eher einen Wink, sich während des Winters zum Kriege gegen die türkischen Streitkräfte zu rüsten, deren Angriff für das nächste Frühjahr bevorstand. Wäre die Kriegserklärung bis zum folgenden Jahre verschoben worden, so wäre Blitz und Donner zugleich auf die Russen gefallen, und das hätte diese derart überrascht, daß sie reichlich sechs Monate gebraucht hätten, um sich zu rüsten und eine Armee zusammenzuziehen, die stark genug und mit allem Nötigen versehen war, um den Feinden mit Nachdruck entgegenzutreten. Die russischen Regimenter waren nicht vollzählig; es fehlte ihnen an Waffen; <17>ihre Kanonen waren ausgeschossen, sodaß neue gegossen werden mußten: so sehr lag das Heerwesen seit dem letzten Kriege danieder!
Die nun ausbrechenden Unruhen brachten den Berliner Hof in große Verlegenheit. Der König war kaum aus einem langen und verderblichen Kriege heimgekehrt. Seine Provinzen konnten sich nur im Schutz eines dauerhaften Friedens erholen; es bedurfte der Zeit, um die alten Wunden zu heilen. Die Armee war ergänzt und wurde wieder diszipliniert, aber sie war noch nicht zu solcher Vollkommenheit gediehen, daß man völliges Vertrauen in sie hätte setzen können. Der eben ausgebrochene Türkenkrieg konnte sich leicht über ganz Europa verbreiten; denn es fehlte nicht an Zündstoff, der durch den kleinsten Funken aufflammen konnte.
Zu diesen äußeren Besorgnissen trat häuslicher Kummer. Wir erwähnten vorhin die Vermählung des Prinzen von Preußen mit Prinzessin Elisabeth von Braunschweig17-1. Diese Ehe, von der man sich glückliche Folgen erhofft hatte, entsprach den Wünschen des königlichen Hauses durchaus nicht. Der junge, sittenlose Gatte gab sich einem ausschweifenden Leben hin, von dem seine Verwandten ihn nicht abzubringen vermochten, und brach seiner Gemahlin täglich die Treue. Die Prinzessin, die in der Blüte ihrer Schönheit stand, fühlte sich aufs tiefste gekränkt durch die geringe Rücksicht auf ihren Liebreiz. Ihre Lebhaftigkeit und die hohe Meinung, die sie von sich selbst hegte, spornten sie zur Rache für die ihr erwiesene Zurücksetzung an. Bald gab sie sich Ausschweifungen hin, die denen ihres Gemahls um nichts nachstanden. Das Ärgernis wurde bald allgemein ruchbar. Die daraus entstehende Abneigung zwischen dem Prinzen und der Prinzessin von Preußen vernichtete jede Hoffnung auf einen Thronerben. Prinz Heinrich, der Bruder des Prinzen von Preußen, begabt mit allen Eigenschaften, die man einem jungen Manne wünschen kann, war an den Blattern gestorben17-2. Die Brüder des Königs, Prinz Heinrich und Prinz Ferdinand, sagten unverhohlen, sie würden sich das Recht auf die Thronfolge nicht durch irgend einen Bastard nehmen lassen. Alle diese gleich gewichtigen Gründe machten zuletzt die Scheidung der beiden Gatten nötig. Der Akt wurde nach reiflicher Überlegung vollzogen17-3, und das Haus Braunschweig willigte darein, nachdem die traurigen Beweise des Wandels der Prinzessin Elisabeth ihm mitgeteilt waren. Nach dieser Scheidung mußte man daran denken, den Prinzen von Preußen von neuem zu vermählen. Die Wahl war schwer. Sie fiel nach einigem Suchen auf Prinzessin Friederike, Tochter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt. Die neue Hochzeit wurde zu Charlottenburg gefeiert17-4, und die Thronfolge war bald danach durch die Geburt eines Prinzen gesichert, dem die Prinzessin das Leben gab17-5.
Andrerseits nötigte der zwischen der Pforte und Rußland ausgebrochene Krieg den König zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegen die Zarin. Er mußte die im<18> Bündnisvertrag ausbedungenen Subsidien bezahlen, die, wie gesagt, jährlich 480 000 Taler betrugen.
Um sich für eine so große Ausgabe einigermaßen zu entschädigen, verlangte der König die Verlängerung des Vertrages mit Rußland, dessen Dauer auf acht Jahre festgesetzt war, und fügte noch einige seinen Interessen dienliche Artikel hinzu. Der Vertrag wurde bis zum Jahre 1780 verlängert, und der König erhielt die Eventual-garantie für die Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth, deren Inhaber18-1, sein Neffe, keine Nachkommenschaft hatte. Dafür verlangte die Zarin von Preußen die Garantie für die gegenwärtige Regierungsform in Schweden. In seiner endgültigen Form beschränkte sich dieser Artikel aufdie Aufrechterhaltung der im Jahre 1720 in Schweden veröffentlichten Verfassung. Graf Hörn hatte sie damals eingeführt, um die Königs-macht zu beschränken. Der König verpflichtete sich Rußland gegenüber zu einer Diversion in Schwedisch-Pommern, falls die Schweden jenes Grundgesetz ihrer Verfassung umstoßen wollten18-2.
Während man in Berlin noch unterhandelte, waren die Russen und Türken schon handgemein geworden. Die russischen Heere unter Befehl des Fürsten Galizin hatten die Osmanen bei Chozim geschlagen, und auf die Einnahme der Stadt war die Eroberung der Moldau gefolgt. Die Generale Katharinas verstanden von Lagerkunst und Taktik nicht einmal die Anfangsgründe; die des Sultans waren noch unwissender. Um sich also einen rechten Begriff von diesem Kriege zu machen, muß man sich Einäugige vorstellen, die Blinde gehörig schlagen und ein völliges Mergewicht über sie erlangen.
So rasche Fortschritte beunruhigten die Verbündeten Rußlands ebensosehr wie die anderen europäischen Mächte. Preußen hatte zu befürchten, daß sein übermächtig gewordener Bundesgenosse mit der Zeit auch ihm Gesetze vorschreiben wollte wie den Polen. Diese Perspektive war ebenso gefährlich wie furchtbar. Der Wiener Hof kannte seinen Vorteil zu gut, um nicht fast die gleichen Befürchtungen zu hegen. Die gemeinsame Gefahr ließ die frühere Erbitterung für eine Weile verschwinden. Zwar erregten die staunenswerten Erfolge der Russen in ganz Europa Argwohn, aber der Eindruck war bei den Nachbarmächten doch bei weitem am stärksten. Die gemeinsame Gefahr führte also sine Annäherung zwischen den Höfen von Wien und Berlin herbei; ein Schritt zog allmählich einen anderen nach sich. Der Kaiser war, wie schon erwähnt18-3, ungehalten, daß die geplante Zusammenkunft im Jahre 1766 nicht stattgefunden hatte. Nun schlug er dem König vor, ihn in Schlesien zu besuchen. Fürst Kaunitz opponierte nicht, und auch die Kaiserin-Königin willigte darein. Man trat sofort in Unterhandlung und kam überein, daß die Zusammenkunft in Neiße stattfinden sollte.
Der Kaiser wollte ein strenges Inkognito wahren18-4. Er nahm den Namen eines Grafen Falkenstein an, und man glaubte ihm keine größere Ehre erweisen zu können,<19> als indem man sich in allem seinem Willen fügte. Der junge Monarch zeigte eine Freimütigkeit, die natürlich schien. Sein liebenswürdiger Charakter zeichnete sich durch Heiterkeit im Verein mit großer Lebhaftigkeit aus. Bei dem Wunsche, zu lernen, hatte er nicht die Geduld, sich zu unterrichten; seine Herrschergröße machte ihn oberflächlich; was aber seinen Charakter mehr als alles Angeführte kennzeichnete, das waren Züge, die ihm wider Willen entschlüpften: sie verrieten den maßlosen Ehrgeiz, der ihn verzehrte. Das alles hinderte nicht, daß ein Band der Freundschaft und Achtung sich zwischen beiden Monarchen anknüpftete19-1.
Der König sagte zum Kaiser, er betrachte diesen Tag als den schönsten seines Lebens; denn er sei der Markstein für die Einigung zweier Häuser, die sich zu lange befehdet hätten, deren gegenseitiger Vorteil aber darin bestände, einander beizustehen, statt sich zu vernichten. Der Kaiser erwiderte, es gebe kein Schlesien mehr für Österreich, worauf er ziemlich geschickt durchblicken ließ, solange seine Mutter lebe, wage er nicht zu hoffen, Einfluß genug auf sie zu gewinnen, um das auszuführen, was er wünsche. Doch verhehlte er nicht, daß bei den gegenwärtigen europäischen Verhältnissen weder er noch seine Mutter je dulden würden, daß Rußland im Besitz der Moldau und Walachei bliebe. Hierauf schlug er die Ergreifung von Maßregeln vor, um die strikte Neutralität in Deutschland aufrechtzuerhalten, falls es zu einem Krieg zwischen Franko reich und England, käme. Der Fall schien damals möglich, ja wahrscheinlich, da ein französisches Schiff, das die Engländer bei Neufundland gekapert hatten, die Veranlassung zu ziemlich heftigen Streitigkeiten zwischen beiden Höfen geworden war. Um zu zeigen, wie lebhaft er das gute Einvernehmen zwischen Preußen und Österreich zu erhalten wünsche, nahm der König das Anerbieten des Kaisers an, und beide Herrischer verpflichteten sich schriftlich zur Aufrechterhaltung dieser Neutralität. Das war ein ebenso unverbrüchliches Abkommen, wie ein in aller Form aufgesetzter und von den Ministern unterzeichneter Vertrag. Der Kaiser versprach in seinem und der Kaiser rin Namen, und der König gab sein Ehrenwort, falls der Krieg zwischen England und Frankreich ausbräche, den glücklich wiederhergestellten Frieden zwischen Preußen und Österreich treulich zu halten, und sollten andere Wirren entstehen, deren Ursachen unmöglich vorauszusehen waren, so wollten beide im Hinblick auf ihre beiderseitigen Besitzungen die strengste Neutralität wahren19-2. Dies Abkommen, das gewissenhaft geheim gehalten wurde, ward zu Neiße zur Zufriedenheit beider Monarchen unterzeichnet.
<20>Allerdings wäre es ein unverzeihlicher politischer Fehler gewesen, sich blindlings auf die Ehrlichkeit der Österreicher zu verlassen. Unter den damaligen Umständen jedoch, wo das Übergewicht Rußlands zu bedeutend wurde und unmöglich vorauszusehen war, welche Grenzen es seinen Eroberungen setzen würde, war es sehr zweckmäßig, sich dem Wiener Hofe zu nähern. Preußen verspürte die Schläge noch, die Rußland ihm im letzten Kriege versetzt hatte. Es lag durchaus nicht im Interesse des Königs, selbst an der Vergrößerung einer so furchtgebietenden und gefährlichen Macht zu arbeiten.
Man stand vor der Wahl, Rußland entweder im Laufe seiner gewaltigen Eroberungen aufzuhalten, oder, was klüger war, daraus auf geschickte Weise Nutzen zu ziehen. Der König hatte in dieser Hinsicht nichts versäumt. Er hatte nach Petersburg ein politisches Projekt geschickt, das er einem Grafen Lynar zuschrieb, der aus dem letzten Kriege bekannt war, weil er die Konvention von Kloster Zeven zwischen den bei Stade lagernden Hannoveranern unter dem Herzog von Cumberland und den Franzosen unter dem Herzog von Richelieu zustande gebracht hatte20-1. Das Projekt enthielt die Skizze einer zu veranstaltenden Teilung einiger polnischer Provinzen zwischen Rußland, Österreich und Preußen20-2. Der Nutzen dieser Teilung lag darin, daß Rußland ruhig seinen Türkenkrieg fortsetzen konnte, ohne befürchten zu müssen, in seinen Unternehmungen durch eine Diversion gehemmt zu werden, die die Kaiserin-Königin ihm leicht hätte machen können, indem sie ein Truppenkorps an den Dnjester sandte; denn dadurch wären die russischen Armeen von Polen abgeschnitten worden, aus dem sie den größten Teil ihrer Lebensmittel bezogen. Allein die großen Erfolge der Russen in der Moldau und Walachei und ihre Seesiege im Archipel hatten den Hof so glückstrunken gemacht, daß er die sogenannte Denkschrift des Grafen Lynar ganz unbeachtet ließ.
Da dieser Versuch fehlschlug, glaubte man also andere Maßregeln ergreifen zu müssen. Es lag nicht in Preußens Interesse, daß die türkische Macht völlig erdrückt<21> wurde, da sie im Notfalle zu Diversionen in Ungarn oder Rußland — je nachdem, mit welcher Macht man Krieg führte—sehr nützlich werden konnte. Der König hoffte also, durch Intervention des Wiener Hofes und durch seine eigene Vermittlung den Frieden zwischen den kriegführenden Mächten unter beiderseits annehmbaren Bedingungen wiederherstellen zu können. Zunächst wurden in Petersburg und Konstantinopel Vorstellungen gemacht, daß die Beendigung des Krieges beiden Teilen gleich erwünscht sein müsse, zumal zu befürchten sei, daß mit der Zeit ein allgemeiner Krieg daraus entstünde. Man wünsche ihnen einen für beide Teile gleich annehmbaren Mittelweg vorschlagen zu können, um ihren Zwist gütlich beizulegen. Graf Pattin erwiderte nach einem Loblied auf die Mäßigung und Uneigennützigkeit der Zarin, sie sei durchaus geneigt, den Vorschlägen, die man ihr machen würde, Gehör zu schenken. Diese Zurückhaltung und Sanftmut bemäntelte indes nur die übertriebensten Ansprüche. Bevor sich Panin auf die Vorschläge der Türken einließ, verlangte er zunächst die Freilassung Obreskows. Im übrigen, fügte er hinzu, würde die Zarin es gern sehen, daß der König sich bei der Pforte verwende, um ihr friedliche Gesinnungen einzuflößen. Wären die Dinge so weit gediehen, so wünsche die Zarin nichts sehnlicher, als durch Vermittlung des Königs von Preußen zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe zu gelangen. Andrerseits begannen die Türken das Ende eines Krieges herbeizusehnen, dessen Erfolge ihren Erwartungen keineswegs entsprachen. Der König hatte ihnen von dieser Schilderhebung dringend abgeraten und besaß eben dadurch ihr Vertrauen. Die Türken nahmen also die preußische Vermittlung an, sträubten sich aber ein wenig gegen die des Wiener Hofes. Trotzdem gelang es, sie gefügig zu machen, indem man ihnen immer wieder vorstellte, welch entscheidendes Gewicht eine Großmacht wie Österreich zum Erfolg der Unterhandlungen in dieWagschale werfen könnte.
Unterdessen trugen die Russen, auf die jene Friedensmahnungen gar keinen Eindruck gemacht hatten, auch weiterhin die größten Siege über die türkischen Heere davon. Ihre Flotte schlug die türkische und vernichtete sie fast völlig, sodaß die Mehrzahl der türkischen Schiffe verbrannt oder in den Grund gebohrt wurde21-1. Ein so unerwarteter Schlag nötigte die Pforte, ihre Aufmerksamkeit zu teilen. Sie wußte nicht, ob sie ihre Kräfte zur Verteidigung der Dardanellen verwenden oder vor allem an die Moldau denken sollte. Dies Gemisch von Unsicherheit und Bestürzung begünstigte die Operationen des Feldmarschalls Rumänzow und trug sicherlich zu seinem Siege am Kagul über die Armee des Großwesirs bei (1. August 1770). Derart fügte er in einem Feldzuge die Eroberung der Walachei zu der der Moldau hinzu. Zugleich eroberte Graf Panin, der Bruder des Ministers, die von ihm belagerte Stadt Bender nach tapferer Gegenwehr.
So schnelle und oft wiederholte Erfolge verblendeten den Petersburger Hof und machten ihn wie berauscht vor Glück. Die Menschen sind überall die gleichen. Unglück<22> demütigt sie; bei zuviel Glück werden sie übermütig. Gedachte man in Petersburg aber die osmanische Macht zu erdrücken, st nahmen in Wien Argwohn und Eifersucht mit den Erfolgen der Russen zu. Verglichen die Österreicher ihren letzten unglücklichen Türkenkrieg22-1 mit dem Siegeszuge der Russen, so konnten sie sich nicht verhehlen, wie sehr ihre Eigenliebe dadurch gekränkt wurde. Außerdem fürchteten sie, Nachbarn einer so großen Macht zu werden, wenn Rußland die eben eroberte Moldau und Walachei behielt. Um dieser Gefahr zu begegnen, mehr noch, um Rußland offen entgegenzutreten, hatten die Österreicher ihre Truppen in Ungarn verstärkt. Sie legten dort Magazine an und trafen alle Vorkehrungen, um ins Feld zu rücken, sobald die Umstände es erforderten. Sie machten kein Hehl daraus und sagten jedem, der es hören wollte, wenn der Krieg nicht bald aufhörte, sähe die Kaiserin-Königin sich genötigt, daran teilzunehmen.
Die zweite Zusammenkunft zwischen dem Kaiser und dem König fand im Lager bei Neustadt in Mähren statt22-2. Man begegnete keinem Österreicher, der nicht eine Äußerung der Erbitterung gegen die russische Nation getan hätte. Der Kaiser erschien dem König genau so, wie er ihn bei der ersten Zusammenkunft in Neiße eingeschätzt hatte22-3.
Fürst Kaunitz, der gleichfalls in Neustadt war, hatte lange Unterredungen mit dem König. Er war ein Mann von geradem Sinn, aber von wunderlichen Eigenheiten. Ihn unterbrechen, wenn er sprach, hieß ihn beleidigen. Anstatt sich zu unterhalten, trug er vor und hörte sich lieber selbst reden, als daß er auf das hörte, was andere ihm antworteten. Es war vorgekommen, daß die Kaiserin-Königin den Minister um Erklärung eines Gegenstandes ersuchte, den er bedächtig erörterte. Statt ihr zu antworten, machte er eine Verbeugung und verließ brüsk den Audienzsaal. In seinen Unterredungen mit dem König entwickelte er salbungsvoll das System seines Hofes und stellte es als ein Meisterstück der Staatskunst dar, dessen Urheber er war. Dann betonte er die Notwendigkeit, den ehrgeizigen Absichten Rußlands entgegenzutreten, und erklärte, die Kaiserin-Königin würde niemals dulden, daß die russischen Heere die Donau überschritten, noch daß der Petersburger Hof Erwerbungen machte, durch die er zum Nachbarn Ungarns würde. Er fügte hinzu, das Bündnis Preußens mit Österreich sei der einzige Damm, den man diesem ausgetretenen Strom entgegensetzen könne, der ganz Europa zu überschwemmen drohe.
Als er ausgeredet hatte, erwiderte der König, er werde stets bemüht sein, die Freundschaft mit Ihren Kaiserlichen Majestäten zu pflegen, auf dle er unendlichen Wert lege. Andrerseits bäte er Fürst Kaunitz, die Verpflichtungen zu berücksichtigen, die ihm sein Bündnis mit Rußland auferlege. Er könne ihnen auf keine Weise entgegen handeln; wie Fesseln hinderten sie ihn, auf die Anträge des Fürsten Kaunitz einzugehen. Der König fügte hinzu, sein einziger Wunsch sei, dem vorzubeugen, daß der russisch-türkische Krieg zu einem Weltbrande führte. Zu diesem Zwecke er<23>biete er sich gern, die beiden Kaiserhöfe auszusöhnen. Es sei sogar Zeit, daran zu denken, damit die gegenseitige Verstimmung nicht in einen offenen Bruch ausarte. Um indes den Wiener Hof in seiner scheinbar günstigen Stimmung zu erhalten, hielt er es für geboten, dieselben Versicherungen zu wiederholen, die er schon dem Kaiser in Neiße gegeben hatte23-1. Ferner versprach man sich, die kleinen Streitigkeiten, die öfter zwischen den Grenzbeamten vorkommen, gütlich beizulegen. Auch willigte der König in das Ansuchen des Kaisers, den Wiener Hof ehrlich von allen Eröffnungen in Kenntnis zu setzen, die Frankreich dem Berliner Hose etwa machen sollte. Da dies alles jedoch zwischen dem König und Fürst Kaunitz verhandelt worden war, hielt der König es für schicklich, den Kaiser von allem, was gesprochen und geschehen war, in Kenntnis zu setzen, und wie es schien, rechnete der junge Herrscher, der an solche Rück sichten wenig gewöhnt war, dem König diese Aufmerksamkeit hoch an. Behandelte sein Premierminister ihn doch sehr von oben herab und mehr als Untergebenen denn als Herrn.
Am Tage nach dieser Konferenz23-2 traf in Neustadt ein Kurier aus Konstantinopel ein, mit Briefen des Kaïmakam23-3 vom 12. August, in denen der Sultan die Höfe von Berlin und Wien zur Übernahme der Vermittlung einlud, um die zwischen der Pforte und Rußland noch bestehenden Streitigkeiten zu schlichten. Es war in diesen Schreiben ausdrücklich hervorgehoben, daß die Türken nur durch Vermittlung der beiden Mächte Frieden schließen würden.
Der Kaiser gestand zu, daß er diese Vermittlung lediglich der Mühe verdankte, die der König von Preußen sich in Konstantinopel gegeben hatte, und wußte ihm Dank dafür. Am selben Tage hatte der König eine Unterredung mit Fürst Kaunitz. Er verfehlte nicht, ihn wegen des erfreulichen Ereignisses zu beglückwünschen, das ihn einigermaßen beruhigen, ja selbst die Eifersucht beschwichtigen könnte, die die ruffiWen Erfolge in seiner Seele erregt hatten. Er sagte ihm, dieser Schritt der Pforte mache den Wiener Hof zum Schiedsrichter der Friedensbedingungen, die er zwischen beiden Mächten festzusetzen wünsche. Der Minister steckte das Kompliment mit dem ganzen österreichischen Hochmut ein und erwiderte in anmaßendem Ton und in gespielter Gleichgültigkeit, daß er den Schritt der Türken billige. Und doch ward nie eine Vermittlung begieriger angenommen.
Während man geschäftig war, den Norden zu beruhigen, sagten neue Zwistigkeiten und Zerwürfnisse einen baldigen Bruch im Süden Europas voraus. Choiseul, der unruhige Geist, der sich darin gefiel, an allen Höfen Verwirrung anzurichten, war der alleinige Urheber jener Streitigkeiten. Er wollte mit aller Gewalt die Engländer demütigen, wagte aber aus Furcht, Ludwig XV. zu mißfallen, nicht offen zu handeln und schob die Spanier vor, die sich der Falklandinsel bemächtigten, wo die Eng<24>länder mit der Anlage von Niederlassungen begonnen hatten. Englische Handelsschiffe wurden von den Spaniern gekapert, und zugleich ging die Werft zu Portsmouth in Flammen auf. So viele Schlag auf Schlag eintreffende schlimme Nachrichten machten aufden Londoner Hof um so größeren Eindruck, als der Marineminister sich in unverzeihlicher Nachlässigkeit so wenig um seine Verwaltung gekümmert hatte, daß England damals kaum zwanzig seetüchtige Kriegsschiffe besaß. Immerhin fingen die Engländer Feuer, und der Krieg wäre ausgebrochen, wäre Choiseul Leiter der Staatsgeschäfte geblieben; allein seine Feinde stürzten ihn.
Maupeou, der Kanzler von Frankreich, hoffte durch Verdrängung Choiseuls all dessen Ämter auf sich vereinigen zu können. Fügte er sie dann noch dem Amt des Großsiegelbewahrers hinzu, das er schon besaß, so wäre er wirklich Premierminister geworden, wie einst Richelieu und Mazarin. Um sich eine Partei zu schaffen, verband er sich mit den Herzögen von Aiguillon und Richelieu. Die bestrickten ihren Herrn, indem sie ihm ein Mädchen von mehr als zweideutigem Rufe zuführten. Diese Person24-1 siegte durch ihre Reize und wurde bald allmächtig; der alte Ludwig XV. betete sie an. Choiseul war zu stolz, um sich vor einem Geschöpf zu beugen, das er aufs tiefste verachtete. Er versagte ihr die Huldigungen, die die Würdenträger sonst den Geliebten ihrer Gebieter zu bezeigen pflegen. Die neue Mätresse teilte ihre Um Zufriedenheit ihrem Liebhaber mit; die Ränkeschmiede benutzten dies sofort und erbitterten den König noch mehr gegen Choiseul, indem sie ihn als Verschwender hinstellten, der die Staatseinkünfte zwecklos in tollen Ausgaben vergeudet und, um sich unentbehrlich zu machen, das Verhältnis zwischen England und Frankreich unhaltbar gemacht hätte. Die daraus entstehenden Zwistigkeiten müßten notwendig zu einem Kriege führen, der wenigstens ebenso verderblich sein würde wie der vorher-gehende. Das letztere Argument gab den Ausschlag. Ludwig XV. entließ seinen Minister auf der Stelle24-2, und mit ihm fielen all dessen weltschauenden Pläne.
Ludwig XV. unterhandelte selber mit England und Spanien, um ihre Streitigkeiten zu schlichten. Die Falklandinsel wurde den Engländern zurückgegeben, aber der König von Spanien bewahrte Frankreich gegenüber einen geheimen Groll, weil es seine Interessen bei diesem Vorfall nicht vertreten hatte. Kein Hof bedauerte Choiseuls Sturz mehr als der Wiener. Er hatte fest auf diesen Minister gebaut, dessen Anhänglichkeit er kannte. Aiguillon, dem der König das Ministerium des Auswärtigen übertragen hatte, stand nicht im Rufe der gleichen Ergebenheit gegen das Haus Österreich. Der Kanzler war ebenfalls enttäuscht und sah seine Pläne und Hoffnungen scheitern. Alle Veränderungen, die seitdem in Frankreich stattfanden, muß man also auf Choiseuls Entlassung zurückführen. So eng verkettet sind alle Begebenheiten, und so schwer ist es, die wichtigen Folgen vorherzusehen, die oft aus Kleinigkeiten entstehen.
<25>Aber alles, was damals in jenem Teil Europas geschah, interessiert uns hier weniger als die Begebnisse im Orient und im Norden. Die Vorschläge der Pforte an den Berliner und Wiener Hof wurden dem Petersburger Hofe mitgeteilt. Zugleich ließ der König der Zarin bedeuten, falls sie die Vermittlung Österreichs und Preußens ablehnte, stände zu befürchten, daß sich die Pforte um Beistand an Frankreich wenden würde. Diese bloßeWarnung bestimmte den Petersburger Hof vielleicht, die österreichische Vermittlung nicht abzulehnen, da seine Abneigung gegen den Wiener Hof nicht so groß war wie sein Widerwille gegen den Versailler. Zunächst antworteten die Russen, sie könnten das Angebot der beiden Mächte nicht annehmen, angeblich, weil sie schon die englische Vermittlung abgelehnt hätten. Tatsächlich aber fürchteten sie, durch das Eingreifen anderer Mächte in ihren Friedensplänen gestört zu werden. Indes aus Höflichkeit oder aus Rücksicht auf die Bemühungen beider Höfe, was auf das gleiche hinauslief, suchten sie durch Feldmarschall Rumänzow direkte Verhandlungen mit dem Großwesir anzuknüpfen. Als dieser Versuch jedoch mißlang, willigten sie in die ihnen vorher von Berlin und Wien aus gemachten Vorschläge.
Zufällig reiste damals Prinz Heinrich, des Königs Bruder, nach Stockholm zum Besuch seiner Schwester, der Königin von Schweden. Die Zarin, die den Prinzen in ihrer Jugend in Berlin kennen gelernt hatte, bat, daß ihm ein Besuch in Petersburg gestattet würde, was man schicklicherweise nicht abschlagen konnte. Der Prinz reiste also nach Rußland25-1. Geistvoll, wie er war, gewann er bald Einfluß auf die Zarin und bewog sie, sich dem König, seinem Bruder, gegenüber zu eröffnen. Dem Brief der Zarin25-2 war eine lange Denkschrift beigelegt; sie enthielt die Friedensbedingungen, die der beabsichtigten Unterhandlung zugrunde gelegt werden sollten. Nach einer Einleitung, die die größte Mäßigung atmete, forderte die Zarin von den Türken die Abtretung der beiden Kabardien, Asow und sein Gebiet, die Unabhängigkeit des KrimKhans, die Sequestrierung der Moldau und Walachei auf 25 Jahre als Entschädigung für die Kriegskosten, freieSchiffahrt aufdem Schwarzen Meere, eine Insel im Archipel als Stapelplatz für den Handel beider Nationen, allgemeine Amnestie für die Griechen, die Rußlands Partei ergriffen hatten, und vor allem die Freilassung Obreskows aus den Sieben Türmen.
Diese ungeheuerlichen Bedingungen hätten die Österreicher vollends in Harnisch gebracht, ja sie vielleicht zu den gewaltsamsten Entschlüssen verleitet, hätte man sie ihnen mitgeteilt. Dieser Grund hielt den König ab, sie das geringste davon wissen zu lassen. Er zog den Weg gütlicher Verständigung als den sichersten vor, um auf diese Weise niemand vor den Kopf zu stoßen. Er setzte sich mit der Zarin ins Einvernehmen, ohne ihr zu widersprechen25-3. Damit sie aber selbst die Schwierigkeit einsah, den Sultan zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Tartaren zu bewegen, stellte er ihr<26> die fast unüberwindlichen Hindernisse vor, die der Wiener Hof den Russen in den Weg legen würde, um zu verhindern, daß sie durch den Besitz der Moldau und Walachei seine Nachbarn würden. Ferner wies er darauf hin, daß die Insel im Urchipel Neid und Eifersucht bei allen Seemächten erregen würde. Er riet der Zarin also, ihre Ansprüche auf die beiden Kabardien, Asow und sein Gebiet, sowie auf freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meer zu beschränken. Er fügte hinzu, daß er nicht etwa aus Eifersucht über den Machtzuwachs der Zarin so rede, sondern allein in der Absicht, durch Herabsetzung ihrer Forderungen zu vermeiden, daß andere Mächte sich in den Krieg einmischten und ihn zu einem allgemeinen machten. Überdies hätten die Türken bereits in zwei Punkte gewilligt: in die Amnestie für die Griechen und die Freilassung Obreskows.
Diese recht maßvollen Vorstellungen schienen den Unmut der Zarin zu erregen. Sie gab zu verstehen, daß sie von selten ihres besten Verbündeten keinen Widerstand erwartet hätte. Da sie jedoch bis auf ein paar kleine Einschränkungen nach wie vor auf ihrem Projekt bestand, sah der König sich genötigt, es dem Wiener Hofe mitzuteilen. Der König schwächte das Schriftstück ab, soweit es möglich war, und um den Fürsten Kaumtz nicht aufzubringen, ließ er ihm sagen, daß dies nicht das letzte Wort des russischen Hofes sei, und daß dieser sicherlich geneigt sein werde, in den Punkten nachzugeben, die den meisten Schwierigkeiten begegnen würden.
Die Vorsicht des Königs war um so notwendiger, als der Kaiserhof seine Absichten nicht mehr verhehlte und alle Truppenbewegungen in Ungarn auf einen baldigen Bruch mit Rußland hindeuteten. Der Wiener Hof war entschlossen, nicht zu dulden, daß der Kriegsschauplatz über die Donau verlegt würde. Er hoffte die Russen sogar durch eine bewaffnete Vermittlung zwingen zu können, den Türken die Moldau und Walachei zurückzugeben, ja von der geforderten Unabhängigkeit der Tartaren abzustehen. Zu dem Zweck waren Truppen aus Italien, Flandern und Österreich nach Ungarn marschiert; der kaiserliche Gesandte26-1 hatte sich dem König gegenüber sogar sehr deutlich über ihre Bestimmung ausgesprochen; er ging so weit, zu verlangen, Preußen solle neutral bleiben, falls die Russen anderswo als in Polen angegriffen würden, was ihm aber rundweg abgeschlagen wurde. Fürst Kaunitz hoffte, durch Ausführung dieses Planes dem Hause Österreich Vergrößerungen zu verschaffen, ohne daß es die Mühe hätte, sie durch Eroberung zu erwerben. Er rechnete sehr darauf, daß die Pforte den ihr geleisteten Beistand mit der Rückgäbe der Provinzen bezahlen würde, die Österreich im Frieden von Belgrad verloren hatte.
Während Wien voller Entwürfe und Ungarn voller Truppen war, rückte ein österreichisches Korps in Polen ein und bemächtigte sich der Herrschaft Zips, auf die der Hof Ansprüche besaß. Allein diese Truppen besetzten auch angrenzende Sta<27>rosteien, auf die der Kaiser niemals Anrechte gehabt hattet27-1. Dieser kecke Schritt machte die Russen stutzig. Durch ihn wurde am meisten der nachmalige Teilungvertrag zwischen den drei Mächten angebahnt27-2. Der Hauptgrund war, einen allgemeinen Krieg zu verhüten, der dicht vor dem Ausbruch stand. Außerdem mußte das Gleichgewicht der Kräfte zwischen so nahen Nachbarn erhalten werden. Da also der Wiener Hof genügend zu verstehen gab, daß er die damaligen Unruhen zu seiner Vergrößerung benutzen wollte, so konnte der König nicht umhin, seinem Beispiel zu folgen. Die Zarin war aufgebracht, daß andere Truppen als die ihren die Herren in Polen zu spielen wagten, und sagte zum Prinzen Heinrich, wolle der Wiener Hof Polen zerstückeln, so hätten die anderen Nachbarn das Recht, ein gleiches zu tun27-3.
Diese Eröffnung kam sehr gelegen. Denn alles wohl erwogen, war dies das einzige Mittel, das übrig blieb, um neue Wirren zu verhüten und jedermann zufriedenzustellen. Rußland konnte sich für die Kosten des Türkenkrieges entschädigen, und an Stelle der Moldau und Walachei, die es nur besitzen konnte, wenn es die Österreicher ebenso oft besiegte wie die Türken, brauchte es sich nur nach seinem Gefallen eine Provinz in Polen auszusuchen, ohne neue Gefahren zu laufen. Der Kaiserin-Königin konnte man eine an Ungarn grenzende Provinz anweisen und dem König das Stück von Polnisch-Preußen, das seine Staaten von Ostpreußen trennte. Durch diesen politischen Ausgleich blieb das Kräfteverhältnis der drei Mächte ungefähr das gleiche.
Um sich jedoch der Absichten Rußlands völlig zu vergewissern, wurde Graf Solms beauftragt, zu ergründen, ob man auf die der Zarin entschlüpften Worte bauen könnte, oder ob sie nur in einem Augenblick des Unmuts oder vorübergehender Aufwallung gefallen wären. Graf Solms fand die Meinungen darüber geteilt. Graf Panin, der beim Beginn der polnischen Wirren hatte erklären lassen, Rußland werde die Unteilbarkeit Polens aufrechterhalten, war der Zerstücklung abgeneigt; trotzdem Versprach er, sich ihr nicht zu widersetzen, wenn die Sache im Staatsrat durchginge. Die Zarin jedoch wiegte sich in der Hoffnung, die Grenzen ihres Reiches gefahrlos erweitern zu können. Ihre Günstlinge und einige Minister merkten das und traten ihrer Ansicht bei, sodaß das Teilungsprojekt mit Stimmenmehrheit angenommen<28> ward. Dem König von Preußen wurde der gefaßte Entschluß mitgeteilt, und zwar als ein Mittel, das man sich ausgedacht hätte, um ihn für seine an Rußland gezahlten Subsidien zu entschädigen.
Als Graf Panin dem Grafen Solms das eben Geschilderte mitteilte, verlangte er als Vorbedingung, daß der König die Ansichten des Wiener Hofes über diese Teilung ergründete. Daraufhin machte der König dem Freiherrn van Swieten die nötigen Eröffnungen und versicherte ihm, Rußland sei durchaus nicht unzufrieden darüber, daß Österreich sich in den Besitz der Zips gesetzt habe, und er, der König, rate Ihren Kaiserlichen Majestäten zumBeweis seiner Freundschaft, sich in diesemTeil von Polen nach Belieben auszudehnen. Sie könnten dies um so ungefährdeter tun, als ihr Beispiel von den anderen Nachbarmächten Polens befolgt werden würde. So herzlich diese Eröffnung auch war, sie fand beim Wiener Hofe doch nicht die erwartete Ausnahme. Fürst Kaunitz war zu sehr von dem Plan erfüllt, zu dessen Ausführung er sich anschicke. Er sah größeren Vorteil in einem Bündnis mit den Türken als in einer Allianz mit Rußland. Er antwortete daher trocken, wenn seinHof einige Striche von Polen an der ungarischen Grenze besetzt habe, so wäre das nicht in der Absicht geschehen, sie zu behalten, sondern lediglich als Unterpfand für einige Summen, die das Haus Österreich von der Republik fordere. Er habe es nicht für möglich gehalten, daß eine solche Bagatelle den Gedanken eines Teilungsplanes hätte zeitigen können, dessen Ausführung auf unübersteigliche Schwierigkeiten stoßen würde, da es so gut wie unmöglich sei, vollkommene Gleichheit zwischen den Anteilen der drei Mächte herzustellen. Kurz, ein solches Projekt könne nur dazu dienen, die verworrene Lage Europas noch bedenklicher zu machen, als sie schon sei. Er riete dem König also ab, sich auf solche Maßregeln einzulassen. Mit gleichgültiger Miene fügte er hinzu, sein Hof sei bereit, die von seinen Truppen besetzten Gebiete zu räumen, wenn die anderen Mächte ein gleiches tun wollten. Das letzte war ein stummer Vorwurf gegen Rußland, das Armeen in Polen hatte; es zielte ebenso auf den König hin, der eine Truppenkette von Krossen bis über die Weichsel gezogen hatte, um 'seine Staaten vor der Pest zu schützen, die damals in Polen wütete.
In einer so wichtigen Angelegenheit durfte man sich durch Kleinigkeiten nicht abschrecken lassen. Es war vorauszusehen, daß der Wiener Hof seine Meinung ändern würde, sobald Rußland und Preußen fest zusammenhielten; denn die Österreicher mußten es vorziehen, ihren Teil an der Beute zu haben, statt sich in die Gefahr eines Krieges mit so starken Gegnern zu stürzen. Hinzu kam, daß die KaiserinKönigin damals keinen anderen Bundesgenossen als Frankreich besaß und auf keinerlei Beistand zu rechnen hatte.
Um die Gunst der Umstände auszunutzen, beschloß der König, die Teilung energisch zu betreiben. Er beobachtete dem Wiener Hofe gegenüber Stillschweigen, um ihm Zeit zum Nachdenken zu geben. Zugleich beauftragte er Graf Solms, die Russen wissen zu lassen, daß die Eröffnungen über den Tellungsvertrag in Wien gemacht<29> seien. Obwohl Fürst Kaunitz bisher vermieden hätte, sich darüber auszusprechen, könnte man nichtsdestoweniger voraussehen/ daß er gern die Hand dazu reichen würde, sobald die beiden anderen Mächte sich über ihre gegenseitigen Interessen verständigt hätten. Der König bediente sich dieses Hinweises, um den Abschluß zu beschleunigen, da kein Augenblick zu verlieren war.
Vielleicht hätte die gewohnte Langsamkeit und Trägheit der Russen den Abschluß des Vertrages noch in die Länge gezogen, hätten die Österreicher dem König nicht ungewollt gute Dienste geleistet. Täglich bereiteten sie durch ihre Vermittlungstätigkeit dem Frieden neue Hindernisse. Oft warfen sie dem Petersburger Hof seine maßlosen Forderungen vor, ließen sich in herrischem Ton über die Friedensartikel aus, die sie verwarfen, und nahmen die Türken, soweit sie vermochten, in Schutz. Vollends aber machten die Bewegungen der Armee in Ungarn die Österreicher am Petersburger Hofe verdächtig. Zugleich verbreitete sich das Gerücht, die Kaiserlichen verhandelten wegen eines Subsidienvertrages in Konstantinopel29-1. Die letztere Nachricht versetzte den Petersburger Staatsrat in Besorgnis, und dem König, der den Russen alles mW teilte, was zur Aufdeckung der österreichischen Intrigen führen konnte, gelang es endlich, den Petersburger Hof aus seiner Lethargie aufzurütteln. Da die Zarin die Notwendigkeit des preußischen Beistandes fühlte, meinte sie, man müsse dem König Vorteile verschaffen, um sich seiner zu versichern. Infolgedessen erklärte Graf Panin dem Grafen Solms, er erwarte nur den Teilungsplatt aus Berlin, um mit ihm in Unterhandlungen über den Gegenstand einzutreten.
Der Plan wurde schleunigst nach Petersburg gesandt (14. Juni). Er stellte Rußland frei, sich in Polen die Provinz auszusuchen, die ihm am geeignetsten erschiene. Für sich verlangte der König Pomerellen, das Gebiet von Großpolen diesseits der Netze, das Bistum Ermland, die Woiwodschaften Marienburg und Kulm und überließ den Österreichern, dem Vertrag beizutreten, wenn sie es für vorteilhaft hielten.
Aber alle Maßnahmen, die man in Berlin und Petersburg traf, hinderten den Fürsten Kaunitz nicht, seinen Weg zu gehen. Er war anmaßlicher denn je, hielt durch tausend Schwierigkeiten, die ihm sein Mittleramt gestattete, die Friedensverhandlungen mit den Türken auf und verwarf besonders den Artikel der Abtretung der Moldau und Walachei, die die Russen von der Pforte verlangten. Stolz auf die Anerbietungen, die der Sultan ihm machte, und in der Meinung, die in Ungarn versammelten Truppen könnten sowohl den Preußen wie den Russen imponieren, ließ er dem König erklären, die von Rußland vorgeschlagenen Friedensbedingungen liefen den Interessen der österreichischen Monarchie stracks zuwider und drohten das Gleichgewicht im Orient zu zerstören. Falls der Petersburger Hof sie also nicht mildern wolle, wären Ihre Kaiserlichen Majestäten gezwungen, sich an diesem Kriege zu be<30>teiligen; sie hofften jedoch, der König würde in diesem Falle strikte Neutralität beMachten, zumal seine Verpflichtungen Rußland gegenüber sich auf Polen beschränkten, dessen Gebiet die Österreicher respektieren würden.
Man sah wohl, der Wiener Hof wollte die Russen durchaus nicht zu Nachbarn haben. Einerseits fürchtete er, eine Anzahl von Griechisch-katholischen, die in Ungarn wohnten, würden sich aus religiösen Motiven an Rußland anschließen; andrerseits wollte er lieber das geschwächte türkische Reich als eine so starke Großmacht wie Rußland zum Nachbar haben.
Die Lage des Königs zwischen den beiden Kaiserhöfen war sehr schwierig. Faßte er seinen Vorteil ins Auge, so durste er das Wachstum der nur zu furchtgebietenden russischen Macht weder wünschen, noch gar selbst dazu beitragen. Das Gegengewicht bildete andrerseits die feierliche Verpflichtung, der Zarin, feiner Bundesgenossin, in jedem Falle beizustehen, wenn sie von der Kaiserin-Königin angegriffen wurde. Entweder mußte er dieser Verpflichtung nachkommen oder auf die davon erhofften Früchte verzichten. Ferner war es für Preußen gefährlicher, die Neutralität zu wahren, als seiner Bundesgenossin beizustehen. Die Österreicher und Russen hätten sich geschlagen, sich wieder verglichen und dann auf Kosten des Königs Frieden schließen können. Dadurch hätte er alles Ansehen verloren. Niemand hätte ihm mehr getraut, und nach dem Frieden hätte er allein dagestanden. Das wäre unzweifelhaft eingetreten, hätte er einen so falschen Plan befolgt.
Er schwankte daher nicht, sondern entschloß sich, seine Verpflichtungen gegen Rußland treu zu erfüllen. Um zugleich den Wiener Hof zu beschwichtigen, wiegte er ihn in der Hoffnung, daß es nicht unmöglich sein werde, die Zarin nachgiebig zu stimmen und sie von ihren Absichten auf die Moldau und Walachei abzubringen. Doch setzte er hinzu: wenn es zwischen beiden Kaiserinnen zum Bruche käme, könne er nicht umhin, die Zarin, mit der er verbündet sei, zu unterstützen. Um dieser Erklärung mehr Nachdruck zu verleihen, wurde die ganze Kavallerie vermehrt und mit Remonten versehen; die diesbezüglichen Befehle wurden schnell überall bekannt. Diese kraftvollen und zur rechten Zeit getroffenen Maßregeln machten Eindruck auf den Petersburger Hof. Man benutzte seine zufriedene Stimmung, um ihn im Interesse des Friedens
Mit den Russen zu verhandeln war schwer; denn sie verstehen nichts von der Kunst des Unterhandelns. Sie denken nur an ihren Vorteil und fragen wenig nach dem der anderen, wie man gleich sehen wird. Der Gegenentwurf des Teilungsvertrages vom Petersburger Hofe traf nun in Berlin ein30-1. Er war wunderlich abgefaßt: aller Vorteil war auf russischer Seite, alles Risiko auf preußischer. Man bewilligte zwar den größten Teil des vom König geforderten polnischen Gebiets, aber die Erwerbungen Rußlands waren mindestens doppelt so groß. Vor allem hatte man in den<31> Vertrag einen für den König sehr lästigen Artikel eingeschaltet: man verlangte von Preußen, daß es Rußland mit allen Kräften beistehen sollte, falls dieses von den Österreichern angegriffen würde. Gesetzt aber, die Kaiserin-Königin erklärte dem König von Preußen den Krieg, so hatte er von Rußland keine Hilfe zu erwarten, bevor der Friede mit den Türken geschlossen war. So ungleiche Bedingungen waren unannehmbar. Sie führten zu einigen Auseinandersetzungen. Man stellte eine Übersicht aller Verpflichtungen Preußens gegen Rußland auf; daraus ergab sich, daß alles zugunsten der Zarin und nichts zugunsten des Königs war. Gleichwohl fügte man hinzu, Seine Majestät sei entschlossen, alles zu gewähren, was man vernünftigerweise von ihm verlangen könne. Der König berufe sich also auf den Rechtssinn und die Mäßigung der Zarin, die doch einen kleinen Teil ihrer Eroberungen preisgeben möge, um einen Krieg zu verhüten, der in kurzem allgemein zu werden drohte, zumal die österreicher die Moldau und Walachei als Vorwand benutzten, um die Angelegenheiten mehr und mehr zu verwirren. Auch entspräche es unter so kritischen Umständen der Würde einer Großmacht wie Rußland, weniger auf seine Interessen als auf die allgemeine Wohlfahrt zu sehen. Um den König von Preußen für das Risiko eines neuen Krieges zu entschädigen, dessen Ausgang nicht vorherzusehen war, bat man Rußland zugleich noch, die mitten in Pomerellen liegende Stadt Danzig dem Anteil hinzuzufügen, den der König in Besitz nehmen sollte.
Diese Vorstellungen machten, wie es gewöhnlich geht, nicht ganz den erwarteten Eindruck. Nachdem jedoch die Zarin über die ihr so klar dargelegten Gründe reiflich nachgedacht hatte, willigte sie in die Einschränkung der Friedensvorschläge, die mit den Interessen anderer Mächte unvereinbar waren. Infolgedessen verpflichtete sie sich, den Türken alle zwischen Dnjester und Donau gemachten Eroberungen nach Friedensschluß wiederzugeben.
Sogleich teilte der Berliner Hof diese frohe Nachricht dem Wiener Hofe mit, und zum ersten Male machte Fürst Kaunitz ein heiteres Gesicht. Seine Verschlagenheit und sein Hochmut ließen nach; die Gemüter beruhigten sich, und die Unruhe und Eifersucht, die die großen Erfolge der Russen am Wiener Hof erweckt hatten, verschwanden mit dem Augenblick, wo er nicht mehr zu befürchten hatte, Rußland zum Nachbarn zu bekommen.
Die Pforte ward sogleich von dem vorteilhaften Umschwung am Petersburger Hofe in Kenntnis gesetzt. Infolge des Unglücks, das sie erlitten hatten, wollten die Türken vom Kriege nichts mehr wissen und waren sehr friedlich gestimmt. Der letzte Feldzug der Russen war nur eine Kette von Triumphen gewesen. Sie hatten die Krim erobert, und eine Entscheidungsschlacht, die Feldmarschall Rumänzow am Ende des Jahres gewann, hatte ihrem Waffenglück die Krone aufgesetzt.
Unter so verzweifelten Umständen traf in Konstantinopel die Nachricht ein, daß die größten Hindernisse des Friedens beseitigt wären. Nun beschlossen die Türken zur Erleichterung des allgemeinen Friedensschlusses, den noch in den Sieben Türmen ge<32>fangenen Obreskow in Freiheit zu setzen. Seine Freilassung hatte die Zarin als Vorbedingung gefordert, ehe sie das geringste von einer Unterhandlung hören wollte.
Obwohl alle Höfe in Tätigkeit waren, zog die Langsamkeit und Unentschlossenheit der Russen den Abschluß des Teilungsvertrages in die Länge. Die Unterhandlung stieß sich vor allem am Besitz der Stadt Danzig. Die Russen behaupteten, die Unabhängigkeit dieser kleinen Republik garantiert zu haben. Eigentlich aber waren es die Engländer, die aus Eifersucht auf Preußen die Freiheit der Seestadt beschützten und die Zarin antrieben, dem Verlangen des Königs von Preußen nicht nachzugeben. Trotzdem mußte ein Entschluß gefaßt werden, und da es auf der Hand lag, daß der Besitzer der Weichsel und des Danziger Hafens die Stadt mit der Zeit in seine Gewalt bekommen würde, hielt man es nicht für geraten, eine so wichtige Unterhandlung wegen eines bloß aufgeschobenen Vorteils aufzuhalten; mithin ließ der König seinen Anspruch fallen.
Nach vielem Hin und Her traf endlich das Ultimatum des Petersburger Hofes ein32-1. Die Russen bestanden immer noch auf ansehnlichen Hilfstruppen, die sie im Fall einer österreichischen Kriegserklärung von den Preußen verlangten. Diese Ungleichheiten waren zwar sehr anstößig und das Mißverhältnis zwischen den Hilfeleistungen, die zwei Bundesgenossen einander schulden, recht groß. Da man aber wußte, daß die Kaiserin-Königin jetzt in günstigerer und friedlicherer Stimmung war denn je zuvor, so ließ man diese Erwägungen beiseite, da sie keine Bedeutung mehr hatten. Man schloß einen Vertrag, der nun vorteilhaft wurde, und versprach den Russen die hilfstruppen, die fortan nicht mehr in Frage kommen konnten.
Nach Beseitigung so vieler Hindernisse ward die geheime Konvention endlich in Petersburg unterzeichnet32-2. Die preußischen Erwerbungen waren die bereits bezeichneten, mit Ausnahme der Städte Danzig und Thorn und ihres Gebietes. Durch diese Teilung erhielt Rußland in Polen einen beträchtlichen Streifen längs seiner alten Grenzen von der Dwina bis zum Dnjester. Der Termin der Besitzergreifung ward auf den Juni festgesetzt. Ferner verabredete man, die KaiserinKönigin einzuladen, sich den beiden kontrahierenden Mächten zum Zwecke der Teilung anzuschließen. Rußland und Preußen garantierten sich gegenseitig ihre Erwerbungen und versprachen beim Warschauer Reichstag vereint dahin zu wirken, die Zustimmung der Republik zu so vielen Abtretungen zu erhalten. Außerdem versprach der König in einem Geheimartikel, 20 000 Mann nach Polen zu schicken, die sich, im Fall der Krieg allgemein würde, mit den Russen vereinigen sollten. Ferner verpflichtete er sich zur offenen Kriegserklärung gegen Österreich, falls dies Hilfskorps nicht auch reichte. Auch kam man überein, daß die Zahlung der preußischen Subsidien aufhören sollte, sobald das Hilfskorps zur russischen Armee stieße. Ein anderer Artikel <33>gab dem König das Recht, diese Hilfstruppen zurückzuziehen, falls er aus Groll über diesen Beistand von den Österreichern in seinen eigenen Staaten angegriffen würde. In dem Falle versprach Rußland ihm 6 000 Mann Infanterie und 4 000 Kosaken zu stellen, ja diese Zahl zu verdoppeln, sobald die Umstände es erlaubten. Außerdem verpflichtete sich Rußland, eine Armee von 50 000 Mann in Polen zu halten, um den König mit allen Kräften unterstützen zu können, sobald der Türkenkrieg beendigt wäre, und mit diesem Beistand so lange fortzufahren, bis es Preußen beim allgemeinen Friedensschluß eine angemessene Entschädigung verschaffen könne. Allen Artikeln wurde ein Separatvertrag zur Regelung des Unterhalts der gegenseitigen Hilfstruppen beigefügt.
Nach Beendigung dieses Werkes, das allen folgenden Projekten zur Grundlage diente, blieb nur noch übrig, den Wiener Hof zum Anschluß an die beiden kontrahierenden Mächte zu bewegen. Drei Parteien bildeten sich am Wiener Hofe, deren jede anderer Meinung war. Der Kaiser hätte gern die Provinzen in Ungarn wiedergewonnen, die sein Haus durch den Frieden von Belgrad verloren hatte. Die Kaiserin, seine Mutter, besaß nicht mehr jene Tatkraft und Entschlossenheit, die sie in ihrer Jugend so oft bewiesen hatte, und begann sich einer mystischen Frömmelei hinzugeben; sie machte sich Vorwürfe über das in den früheren Kriegen vergossene Blut, verabscheute den Krieg und wollte um jeden Preis Frieden halten. Fürst Kaunitz, ein Mann von geradem Urteil, der die Interessen der Monarchie mit der Neigung seiner Gebieterin vereinen wollte, war daher vor die Wahl zwischen dem Krieg und der polnischen Teilung gestellt und fürchtete zudem, wenn er sich zur letzteren entschloß, die Verbindung zwischen den Häusern Bourbon und Österreich, die er als sein Meisterstück betrachtete, zu zerstören. Einerseits zeigte ihm die rasche Nemonlierung der preußischen Kavallerie, daß der König einen endgültigen Entschluß gefaßt hatte; andrerseits sah er, daß der König nichts sehnlicher wünschte als einen allgemeinen Frieden, ja daß er eifrig daran arbeitete.
Endlich sagte der König in einer Audienz zum österreichischen Gesandten, er beglückwünsche die Kaiserin-Königin dazu, daß sie das Schicksal Europas jetzt in ihren Händen halte; denn tatsächlich hingen Krieg und Friede unter den damaligen Umständen davon ab, welchen Entschluß sie faßte. Der König fügte hinzu, er baue so sehr auf die anerkannte Weisheit dieser großen Fürstin, daß er nicht daran zweifle, sie werde die allgemeine Ruhe Europas den Wirren vorziehen, die leicht ausbrechen könnten und deren Folgen garnicht abzusehen seien. Diese Unterredung, die van Swieten seinem Hofe berichtete, machte den erwünschten Eindruck. Fürst Kaunitz war überzeugt, daß er dem Bündnis mit den Türken33-1 und allen darauf gegründeten Plänen entsagen müsse. Er begriff auch, daß die Teilung Polens nicht mehr aufzuhalten war, wollte er nicht Rußland und Preußen angreifen. Da er keinen Bundes<34>genossen besaß, war dies Unternehmen zu unvorteilhaft, als daß ein einigermaßen verständiger Mensch sich darauf hätte einlassen können. Es blieb ihm also vernünftigerweise keine andere Wahl, als sich den beiden verbündeten Höfen anzuschließen, um an der Teilung Polens teilzunehmen und dadurch das Gleichgewicht zwischen den drei Mächten zu erhalten.
Infolge dieses Entschlusses erhielt van Swieten den Auftrag, im Namen seines Hofes die Zeichnung einer Akte vorzuschlagen, in der die drei Höfe versprachen, bei der Teilung vollkommene Gleichheit zu wahren. Dieser berechtigte Vorschlag ward ohne Umstände angenommen, well er alle Hindernisse beseitigen mußte, die bisher soviel Verlegenheiten bereitet hatten, und weil er das einzige Mittel zur Verhütung eines allgemeinen Krieges war, den man mit gutem Grunde befürchtete. Die Akte wurde sogleich unterzeichnet (4. März) und ausgewechselt.
Dies Abkommen zwischen den Höfen von Berlin und Wien ward unverzüglich dem Petersburger mitgeteilt. Die Zarin empfing die wichtige Nachricht mit Vergnügen: sah sie sich doch durch den Beitritt Österreichs von der Bürde eines neuen Krieges befreit, den sie vielleicht nicht ohne Mühe durchgeführt hätte. Sie befolgte den Rat des Königs, der sie ermahnte, die Zahl ihrer Feinde soviel wie möglich zu vermindern; und so ward die gleiche Konvention denn auch bald in Petersburg zwischen den beiden Kaiserhöfen unterzeichnet (19. März).
Nun beeilte man sich, eine Übereinstimmung zwischen den Anteilen der drei Höfe herbeizuführen. Was zwischen Preußen und Rußland ausgemacht war, wurde der Kaiserin-Königin sofort mitgeteilt. Seinen Vorteil vergaß der Wiener Hof bei seinem Contreprojekt nicht. In seiner Vergrößerungsgier richtete er die Blicke auf eine Menge Woiwodschaften vom Fürstentum Teschen bis an die Grenzen der Walachei.<35> Ein Zipfel des beanspruchten Gebietes reichte über Belz hinaus bis dicht an Warschau. Die von dieser Linie eingeschlossenen Gebiete machten etwa ein Drittel von Polen aus; das aber widersprach offenbar dem Abkommen, das der Wiener Hof mit den anderen Mächten soeben erst geschlossen hatte. Man fand den von Österreich beanspruchten Anteil in Petersburg ebenso ungeheuerlich wie in Berlin. Durch ein so unziemliches Verhalten verletzt, übergab Graf Panin dem österreichischen Botschafter in Petersburg, Prinz Lobkowitz, eine Denkschrift, worin der Anteil der drei Höfe genau ausgerechnet war. Er schloß mit dem Wunsche, daß der Wiener Hof, um völlige Gleichheit herzustellen, auf den Besitz von Lemberg und die bedeutenden Salzbergwerke von Wieliczka verzichten möge, damit die Anteile sich glichen und sich niemand über Benachteiligung beklagen könnte.
Der Wiener Hof bestand jedoch nach wie vor auf der Stadt Lemberg und den Salzbergwerken von Wieliczka, die er durchaus behalten wollte. Dafür verzichtete er, um den Abschluß der Konvention zu erleichtern, auf die Woiwodschaften Lublin, Chelm und Belz. Als die Dinge soweit gediehen waren, galt es, eilig abzuschließen, wollte man nicht auf jede Teilung verzichten. Eine allzu genaue Ausrechnung der verschiedenen Anteile hätte zu endlosen Streitigkeiten geführt. Andere Mächte hätten unfehlbar aus dieser Uneinigkeit Nutzen gezogen, und alle bisher aufgewandte Mühe wäre umsonst gewesen. In dieser Überzeugung riet der König der Zarin zur Annahme der Bedingungen, die der Wiener Hof als sein Ultimatum bezeichnete. Sie begriff, daß die Augenblicke kostbar waren, und da nichts mehr im Wege stand, ward der Teilungsvertrag der drei kontrahierenden Höfe durch ihre Minister in Petersburg unterzeichnet (5. August 1772).
Die preußischen und russischen Erwerbungen wurden in diesem Vertrage so festgesetzt, wie oben angegeben. Was den Österreichern zufallen sollte, war ein Gebiet vom Fürstentum Teschen bis jenseits Sendomir und der Mündung des Sanflusses. Die Grenze bildete eine gerade Linie, die sich bis zum Bug und von da bis zum Dnjester und zu den Grenzen Podoliens und der Moldau hinzog. Die drei Höfe garantierten sich ihren gegenseitigen Besitz und versprachen gemeinsam darauf hinzuwirken, daß die Republik Polen ihre Zustimmung zu den verlangten Abtretungen gäbe. Durch so viele Erwerbungen besänftigt, versprach der Wiener Hof sich im Verein mit Preußen bei der Pforte zu verwenden, damit sie die von Rußland gemachten Friedensvorschläge annähme. Die drei Mächte setzten die Besitznahme auf den 1. September fest. Man kam überein, dem König von Polen zu diesem Zeitpunkt eine zwischen den drei Mächten verabredete Erklärung zuzustellen, um die Republik von den getroffenen Vereinbarungen in Kenntnis zu setzen und sie zur Berufung eines außerordentlichen Reichstages zu veranlassen, der an der völligen Pazifizierung Polens arbeiten sollte. Auf diesem Reichstage wollten Rußland, Österreich und Preußen eine Denkschrift vorlegen, die die Gebietsansprüche jeder Macht enthalten sollte, nebst den Rechten, die sie darauf zu haben glaubte.
<36>Der König gründete seine Ansprüche auf Pomerellen und einen Teil Großpolens diesseits der Netze darauf, daß die Polen jene vormals zu Pommern gehörenden Provinzen davon abgerissen hätten. Die Stadt Elbing forderte er auf Grund eines klaren Anspruchs und einer Geldsumme, die seine Vorfahren der Republik auf die Stadt vorgeschossen hatten36-1. Das Bistum Ermland und die Woiwodschaften Marienburg und Kulm bildeten die Entschädigung für Danzig, die Hauptstadt Pomerellens, das seine Freiheit behielt. Wir wollen keine Verantwortung für die Rechtsgültigkeit der russischen und noch weniger der österreichischen Ansprüche übernehmen.
Es bedurfte des Zusammentreffens einzigartiger Umstände, um diese Teilung herbeizuführen und die Gemüter dafür zu gewinnen; sie mußte erfolgen, um einem allgemeinen Kriege vorzubeugen.
Das war das Ende so vieler Unterhandlungen, die Geduld, Festigkeit und Geschick verlangten. Für diesmal gelang es, Europa vor einem allgemeinen Kriege zu behüten, dessen Ausbruch nahe bevorstand. So widerstreitende Interessen wie die der Russen und Österreicher waren schwer zu vereinen. Um die Russen für ihre Eroberungen zu entschädigen, die sie auf Österreichs Verlangen der Pforte zurückerstatten sollten, gab es kein anderes Mittel, als ihnen Erwerbungen in Polen zuzuweisen. Die Kaiserin-Königin hatte durch die militärische Besetzung der Herrschaft Zips das Beispiel dazu gegeben. Um das Gleichgewicht zwischen den nordischen Mächten einigermaßen aufrechtzuerhalten, mußte sich der König an dieser Teilung notwendig beteiligen.
Das ist in der Geschichte das erste Beispiel einer Teilung, die zwischen drei Mächten friedlich geregelt und beendet ward. Ohne die damalige politische Lage Europas wäre sie auch den geschicktesten Staatsmännern nicht gelungen: alles hängt von den Umständen und von dem Zeitpunkt ab, in dem die Dinge geschehen.
Die Sorge um die Vereinigung so vieler Interessen nahm nicht die ganze Aufmerksamkeit der drei Mächte in Anspruch. Nicht weniger drängte man die Türken, in die Abhaltung eines Kongresses zu willigen. Der österreichische Internuntius in Konstantinopel36-2 sprach nicht mehr von den so dringend geforderten Subsidien36-3, noch von den Diversionen, die sein Hof zugunsten der Pforte machen wollte; statt die Türken zur Fortsetzung des Krieges aufzumuntern, wirkte er in Gemeinschaft mit dem preußischen Vertreter36-4 darauf hin, daß der Sultan Gesandte zum Friedenskongreß schickte. Die Bevollmächtigten wurden von beiden kriegführenden Mächten ernannt. Auch der preußische und österreichische Gesandte begaben sich nach Fokschani (August 1772), wo öle Konferenzen stattfanden. Graf Orlow, der Günstling der Zarin, führte von feiten Rußlands den Vorsitz, und Osman Effendi von türkischer<37> Seite. Beide Gesandten schienen über die Hauptpunkte des Vertrages, ja selbst über die Unabhängigkeit der Tartaren einig. Als man jedoch den Vertrag Artikel für Artikel durchging, legte Osman Effendi einen anderen Entwurf vor, nach dem dem Sultan das Recht bleiben sollte, die Wahl des neuen Tartaren-Khans zu bestätigen und die Rechtspflege in der Krim auszuüben. Dieser Vorschlag ward abgelehnt; Osman Effendi legte einen gemäßigteren Entwurf vor, der aber sowenig wie der erste angenommen wurde. Darauf erklärte er: nachdem er alle Mittel erschöpft hätte, die ihm seine Instruktion gestatte, und nachdem er alle Bedingungen herabgesetzt hätte, die den Russen am mißfälligsten seien, sähe er doch, daß man alle seine Vorschläge ohne Rücksicht auf die Mäßigung des Sultans verwerfe, und so bliebe ihm nichts übrig, als um Pferde zur Rückkehr nach Konstantinopel zu bitten. Orlow nahm ihn beim Worte. Seine eigenen Interessen riefen ihn nach Petersburg zurück, wo seine Feinde ihn während seiner Abwesenheit verdrängt hatten. So dauerte dieser mit soviel Mühe zusammengebrachte Kongreß nicht einmal bis zum Ende des Monats.
Je vorteilhafter sich die Dinge in Nord- und Osteuropa für Rußland gestalteten, desto mehr bemühte sich Frankreich, aus Mißvergnügen über das geringe Ansehen, in dem es stand, sich durch Umtriebe für seinen verlorenen Einfluß zu entschädigen. Es hoffte ihn wiederzugewinnen, wenn es Schweden ins Spiel zöge. Der schwedische Krom prinz, der sich damals auf Reisen in Frankreich befand, war gerade in Paris, als er den Tod seines Vaters, des Königs, erfuhr37-1. Die Minister Ludwigs XV. benutzten die günstige Gelegenheit, um geheime Vereinbarungen mit dem jungen Herrscher zu treffen. Sie versprachen ihm die vom letzten Kriege her rückständigen Subsidien zu bezahlen, die Frankreich den Schweden noch schuldete. Die Summe belief sich auf 1 Million 300 000 Taler; ein Teil davon wurde ihm in Paris ausgehändigt und die Tilgung des Restes in Aussicht gestellt, falls er ihn zum Umsturz der schwedischen Verfassung benutzte und die Königsmacht wiederherstellte. Seitdem gab sich der lebhafte, ehrgeizige, aber leichtsinnige junge Herrscher der Ausführung dieses Planes rückhaltlos hin. Der Reichstag, der sich zu seiner Krönung versammeln sollte, bot ihm die erwünschte Gelegenheit dazu. Nach Stockholm zurückgekehrt, schickte er Sendlinge, mit Geld versehen, in alle Provinzen seines Reiches, um die Landboten und einen Teil der Truppen zu bestechen. Sein Bruder, Prinz Karl, stellte sich an die Spitze eines dieser Korps, um es zur Unterstützung des Königs nach der Hauptstadt zu führen. Allein der junge Monarch wartete sein Eintreffen garnicht ab; er hatte das Garderegiment und das Artillerieregiment gewonnen, bemächtigte sich mit ihrer Hilfe des Zeughauses, ließ Kanonen auf den Straßen und Plätzen auffahren, berief den durch diese ungewohnten Maßregeln eingeschüchterten Senat und ließ sich von dieser Körperschaft, die die ganze Nation repräsentierte, zum Selbstherrscher erklären (19. August 1772).
<38>Dies unerwartete Ereignis rief am Berliner Hof einige Besorgnis hervor. Der König hatte sich durch seinen Vertrag mit Rußland verpflichtet, die schwedische Verfassung von 1720 aufrechtzuerhalten38-1. Er wußte wohl, welch lebhaften Eindruck eine so plötzliche Umwälzung auf die Zarin machen würde. Der Kongreß zu Fokschani war zwar soeben gescheitert, aber die Russen und Türken hatten neue Unterhandlungen angeknüpft, um in Bukarest einen anderen zu berufen. Kam der Friede zwischen beiden Mächten zustande, so war zu erwarten, daß Rußland unverzüglich an die Wiederherstellung der alten schwedischen Verfassung gehen werde. Der junge König von Schweden aber, der auf Frankreichs Beistand zählte, hätte niemals freiwillig auf die eben erlangte Souveränität verzichtet. Das bot Veranlassung zu einem neuen Kriege, in dem der König die Waffen gegen seinen Neffen hätte führen müssen. Die Natur, die sich im Herzen der Könige ebenso regt wie in dem der Bürger, sträubte sich gegen einen solchen Entschluß. Andrerseits verlangte die Politik und die Bundestreue, ihn zu fassen. In dieser Verlegenheit nahm der König seine Zuflucht zum Wiener Hofe, um durch dessen Vermittlung die erste Aufwallung des Petersburger Hofes zu beschwichtigen. Trotzdem hätten Zorn und Nachsucht bei der Zarin obgesiegt, hätten die Türken nicht mit großer Festigkeit die harten und beschwerlichen FriedensbedinZungen zurückgewiesen, zu deren Annahme man sie zwingen wollte.
Unterdessen sah der König von Schweden ein, welche Gefahr ihm von Rußland drohte, und nahm sich vor, vorerst Dänemark abzufertigen, um nicht mit zwei Feinden zugleich kämpfen zu müssen.
Dies nötigt uns, etwas weiter auszuholen, um die Gründe der Handlungsweise des Schwedenkönigs genau darzulegen. Der König von Dänemark38-2 war zu jung auf den Thron gelangt, um schon Erfahrung zu haben. Er war von alten, in Hofkabalen erfahrenen Ministern umgeben, die mehr an sich selbst als an das Gemeinwohl dachten und nur danach strebten, ihren Gebieter zu beherrschen. Da diese Nebenbuhler einander stets zu verdrängen suchten, so kam es zu häufigen Entlassungen; jeder Tag brachte neue Minister und neue Negierungspläne. Saldern, der damalige russische Gesandte am dänischen Hofe, hatte, wie schon gesagt38-3, den Austausch des Herzogtums Holstein gegen Oldenburg und Delmenhorst vermittelt. Dieser Gesandte eines fremden Hofes war übermächtig in Kopenhagen; er beredete den König zu reifen und fremde Länder zu besuchen, um ihn dadurch von seinem geplanten Besuche des Königreichs Norwegen abzubringen, wo er wie man befürchtete, Neuerungen einführen würde, die seinen Interessen zuwiderliefen.
Kurz nach seiner Vermählung mit Prinzessin Karoline Mathilde, der Schwester des Königs von England, verließ er Kopenhagen, begab sich nach London und von da nach Paris (1768). Seine Höflinge und seine Umgebung bestärkten seinen natürlichen Hang zur Wollust und Ausschweifung. Von seiner Reise brachte der König<39> eine geheime Krankheit mit, die er verschleppt hatte. Die Königin, seine Gemahlin, erlangte unter dem Vorwande, für die Wiederherstellung seiner Gesundheit zu sorgen, Macht über ihn und schlug ihm einen Arzt namens Struensee39-1 vor, der ihn gewiß wieder heilen würde. Durch den Zutritt bei Hofe, den dieser Mann hatte, gewann er allmählich mehr Einfluß auf die Königin, als sich dies für einen Mann von niederer Herkunft schickte.
Dies Verhältnis, das sich täglich vertraulicher gestaltete, nötigte die Königin zur äußersten Vorsicht, damit der König die Schande, die sie ihm antat, nicht merkte. Um bei ihren anstößigen Zusammenkünften nicht überrascht zu werden, kamen die Königin und der Arzt, wie behauptet wurde, auf den Einfall, dem König statt Medizin Opium einzugeben, während dessen Wirkung er außerstande war, sie zu stören. Der allzu häufige Gebrauch des Schlafmittels griff den Geist des jungen Königs stark an. Er litt an häufigen und so anhaltenden Geistesstörungen, daß die Königin und der Arzt sich der Zügel der Regierung bemächtigten. Struensee wurde zum Premierminister ernannt und war einige Monate wirklich König von Dänemark. Der dem Thron angetane Schimpf empörte die Dänen. Schließlich entdeckte man, daß die Königin und ihr Minister den Plan verfolgten, den König für regierungsunfähig erklären zu lassen und sich unter diesem triftigen Vorwande der Regentschaft zu bemächtigen. Das empörte die Gemüter vollends.
Man fand, daß man sich mit Schande bedeckte, wenn man das Königreich der Gefahr aussetzte, unter die Herrschaft eines Bastardgeschlechtes zu fallen, dessen Stammvater ein deutscher Arzt wäre. Marinetruppen, die entlassen werden sollten, weil die Hofkabale ihnen mißtraute, waren die ersten, die den Anstoß zur Revolution gaben. Zwei Generale und Minister Graf Osten39-2 begaben sich insgeheim zur Königin Juliane39-3, der Stiefmutter des Königs, schilderten ihr in grellen Farben die Gefahren, die ihr, ihrem Stiefsohn und dem ganzen Reiche drohten, und beschworen sie, in einem so kritischen Augenblick einen entscheidenden Schritt zu tun. Sie bestimmten sie dazu, nach einem Balle, der tief in die Nacht hinein dauern sollte, sich auf einer Geheimtreppe in das Schlafzimmer des Königs zu begeben, um ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen und ihn unverzüglich einen Befehl unterzeichnen zu lassen, der die Generale ermächtigte, den einen, die Königin Karoline Mathilde gefangen zu nehmen, und den anderen, sich des Arztes und Premierministers zu versichern.
Der Plan kam zur Ausführung, wie er erdacht war39-4. Die Königin wurde in eine Festung eingesperrt und der Arzt nebst seinen Anhängern vor Gericht gestellt. Aus Furcht vor der Folter gestanden sie alle Verbrechen, deren man sie beschuldigte. Die Ehe der Königin Karoline Mathilde wurde für null und nichtig erklärt; auf An<40>suchen des Königs von England erhielt sie die Erlaubnis, Dänemark zu verlassen und sich ins Kurfürstentum Hannover zurückzuziehen. Sie ließ sich in Celle nieder, wo sie von ihrem Bruder mit einer Auszeichnung behandelt ward, deren sie sich durch ihre Verbrechen unwürdig gemacht hatte. Der Arzt und Graf Brandt40-1 wurden, nachdem ihnen der Prozeß gemacht war, enthauptet (28. April). Königin Juliane, ües Königs Stiefmutter, übernahm die Leitung der Staatsgeschäfte.
Zu Anfang dieser Regierung, die eigentlich nur eine Vormundschaft war, ging alles schwach. Die Geistesstörung des Königs war so gut wie eine Unmündigkeit. Die Norweger, die mit Abgaben belastet worden waren, um die Bank vor dem Zusammenbruch zu bewahren, begannen zu verschiedenen Malen ihre Unzufriedenheit ziemlich offen kundzugeben. Die fast gleichzeitige Umwälzung der schwedischen Verfassung erweckte lebhafte Besorgnis am Kopenhagener Hofe; er fürchtete die Unternehmungen eines jungen Nachbarfürsten und geborenen Feindes der Dänen. Um dem zu begegnen und seinen vermutlichen Angriffen vorzubeugen, sandte Königin Juliane General Huth mit einigen Truppen nach Norwegen, um das Land vor jedem fremden Einfall zu schützen.
Auf die Unzufriedenheit der Norweger und ihre Verstimmung gegen ihren Hof gründete der König von Schweden seine Hoffnungen. Einige Abgesandte der norwegischen Bauern, die ihn auf Schloß Ekolsund aussuchten, versicherten ihm, er brauche sich nur mit einigen Truppen an ihrer Grenze zu zeigen, um den norwegischen Bauern Mut zu machen und sie alle auf seine Seite zu bringen. Ohne zu prüfen, ob die Nation durch den Mund dieser Abgesandten zu ihm spräche oder ob sie nur die Wortführer einiger obskurer Mißvergnügter waren, brach der König sofort unter dem Vorwande der sogenannten Eriksgata40-2 auf (7. November) und bereiste die südlichen Provinzen in Schonen und nach der norwegischen Grenze hin. Er schickte eine in drohenden Ausdrücken abgefaßte Note an den dänischen Hof, worin er Rechenschaft über die außerordentlichen Kriegsrüstungen der Dänen in Norwegen verlangte (1.November). Gleichzeitig traf er seinerseits alleVorbereitungen zum Kriege. Schwedische Truppen, mit Artillerie versehen, rückten an die norwegische Grenze. Seine Sendboten trieben sich haufenweise in Norwegen herum, um das Volk aufzuwiegeln; auch versuchte er, freilich umsonst, die Werft zu Kopenhagen in Brand stecken zu lassen. Kurz, alles bereitete sich auf einen Bruch zwischen beiden Staaten vor, und der wäre wohl auch erfolgt, hätte nicht der Berliner Hof durch die stärksten Vorstellungen beide Mächte dazu vermocht, sich gegenseitig über ihren Argwohn auszusprechen und sich wieder zu versöhnen40-3. Auf diese Vorstellungen hin kehrte der König von Schweden in seine Hauptstadt zurück, und die Dänen beruhigten sich.
<41>Hatte schon die Verfassungsänderung in Schweden der Zarin mißfallen, so erregten die Maßnahmen des Königs an der norwegischen Grenze noch mehr Anstoß bei ihr. Sie fürchtete, ein so unruhiger, tatendurstiger und unbesonnener junger Fürst wie der König von Schweden könne mit derselben Leichtigkeit einen Angriff auf die Grenzen von Esthland und Finnland unternehmen. Beide Provinzen waren damals von Truppen entblößt; die russischen Heere standen in Bessarabien, in der Krim, und mehr als 50 000 Mann überschwemmten Polen. Unter diesen Umständen glaubte die Zarin, über ihren Eroberungen im Orient und der Unterwerfung der Sarmaten die Sicherung ihrer eigenen Provinzen nicht vernachlässigen zu dürfen. Zu dem Zweck rief sie von ihren Truppen in Polen 20 000 Mann ab und besetzte mit ihnen Livland und diejenigen Provinzen, die sie den Angriffen Schwedens ausgesetzt glaubte.
Andrerseits zeigte sie sich geneigter, den eben abgebrochenen Kongreß mit der Türkei wieder aufzunehmen. Der neue Kongreß ward zu Bukarest eröffnet41-1; der Neis-Effendi41-2 war Bevollmächtigter der Pforte und Obreskow der der Russen. Der preußische und österreichische Gesandte wohnten ihm nicht bei, da die Russen mit Thugut unzufrieden waren, der als Gesandter der Kaiserin-Königin am ersten Kongreß teilgenommen hatte41-3. Die Russen wiederholten zunächst ihre maßlosen Bedingungen; dann gaben sie in mehreren Punkten nach. Jedoch die Abtretung der Festungen Kertsch und Ienikala in der Krim an der Meerenge von Kertsch, deren Besitz den Russen den Zugang zum Schwarzen Meer eröffnete, war ein unübersteigliches Hindernis für den Friedensschluß. Die Körperschaft der Ulemas oder Schriftgelehrten erklärte dem Sultan, sie werde nie zugeben, daß Rußland durch diese Abtretung in den Stand gesetzt würde, eine Flotte auszurüsten, die Konsiantinopel selbst auf das schwerste bedrohe. Rußland erklärte seinerseits, daß der Besitz der beiden Plätze eine Bedingung sei, von der es nie abstehen würde. Daraufhin schickte jeder der beiden Höfe sein Ultimatum an seine Bevollmächtigten. Die Russen erboten sich, ihre Geldforderungen nachzulassen, falls die Türken auf das übrige eingingen, und die Türken boten 20 Millionen Rubel an, wenn der Zustand vor dem Kriege wieder hergestellt würde. Nachdem die Bedingungen beiderseits abgelehnt waren, ging gegen Ende März 1773 dieser zweite Kongreß wie der erste auseinander.
Zwei Ursachen hatten ihn zum Scheitern gebracht: die erste ist nur den lästigen, harten und demütigenden Bedingungen zuzuschreiben, zu denen Katharina den Sultan Mustapha zwingen wollte, die andere dem Ränkespiel Frankreichs, das nicht nur die vornehmsten Wesire und Großen der Pforte durch Bestechung gewann, sondern sie auch durch die Aussicht ermutigte, daß der König von Schweden sich zu einem Kriege gegen Finnland vorbereite, um eine Diversion zu ihren Gunsten zu machen. Sie fügten hinzu, daß Frankreich gegenwärtig in Toulon ein starkes Geschwader ausrüste, das nach den Levantehäfen abgehen und im Archipel kreuzen solle.
<42>Der Versailler Hof beschränkte sich nicht auf diese kleinen Intrigen. Er tadelte das Benehmen der Kaiserin-Königin, die sich als Frankreichs Verbündete mit Rußland und Preußen zusammengetan und die Partei der Mächte ergriffen hätte, die Frankreich als Feinde seiner Sache ansähe. Um sich an den Österreichern zu rächen, entwarf man in Versailles den Plan einer Quadrupelallianz zwischen den Höfen von Versailles, Madrid, Turin und London. Man fing an, alle möglichen Ränke zu schmieden, um England gegen Preußen und Rußland aufzuhetzen. Die französischen Sendboten streuten zahlreiche Flugschriften aus. In einigen wurde den Engländern bewiesen, welch beträchtlicher Schaden ihr Handel erlitten hätte, seit der König von Preußen im Besitz des Danziger Hafens sei. In anderen übertrieben sie die Verluste, die dem englischen Handel bevorständen, wenn die Russen freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meere erhielten. Diese überall ausgestreuten Schriften machten schließlich einigen Eindruck. Die englische Entrüstung war bald entflammt, und ohne zu wissen warum, zeterte das Volk, der Danziger Hafen werde Großbritanniens Handel zugrunde richten.
Ich brauche hier nicht all die Unannehmlichkeiten zu erwähnen, die aus diesem Geschrei entstanden; unerläßlich aber ist es, mitzuteilen, daß die Engländer sich an Rußland wandten und von der Zarin verlangten, ihr Gesandter solle im Verein mit dem englischen42-1 dem König von Preußen in seinen eigenen Staaten Gesetze vorschreiben, damit er seinen Vorteil ihren Launen opfere, gleich als gehörten diese Staaten ihm nicht mit demselben Rechte, wie den beiden anderen Mächten die von ihnen besetzten Gebiete.
Die Russen gingen nicht ganz auf diese unsinnigen Ideen der Engländer ein. Der Türkenkrieg war noch nicht beendet; der König zahlte Subsidien; sie mußten ihn also schonen. Es kam zu einigen weitläufigen Unterhandlungen mit dem Petersburger Hofe betreffs der Grenz- und Weichschölle und des Danziger Hafens42-2. Nach einigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Höfen und nachdem man dem Petersburger Hofe vorgestellt hatte, daß jeder im eigenen Hause Herr sei und somit in der Verwaltung seiner Finanzen durch niemand behelligt werden dürfe, fanden die Russen diese Gründe gültig, und die Dinge blieben, wie sie waren.
Der Plan der Franzosen und Engländer war arglistiger, als wir ihn dargestellt haben. Ihre Absicht war, Preußen mit Rußland wegen des Danziger Hafens zu entzweien. Obgleich das Resultat ihrer Erwartung nicht entsprach, ließen die Engländer den russischen Hof doch merken, wie eifersüchtig und neidisch sie auf den Handel im Schwarzen Meere waren, den die Russen zu treiben beabsichtigten. Allein der Abbruch des Bukarester Kongresses befreite sie von ihren Besorgnissen.
<43>Wir haben vor kurzem erwähnt, daß Graf Orlow in Ungnade gefallen war. Ein Graf Potemkin43-1 ersetzte den früheren Günstling. Dies Ereignis oder, wenn man will, diese Hofkabale rief im Petersburger Ministerium beinahe eine Umwälzung hervor. Graf Orlow hatte trotz seiner Verbannung nicht allen Einfluß auf die Zarin verloren. Es gelang ihm, sich zurückrufen zu lassen, und obwohl er das vertraute Verhältnis mit ihr nicht wieder anzuknüpfen vermochte, ward er doch in alle früher bekleideten Würden von neuem eingesetzt. Das erste Gefühl bei seiner Rückkehr war eine unmäßige Begierde, sich an seinen Feinden zu rächen. Gegen Graf Panin, den er für den Schuldigsten hielt, richtete er denn auch all seine Nachtust. Plötzlich sah dieser Premierminister sich von allen Freunden verlassen. Seine Herrin vernachlässigte ihn. Saldern, seine Kreatur, von dem schon die Rede war43-2, hatte ihn umsonst in einen von ihm entworfenen Revolutionsplan zu verwickeln gesucht und schlug sich darum ebenfalls zur Partei Orlows. Diese beiden Männer, die ein gleiches Interesse verband, arbeiteten gemeinsam daran, den Premierminister bei der Zarin anzuschwärzen, der er stets redlich gedient hatte. Bei Hofe hielt man Panin ein paar Tage lang für rettungslos verloren. Zum Glück behauptete er sich; denn sein Sturz wäre für alle Mächte verderblich geworden, deren politisches System sie mit Rußland verband. Nichtsdestoweniger verzögerte diese Erschütterung die Ausführung vieler wichtiger Dinge, und der Danziger Hafen ward bis 1774 vergessen. Die Aufmerksamkeit des russischen Hofes war durch eine Menge von Geschäften in Anspruch genommen. Er vernachlässigte diese Kleinigkeit, und Graf Golowkin, der zur Beilegung des Streites nach Danzig geschickt war, blieb dort in völliger Untätigkeit.
Die inneren Wirren am Petersburger Hofe und die verschiedenen Parteien, die auf den Sturz ihrer Gegner hinarbeiteten, beeinflußten die Staatsgeschäfte und riefen neuen Hader hervor, bald wegen des Danziger Hafens, bald wegen des Zolls und schließlich wegen der Grenzen der neuen Erwerbungen. Die Unfreundlichkeit ging so weit, daß der König wegen eines Streifens jenseits der Netze, den er in seine Grenze einbezogen hatte, schikaniert wurde43-3. Ferner machte man ihm Schwierigkeiten wegen des Gebietes von Thorn, das er angeblich zu sehr eingeschränkt hatte, obgleich es nach den genauesten Karten geregelt war, die man sich hatte beschaffen können. Ähnliche Scherereien machten die Russen den Österreichern wegen eines ziemlich beträchtlichen Gebietes jenseits des Sanflusses, das sie sich angeeignet hatten. Der König versprach aus Gefälligkeit gegen die Zarin, sich in mancher Hinsicht ihren Wünschen zu fügen, allerdings unter der Bedingung, daß die Österreicher ein gleiches täten. Aber der<44> Wiener Hof kehrte seinen Hochmut heraus und zeigte sich in seiner ganzen Würde: er erklärte, nicht einen Zoll breit von seinen Besitzungen abzutreten. Diese stolze und bestimmte Erklärung der Österreicher bewirkte, daß die Russen sich stillschweigend verhielten und die Dinge so blieben, wie sie waren.
All diese kleinen Scherereien kamen von dem Hasse des zum Fürsten erhobenen Grafen Orlow gegen Graf Panin: er beschuldigte ihn, den Anteil der Verbündeten Rußlands zu vorteilhaft bemessen zu haben, und der Minister, der seine Stellung erschüttert sah, hatte nicht den Mut, fest auf den Punkten zu bestehen, über die man sich in dem preußisch-russischen Vertrage geeinigt hatte.
Zu jener Zeit wurde die Hochzeit des Großfürsten in Petersburg gefeiert (10. Oktober 1773). Graf Panin, sein früherer Erzieher, verließ ihn nun, und die Zarin belohnte ihn nicht nur großmütig, sondern schenkte ihm auch ihr Vertrauen wieder, da sie die Verleumdungen und Versuche, ihn anzuschwärzen, durchschaute.
Nur durch Umtriebe und Kabalen war es dem König gelungen, die Wahl der Zarin bei einer Schwiegertochter auf die Prinzessin von Darmstadt44-1, die leibliche Schwester der Prinzessin von Preußen44-2, zu lenken. Um Einfluß in Rußland zu haben, mußte man Personen dort hinbringen, die es mit Preußen hielten. Man durfte hoffen, daß dies dem Prinzen von Preußen nach seiner Thronbesteigung zu großem Vorteil gereichen würde. Asseburg44-3, ein Untertan des Königs, der in russische Dienste getreten war, erhielt den Auftrag, alle deutschen Höfe, die heiratsfähige Töchter hatten, zu bereisen und darüber Bericht zu erstatten. Der König weckte seinen patriotischen Eifer und wies ihn daraufhin, daß ihm die Prinzessin von Darmstadt die liebste sei. Der Gesandte leistete dem König so gute Diensie, daß die Prinzessin zur Gemahlin des Großfürsten auserkoren ward. Derartige für die Zukunft getroffene Maßregeln können trügen; trotzdem darf man sie nicht vernachlässigen.
Während Petersburg im Festjubel der Vermählungsfeier war, trat in Warschau der polnische Reichstag zusammen, und die drei Höfe veröffentlichten dort ein Manifest mit dem Nachweis ihrer Rechte. Man verlangte, daß der König und die Republik folgendes unterzeichneten: 1. den Abtretungsvertrag für die drei Höfe; 2. die Pazifizierung Polens; 3. eine feste Apanage für den König; 4. die Einsetzung eines ständigen Staatsrats; 5. einen gesicherten Fonds, damit die Republik 30 000 Mann unterhalten könne. Die drei Nächte taten sich zur Bildung einer Kasse zusammen, die für Bestechungen bestimmt war, besonders zur Durchdringung eines Gesetzes, wonach die Polen nur einen Piasten zum König wählen durften.
Zugleich ließ jede Macht 10 000 Mann in Polen einrücken. Alle sandten ferner einen General nach Warschau, die Österreicher Richecourt, die Russen Bibikow, die Preußen Lentulus44-4. Sie hatten Befehl, gemeinsam zu handeln und streng gegen die<45> Großen zu verfahren, die Kabalen schmiedeten oder den Neuerungen, die man in ihrem Lande einführen wollte, Hindernisse in den Weg legten.
Anfangs waren die Polen störrisch und widersetzten sich allen Vorschlägen, und die Landboten der Woiwodschaften kamen nicht nach Warschau. Dieses Hinauszögerns und Widerstandes müde, schlug der Wiener Hof vor, einen Termin für die Versammlung des Reichstages festzusetzen, mit der Drohung, daß die drei Höfe, falls die Landboten sich nicht einfänden, ungesäumt das ganze Königreich unter sich aufteilen würden. Andrerseits würden die drei Mächte, wenn jene sich gefügig zeigten, Rücksicht gegen sie üben und sofort nach der Unterzeichnung der Abtretungsakte ihre Truppen aus dem Gebiete der Republik zurückziehen. Kaum war diese Erklärung veröffentlicht, so erledigte sich alles wie von selbst. Der Reichstag trat am 19. April zusammen; die Abtretungsakte wurden genehmigt und zuerst mit Österreich unterzeichnet, dann mit Rußland und am 18. September mit Preußen45-1. Man kam überein, Kommissare zur Festsetzung der Grenzen zu senden. Die Republik verzichtete zugunsten des Königs von Preußen auf das Heimfallsrecht des Königreichs Preußen und der Lehen Lauem burg, Bütow und Draheim45-2. Mehrere Artikel des Vertrages von Wehlau wurden aufgehoben und Polen alle ihm verbleibenden Provinzen garantiert. Ferner versprach der König, die katholische Religion in seinem Gebietsanteil so zu belassen, wie er sie vorgefunden. Die Artikel über die Gebiete von Danzig und Thorn wurden einem Sondervertrag vorbehalten.
Dieser Vertrag ward, ebenso wie der mit den beiden anderen Höfen, anfangs nur von den beiden Marschällen der Konföderation und vom Vorsitzenden der Delegation, sowie von den Gesandten der drei Höfe unterzeichnet. Die Gesandten begannen darauf mit den Mitgliedern der Delegation zu verhandeln. Man kam überein, einen ständigen Staatsrat zu schaffen, verschob jedoch die Erörterung darüber, die lang und breit werden konnte, auf die späteren Sitzungen.
Man muß die Polen für die leichtfertigste und oberflächlichste Nation in Europa halten. Sie wiegten sich ohne den geringsten Schimmer von Wahrscheinlichkeit in der Hoffnung, das Werk der drei Nachbarmächte bald wieder zu vernichten. Diese unlogischen Köpfe dachten so: der Feldzug der Russen ist dies Jahr nicht glücklich verlaufen; sie werden also im nächsten Jahre niedergeworfen werden. Die Eiferer für ihre alte anarchische Verfassung fügten übertreibend hinzu, der Sultan werde an der Spitze seiner tapferen Janitscharen bald in Rußland eindringen, Moskau und Petersburg einäschern, die Zarin entthronen und die Trümmer ihres weiten Reiches mit Polen teilen.
Um sich ein Bild davon zu machen, wie böswillig sie die Mißerfolge der Russen übertrieben, ist es nötig, zu berichten, was sich auf dem Kriegsschauplatz in diesem<46> Jahre zutrug, und sogar noch etwas weiter auszuholen. Seit dem Abbruch der Bukarester Verhandlungen glaubte die Zarin, an die unbegreiflichen Heldentaten ihrer Truppen gewöhnt, den Starrsinn des Sultans durch einen neuen Sieg brechen und ihn zur Annahme der Friedensbedingungen zwingen zu können, von denen sie nicht ablassen wollte. Dabei wähnte sie, der Gewinn einer Schlacht hinge nur von einem von ihr unterzeichneten Befehl ab. Sie befahl also dem Feldmarschall Rumänzow, mit seiner Armee über die Donau zu gehen und den Feind überall anzugreifen, wo er ihn träfe. Dem Feldmarschall widerstrebte es einigermaßen, seinen Ruf durch ein so gewagtes Unternehmen aufs Spiel zu setzen, und er stellte dessen Schwierigleiten vor: die in jener Gegend eine Meile breite Donau, die Unmöglichkeit, Brücken zu Magen, die Gefahr, am anderen Ufer unter dem feindlichen Feuer zu landen. Er fügte hinzu, daß man in Rumelien keine Niederlassung fände und befürchten müsse, in die gleiche Lage zu kommen wie Peter I. am Pruth46-1.
Seine Vorstellungen waren umsonst. Die Kriegsraison mußte der Ungeduld der Kaiserin weichen, und Rumänzow ging mit 35 000 Mann über die Donau46-2. Er schlug und vernichtete ein Beobachtungskorps, das die Türken bis ans Flußufer vorgeschoben hatten, und marschierte dann auf Silistria, um es einzunehmen. Die Stadt liegt in einer Bergschlucht und ist ohne Verteidigungswerke, aber die beiderseitigen Höhen waren stark befestigt. Dort lagerten 30 000 Türken, und die Armee des Großwesirs, die auf dem Hämusgebirge stand, war nahe genug, um ihnen beizustehen. Als Feldmarschall Rumänzow vor Silistria erschien, beschloß er, die Stadt im ersten Anlauf zu nehmen. Er teilte seine Armee in mehrere Korps, teils zur Unterstützung der Batterien, die das feindliche Lager beschossen, teils zum Angriff auf die Stadt an der weitesten Stelle der Bergschlucht. Der Rest blieb als Reserve zurück, um entweder die Angriffe zu unterstützen oder den Rückzug zu decken. Die Türken griffen mit ihren Spahis die Reserve und die Korps an, die die Batterien deckten, und fielen gleichzeitig den Detachements in den Rücken, die zwar in Silistria eingedrungen waren, sich aber mit recht beträchtlichen Verlusten wieder zurückziehen mußten. Auf die Nachricht von diesen Ereignissen schickte der Großwesir rasch eine starke Abteilung in den Rücken der russischen Armee zur Besetzung eines Defilees, durch das sie marschieren mußte, um wieder an die Donau zu gelangen. Hätte er die Gelegenheit wahrgenommen, so durfte er das Heer, das er vor sich hatte, nicht entrinnen lassen. Hätte er also mit Numänzows Nachhut unverzüglich ein Arrieregardegefecht begonnen, so hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach die ganze über die Donau gegangene russische Armee vernichtet. Allein das Geschick hatte es anders beschieden. Der Großwesir blieb ruhig in seinem Lager, und Feldmarschall Rumänzow schickte auf die Meldung, daß ein türkisches Korps in seinem Rücken stände, General Weißmann mit<47> einem Detachement ab, um den Feind aus seinem Hinterhalt zu vertreiben. Das gelang dem tapferen General auch nach beispiellosen Heldentaten, aber er verlor dabei das Leben. Dieser bedeutende Erfolg erleichterte der russischen Armee den Rückmarsch zur Donau. Da aber nicht Schiffe genug vorhanden waren, um alle Truppen zugleich überzusetzen, brauchte man drei Tage dazu47-1, ohne daß die Türken auf den Gedanken gekommen wären, die Truppenteile, die auf die Rückkehr der Schiffe warteten, anzugreifen oder ihnen die Überfahrt im geringsten zu erschweren.
Die Zarin war sehr ungehalten über diesen Zug. Truppen aus Ingermanland, Esthland und Polen mußten herangezogen werden, um die Armee in der Walachei zu verstärken; gleichwohl verlor man den Mut nicht. Man entwarf neue Pläne in Petersburg und beschloß, sie gegen Ende des Herbstes auszuführen. Bei den Türken ist es nämlich Brauch, daß die asiatischen Truppen zu Beginn der späten Jahreszeit heimkehren. Die Russen wußten das und wollten die Schwächung der Armee des Großwesirs durch den Abgang so vieler Kombattanten benutzen. Auf Befehl der Zarin schickte Rumänzow verschiedene Detachements über die Donau47-2, und mit der Hauptmacht, etwa 20 000 Mann, deckte der Feldmarschall selbst hinter den Flüssen die eroberten Provinzen Moldau und Walachei. Er detachierte General Ungern, den Fürsten Dolgoruki und General Soltikow mit je 3 000 Mann. Ungern und Dolgoruki überfielen eine Türkenschar und schlugen sie in die Flucht, nahmen den Geraskier gefangen, der sie befehligte, und erbeuteten etliche Geschütze. Sie hatten Befehl, von da auf Warna zu marschieren, um sich dieses wichtigen Postens und des Hafens zu bemächtigen, durch den die Truppen des Wesirs ihre Verpflegung vom Schwarzen Meere her bezogen. Unglücklicherweise gerieten beide Generale in Streit, und Ungern rückte allein auf Warna. Er fand die Stadt gut befestigt, mit einem tiefen Wassergraben umgeben, von einer starken Besatzung verteidigt und den Hafen voll türkischer Fregatten, deren Geschütze das ganze Ufer bestrichen und die russischen Truppen sehr belästigten. Ungern sah ein, daß der Platz unmöglich mit Sturm zu nehmen war. Nachdem er den Plan aufgegeben hatte, ward er auf seinem Rückzüge von den Türken schwer bedrängt und verlor dabei sein Geschütz und einen recht beträchtlichen Teil seiner Leute. Immerhin gelangte er wieder zur Donau, während die Türken sich des Magazins bemächtigten, das die Russen für diesen Zug angelegt hatten. Dadurch wurden diese gezwungen, sämtlich über die Donau zurückzugehen. Erschöpft, verhungert, abgemattet und beträchtlich zusammengeschmolzen, stießen sie wieder zur Hauptarmee.
Das launenhafte Glück schien es damals müde zu sein, die Russen fortwährend zu begünstigen, und leichtfertig, wie es ist, zur Gegenpartei übergehen zu wollen. Schon waren zwei Unternehmungen hintereinander in Rumelien gescheitert, und als wäre das noch nicht genug, empörten sich auch noch die Kosaken am Don und am Iaik bei Orenburg. Sie beklagten sich vor allem darüber, daß der Hof ihre Privilegien ver<48>letzt habe, indem er sie wie reguläre Truppen in Regimenter steckte, daß 20 000 ihrer Leute ausgehoben und gegen die Türken geschickt worden seien, und daß man ihre Provinz erschöpfe, indem man sie mehr Leute und Pferde stellen ließe, als sie liefern könne. Ein Landstreicher stellte sich an ihre Spitze. Er redete ihnen vor, daß er den Zaren Peter III. mit sich führe48-1, der seine Frau, die Zarin, absetzen wolle, um seinen Sohn, den Großfürsten, auf den Thron zu erheben. Einige Nachbarprovinzen schlossen sich den Rebellen an. Ihre täglich zunehmende Zahl zwang die Zarin, soviel Truppen wie möglich aus Esthland, Ingermanland und Polen gegen die Aufständischen herbeizuziehen. General Bibikow übernahm die Führung dieses hastig zusammengerafften Korps; aber so sehr er sich auch beeilte, er konnte nicht vor März 1774 in das Gouvernement Kasan dringen.
Soviel Mißgeschick machte den an beständiges Glück gewöhnten Hof stutzig und stimmte die Zarin friedlicher als bisher. Mit Recht fürchtete sie, die große Anzahl der von den Provinzen verlangten Rekruten, die schon Murren hervorrief, möchte die Erbitterung der Russen zu offener Empörung steigern. Hinzu kam, daß die Waffenerfolge, die bei Beginn des Krieges Europa geblendet, im Laufe des letzten Kriegsjahres viel von ihrem Glanze verloren hatten. Da der Hof jetzt aufrichtig den Frieden wünschte, ersuchte Graf Panin den Grafen Solms (November 1773), den preußischen Gesandten bei der Pforte, Zegelin, zu bitten, er möchte in seinem eigenen Namen dem Kadileskier, der in Abwesenheit des Großwesirs die Geschäfte leitete, folgende Vorschläge machen:
1. die Pforte solle Kertsch und Ienikala abtreten48-2;
2. die Krim solle von ihrem Khan ohne Einmischung der Russen oder Türken regiert werden;
3. die freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meer solle sich auf Handelsschiffe beschränken, deren keines mehr als 4 bis 5 Kanonen führen dürfe, und allen russischen Kriegsschiffen solle die Einfahrt in die unter türkischer Herrschaft stehenden Häfen verwehrt sein;
4. statt Kinburn solle Oczakow den Russen verbleiben, damit sie wenigstens einen festen Platz mit einem Hafen am Schwarzen Meer hätten48-3;
5. aus Rücksicht auf dies Zugeständnis würden die Russen Bender und alle übrigen Eroberungen an die Türkei zurückgeben.
Um das Zartgefühl der Zarin Katharina zu schonen, der es widerstrebte, ihren Feinden zuerst Friedensvorschlage zu machen, übernahm es der König, die obigen Bedingungen nach Konsiantinopel zu schicken. Er tat dies um so lieber, als ihm selber an der Beendigung des Krieges lag, der durch seine Fortdauer ebenso unangenehme wie Verdrießliche Ereignisse herbeiführen konnte. Dieser neue Friedensversuch <49>hatte kein besseres Schicksal als die vorhergegangenen. Beide Mächte waren zu stolz und hochmütig, als daß man sie hätte versöhnen können.
Unterdes starb zu Konstantinopel Mustapha III., der während des Krieges regiert hatte. Sein Bruder bestieg nach ihm den Thron49-1. Er kannte nichts als das Gefängnis des Serails, in dem er groß geworden war. Unwissend, von beschränktem und schwachem Verstande, überließ er die Geschäfte seiner Schwester49-2 und dem Großwesir, und man bemerkte keine Veränderung in der Regierung. Allein trotz des Hochmutes, den beide Höfe zur Schau trugen, fühlten sie doch gleichermaßen das Bedürfnis nach Frieden, und da sie so vieler vergeblicher Kongresse überdrüssig waren, versuchten sie ein neues Mittel zur Aussöhnung durch Anknüpfung direkter UnterHandlungen zwischen dem Großwesir und Feldmarschall Rumänzow. Aber auch diese Unterhandlung scheiterte an der Forderung der Unabhängigkeit der Krim und der Abtretung der Festungen, die Rußland verlangte. Sie schleppte sich bis zum Juni hin, wo der Feldzug eröffnet wurde.
Zur Vermeidung einer allgemeinen Schlacht hatte der Großwesir sein Lager auf den bulgarischen Bergen gewählt und stellte Rumänzow nur starke Detachements entgegen. Dieser wünschte seinen Ruf wiederherzustellen, der unter den unglücklichen Operationen des letzten Feldzuges ein wenig gelitten hatte. Nachdem er mit seiner Armee die Donau überschritten hatte, gelang es ihm, das Heer des Großwesirs mit Detachements zu umgehen, die alle ihnen entgegentretenden Truppen schlugen. Nun verstärkte Numänzow diese Korps, und eins von ihnen hatte das Glück, einen ansehnlichen Transport für die türkische Hauptarmee zu vernichten und zu erbeuten. Dadurch wurde der Großwesir gleichsam in seinem eigenen Lager ausgehungert, und General Kamenskoi schnitt ihm die Verbindung mit Adrianopel ab. Wäre der Türke wagemutig gewesen, er hätte sich diese Verbindung mit dem Degen in der Faust wieder eröffnet. Doch schon lief der größte Teil seiner Truppen aus Mangel an Nahrung davon, nachdem sie sein eigenes Lager geplündert hatten. Darob verlor der unglückliche Großwesir den Kopf und hielt sich für verpflichtet, alle Friedensbedingungen zu unterzeichnen, die Feldmarschall Numänzow ihm vorschrieb.
Dieser Friede machte die Krim unabhängig und trug den Russen Asow, Kinburn und Jenikala ein. Außerdem bewilligten die Türken ihnen freie Schiffahrt in den Dardanellen, im Marmarameer und im Archipel, sowie eine Kriegsentschädigung von 4 ½ Millionen Rubeln. Diese für die Zarin so ruhmvollen Präliminarien wurden am 21. Juli 1774 im Lager des Feldmarschalls Numänzow unterzeichnet49-3. Der Großwesir führte unverzüglich die wenigen ihm gebliebenen Truppen nach Adrianopel, wo er vor Kummer und Gram starb.
Das Glück, dessen sich das russische Reich durch seine Erfolge über die Türken erfreute, fand sein Gegengewicht in der Besorgnis, die der Kosakenaufstand hervorrief.<50> Jenem Pugatschew, der die Rebellen anführte, gelang es, alles Volk von den Ufern des Jaik bis in die Umgegend von Moskau auf seine Seite zu bringen. Selbst der Adel begann sich verführen zu lassen. Es fehlte diesem Parteiführer nichts als der Beistand des Glückes, um die Revolution, die er in Rußland anstiften wollte, zum Ausbruch zu bringen. Allein der soeben geschlossene Friede mit den Türken brachte alle seine Unternehmungen zum Scheitern. Die Truppen, die die Zarin aus Rumelien zurückkommen ließ, wurden gegen den Rebellen geschickt, schlossen ihn von allen Seiten ein, zersprengten seine Partei und schnitten ihm den Rückzug ab. Schließlich ward er von einem seiner Anhänger verraten und an die Russen ausgeliefert, die ihn verdientermaßen hinrichten ließen50-1.
Während dieser ganzen Zeit arbeiteten der polnische Reichstag und die Delegation an der sogenannten Verfassungsreform. Alles, was den ständigen Staatsrat betraf, ward geregelt. Auch wurden Fonds im Betrage von 1 Million 200 000 Talern für die Apanage des Königs angewiesen, andere für den Unterhalt der Armee bestimmt. Der Artikel über die Dissidenten, den man für den Heikelsten hielt, ward aus Furcht vor der Gärung, die er in den Gemütern hervorrufen konnte, für den Schluß des Reichstages aufgespart.
Da verbreitete sich neuer Lärm in Polen. Die Nation zeterte darüber, daß die Österreicher und Preußen ihre Grenzen angeblich unbeschränkt ausdehnten. Diese Klagen waren nicht ganz grundlos; denn die Österreicher, die eine der sämtlich ungenauen Karten von Polen mißbrauchten, hatten die Namen zweier Flüsse, des Sbrucz und des Podhorce, verwechselt und unter diesem Vorwand ihre Grenzen viel weiter gezogen, als es ihnen nach dem Teilungsvertrage zustand. Nun war aber ausgemacht worden, daß die drei Anteile so völlig gleich sein sollten, daß keine der drei Mächte mehr als die anderen erhielte. Da die Österreicher diese Bedingung verletzt hatten, glaubte der König es ebenso machen zu dürfen. Er dehnte also seine Grenzen aus und schloß die Alte und Neue Netze in den Teil von Pomerellen ein, den er schon besaß50-2. Der Petersburger Hof legte sich ins Mittel, und der König versprach, seine Grenzen wieder einzuschränken, wenn der Wiener Hof ein gleiches täte.
Die Polen hatten von dem Streit zwischen den drei Höfen erfahren und hielten den Augenblick für gekommen, um durch ihre Umtriebe Zwist, Erbitterung und Neid zwischen ihnen stiften zu können. Zu dem Zweck ward der polnische Kronfeldherr, Graf Branicki, nach Petersburg geschickt50-3, angeblich um die Sache der Republik zu vertreten, mehr aber, um die Zarin gegen Preußen und Österreicher zu erbittern, die sich in Polen als Herren ausspielten. Dieser Mann hatte, bevor er Kronfeldherr ward, Poniatowski nach Petersburg begleitet, als dieser noch nicht König war50-4. Damals hatte er Gelegenheit gehabt, Katharina und Poniatowski kleine Dienste zu<51> leisten, die die Zarin nicht vergessen hatte, und als er wieder an ihren Hof kam, erwies sie ihm Freundlichkeiten, die sich freilich nur auf seine Person erstreckten. Er erreichte also nicht das große Ziel der Republik, alles Geschehene ungültig zu machen, wohl aber gelang es ihm, die russische Eitelkeit und Eigenliebe aufzustacheln, indem er der Zarin vorstellte, es sei für sie Ehrensache, nicht zu dulden, daß die Preußen und Österreicher ihren Despotismus in Polen aufrichteten. Sogleich gingen Mahn-schreiben an den König wie an die Kaiserin-Königin ab, das Wohlwollen, das die Zarin für ihre Interessen bekundet habe, nicht zu mißbrauchen51-1. Der König antwortete auf diese Ermahnung in höflicher Form, bat die Zarin, sich des Grundartikels des Teilungsvertrages zu entsinnen, wonach die Anteile gleich sein sollten, und fügte beiläufig hinzu, falls die Hsierreicher ihren Erwerbungen angemessene Grenzen setzen wollten, werde er gern von der Ausdehnung der seinen abstehen, soweit man sie anfechtbar fände; denn es gäbe für ihn keinen Vorteil, den er nicht dem Vorzuge zum Opfer brächte, sich die Freundschaft der Zarin zu erhalten. Ganz anders lautete die Antwort der Kaiserin-Königin. Man merkte an ihrem Stil den Verfasser. Trocken, stolz und anmaßlich gab sie den festen Entschluß der Hsierreicher kund, was sie in Besitz hätten, zu behalten.
All diese Einzelheiten, auf die wir hier eingegangen sind, dürfen jedoch unsere Aufmerksamkeit nicht völlig in Anspruch nehmen. Wir müssen auch einen Blick auf das übrige Europa werfen. Alle Mächte sind durch die politischen Interessen miteinander verkettet, und man darf keins der Ereignisse übergehen, die den Lauf der Weltgeschichte mehr oder minder beeinflussen. Ludwig XV. war im Beginn dieses Jahres51-2 gestorben, und zwar an den Blattern. Die Bischöfe, die ihm den letzten Beistand leisteten, handelten mit empörender Scheinheiligkeit; sie zwangen ihn, für seine Schwächen öffentlich Abbitte zu tun. Er war ein guter, aber schwacher Mensch gewesen; sein einziger Fehler war der, König zu sein. Das neuerungssüchtige französische Volk, das seiner langen Regierung überdrüssig war, riß sein Andenken unbarmherzig in den Staub. Endlich nahm der so ungeduldig erharrte Nachfolger den Thron seines Großvaters ein. Nur weil er König wurde, erntete Ludwig XVI. sofort Beifall. Seine Regierung war das goldene Zeitalter, unter ihm würde niemand unzufrieden sein, er würde die Zeiten Saturns und Nheas zurückführen. Das war die Sprache der Begeisterung; die der Wahrheit beschränkt sich darauf zu sagen, daß der König unfähig war, selbst zu regieren, und daß er Maurepas, den von Ludwig XV. entlassenen Minister, zu seinem Mentor erkor. Bei dessen hohem Alter war nicht zu hoffen, daß Frankreich unter seiner Verwaltung das verlorene Ansehen wiedererlangen würde. Seine Politik mußte sich auf die Erhaltung des Bestehenden beschränken. Wie hätte er sich auch auf große Unternehmungen einlassen können? Ein Achtzigjähriger durfte nicht erwarten, ihr Ende zu erleben. Er mußte freilich an der<52> Finanzreform arbeiten, aber mit welchen Mitteln? Durch Verminderung der Ausgaben? Dadurch hätte er sich bei allen Großen des Reiches verhaßt gemacht. Durch Erschließung neuer Hilfsquellen? Alle Mittel waren erschöpft. Es blieb also kein verständiges Mittel übrig als ein wohlüberlegter Staatsbankrott, durch den man einem völligen Zusammenbruche vorbeugte; aber er fürchtete seine Verwaltung zu beflecken, wenn dies zu seinen Lebzeiten geschähe. Das einzige, was seinen Wiedereintritt ins Ministerium auszeichnete, war die Rückberufung des alten Parlaments und die Verbannung von Maupeou52-1, wofür er von den Juristen gelobt, von den Staatsmännern aber gescholten ward.
Frankreich fürchtete damals einen Bruch zwischen Spanien und Portugal wegen des Forts San Sacramento in Amerika52-2. Auch England fürchtete ein gleiches; denn es hatte selbst Truppen nach Amerika gesandt, nach Boston und anderen Kolonien, um die Unzufriedenheit dieser Provinzen gegen die Regierung ihres Mutterlandes zu unterdrücken52-3. Kam es zwischen Portugal und Spanien zum Kriege, so war der König von England vertragsmäßig verpflichtet, Portugal beizustehen, wodurch er unfehlbar mit den Spaniern in Konflikt geraten wäre. Um sich zu rächen, hätten diese den englischen Kolonien Beistand geleistet und somit die Nation in Gefahr gebracht, die wichtigen Besitzungen in Amerika zu verlieren. Um sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, gewann der Londoner Hof den Kaiser von Marokko und bestimmte ihn, sofort an Spanien den Krieg zu erklären. Indem die Engländer dem Madrider Hofe so ernstliche Sorgen bereiteten, hofften sie, die Feindseligkeiten zwischen Spanien und Portugal hinauszuschieben und zugleich Zeit zu gewinnen, ihre eigenen Kolonien wieder botmäßig zu machen. Infolge so vieler bedeutender Interessen verloren die Engländer damals Europa ganz aus den Augen.
Diese Umstände begünstigten die Interessen des Königs. Während die Engländer und die anderen Mächte sich in schwieriger Lage befanden und an ihren eigenen Vorteil dachten, also weniger auf das achteten, was im übrigen Europa vorging, hatte der König nicht mehr so sehr unter der lästigen Eifersucht der Engländer zu leiden, die sich sonst sicher in die Angelegenheiten des Teilungsvertrages eingemischt hätten. Man versuchte also, mit Hilfe des russischen Hofes die Streitigkeiten mit den Danzigern zu schlichten52-4; der preußische und russische Gesandte52-5 verhandelten, wenn auch erfolglos, mit den Bürgermeistern und Schöffen der Stadt. Diese bestanden so störrisch auf dem Handelsdespotismus, den sie sich über alle anderen Städte an der Weichsel angemaßt hatten, daß sie ihrer Würde etwas zu vergeben glaubten, wenn sie in der geringsten Kleinigkeit nachgaben. Der russische Gesandte merkte, daß er die Unterhandlung mit Güte nicht förderte. Er erklärte ihnen also, da sie die Vorstellungen der Zarin durchaus nicht berücksichtigen wollten, werde er sie ihrem Schicksal überlassen.<53> Darauf kehrte er unverweilt nach Petersburg zurück, um über das Ergebnis seiner Sendung Bericht zu erstatten. Auch der preußische Gesandte kehrte nach Berlin zurück (Juni 1774). Wäre die russische Erklärung nachdrücklicher gewesen, so hätten die Danziger sich ihr zweifellos anbequemt. Aber Katharina ließ diesen Dorn lieber im Fuß ihres Verbündeten stecken, als daß sie ihn herauszog; denn die Streitigkeiten Preußens mit Danzig lieferten stets einen Vorwand zu Schikanen, den Rußland benutzen konnte, sobald das gute Einvernehmen beider Mächte nachließ.
Die Eintracht zwischen den beiden Kaiserinnen war noch viel mehr gestört als zwischen Preußen und Rußland. Das ewige Gezänk des russischen Hofes wegen der Grenzen der österreichischen Erwerbungen begann den Hochmut der Kaiserin-Königin zu verletzen. Zu der Zeit, wo die Gemüter sich schon ereiferten, erhielt man die Abschrift eines zwischen den Höfen von Wien und Konstantinopel unterzeichneten Vertrages vom Jahre 177153-1. Prinz Galizin und Baron Riedesel53-2 waren so geschickt gewesen, ihn sich zu verschaffen. Obwohl das Schriftstück gedruckt ist, glauben wir doch seinen Inhalt kurz wiedergeben zu müssen. Die Kaiserin-Königin verpflichtet sich —so heißt es wörtlich —, Rußland durch Unterhandlungen oder durch Waffengewalt zu zwingen, alle der Pforte abgenommenen Gebiete zurückzugeben. Dafür zahlt der Sultan ihr 10 Millionen Piaster Subsidien als Kriegsentschädigung. Ferner tritt er ihr einen Teil der Walachei und mehrere Bezirke in der Moldau ab.
Obgleich dieser Vertrag nicht ratifiziert wurde, war Fürst Kaunitz so geschickt, oder besser gesagt, spitzbübisch, seinem Hofe einen beträchtlichen Vorschuß darauf auszahlen zu lassen. Wiewohl er später den Teilungsvertrag der drei Kronen unterzeichnete, verfolgte er doch seinen Plan weiter. Er sah nichts als den Vorteil seines Hofes. Wenig zartfühlend in der Wahl seiner Mittel, hätte er gleichzeitig die Russen und Türken betrogen, und so bemerkte man auch, daß der kaiserliche Gesandte Thugut, der den verschiedenen Kongressen zwischen den kriegführenden Mächten beiwohnte, die russischen Interessen soviel wie möglich zu durchkreuzen suchte, freilich nicht geschickt genug, daß der Petersburger und Berliner Hof seine nichtswürdigen Praktiken nicht durchschaut hätten.
Sobald der Friede zwischen den Russen und Türken unterzeichnet war, ergriffen die Österreicher, gleich als ob sie ihren Vertrag mit der Pforte erfüllt hätten, ohne weiteres Besitz von den darin ausbedungenen Teilen der Moldau und Walachei53-3. Sie wußten wohl, daß die Pforte augenblicklich keine Macht finden würde, deren Beistand sie gegen ein so schmähliches Verfahren hätte anrufen können. Dies unredliche und doppelzüngige Benehmen des Wiener Hofes zerstörte den letzten Nest von Vertrauen, den man noch zu ihm hatte. Die Zarin Katharina und der König von Preußen waren empört darüber. Man merkte in Petersburg wohl, daß die Russen nur zum Vorteil des Wiener Hofes so viele Schlachten gewonnen und so viele Eroberungen gemacht hatten.<54> Die Österreicher hatten die Russen nur deshalb zur Rückgabe der Moldau und Walachei an die Türken genötigt, um sich dann selber einen Teil davon anzueignen. Und diese widerrechtliche Besitznahme, die fast bis Chozim reichte, machte den Wiener Hof beim ersten Kriege, der zwischen den Russen und Türken ausbrach, zum Schiedsrichter der Ereignisse; denn diese neuen Gebiete ermöglichten es ihm, die Russen durch den Dnjester von Polen abzuschneiden, von wo sie ihren ganzen Unterhalt beziehen müssen.
Auch der König hatte Ursache, sich über den Wiener Hof zu beschweren. Hatte er doch auf dessen Veranlassung die Russen bewogen, von ihren Eroberungen abzustehen. Diese offenbaren Betrügereien enthüllten die Vergrößerungsgier der Öfterreicher, ihren maßlosen Ehrgeiz, und mußten den anderen Mächten zur Warnung dienen, vor ihren künftigen Unternehmungen auf der Hut zu sein. Wie man wußte, wünschte der junge Kaiser das venezianische Friaul zu erobern; er hatte Absichten auf Bayern und gedachte sich Bosniens zu bemächtigen, ganz zu geschweigen von Schlesien, Elsaß und Lothringen, deren Verlust er nicht verschmerzt hatte. Der Kaiser war der unversöhnliche Feind des Hauses Brandenburg, sodaß man sich seiner Ver-größerung systematisch widersetzen mußte. Die Russen hätten gern gesehen, daß der König alles auf sich nähme und als tapferer Ritter Österreich zum Kampfe herausforderte. Aber die betrogenen Türken wahrten dumpfes Schweigen: wie soll man dem beistehen, der sich nicht beklagt? Die Russen waren durch den eben beendeten Krieg erschöpft und hatten weder die Mittel noch den Willen, mit dem König gemeinsam zu handeln. Frankreich hatte sich über diese Dinge nicht ausgesprochen, und England stand im Bürgerkrieg mit seinen Kolonien, den es aus Despotismus unternommen hatte und den es so ungeschickt führte, daß vorauszusehen war, er werde in den nächsten Jahren kein Ende finden. Alle diese Erwägungen bewirkten, daß der Berliner Hof sich untätig verhielt. Der König schrieb nach Petersburg, es siehe ihm nicht an, den Don Quichotte der Türkei zu spielen.
Als die Erbitterung zwischen den drei Höfen ihren Höhepunkt erreicht hatte, sollte die Delegation Deputierte schicken, um gemeinsam mit denen der drei Mächte die Grenzen ihrer Besitzungen festzustellen (November 1774). Die österreichischen und preußischen Kommissare konnten sich über nichts mit ihnen einigen, nicht einmal über die Ausgangspunkte der Grenzregulierung. Fürst Kaunitz verlangte die Vermittlung von Rußland und Preußen; aber die Gemüter waren an beiden Höfen zu erbittert, als daß man ihm hätte willfahren können. Zwar behielten die Kaiserin Theresia und der König ihre Erwerbungen in vollem Umfang, aber sie vermochten die gesetzliche Abtretung von der Republik nicht zu erlangen.
Aus allem Angeführten geht also hervor, daß Europa sich in keiner gefestigten Lage befand und sich keines gesicherten Friedens erfreute: überall glomm das Feuer unter der Asche. Im Süden Europas war vorauszusehen, daß der Bürgerkrieg der EngAnder mit ihren Kolonien allgemein werden konnte, sobald Frankreich und Spanien daran teilnahmen. Ein gleiches galt von dem Teilungsvertrage, der neue Wirren<55> hervorrufen konnte, wenn er durch die Republik Polen nicht bestätigt wurde. Ebenso stand es mit dem russisch-türkischen Frieden, dessen Bedingungen man in Konstantinopel empörend fand; es schien, als ob der aus Not geschlossene Vertrag im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt wieder gebrochen werden müßte. Auch der Staatsstreich in Schweden ließ Keime der Unzufriedenheit im Norden zurück. Was aber war nicht erst von dem maßlosen Ehrgeiz eines jungen Kaisers zu erwarten, dem ein ränkesüchtiger und treuloser Minister zur Seite stand, ein Mann, der sich eine Ehre daraus machte, die zu betrügen, mit denen er unterhandelte! Alle diese Erwägungen nötigten die vorsichtigen Herrscher, auf ihrer Hut zu sein, gut gerüstet zu bleiben und den Blick nicht von den Geschäften abzuwenden; denn sie konnten sich in einem Augenblick verwickeln, wo man es am wenigsten erwartete.
Durchläuft man die Geschichte, so scheint es, als ob Umwälzungen und Veränderungen ein ständiges Naturgesetz seien. Alles auf Erden ist dem Wechsel unterworfen, und doch hängen sich Toren an die Gegenstände ihres Ehrgeizes, die sie vergöttern, und durchschauen nie die Gaukelbilder dieser Zauberlaterne, die ihnen unaufhörlich Neues vor Augen führt. Doch es gibt Spielzeug für jedes Lebensalter: die Liebe für die Jugend, den Ehrgeiz für die reifen Jahre und die politischen Berechnungen für die Greise.
<56>2. Kapitel
Finanzwesen
Die Fürsten sollen wie die Lanze Achills sein, die Wunden schlug und heilte. Tun sie den Völkern Schaden, so haben sie die Pflicht, ihn wieder gut zu machen. Sieben Kriegsjahre gegen fast alle europäischen Mächte hatten die Staatsfinanzen allmählich erschöpft. Ostpreußen, die rheinischen und westfälischen Provinzen, ebenso Ostftriesland waren, da sie nicht verteidigt werden konnten, in die Gewalt der Feinde gefallen. Ihr Verlust verursachte einen Ausfall von 3 Millionen 400 000 Talern in der Staatskasse. Auch Pommern, die Kurmark und die schlesischen Grenzgebiete waren während eines Teiles des Krieges von den Russen, Österreichern und Schweden besetzt worden, sodaß sie außerstande waren, ihre Steuern zu entrichten. Bei dieser peinlichen Lage mußte man während des Krieges seine Zuflucht zur äußersten Sparsamkeit und zur entschlossensten Tapferkeit nehmen, um ihn zu einem glück lichen Ende zu führen. Die Hilfsquellen, deren man am dringendsten bedurfte, waren die Kriegskontributionen von Sachsen, die englischen Subsidien und die Münzverschlechterung, ein ebenso gewaltsames wie schädliches Mittel, doch unter diesen Umständen das einzige, durch das der Staat sich hochhalten konnte. Diese Mittel lieferten bei großer Sparsamkeit so viel Vorschüsse in die königlichen Kassen, um die Kosten des Feldzuges und den Sold der Armee zu bezahlen.
Das war die Finanzlage, als der Hubertusburger Friede zustande kam. Die Kassen waren bei Geld, die für den nächsten Feldzug angelegten Magazine gefüllt und die Pferde für die Armee, die Artillerie und die Trains komplett und in gutem Stande. Für die Fortsetzung des Krieges bestimmt, wurden diese Mittel noch viel nützlicher zur Wiederaufrichtung der Provinzen.
Um sich einen Begriff von der allgemeinen Zerrüttung zu machen, in die das Land gestürzt war, um sich die Trostlosigkeit und Entmutigung der Untertanen vorzustellen, muß man sich völlig verheerte Landstriche vergegenwärtigen, wo sich kaum die Spuren der früheren Wohnstätten entdecken ließen, Städte, die von Grund aus zerstört, andere, die zur Hälfte in Flammen aufgegangen waren, 13 000 Häuser, die bis auf die letzte Spur vertilgt waren, nirgends bestellte Äcker, kein Korn zur Ernährung der Einwohner; 60 000 Pferde fehlten den Landleuten zur Feldarbeit, und im ganzen<57> Lande hatte sich die Bevölkerung um 500 000 Seelen gegenüber dem Jahre 1756 vermindert, was bei 4½ Millionen Seelen viel bedeutet. Adel und Bauern waren von so vielen verschiedenen Heeren ausgeplündert, gebrandschatzt und ausfouragiert, daß ihnen nur das nackte Leben blieb und elende Lumpen, um ihre Blöße zu bedecken. Kein Kredit zur Befriedigung der alltäglichsten Bedürfnisse, die die Natur erheischt; keine Polizei mehr in den Städten; statt des Rechts- und Ordnungssinnes nur noch schnöder Eigennutz und zügellose Anarchie. Die Gerichte und Finanzbehörden waren durch die häufigen Einfälle so vieler Feinde außer Tätigkeit gesetzt; das Verstummen der Gesetze zeitigte im Volke die Neigung zur Zuchtlosigkeit, und so entstand zügellose Gewinnsucht. Der Edelmann, der Kaufmann, der Pächter, der Arbeiter, der Fabrikant, alle erhöhten um die Wette den Preis ihrer Lebensmittel und Waren und schienen nur auf ihr gegenseitiges Verderben hinzuarbeiten. Das war der düstere Anblick, den so viele einst blühende Provinzen nach Beendigung des Krieges boten. So ergreifend auch die Schilderung davon sein mag, sie wird nie an den erschütternden und schmerzlichen Eindruck heranreichen, den der Anblick gewährte.
In einer so beklagenswerten Lage mußte man dem Mißgeschick mutig entgegentreten, am Staate nicht verzweifeln, sondern sich vornehmen, ihm nicht bloß wieder aufzuhelfen, sondern ihn auch zu verbessern. Eine Neuschöpfung mußte unternommen werden. Man fand in den Staatskassen Mittel zum Wiederaufbau der Städte und Dörfer. Den Vorratsmagazinen wurde das nötige Korn zur Ernährung der Bevölkerung und zur Aussaat entnommen. Die Artillerie-, Bagage- und Trainpferde wurden für den Ackerbau verwandt. Schlesien wurde für sechs Monate, Pommern und die Neumark für zwei Jahre von der Steuer befreit. 20 Millionen 389 000 Taler wurden zur Unterstützung der Provinzen und zur Abtragung der Kriegsschulden gespendet, die sie aufgenommen hatten, um die von den Feinden geforderten Auflagen zusammenzubringen. So groß diese Ausgabe war, sie war doch notwendig und unerläßlich.
Die Lage der Provinzen nach dem Huberlusburger Frieden erinnerte an die Lage Brandenburgs nach dem berüchtigten Dreißigjährigen Kriege. Damals erhielt der Staat aus Mangel an Mitteln keine Hilfe: der Große Kurfürst war außerstande, seinem Volke aufzuhelfen. Und was war die Folge davon? Ein volles Jahrhundert verstrich, ehe es seinen Nachfolgern gelang, die Verwüstungen in Stadt und Land wieder gutzumachen. Dies schlagende Beispiel, was der Staat gelitten hatte, weil die Hilfe nicht zur Zeit kam, bestimmte den König, unter so traurigen Verhältnissen nicht einen-Augenblick zu verlieren, sondern schleunige und ausreichende Hilfe zu leisten, um dem öffentlichen Notstand zu steuern. Mannigfache Spenden gaben den armen Einwohnern, die schon an ihrem Lose verzweifelten, neuen Mut. Dank den ihnen gelieferten Mitteln kehrte die Hoffnung wieder, und die Staatsbürger erwachten zu neuem Leben. Die Aufmunterung zur Arbeit rief Betriebsamkeit hervor; die Vaterlandsliebe erstarkte, und alsbald wurden alle Felder wieder bebaut, die<58> Fabriken nahmen ihre Arbeit wieder auf, und die neu geordnete Polizei beseitigte allmählich die Mißstände, die sich in der Zeit der Rechtlosigkeit eingeschlichen hatten.
Während des Krieges waren die ältesten Räte und alle Minister des Generaldirektoriums nacheinander weggestorben, und in jenen wirren Zeiten hatte man sie unmöglich ersetzen können. Es hielt schwer, neue geeignete Männer zur Leitung dieser verschiedenen Ämter zu finden. Man fahndete nach ihnen in den Provinzen, aber tüchtige Leute waren dort ebenso selten wie in der Hauptstadt. Schließlich wurden Blumenthal, Massow, Hagen und General Wedell58-1 für diese wichtigen Ämter ausgewählt; bald danach erhielt Horst58-2 das fünfte Departement.
Die ersten Zeiten der Verwaltung waren hart und verdrießlich. Bei allen Einnahmen ergaben sich Ausfälle, und doch mußten die Staatsausgaben pünktlich bezahlt werden. Obgleich die Armee nach dem Kriege durch Entlassungen auf 150 000 Mann herabgesetzt war, fiel es schwer, das nötige Geld zu ihrer Besoldung aufzutreiben. Während des Krieges hatte man sich bei allen Zahlungen, die nicht das Heer betrafen, mit Papiergeld Wolfen. Auch diese Schuld mußte abgetragen werden; sie fiel außer den übrigen Zahlungen schwer zur Last. Trotzdem erreichte es der König schon im ersten Friedensjahre, alle Staatsgläubiger zu befriedigen und keinen Heller Kriegsschulden mehr zu haben.
Doch es schien, als hätten die Verheerungen des Krieges noch nicht hingereicht, um den Staat zu zerrütten und zugrunde zu richten. Kaum war der Friede geschlossen, so stifteten zahlreiche Feuersbrünsie fast ebensoviel Schaden, wie die Feinde angerichtet hatten. Zweimal ging Königsberg in Flammen auf (1765 und 1769). In Schlesien ereilte ein gleiches Schicksal die Städte Freistadt, Ober-Glogau, Parchwitz, Haynau, Naumburg am Queis und Goldberg, in der Kurmark Nauen, in der Neumark Callies und einen Teil von Landsberg, in Pommern Belgard und Tempelburg. Diese Unglücksfälle erforderten immerfort neue Ausgaben und Hilfeleistungen.
Um so viele außergewöhnliche Bedürfnisse zu bestreiten, mußte man sich neue Einnahmequellen ersinnen. Denn außer den Summen, die zur Wiederherstellung der Provinzen nötig waren, verlangten die neuen Befestigungen und das Umgießen der Geschütze beträchtliche Aufwendungen, von denen seinerzeit die Rede sein wird. Die Bestreitung so großer Ausgaben, die die Notlage heischte, erforderte Fleiß.
Die Einkünfte aus Zöllen und Akzise waren nachlässig verwaltet worden, well den Beamten die Aufsicht fehlte. Um diesen wichtigen Zweig der Staatseinkünfte auf eine solide Basis zu stellen, sah der König sich gezwungen, Ausländer heranzuziehen, da die früheren Leiter dieses Verwaltungszweiges während des Krieges gestorben waren. Zu dem Zweck nahm er ein paar Franzosen in Dienst, die lange Erfahrung in diesem Berufe besaßen58-3. Er setzte keine Generalpächter ein, sondern schuf als geeignetstes Mittel eine Regie, durch die er verhindern konnte, daß die Steuerbeamten<59> das Volk drückten, wie dies in Frankreich nur zu sehr der Fall ist. Die Kornzölle würden ermäßigt und der Bierpreis zum Ausgleich etwas erhöht. Dank dieser neuen Einrichtung nahmen die Einkünfte, besonders aus den Zöllen, zu, und durch sie kam fremdes Geld ins Land. Der größte Vorteil aber, der sich daraus ergab, war das Nachlassen des Schmuggels, der jedes Land, das Manufakturen hat, schwer schädigt.
Exportiert ein Land wenig Erzeugnisse und ist es genötigt, den Gewerbfleiß seiner Machbaren in Anspruch zu nehmen, so muß sich eine ungünstige Handelsbilanz ergeben. Es zahlt mehr Geld ans Ausland, als es erhält, und dauert der Zustand an, so ist es nach einer Reihe von Jahren ohne Geld. Man entnehme aus einer Börse täglich Geld und tue keins wieder hinein, so wird sie bald leer sein. Ein Beispiel dafür liefert Schweden. Um diesem Übelstand abzuhelfen, gibt es nur ein Mittel: die Vermehrung der Manufakturen. An den eigenen Rohstoffen verdient man alles und an den ausländischen wenigstens den Arbeitslohn. Diese Tatsachen, die ebenso wahr wie handgreiflich sind, wurden zur Richtschnur für die Regierung; nach ihr wurden alle Handelsoperationen geleitet. So ergab sich denn im Jahre 1773 eine Vermehrung der Fabriken in den Provinzen um 264. Unter anderm wurde in Berlin eine Porzellanmanufaktur begründet59-1, die 500 Arbeiter ernährte und die sächsische bald übertraf. Man führte die Tabaksfabrikation im großen ein, die einer Kompagnie übertragen wurde. Sie unterhielt Fabriken in allen Provinzen, die das Land selbst versorgten und durch Verkauf ans Ausland so viel verdienten, als ihnen der Ankauf des virginischen Rohtabaks kostete. Dadurch hoben sich die Staatseinkünfte, und die Aktionäre erhielten 10 % Zinsen aus ihren Einlagen.
Durch den letzten Krieg war der Wechselkurs für den preußischen Handel nachteilig geworden, obwohl seit der Unterzeichnung des Friedens das schlechte Geld umgeprägt und auf den früheren Fuß gebracht worden war. Nur die Gründung einer Bank konnte diesem Übelstand abhelfen. Voreingenommene Leute, die den Gegenstand nicht genügend durchdacht hatten, behaupteten zwar, eine Bank könne nur in einer Republik gedeihen; nie aber würde ein Mensch Vertrauen zu einer Bank haben, die in einer Monarchie errichtet würde. Das war falsch: es gibt Banken in Kopenhagen, Rom und Wien. Man ließ das Publikum also reden und schritt zur Tat. Um festzustellen, welches System den Landesverhältnissen am besten entsprechen würde, verglich man die verschiedenen Bankarten miteinander und erkannte eine Girobank mit Lombardverkehr als die geeignetste. Zu ihrer Gründung59-2 schoß der Hof ein Grundkapital von 800 000 Talern vor. Zu Anfang hatte die Bank einige Verlusie durch die Unwissenheit oder Unehrlichkeit ihrer Leiter. Sobald aber Hagen an ihre Spitze trat, kam Genauigkeit und Ordnung hinein. Banknoten wurden nur so weit ausgegeben, als Deckung durch Bargeld vorhanden war. Außer der Bequemlichkeit, die das Institut für den Handel brachte, erwuchs aus ihm noch ein<60> anderer Vorteil für das Publikum. Bisher hatten die Mündelgelder bei den Gerichten deponiert werden müssen, und die Mündel hatten während der Dauer ihrer Prozesse keine Zinsen von ihren Kapitalien erhalten, sondern noch jährlich 1 % zuzahlen müssen. Seitdem wurden diese Gelder bei der Bank deponiert, die den Mündeln 3 % Zinsen auszahlte, sodaß sie also unter Anrechnung dessen, was sie früher an die Justiz bezahlten, tatsächlich 4 % erhielten. Als dann durch den Zusammenbruch von Neufville60-1 und anderen ausländischen Firmen einige preußische Kaufleute bankrott machten, wäre der Kredit gesunken, hätte die Bank ihn durch ihr Eingreifen nicht gehalten und wieder hoch gebracht. Bald kam der Wechselkurs auf pari; nun sahen die Kaufleute, durch die Tatsachen überführt, die Nützlichkeit und Notwendigkeit des Instituts für ihren Handel ein. Schon hatte die Bank Zweigstellen in allen Großstädten Preußens; mehr noch, sie besaß eigene Häuser in allen europäischen Handelsplätzen. Das erleichterte den Geldumlauf, die Zahlungen der Provinzen, und zugleich verhinderte das Lombardsystem, daß die Wucherer die armen Fabrikanten aussogen, die ihre Produkte nicht rasch genug losschlagen konnten. Aber nicht nur das Publikum hatte Vorteil davon, auch die Regierung schuf sich durch den Bankkredit Hilfsquellen für die großen Staatsbedürfnisse.
Fürsten wie Bürger müssen einerseits Geld ansammeln, wenn sie andrerseits Ausgaben zu machen haben. Gute Landwirte leiten die Wasserläufe auf unfruchtbare Äcker, die ohne Bewässerung keinen Ertrag geben würden. Nach dem gleichen Prinzip vermehrte die Regierung ihre Einkünfte, um sie zu nötigen Ausgaben für das Gemeinwohl zu verwenden. Sie beschränkte sich nicht darauf, die Schäden des Krieges zu heilen, sie wollte auch alles vervollkommnen, was verbesserungsfähig war. Sie nahm sich also vor, jede Art von Boden nutzbar zu machen, Sümpfe auszutrocknen, dem Ackerbau durch Erhöhung des Viehbestandes aufzuhelfen, ja selbst Sandboden durch Anpflanzung von Wäldern nutzbar zu machen.
Obwohl wir hier auf kleine Einzelheiten eingehen müssen, glauben wir doch, sie können der Nachwelt von Wert sein. Die erste Unternehmung dieser Art war die Urbarmachung des Warthe- und Netzebruchs, nachdem das stehende Wasser durch mehrere Kanäle abgeleitet war, die es auf verschiedenem Wege zur Oder führten. Die Kosten betrugen 750 000 Taler; 3 500 Familien wurden dort angesiedelt. Der Adel und die an diesen Wasseradern liegenden Städte erhöhten ihre Einkünfte beträchtlich. Das ganze Werk war 1773 beendet; die dortige Bevölkerung belief sich bereits auf 15 000 Seelen. Danach wurden der Madü-See und die Sümpft bei Friedeberg abgeleitet und dort 400 Familien aus dem Auslands angesiedelt60-2. In Pommern wurde der Leba-See abgeleitet; dadurch gewann der Adel 30 000 Morgen Ähnliche Kanalisierungen fanden in der Umgegend von Stargard, kammin, Treptow, Rügenwalde und Kolberg statt. In der Mark wurden die Havel<61>sümpft, das Rhinluch bei Fehrbellin, die Finowsümpfe zwischen Rathenow und Ziesar kanalisiert, ganz zu geschweigenn von den bedeutenden Summen, die zur Melioration der Adelsgüter aufgewandt wurden. Gleichzeitig wurden in Friesland, und zwar im Dollart, Deiche errichtet, durch die man dem Meere Fuß um Fuß das Land abrang, das es im Jahre 1724 überschwemmt hatte. Im Magdeburgischen wurden 2000 neue Familien angesiedelt. Ihre Arbeitskraft war dort um so erwünschter, als bisher die thüringischen Bauern zur Erntearbeit ins Land gekommen ware61-1; seitdem wurden sie entbehrlich. Die Krone besaß zuviel Vorwerke. Mehr als 150 wurden in Dörfer verwandelt. Was sie dadurch an Einkünften verlor, gewann sie durch Bevölkerungszuwachs reichlich wieder. Ein Vorwerk hat nicht mehr als sechs Insassen.; seit sie in Dörfer verwandelt wurden, hatte jedes mindestens dreißig Einwohner. Soviel Fürsorge der verstorbene König auf die Neubevölkerung Ostpreußens verwandt hatte, das 1709 von der Pest verheert worden war, es war ihm doch nicht gelungen, das Land wieder auf die frühere Höhe zu bringen. Der jetzige König wollte, daß die Provinz den anderen nicht nachstände; er hatte sie seit dem Tode seines Vaters um 13 000 neue Familien vermehrt. Wird sie in Zukunft nicht vernachlässigt, so kann die Volkszahl noch um mehr als 100 000 Seelen gesteigert werden.
Schlesien erforderte nicht weniger Fürsorge und Aufmerksamkeit als die anderen Provinzen. Man begnügte sich nicht damit, das Land wieder auf den alten Stand zu bringen, sondern wollte es auch verbessern. Die Geistlichen mußten zum Gemeinwohl beitragen: die reichenÜbte wurden genötigt, Manufakturen anzulegen Hier wurde Tafelleinen hergestellt, dort erstanden Ölmühlen oder Gerbereien; wo anders wurden Lederwaren- oder Drahtfabriken eingerichtet, je nach der örtlichkeit und nach den Erzeugnissen der Gegend. Auch die ackerbautreibende Bevölkerung in Niederschlesien wurde um 4 000 Familien vermehrt. Man erstaunt gewiß, daß dies in einem Lande gelang, wo kein Feld unbestellt bleibt. Der Grund ist der, daß viele Gutsherren zur Vergrößerung ihres Grundbesitzes nach und nach die Wer ihrer Bauern aufgekauft hatten. Wäre dieser Mißbrauch geduldet worden, so wären mit der Zeit viele Bauernhöfe verödet, und da es an Arbeitskräften zur Bestellung des Bodens gefehlt hätte, wäre der Ertrag gesunken. Kurz, jedes Dorf hätte seinen Gutsherrn, aber keine Bauern mehr gehabt. Nun aber kettet die eigene Scholle den Besitzer ans Vaterland; denn wer nichts besitzt, empfindet auch keine Anhänglichkeit an ein Land, in dem er nichts zu verlieren hat. Nachdem dies alles den Gutsherren klar gemacht war, bewog man sie, ihre Bauern im eigenen Interesse wieder auf den alten Besitzstand zubringen.
Dafür half der König dem Adel durch beträchtliche Summen, seinen völlig zerrütteten Kredit wiederherzustellen. Viele vor dem Kriege oder während desselben in Schulden geratene Familien standen vor dem Zusammenbruch: die Gerichte gewährten ihnen Moratorien für zwei Jahre, damit sie ihre Güter inzwischen wieder<62> ertragfähig machen und wenigstens die Zinsen bezahlen konnten. Aber die Moratorien untergruben den Kredit des Adels vollends. Der König, dem es Freude machte und der es auch als seine Pflicht ansah, den ersten und glänzendsten Stand seines Staates zu unterstützen, bezahlte dem Adel 300 000 Taler Schulden; aber die Schuldenlast der Güter betrug 25 Millionen Taler, und so galt es, wirksamere Mittel ausfindig zu machen. Der Adel wurde zu „Landschaften“ organisiert, und diese Verbände hafteten für die aufgenommenen Schulden62-1. Es wurden für 20 Millionen Pfandbriefe ausgegeben, und diese stellten nebst 200 000 Talern, die der König zur Bestreitung der dringendsten Zahlungen hergab, den verlorenen Kredit bald wieder her. Vierhundert der vornehmsten Familien dankten dieser heilsamen Maßregel ihre Erhaltung. In Pommern und der Neumark ging es dem Adel ebenso schlecht wie in Schlesien. Die Regierung zahlte für ihn 500 000 Taler Schulden und gab weitere 500 000 Taler aus, um seine Güter wieder ertragfähig zu machen.
Auch die Städte, die während des Krieges am meisten gelitten hatten, bekamen Unterstützungen. Landeshut erhielt 200 000 Taler, Striegau 40000, Halle 40 000, Krossen 24 000, Neppen 6 000, Halberstadt 40 000, Minden 20 000, Bielefeld 15 000 und die Städte im Hohensteinschen 13 000 Taler.
Alle diese Ausgaben waren nötig; man mußte sich eilen, Geld in die Provinzen zu bringen, um ihnen desto rascher wieder aufzuhelfen. Hätte man unter solchen Umständen geknausert, das Land hätte sich vielleicht erst in hundert Jahren wieder erholt. Aber dank der Tatkraft, mit der die Sache angefaßt wurde, kehrten mehr als 100 000 Einwohner, die ihr Vaterland verlassen hatten, wieder heim. Und so hatte die Bevölkerung 1773 gegenüber dem Jahre 1756 einen Zuwachs von über 200 000 Menschen aufzuweisen. Doch dabei blieb man nicht stehen. In der Erwägung, daß die Einwohnerzahl den Reichtum der Herrscher bildet, fand man Mittel und Wege, in Oberschlesien 213 neue Dörfer mit 23 000 Seelen zu errichten. Auch wurde der Plan aufgestellt, die Landbevölkerung in Pommern um 50 000 und in der Kurmark um 12 000 Seelen zu vermehren; er kam gegen 1780 zur Vollendung. Wollen wir das Ergebnis dieser Kolonisation feststellen, so brauchen wir nur die Einwohnerzahl von 1740 mit der von 1779 zu vergleichen.
Provinz | Einwohnerzahl | |
1740 | 1779 | |
Ostpreußen | 370 000 | 780 000 |
Kurmark | 480 000 | 710 000 |
Magdeburg und Halberstadt | 220 000 | 280 000 |
Schlesien | 1 100 000 | 1 520 000 |
Die Vermehrung betragt also insgesamt 1 120 000 Seelen.
Vielleicht glaubt man, solche ungeheuren Aufwendungen hätten die Staatsmittel und Einkünfte erschöpft. Dazu kamen aber noch die Ausgaben für die Festungen, sowohl für den Ausbau der alten wie für die Anlage von neuen, und die Summen, die die Wiederinstandsetzung der Artillerie verschlang, insgesamt 5 Millionen 900 000 Taler. Doch die Regierung bestritt alle Kosten. Der König gab nichts für Schaugepränge aus, wie es an großen Höfen üblich ist. Er lebte nur als Privatmann, um den höchsten Pflichten seines Amtes zu genügen. Dank strenger Sparsamkeit wurde der große und der kleine Staatsschatz aufgefüllt, jener für die Kriegsausgaben, dieser zum Ankauf der Pferde und für die Mobilmachungskosten. Ferner wurden 900 000 Taler in Magdeburg und 4 Millionen 200 000 Taler in Breslau niedergelegt zum Ankauf von Fourage63-1. Dies Geld war vorhanden, als der Krieg zwischen der Zarin Katharina II. und Mustapha ausbrach (1769). Laut dem Vertrage mußten alljährlich 500 000 Taler Subsidien an Rußland gezahlt werden63-2, solange die Wirren in Polen und in der Türkei währten. Das Staatswohl und die Bundestreue verlangten diese Ausgabe, die übrigens sehr ungelegen kam, besonders wegen der großen Finanzoperationen, die eben im Gange waren und die allein beträchtliche Summen verschlangen. Es war also Sache der Politik, den Staat für die nach Rußland gesandten Gelder zu entschädigen, die unter den damaligen Umständen den preußischen Provinzen nützlicher gewesen wären.
Im folgenden Jahre (1770) entstand in ganz Nordeuropa eine große Teuerung infolge des lang anhaltenden Frostes, der alle Feldfrüchte vernichtete. Neues Elend drohte dem Volke; eine neue Notwendigkeit gebot, ihm zu helfen. Die Armen erhielten umsonst Brotkorn. Da aber der Nahrungsmittelkonsum zurückging, so hatte die Akzise einen Ausfall von 500 000 Talern. Der König hatte große Vorratsmagazine in Schlesien und in seinen Erblanden angelegt. 76 000 Wispel waren zur Ernährung der Armee für zwölf Monate aufgespeichert. Außerdem bestand noch ein Lager von 9 000 Mispeln für die Bedürfnisse der Hauptstadt. Diese weisen Vorkehrungen beschützten das Volk vor der drohenden Hungersnot (1771). Die Armee wurde aus den Magazinen beköstigt; auch das Volk erhielt Brot- und Saatkorn aus ihnen. Ebenso brachte das folgende Jahr (1772) eine Mißernte, aber wenn der Scheffel Weizen im preußischen Staate auf 2 Taler und einige Groschen stieg, so war das Elend bei den Nachbarn noch viel größer: in Sachsen und Böhmen wurde er mit 5 Talern bezahlt. Sachsen verlor über 100 000 Einwohner, die teils verhungerten, teils auswanderten. Böhmen verlor wenigstens 180 000 Seelen. Wer 20 000 böhmische und sächsische Bauern suchten in Preußen Zuflucht gegen die Not. Sie wurden mit offenen Armen aufgenommen und dienten zur Besiedlung der neu erschlossenen Gebiete.
<64>Die Leiden, die die Untertanen anderer Mächte zu erdulden hatten, rührten daher, daß in keinem Lande, außer in Preußen, Magazine vorhanden waren. Hier allein war man gegen die Notlage gerüstet und konnte sie durch Maßregeln beheben, die die Klugheit diktiert hatte. So hinderte sie die Regierung nicht, den vorgezeichneten Plan der Verbesserungen im Lande mit gleicher Tatkraft weiterzuverfolgen.
Wie die Erfahrung lehrte, war die Sterblichkeit des Viehes in der Mark größer als in Schlesien. Man suchte nach den Ursachen und entdeckte ihrer zwei. Erstens benutzte man in der Mark wie in den anderen Provinzen nicht, wie in Schlesien, das Steinsalz, das dort aus den Salzbergwerken von Wieliczka bezogen wurde. Zweitens kannten die Einwohner der Mark und Pommerns keine Stallfütterung, sondern trieben ihr Vieh auf die Weide, auch wenn das Futter durch den Brand verdorben war. Seitdem die neue Fütterungsart eingeführt war, nahm das häufige Viehsterben sichtlich ab, und die Gutsbesitzer hatten weniger Schaden als früher.
Da man sorgfältig alle Produkte überwachte, die vom Ausland eingeführt wurden, ergab sich bei Prüfung der Zollregister, daß für 280 000 Taler fremde Butter eingeführt wurde. Um ein so wichtiges Nahrungsmittel selbst zu liefern, berechnete man alles, was die neuen Meliorationen einbringen konnten. Eine Kuh, deren Milch zu Butter gemacht wird, bringt durchschnittlich 5 Taler ein. Man berechnete nun, wieviel Kühe durch die neuen Urbarmachungen ernährt werden konnten, und es ergab sich die Summe von 48 000 Kühen, gleich einer Einnahme von 240 000 Talern. Nun mußte aber der Konsum der Besitzer abgezogen werden. Rechnete man das hierfür nötige Vieh hinzu, so mußte die Anzahl der Kühe auf 62 000 erhöht werden. Das Problem blieb noch zu lösen, aber man konnte doch dahin gelangen; denn nach allem bisher Geleisteten blieben nur noch kleinere Gebiete urbar zu machen, die für den Rest genügt hätten.
Die Regierung hatte sich vorgenommen, alles Mangelhafte im alten Betriebe zu vervollkommnen. Sie prüfte die verschiedenen Zweige der Landwirtschaft mit Aufmerksamkeit und stellte fest, daß alle sogenannte Gemeinwirtschaft dem allgemeinen Wohl schadete. Erst mit der Aufteilung des Gemeingutes war die englische BodenWirtschaft vorwärts gekommen. Eine monarchische Regierung, die die Bräuche republikanischer Staaten nachahmt, verdient den Vorwurf des Despotismus nicht. Jenes löbliche Beispiel ward also nachgeahmt. Man setzte Gerichts- und Ökonomiekommissare ein, um die gemeinsamen oder im Gemenge durcheinanderliegenden Weiden und Äcker aufzuteilen. Anfangs stieß der Plan auf große Schwierigkeiten; denn die Gewohnheit, die Herrscherin der Mode, schaltet gebieterisch über beschränkte Geister. Als aber einige solche Aufteilungen zur Zufriedenheit der Besitzer ausschlugen, machte das Eindruck auf die Öffentlichkeit, und bald kam das gleiche Verfahren in allen Provinzen zur Anwendung.
In einem Teil der Mark und Pommerns gibt es höher gelegene Landstriche, die von Flüssen und Wasserläufen weit entfernt sind. Infolgedessen fehlt es ihnen an <65>Weideland und am nötigen Dünger für den Ackerbau. Der Fehler lag mehr an der Örtlichkeit als am mangelnden Fleiß der Eigentümer. Obwohl der Mensch die Natur nicht verändern kann, wollte man doch ein paar Versuche machen, um erfahrungs-mäßig festzustellen, was ausführbar war und was nicht. Zu dem Zweck stellte man einen englischen Pächter an, der auf einer der Krondomänen eine Probe machte. Nach seiner Methode wurden sandige Felder mit Steckrüben, auf englisch turnips, bepflanzt. Man ließ sie verfaulen und säte dann Klee und Grasarten darauf, die das Feld künstlich zur Wiese machten. Auf diese Weise wurde der Viehbestand auf jedem Gute um ein Drittel gehoben. Nachdem die Probe so gut gelungen war, wurde diese vorteilhafte Wirtschaft in allen Provinzen eingeführt.
Wie schon gesagt, hatten der Krieg und die häufigen feindlichen Einfälle eine verderbliche Anarchie in den alten Provinzen gezeitigt. Sie erstreckte sich auf alles, nicht bloß auf Landwirtschaft und Finanzen, sondern auch auf die Wälder, die von den Oberforstmeistern willkürlich abgeholzt waren, da niemand ein Auge auf sie gehabt hatte. Während jenes erbitterten Krieges, der nicht immer Erfolge bringen konnte, hielten diese elenden Forstbeamten und einige Fittanzräte, die an ihrer RäuberWirtschaft teilnahmen, den Staat für rettungslos verloren. Sie glaubten, er werde binnen kurzem den Feinden zur Beute fallen, und sie könnten in einer so verzweifelten Lage nichts Besseres tun, als alles irgend schlagreife Holz zu ihrem Vorteil zu verkaufen; denn niemand würde sie wegen ihrer Unterschleife zur Rechenschaft ziehen. Infolge dieser ebenso falschen wie gemeinen Denkart hatten sie die Wälder derart abgeholzt, daß statt der dichten Forsten, die früher dort standen, kaum noch einzelne Bäume zu sehen waren. Die Schuldigen wurden weggejagt und verdientermaßen bestraft. Neue Bestimmungen mußten erlassen werden, sowohl für die Aufforstung wie für das Schlagen der Bäume, je nach ihrer verschiedenen Art und Beschaffenheit. Es galt, Regeln aufzustellen, die niemand überschreiten durfte, vor allem aber auch dafür zu sorgen, daß stets genug Vorrat an Bau- wie Brennholz da war, ein Punkt, der in keinem nordischen Lande übersehen werden darf. Vor dem Kriege hatte die Krone aus dem Holzverkauf in der Mark und Pommern eine jährliche Einnahme gehabt, die oft 150 000 Taler überstieg. Man mußte auf Mittel sinnen, diesen Ausfall zu decken. Zu dem Zweck wurde ein Durchgangszoll für ausländisches Holz eingeführt, das auf der Elbe und Oder geflößt wurde. Dadurch konnte man das sächsische, böhmische und polnische Holz billig kaufen und es mit Vorteil an die Völker weiter verkaufen, die Handelsflotten oder Kriegsschiffe zu bauen haben. Durch dies Mittel schonte man die Wälder, denen man Zeit zum Wachsen geben mußte, und ersetzte den Ausfall aus den Einkünften auf bleibende Art.
Die Regierung darf sich nicht auf einen einzigen Gegenstand beschränken. Der Vorteil darf nicht der einzige Beweggrund ihres Handelns sein. Das Gemeinwohl, das so viele Zweige umfaßt, bietet ihr eine Fülle von Aufgaben, denen sie sich zu widmen hat.
<66>Die Jugenderziehung ist als eine der Vornehmsten zu betrachten66-1. Ihr Einfluß macht sich auf alles geltend. Sie kann nichts erschaffen, wohl aber Fehler verbessern. Diese so wichtige Aufgabe war in früheren Zeiten vielleicht zu sehr vernachlässigt worden, insbesondere auf dem flachen Lande und in den Provinzen. Die abzustellenden Mängel waren folgende. In den Dörfern der Edelleute versahen Schneider das Amt als Schullehrer. Auf den Krondomänen bestimmten die Amtleute die Schullehrer ohne jedes Verständnis. Um einem so verderblichen Mißstande abzuhelfen, verschrieb sich der König aus Sachsen gute Schulmeister, erhöhte ihr Einkommen und ließ darauf halten, daß die Bauern ihre Kinder zu ihnen in die Schule schickten. Zugleich erschien ein Erlaß, der den Geistlichen einschärfte, die jungen Leute nur dann zum Abendmahl zuzulassen, wenn sie in der Schule in ihrer Religion unterrichtet worden waren. Derartige Maßnahmen tragen nicht sofort Früchte; erst mit der Zeit zeigt sich ihr Nutzen.
Die gleiche Fürsorge wurde allen höheren Schulen zugewandt. Die Lehrer gingen nur darauf aus, das Gedächtnis ihrer Schüler anzufüllen, gaben sich aber gar keine Mühe, ihr Urteil zu bilden und zu vervollkommnen. Dieser Mißbrauch, eine Folge alter deutscher Pedanterie, wurde abgestellt. Ohne die Bereicherung des Gedächtnisses zu vernachlässigen, wurden die Lehrer angehalten, ihre Schüler von klein an mit der Logik vertraut zu machen, damit sie durch Ziehen richtiger Schlüsse aus den bewiesenen, feststehenden Voraussetzungen ihr Urteil bildeten und so richtig denken lernten.
Während alles im Staate Nerv und Anspannung war und ein jeder in seinem Wirkungsbereiche nach Vervollkommnung strebte, kam die Teilung Polens zustande. Preußen erwarb, wie berichtet66-2, Pomerellen, die Woiwodschaften Kulm und Marienburg, das Bistum Ermland, die Stadt Elbing und einen Teil von Kujavien und von Posen. Die neue Provinz zählte etwa 500 000 Einwohner. Der gute Boden ist nach Marienburg zu, längs der Weichsel, an beiden Netze-Ufern und im Bistum Ermland. Dafür hat Pomerellen und das Kulmer Land viel öde Sandsirecken. Der Hauptvorteil der Erwerbung war also der, daß eine Verbindung zwischen Pommern und OftPreußen entstand, daß Preußen zum Herrrn des Weichsellaufs und damit des polnischen Handels wurde und durch die starke Getreideausfuhr Polens nie mehr eine Teuerung oder Hungersnot zu befürchten hat.
Diese Erwerbung war nützlich und konnte bedeutsam werden, nachdem durch weise Maßregeln Ordnung geschaffen war. Doch in welchem Zustande fiel die Provinz an Preußen! Alles war Anarchie, Verwirrung und Unordnung, wie sie nun einmal bei einem barbarischenVolk herrscht,das in Unwissenheit und Stumpfsinn dahindämmert. Man begann mit der Vermessung des Landes, um die Abgaben danach zu regeln. Die<67> Kontribution wurde nach dem gleichen Maßstab festgelegt wie in Ostpreußen. Die Geistlichen entrichteten ihre Abgaben nach dem Muster der schlesischen Bischöfe und Äbte. Die Starosteien wurden zu Domänen gemacht. Sie waren Lehen auf Lebenszeit gewesen, wie die der Timarlis in der Türkei67-1. Der König entschädigte die Besitzer durch einmalige Abfindung in Höhe von 500 000 Talern. Das halbwilde, barbarische Land erhielt Post, vor allem aber Gerichte, etwas, das in jenen Gegenden kaum dem Namen nach bekannt war. Eine Anzahl ebenso wunderlicher wie maßloser Gesetze wurde abgeschafft; als oberste Instanz für die Rechtssprechung ward das Kammergericht in Berlin eingesetzt. Der König ließ für 700 000 Taler einen Kanal von Nakel nach Bromberg graben, der die Netze mit der Weichsel verband67-2. Dadurch erhielt dieser Strom direkte Verbindung mit Oder, Havel und Elbe. Der Kanal bot auch noch den Vorteil, daß er die stehenden Gewässer in weiten Landstrichen ableitete, wo nun fremde Kolonisten angesiedelt werden konnten. Alle Wirtschaftsgebäude waren verfallen; ihre Wiederherstellung kostete über 300 000 Taler.
Die Städte waren im traurigsten Zustande. Kulm hatte wohl gute Stadtmauern und große Kirchen, doch an Stelle von Straßen sah man nur die Keller der Häuser, die dort einst gewesen waren. Auf dem Marktplatz standen 40 Häuser, davon 28 ohne Türen, Dächer und Fenster und ohne Besitzer. Bromberg war im gleichen Zustand. Der Ruin der Städte datierte vom Jahre 1709, wo die Pest dort gewütet hatte; doch die Polen kamen garnicht auf den Gedanken, daß man den Schaden wieder gutmachen müsse. Man wird es schwerlich glauben, daß in diesen unglücklichen Gegenden ein Schneider eine Seltenheit war. Man mußte in allen Städten welche ansiedeln, ebenso Apotheker, Stellmacher, Schreiner und Maurer. Die Städte wurden wiederaufgebaut und bevölkert.
Kulm erhielt ein Kadettenkorps für 50 junge Adlige, deren Lehrer sich die größte Mühe geben, sie zu unterrichten; 180 protestantische und katholische Schullehrer wurden in den verschiedenen Orten angestellt und von der Regierung besoldet. Was Erziehung war, wußte man in jenem unglücklichen Lande überhaupt nicht; daher auch seine Sittenlosigkeit und Unwissenheit. Schließlich wurden über 4 000 Juden, die bettelten oder die Bauern bestahlen, nach Polen abgeschoben.
Da der Handel den Hauptzweig der Erträge Westpreußens bildet, suchte man ihn auf alle Weise zu heben. Am meisten gewann dadurch Elbing, das den früher von Danzig betriebenen Handel an sich riß. Eine Handelsgesellschaft für den Verkauf von Salz bildete sich, die für eine jährliche Abgabe von 70 000 Talern an den König von Polen das Salzmonopol für ganz Polen erhielt. Dadurch wurden die Österreicher gezwungen, ihr Salz aus Wieliczka an sie zu verkaufen, was die Gesellschaft sehr in Blüte brachte.
<68>Nachfolgend eine Übersicht der Einnahmen der Krone aus der neuen Erwerbung:
Kontribution | 497 000 Taler, |
Domänen | 410 000 „ |
Akzise | 360 000 „ |
Getreide | 8 000 „ |
Stempel | 13 000 „ |
Post | 53 000 „ |
Forstwirtschaft | 40 000 „ |
Zölle vom Danziger Werder und der Drewenz | 730 000 „ |
Insgesamt | 2 111 000 Taler. |
Diese Einkünfte nebst dem, was die Bank, die Akzise und die Tabaksregie abwarf, erhöhten die Staatseinnahmen um mehr als 5 Millionen Taler.
Derart vermag ein stets vervollkommnetes und vom Vater auf den Sohn befolgdes Finanzsystem die Lage der Regierung zu verändern und sie aus ursprünglicher Armut heraus so reich zu machen, daß sie ihr Gran in die Wagschale der europäischen Großmächte werfen kann.
<69>3. Kapitel
Heerwesen
Durch sieben Kriegsjahre mit siebzehn Feldschlachten und fast ebenso vielen, nicht minder blutigen Gefechten, drei Belagerungen, die die Preußen unternommen, und fünf, die sie ausgehalten, ganz zu geschweigen von den Unternehmungen gegen die feindlichen Winterquartiere und anderen ziemlich ähnlichen Operationen, war die Armee sehr zusammengeschmolzen. Ein großer Teil der besten Offiziere und alten Soldaten war gefallen. Um sich ein Bild davon zu machen, braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, daß allein der Sieg bei Prag 20 000 Mann gekostet hatte. Dazu rechne man 40000 österreichische Gefangene und fast ebensoviel preußische, unter ihnen über 300 Offiziere, die Überfüllung der Lazarette mit Verwundeten und die Tatsache, daß in den Infanterieregimentern nicht über 100 Mann waren, die ihnen im Jahre 1756, zu Beginn des Krieges, angehört hatten.
Durch den Verlust von mehr als 1 500 Offizieren, die in den verschiedenen Kämpfen gefallen waren, war der Adel seiner besten Kräfte beraubt. Im Lande waren nur noch Greise oder halbwüchsige Knaben. Bei dem Mangel an Edelleuten mußten die zahlreichen unbesetzten Offizierssiellen mit Bürgerlichen ausgefüllt werden. Bei manchen Bataillonen waren nicht mehr als 8 diensttuende Offiziere; die anderen waren gefallen oder verwundet oder kriegsgefangen. Aus diesen traurigen Verhältnissen ergibt sich leicht, daß selbst die alten Truppenteile ohne Ordnung, Zucht und Exaktheit waren; folglich fehlte es ihnen an Tatkraft.
Das war der Zustand des Heeres, als es nach dem Hubertusburger Frieden in seine alten Quartiere einrücke. Die Regimenter zählten damals mehr Landeskinder als Ausländer; die Kompagnien waren 162 Mann stark; 40 davon wurden entlassen und halfen der Landwirtschaft wieder auf. Die Freibataillone69-1 wurden zur Komplettierung der Garnisonregimenter verwandt, und diese beurlaubten gleichfalls den Überschuß an Landeskindern. Bei der Kavallerie entließ jedes Regiment 150 Mann, bei den Husaren 400. Durch diese Entlassungen erhielt das flache Land 30 780 Bauern zurück, die ihm fehlten. Dabei verblieb es jedoch nicht. Früher war<70> die Zahl der Landeskinder willkürlich gewesen; jetzt wurde sie auf 720 Mann pro Regiment festgesetzt. Was zum vollen Bestände der Kompagnien fehlte, wurde im Ausland angeworben. Die Kantonnisten erhielten Erlaubnis, sich ohne Genehmigung ihres Hauptmanns zu verheiraten. Wenige blieben Junggesellen; die große Mehrzahl trug lieber zur Vermehrung der Bevölkerung bei. Die Wirkungen dieser weisen Maßnahmen entsprachen den Erwartungen der Regierung. Schon 1773 überstieg die Zahl der Enrollierten70-1 die der von 1756 beträchtlich.
Früher hatten die Hauptleute sich von dem zurückbehaltenen Sold der Urlauber ihren Ersatz selbst angeworben. Diese Methode hatte allzu viele Mißbräuche gezeitigt. Die Offiziere hoben gewaltsam aus, um Geld zu sparen; alle Welt beschwerte sich; kein Fürst wollte dergleichen Gewalttaten in seinem Lande dulden. Die ganze Einrichtung wurde also geändert. General Wartenberg70-2 zog allein den Sold der Veurlaubten ein; davon bekamen die Hauptleute, außer ihrem Gehalt, 30 Taler monatlich. Der Überschuß wurde für die Werbung im Ausland verwandt70-3. Sie lieferte jährlich 7 bis 8 000 fremde Rekruten, die mit Weib und Kind, die sie mitbrachten, eine Kolonie von etwa 10 000 Menschen ausmachten. Obwohl einzige Söhne von Bauern von der Aushebung befreit waren, hob sich das Größenmaß der Kantonnisien von Jahr zu Jahr. Im Jahre 1773 war in den Infanterieregimentern keine Kompagnie mehr, die Leute unter 5 Fuß 5 Zoll hatte.
Die Infanterie- wie Kavallerieregimenter wurden in mehrere Inspektionen eingeteilt70-4, damit wieder Ordnung, Genauigkeit und strenge Disziplin hineinkam, im ganzen Heere völlige Gleichmäßigkeit herrschte und Offiziere wie Soldaten in jedem Regiment die gleiche Ausbildung erhielten. Die Regimenter am Rhein und an der Weser erhielten zum Inspekteur den General Diringshofen, die magdeburgischen Saldern, die kurmärkischen wurden zwischen Namin, Steinkeller und Oberst Buttlar verteilt, die pommerschen erhielten Möllendorff, die ostpreußischen Stutterheim und die schlesischen den General der Infanterie Tauentzien zum Inspekteur70-5. Generalleutnant Bülow bekam die Kavallerieinspektion in Ostpreußen, Seydlitz in Schlesien, General Lölhöffel in Pommern und der Neumark, während die Kavallerie in der Kurmark und im Magdeburgischen unter General Krusemarck70-6 stand.
Die Wiederherstellung der Ordnung und Disziplin in der so heruntergekommenen Infanterie machte unsägliche Mühe. Es bedurfte der Strenge, um den Soldaten<71> wieder gehorsam zu machen, steter Übung, damit er behend wurde, und langer Gewöhnung, damit er viermal in der Minute laden lernte, ohne Schwanken in der Front marschierte, kurz all die Bewegungen ausführte, die im Felde bei den verschiedensten Gelegenheiten von ihm verlangt werden. War aber der gemeine Mann auch ausgebildet, so war es noch schwerer, die jungen Offiziere diensttüchtig zu machen und ihnen das nötige Verständnis für ihren Beruf beizubringen. Um ihnen Übung in den verschiedenen Truppenbewegungen zu geben, ließ man sie in der Nähe ihrer Garnison manövrieren. Sie mußten die verschiedenen Aufmärsche, Angriffe in der Ebene, auf feste Stellungen und Dörfer, die Bewegungen bei der Avantgarde, beim Rückzuge, beim Formieren der Karrees üben, damit sie sowohl angreifen wie sich verteidigen lernten. Das wurde den ganzen Sommer hindurch geübt und täglich ein Teil ihres Pensums wiederholt. Um diese Exerzitien auch in größeren Verbänden zu machen, versammelten sich die Truppen alljährlich zweimal, im Frühjahr und im Herbst71-1. Dann wurden nur kriegsmäßige Übungen ausgeführt, Angriffe und Verteidigung fester Stellungen, Fouragierungen, Kriegsmärsche aller Art und Scheingefechte, wo die Truppen die dafür entworfenen Dispositionen ausführten. So ward, wie Vegetius sagt, der Friede für die preußischen Heere zur Schule und der Krieg zur praktischen Anwendung des Gelernten.
Man darf indes nicht glauben, daß die ersten Manöver nach dem Kriege sehr glänzend ausfielen. Es bedarf der Zeit, damit die angewandte Taktik zur Gewohnheitssache wird, die die Truppen mühelos ausführen. Erst seit dem Jahr 1770 begann die angestrebte Genauigkeit sich zu zeigen. Seitdem erhielt die Armee ein neues Gepräge, und man konnte gewiß sein, daß auf sie Verlaß war, wenn sie ins Feld geführt wurde.
Um diesen Grad der Vollkommenheit zu erreichen, der für das Staatswohl so wichtig ist, hatte man alle Bürgerlichen aus dem Heer ausgemerzt und sie in die Garnisonregimenter gesteckt, wo sie mindestens so viel leisteten wie ihre Vorgänger, die wegen Dienstuntauglichkeit in Pension geschickt wurden. Da das Land aber nicht Edelleute genug für die Armee lieferte, so nahm man seine Zuflucht zu Ausländern aus Sachsen, Mecklenburg und dem Reiche, unter denen sich manche tüchtige Offiziere befanden. Diese Sorgfalt in der Auswahl des Offiziersersatzes ist wichtiger, als man glaubt; denn im großen und ganzen hat der Adel Ehrgefühl. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß hin und wieder auch Verdienst und Talent bei Nichtadligen vorkommt, aber das ist doch recht selten der Fall. Findet man es indessen, so soll man es festhalten. Im allgemeinen aber kann der Adel sich nur durch das Schwert auszeichnen. Verliert ein Adliger seilte Ehre, so findet er nicht einmal mehr im Elternhause Zuflucht, wogegen ein Bürgerlicher, der sich mit Schande bedeckt hat, das Gewerbe seines Vaters ohne Erröten wieder aufnimmt und sich darum doch nicht entehrt fühlt.
<72>Der Offizier hat sehr viele Kenntnisse nötig, aber zum Wichtigsten gehört die Kenntnis der Fortifikation: bei Belagerungen gibt sie ihm Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Wird er selbst belagert, so kann er gute Dienste leisten. Gilt es, ein Lager zu befestigen, so benutzt man seine Einsicht. Soll ein Stützpunkt in der Postenkette der Winterquartiere verschanzt werden, er wird dazu herangezogen. Kurz, hat er nur etwas Talent, so findet er hundert Gelegenheiten, sich hervorzutun. Damit es den Offizieren nicht an Belehrung auf einem so wichtigen Gebiet der Kriegswissenschaft fehlte, gab der König jeder Inspektion einen Ingenieuroffizier bei, der die begabten jungen Offiziere unterrichtete72-1. Nachdem sie die Elemente der Befestigungskunst erlernt hatten, ließ man sie Befestigungen je nach dem Gelände entwerfen. Sie steckten Lager ab, trafen Marschdispositionen und durften aufihren Zeichnungen nicht einmal die Kavallerievorposten auslassen. Durch dies Studium erweiterte sich ihr Ideenkreis; sie lernten großzügig denken, beherrschten die Regeln der Lagerkunst und erwarben sich schon in jungen Jahren die Kenntnisse eines Generals.
Bei aller Sorgfalt, die man der Infanterie des Feldheeres zuwandte, wurden die Garnisonregimenter nicht vernachlässigt. Die Verteidiger einer Festung können ebenso gute Dienste leisten, wie die, welche Feldschlachten gewinnen. Man merzte ans ihnen all das Gesindel sowohl an Offizieren wie an Soldaten aus, disziplinierte sie wie die Feldregimenter, und der König besichtigte sie alljährlich bei den Revuen in den Provinzen genau wie jene. Das Größenmaß war bei ihnen geringer; trotzdem maß kein Mann unter 5 Fuß 3 Zoll. Obwohl sie nicht so schnell feuerten wie die Feldinfanterie, hätte jeder General sie von 1773 an gern in seiner Brigade gehabt.
Die Kavallerie hatte bei weitem nicht so große Verluste erlitten wie die Infanterie. Da sie stets siegreich gewesen war, so waren die alten Offiziere und Soldaten mit geringen Ausnahmen noch am Leben. Je länger ein Krieg dauert, um so mehr wird allemal die Infanterie leiden. Umgekehrt wird die Kavallerie immer besser, je länger er währt. Mit großer Sorgfalt wurde diese treffliche Truppe mit den besten Remonten versehen, die sich finden ließen.
Immerhin hatten einige Kavalleriegenerale, die als Detachementsführer Infanterie unter sich gehabt hatten, diese ungeschickt benutzt; der gleiche Vorwurf ließ sich übrigens auch gegen einige Infanterieführer erheben, die ihre Kavallerie unverständig verwandt hatten. Um solchen groben Fehlern künftig vorzubeugen, verfaßte der König ein Werk über Taktik und Lagerkunst72-2, das allgemeine Regeln für die Defensive wie für öle Offensive, sowie verschiedene Angriffs- und Verteidigungspläne nebst allen Dispositionen enthielt, und zwar auf Gegenden angewandt, die die ganze Armee kannte. Dies Lehrbuch voll handgreiflicher Vorschriften, die durch die Erfahrung Her vergangenen Kriege erhärtet waren, wurde den Inspekteuren anvertraut, die es ihrerseits den Generalen, den Bataillonskommandeuren und den Re<73>gimentskommandeuren der Kavallerie zu lesen gaben. Im übrigen wurde streng darauf gesehen, daß die Öffentlichkeit keine Kenntnis davon erhielt. Dies Buch hatte größere Wirkung, als man erwartet hatte. Es erschloß den Offizieren das Ver-ständnis der Manöver, deren Sinn sie früher nicht erfaßt hatten. Ihre Einsicht wuchs sichtlich; und da der Erfolg im Kriege wesentlich an der Ausführung der Dispositionen hängt und man sich desto mehr Erfolg versprechen kann, je mehr geschickte Generale man hat, durfte man mit Recht annehmen, daß bei so viel Sorgfalt für die Ben lehrung der Offiziere die Befehle genau befolgt und daß die Generale keine groben Fehler machen würden, durch die eine Schlacht verloren gehen konnte.
Nach dem Brauch, der sich im letzten Kriege herausgebildet hatte, war die Artillerie zu einer Hauptwaffe geworden. Die Zahl der Kanonen hatte man so riesig vermehrt, daß daraus ein Mißbrauch geworden war73-1. Um aber nicht den kürzeren zu ziehen, mußte man ebensoviel haben wie der Gegner. Man wußte also mit der Wiederher-stellung der Feldartillerie beginnen und 868 Kanonen umgießen. Danach richtete man seine Sorgfalt auf die Festungsgeschütze, die zum Teil ausgeschossen waren. Munitionswagen wurden eingeführt, damit jedes Infanteriebataillon seine Reserven Munition stets bei sich hatte. Sie war für jeden Zug in besondere Säcke verpack, um desto schneller verteilt zu werden. Die Pulvermühlen wurden verdoppelt; sie lieferten jährlich 6 000 Zentner Pulver. Zugleich wurden in den Gießhäusern Bomben, Kanonenkugeln und Granaten gegossen.
Die Festungen wurden mit Bohlen und Schwellen für den Batteriebau verschen, und da man eine völlige Reserveartillerie für die Armee haben wollte, wurden noch 868 Feldgeschütze neu gegossen. All dies verschiedene Kriegsmaterial nebst 60 000 Zentnern Pulver wurde gegen Ende des Jahres 1777 an die Zeughäuser abgeliefert. Die Ausgaben für die Artillerie einschließlich der Reparaturen ihrer Munitionswagen und Trains beliefen sich auf 1 Million 960 000 Taler. Das war viel, aber die Ausgabe war nötig.
Beim Ausbruch des Krieges von 1756 hatte Preußen nur 2 Bataillone Artillerle gehabt, bedeutend weniger als der Feind. Man erhöhte sie also auf 6 Bataillone zu 900 Mann, außer den selbständigen Kompagnien, die in den verschiedenen Festungen lagen. Nach dem Frieden blieb die Artillerie auf diesem Fuße. In Berlin wurden große Kasernen für sie errichtet, damit sie stets beisammen war und besser und gleichmäßiger für ihre Aufgaben ausgebildet werden konnte. Die Offiziere erhielten Unterricht in der Fortifikation, damit sie sich im Festungskriege vervollkommneten. Die Kanoniere und Bombardiere exerzierten jahraus jahrein. Sie lernten eine Batterie in einer Nacht errichten, die feindlichen Geschütze demontieren, Rollschüsse abgeben und die Bomben trotz der verschiedenen Windrichtung, die sie vom Ziele forttreibt, an den rechten Fleck werfen. Die Feldgeschütze mußten in Linie vor<74>rücken, als ob sie zwischen den Bataillonen ständen; sie mußten die geringste Bodenwelle benutzen, um jeden Vorteil wahrzunehmen, und jedesmal zielen, bevor sie schossen. Da überall Verbesserungen gemacht wurden, so hatte man eine neue Haubitze erfunden, die Granaten auf 4000 Schritt feuerte74-1. Die Bombardiere wurden mit diesem Geschütz auf verschiedene Entfernungen ausgebildet. Auch wurde die Notwendigkeit erkannt, der Feldartillerie den denkbar höchsten Grad der Beweglichkeit zu geben. Zu dem Zweck wurden bei ihr noch einige Evolutionen eingeführt, damit die Geschütze, von den Mannschaften gezogen, ununterbrochen mit den Bataillonen vorrücken konnten.
Die Armee hatte zwar viele Feldzüge hinter sich, aber oft hatte es dem Hauptquartier an guten Quartiermeistern gefehlt. Der König wollte sich geeignete Leute heranbilden und suchte sich zwölf Offiziere von großer Begabung aus, um sie persönlich anzuleiten74-2. Zu dem Zweck mußten sie Geländeaufnahmen machen, Lager abstecken, Dörfer befestigen, Höhen verschanzen, sogenannte Mahlwerke errichten, Marschdispositionen treffen; vor allem aber wurden sie dazu angehalten, alle Moräste und alleWasserläufe selbst zu untersuchen, um keine Flüchtigkeitsfehler zu begehen und etwa einem Heere einen durchwatbaren Fluß oder gar einen Morast zur Anlehnung zu geben, den die Infanterie durchschreiten kann, ohne sich die Knöchel naß zu machen. Solche Fehler sind folgenschwer; ohne sie wären die Franzosen nicht bei Malplaquet (1709) und die Österreicher nicht bei Leuthen geschlagen worden.
Die Erziehung der adligen Jugend, die den Waffenberuf ergreift, verdient die größte Sorgfalt. Man kann sie von klein auf für den erwählten Beruf erziehen und sie durch gute Vorbildung so weit bringen, daß ihre Fähigkeiten sich früh entwickeln, wie Frühobst, das trotz seiner vorzeitigen Reife am wohlschmeckendsten ist. Während des letzten Krieges war die Kadettenerziehung sehr heruntergekommen. Sie lag so im argen, daß die jungen Leute, wenn sie die Ansialt verließen, knapp lesen und schreiben konnten. Um das Übel mit der Wurzel auszurotten, stellte der König den General von Buddenbrock74-3 an die Spitze des Kadettenkorps (1759). Er war im ganzen Lande unzweifelhaft der Geeignetste zu diesem Amte. Zugleich wurden gute Lehrer berufen und ihre Zahl nach Maßgabe der Schüler, die sie unterrichten sollten, vermehrt. Um zugleich der schlechten Erziehung der adligen Jugend in Pommern abzuhelfen — die Eltern waren zu arm, um sie gut zu erziehen —, gründete der König eine Schule in Stolp, wo 56 adlige Knaben auf seine Kosten gekleidet, ernährt und unterrichtet wurden74-4. Nachdem sie dort die erste Schulbildung genossen hatten, kamen sie ins Berliner Kadettenkorps, wo sie ihre Studien vervollständigten. Hier lernten sie hauptsächlich Geschichte, Geographie, Logik, Mathematik und Befestigungskunst —Kenntnisse, die ein Offizier schwerlich entbehren kann. Zugleich<75> gründete der König eine Ritterakademie75-1 (1765), in welche die begabtesten Kadetten aufgenommen wurden. Er gab ihr selbst die Gestalt und erließ eine Instruktion75-2, die den Studiengang und die Erziehung der Zöglinge betraf. Zu Lehrern wurden die tüchtigsten Professoren genommen, die sich in Europa auftreiben ließen. Fünfzehn junge Edelleute wurden in der Anstalt erzogen; je drei hatten einen Gouverneur. Die ganze Erziehung zielte darauf ab, die Urteilskraft der Zöglinge auszu-bilden. Die Ritterakademie bewährte sich; aus ihr gingen in der Folge tüchtige Männer hervor, die in die Armee traten.
Nach der Eroberung Schlesiens waren verschiedene Festungen angelegt worden. Die meisten bedurften des Ausbaus. Silberberg mußte ganz neu errichtet werden; es sollte die Gebirgspässe beherrschen, die linkerhand nach Glatz und rechts nach Braunau führen. Diese verschiedenen Bauten kosteten bis 1777 vier Millionen 146 000 Taler. In Pommern wurde Kolberg mit einem Aufwand von 800 000 Talern neu befestigt, da sich bei dem Einfall der Russen gezeigt hatte, daß die Festung in solchen Fällen äußerst wichtig werden konnte. Obwohl an allen Festungen tatkräftig gearbeitet wurde, blieben doch 1778 noch verschiedene Ausgaben zur letzten Vollendung des Begonnenen. Alles in allem waren wohl noch 200 000 Taler erforderlich.
General Wartenberg75-3, der das Ökonomiedepartement leitete, hatte ebensoviel zu tun wie die anderen Offiziere in ihren verschiedenen Dienstzweigen. Der Friede diente zur Vorbereitung für den Krieg. Im Jahre 1777 wurden 140 000 neue Gewehre in Spandau hergestellt, Ersatzsäbel für die ganze Kavallerie, Bandeliere, Sattel- und Zaumzeug, Wehrgehenke, Kochtöpfe, Hacken und Äxte und eine komplette Garnitur Zelte für die gesamte Armee. All diese zahlreichen Ausrüstungsgegenstände wurden in zwei großen Gebäuden niedergelegt, die man die Kleiderkammern der Armee nannte; nur die Gewehre kamen ins Zeughaus. Außerdem wurden 3 Millionen Taler zurückgelegt, um die Kavallerie im Kriegsfalle mit neuen Remonten zu versehen und die in den Schlachten verloren gegangenen Uniformsiücke zu ersetzen. Eine andere Summe war für die Aushebung von 22 Freibataillonen bestimmt. Durch diese Zurüstungen im Frieden wurde die Last eines Krieges wenigstens für einige Feldzüge erleichtert, so drückend sie auch bei längerer Dauer wird.
Auch die Kriegsmaschine75-4 wurden nicht vergessen. Eins wurde in Magdeburg angelegt, ein zweites in den schlesischen Festungen. Jedes enthielt 36 000 Wispel Roggen, mit denen ein Jahr lang zwei Heere von 70 000 Mann erhalten werden konnten. Das erste war für die Armee bestimmt, die in Böhmen oder Mähren operieren sollte, das andere für die gegen Sachsen oder Böhmen gerichtete Armee. Der Wert dieser Magazine wurde auf 1 Million 700 000 Taler berechnet. In den drei Teuerungsjahren,<76> von denen weiter oben die Rede war76-1, wurden diese Magazine angegriffen, aber seit 1775 wieder auf den ursprünglichen Bestand gebracht.
Allein die Waffenmagazine des Generals Wartenberg und die großen VorratsMagazine mit Korn reichten noch nicht hin, damit die Armee, sobald es nötig wurde, ins Feld rücken konnte. Eine der schwierigsten Fragen war, wie man so viele Pferde finden und zusammenbringen sollte, als zum Betrieb einer so großen Heeresmaschine nötig sind. Schott der ungeheure Artilleriepark, der Mode geworden war, erforderte eine Unmenge von Zugtieren; außerdem waren Pferde für die Zelte, das Offiziersgepäck und die Lebensmittel nötig. Man machte einen Überschlag, wieviel man brauchen würde, und es ergab sich die Zahl von 60 000 Pferden. Da aber das Land sie alle unmöglich allein aufbringen kennte, so verteilte man 30 000 auf die Provinzen und schloß des weiteren Verträge mit Unternehmern ab, die sich verpflichteten, gegen eine feste Summe aufBestellung binnen drei Wochen die anderen 30 000 Pferde zu liefern.
Nach dem Frieden war die Armee auf den Fuß von 151 000 Mann gesetzt worden. Angesichts der polnischen Wirren, die einen neuen Krieg befürchten ließen, hielt der König es im Jahre 1768 für geraten, die Kompagnien bei 12 Infanterieregimentern um je 40 Mann zu vermehren76-2. Zu ihrer Unterbringung mußten Kasernen erbaut werden, was 360 000 Taler kostete. Die Husarenregimenter und Bosniaken, die nur 1 100 Mann stark waren, wurden auf 1400 gebracht. Ein Bataillon von 1000 Mann, das Rossières76-3 zum Chefbekam, wurde neu ausgehoben und in die Festung Silberberg gelegt. Durch diese verschiedenen Vermehrungen erhielt die Armee einen Friedensfuß von 161 000 Mann.
Diese Anstrengungen waren nötig: bei der Unsicherheit der Lage mußte man auf alles gefaßt sein. Besonders im Lauft des Jahres 1771, während die Unterhandlungen am lebhaftesten waren76-4, ließ sich unmöglich erraten, welche Partei der Wiener Hof ergreifen würde, die der Pforte oder Rußlands. Da jedoch das Haus Österreich allem Anschein nach mehr zu den Türken als zu den Verbündeten des Königs hinüberneigte, so beschloß er, die ganze Kavallerie mit Remonten zu versehen und die Pferde für die Augmentationen zugleich anzuschaffen. Das waren 8 000 Pferde, die auf einmal gekauft wurden. Die Tatsache wurde bald in ganz Europa ruchbar, und der Wiener Hof begriff, daß der König entschlossen war, seiner Bundesgenossin, der russischen Zarin, mit aller Kraft beizustehen. Nun hielt man es in Wien für besser, die polnische Beute mit den beiden Mächten, die den Vorschlag dazu gemacht hatten, zu teilen, als sich in einen neuen Krieg zu stürzen, in dem man mehr aufs Spiel setzte, als zu gewinnen war.
Durch das Einvernehmen der drei Höfe kam es zur Teilung Polens, wie wir es in dem Kapitel über die Politik geschildert haben. Da das vorliegende Kapitel aber<77> nur den militärischen Dingen gewidmet ist, wollen wir die Erwerbung Westpreußens hier lediglich vom militärischen Standpunkt betrachten. Sie war von großer Bedeutung; denn durch sie erhielt Pommern Verbindung mit Ostpreußen. Bei der Darstellung des letzten Krieges wird man bemerkt haben, daß der König alle vom Kern seiner Lande getrennten oder zu weit abliegenden Provinzen hatte aufgeben müssen, so die niederrheinischen und westfälischen, besonders aber Ostpreußen. Diese Provinz lag nicht nur getrennt vom übrigen Staate, sondern war von Pommern und der Neumark auch noch abgeschnitten durch einen Strom von beträchtlicher Tiefe und Breite. Man mußte Herr des Weichsellaufes sein, um Ostpreußen halten zu können. Nachdem aber die Teilung geregelt war, konnte der König Festungen an der Weichsel anlegen und sich die Übergänge sichern, wie er es für geraten fand. Dadurch konnte er nicht allein Ostpreußen halten, sondern im Fall eines Mißerfolges auch die Weichsel und Netze als starke Schranken benutzen, um den Feind am Vordringen nach Schlesien oder nach Pommern und der Neumark zu hindern.
Andrerseits lieferte die Neuerwerbung Mittel zu einer beträchtlichen Heeresvermehrung. Die Armee wurde im Frieden auf 186 000 Mann gebracht und sollte im Kriegsfalle, einschließlich der Freibataillone und anderer ähnlicher Hilfskorps, aus 218 000 Kombattanten erhöht werden.
Die Vermehrung bestand aus folgendem:
4 Garnisonbataillone und Grenadierkompagnien | 3 150 Mann, |
2 neue Bataillone Artillerie | 2 510 „ |
5 Infanterieregimenter auf Friedensfuß | 8 500 „ |
1 Husarenregiment | 1 400 „ |
36 Infanterieregimenter, pro Kompagnie um 20 Mann vermehrt | 8 640„ |
Die Jäger vermehrt um | 300 „ |
1 neue Mineurkompagnie | 150 „ |
Insgesamt | 24 650 Mann. |
Zur Führung der Grenadierbataillone wurden 25 neue Majore mit ebensoviel Adjutanten ernannt. Sonst nahm man sie in Kriegszeiten aus den Infanterieregimentern77-1; jetzt ist diese Charge bleibend geworden. Außerdem wurden die Kanoniere der reitenden Artillerie77-2 beritten gemacht, damit sie schon im Frieden geübt waren und so im Kriege Besseres leisten konnten. Die Gesamtvermehrung belief sich auf 25 22O Mann. Zum Unterhalt dieser neuen Truppen brauchte man 1 Million 250 000 Taler, die Westpreußen zahlen mußte.
Bei allen Maßnahmen im Staatswesen entstehen allemal Konsequenzen, die die Regierung beizeiten bedenken muß. Da die Kräfte des Staates vermehrt waren, mußte ein neuer Anschlag für die Erfordernisse eines künftigen Feldzugs gemacht werden. Im Jahre 1773 hatte die Armee einschließlich der Vermehrung 141 Feld<78>bataillone, 63 Schwadronen Kürassiere, 70 Schwadronen Dragoner, 100 Schwadronen Husaren nebst der Feldartillerie, die 9 600 Kanoniere und Bombardiere zählte, ungerechnet 1 200 Festungsartilleristen und 36 Garnisonbataillone. Nach diesem Be-stände, zu dem noch 22 Freibataillone kamen, wurde der Überschlag der Mobilmachungskosten gemacht. Auf die Provinzen wurde die Lieferung von 23 000 Troßknechten für die Truppen wie für die Artillerie und das Proviantwesen verteilt. Vom Ankauf und der Gestellung von 60 000 Pferden war schon die Rede. Die Gesamtkosten wur-den auf 4 Millionen 246 000 Taler berechnet. Diese Summe wurde in den sogenannten kleinen Staatsschatz gelegt, der lediglich zu diesem Zwecke bestimmt war.
Auf gleicher Grundlage wurden die außerordentlichen Ausgaben für die Armee während eines Kriegsjahres berechnet. Um nicht fehlzugehen, nahm man zur Richtschnur den kostspieligsten Feldzug des verflossenen Krieges, in dem die verlustreichsten Schlachten stattgefunden hatten, nämlich den des Jahres 1757. Dabei ergab sich die Summe von II Millionen 200 000 Talern. Bei derartigen Berechnungen ist es besser, zu hoch als zu niedrig zu greifen; denn hat man zu viel, so schadet das nichts; hat man aber zu wenig Geld, so setzt man viel aufs Spiel.
Diese so nützlichen und notwendigen Berechnungen fußen auf langer Erfahrung. Die entsprechenden Summen für die Mobilmachung sind im kleinen Staatsschatz niedergelegt, die für die Bestreitung eines Kriegsjahres in dem großen Staatsschatz. Tritt dann mit der Zeit der Fall ein, daß nicht alle Kräfte des Staates in Anspruch genommen zu werden brauchen, so ist es kinderleicht, die Ausgaben nach der Truppenzahl zu berechnen, die man in Tätigkeit setzen will. Könnte andrerseits die Armee noch einmal vermehrt werden, so weiß man, was im Kriege eine Schwadron, ein Bataillon nebsi der dazugehörigen Artillerie kostet, und durch ein einfaches Rechen-exempel kann man diese Summe zu dem hinzuaddieren, was nach dem bereits gemachten Überschlag unbedingt notwendig ist, nicht für einen gewöhnlichen Feldzug, sondern für den allerkostspieligsten.
Durch genaue Angaben über die Art der Reorganisation der Armee und alle dazu benutzten Mittel, alle Einzelheiten, auf die eingegangen werden mußte, glauben wir mit unserer Darstellung auch der Nachwelt von Nutzen gewesen zu sein. Das halbe Menschenleben vergeht mit dem Wiedergutmachen der erlittenen Schicksalsschläge. Käme im Laufe der Zeit die Regierung einmal in eine ähnliche Lage, so darf man annehmen, daß es ihr sehr erwünscht wäre, zusehen, wie sich ihre Vorgänger dabei benommen haben. Das gibt ihr ein Bild, was sie zu tun hat, und sie kennt die Einzelheiten, auf die man unbedingt eingehen muß, um eine zusammengeschmolzene und zerrüttete Armee wieder hochzubringen und sie in einen Zustand zu versetzen, kraft dessen die Monarchie auf Erhaltung ihres Ruhmes und ihres Daseins hoffen kann.
Das Gesagte genügt für die Vergangenheit. Nur etwas ist noch hinzuzufügen: es betrifft den Plan des Königs zur Verteidigung von Ost- und Westpreußen. Vor<79> der Erwerbung Westpreußens mußte Ostpreußen im Stich gelassen werden, sobald sich ein Feind an der Grenze zeigte. Denn wäre dort eine preußische Armee geschlagen worden, so hatte sie nur zwei Rückzugslinien, die eine auf Königsberg, wo sie bald eingeschlossen und vielleicht zu einer schimpflichen Kapitulation gezwungen worden wäre, ähnlich wie der Herzog von Cumberland bei Stade79-1; oder sie hätte sich auf die Weichsel zurückziehen müssen, wo sie weder Magazine noch Festungen noch selbst Brücken zum Passieren des Flusses gefunden hätte.
Jetzt aber liegen die Dinge anders. Man konnte also einen vernünftigen Verteidigungsplan entwerfen, der vorherige Maßnahmen gestattete, nämlich die Errichtung von Festungen, die Anlage von Magazinen oder die Erbauung von Brücken. Folgendes wurde bestimmt.
Zur Verteidigungslinie für ganz Preußen wurde die Weichsel gewählt. Zunächst beschloß man, an ihren Ufern eine starke Festung zu bauen. Als geeignetester Punkt wurde Graudenz erkoren, und zwar nicht die Stadt selbst, sondern eine beherrschende Anhöhe in ihrer Nähe. Das bot einen doppelten Vorteil. Die Ossa und ein anderer Wasserlauf, die eine Viertelmeile von der zu befestigenden Stelle fließen, konnten, mit Schleusen versehen, die Umgegend unter Wasser setzen; dadurch wurde die Stellung unangreifbar. Man begann also mit dem Bau dieser wichtigen Festung. Nichts wurde gespart; der Plan befindet sich in der Plankammer. Wir wollen also nichts hinzufügen, außer daß die hohe Lage die Erbauung von drei Minensystemen übereinander gestattete, die sich bis auf 120 Schritt vor dem Glacis verzweigen. Ein Vorratsmagazin für die Truppen wurde erbaut. Obwohl das Ganze jetzt, im Jahre 1779, noch nicht ganz fertig ist und noch 800 000 Taler erforderlich sind, bis alles zur Vollendung gediehen sein wird, so ist doch wenigstens ein Anfang gemacht, und zwei Schiffrücken sind vorhanden, um den Fluß zu überschreiten, je nachdem, wie die Umstände erfordern.
Bemerkt sei nebenbei, daß die Weichsel bei ihrer Breite und ihrem reißenden Laufe auf Pontons ohne Schiffe nicht zu überschreiten ist. Um aber den Platz noch zu verstärken, müssen mit der Zeit noch zwei kleine Forts erbaut werden, das eine an der Nogat bei Marienburg und das andere bei Bromberg an der Mündung der Drewenz in die Deichsel, damit nämlich der Feind keine Schisse von Warschau oder vom Haff herbeischaffen kann, um den Fluß oberhalb oder unterhalb der Festung zu überschreiten.
Das eben dargelegte Projekt bildete die dritte Verteidigungslinie. Dank seiner Bodenbeschaffenheit bietet Preußen nämlich so vorteilhafte Abschnitte, daß man dem Feinde das Land Fuß um Fuß streitig machen kann. Die erste Verteidigungslinie liegt hinter der Memel, die bei Tilsit vorbeifließt und sich in die Ruß ergießt79-2. Dort<80> findet man fast uneinnehmbare Stellungen, die von Ingenieuren aufgenommen sind. Die Armee kann, solange sie dort sieht, ihren Unterhalt aus Königsberg beziehen und ihre Bäckerei in Tilsit anlegen. In diesem Falle ist aber zweierlei zu befürchten. Kommen die Russen hier mit überlegenen Kräften angerückt, so zwingen sie die Preußen rasch zum Verlassen der Stellung. Sie brauchen nur eine starke Abteilung durch Polen auf Grodno marschieren zu lassen, die der Armee in den Rücken fällt und sie zum schleunigen Verlassen des Memelabschnitts nötigt. Oder sie schiffen 10 000 Mann auf Kriegsschiffen ein, die geradenwegs durch das Haff fahren, bei Königsberg landen und sich der Stadt ohne Widerstand bemächtigen können. Damit fallen ihnen zugleich die Armeemagazine in die Hand.
Die zweite Verteidigungslinie liegt hinter der Inster und weiterhin hinter dem Pregel. Die günstigste Stellung hinter der Insier ist rechts von Insterburg an der Mündung der Pissa. Die Armee kann sich dann gleichfalls aus Königsberg verproviantieren, und die Magazine lassen sich im Notfall durch Transporte von Elbing nach Königsberg auf dem Weg über das Haff erneuern. Der Rückzug aus dieser Stellung ist durch Wälder gesichert, die dem schwächeren Teil Schutz bieten. Trüge in einer dieser Gegenden die Armee einen Sieg über den Feind davon, st wäre damit der Krieg sogleich an das Ost- oder Nordende der Provinz verlegt. Die Stellung bei Insierburg, deren rechte Flanke durch die Inster gedeckt wird, ist so vorzüglich, daß ein aus Polen vordringendes russisches Korps lange und mit äußerster Geschicklichkeit manövrieren müßte, bevor es ihr etwas anhaben könnte.
Angenommen jedoch, man müßte dem Feind diese Gegend überlassen, so muß die Armee durch Wälder auf Nordenburg marschieren und von da die Stellung zwischen Schippenbeil und Hartenstein erreichen. Wendet sich der Feind aber mehr nach Polen hin, so muß sie auf Lötzen rücken; und da die Entfernung von Lötzen bis Graudenz zu beträchtlich ist, um die Armee von so weither versorgen zu können, st muß unbedingt ein Zwischenfort errichtet werden, um dort ein Lebensmitteldepot unterzubringen. Der rechte Fleck dazu ist zwischen den Dörfern Borowen und Nibben, die an einem großen See liegen. Hält man ihn für geeignet, so kann man neben diesem Fort ein verschanztes Lager anlegen, durch das es vor jedem Angriff gesichert ist. In dieser von Natur starken, von Seen, Sümpfen und Flußläufen umgebenen Stellung könnte man sich lange halten, ohne eine feindliche Umgehung befürchten zu müssen. Denn angenommen selbst, der Feind wollte über die Weichsel oder Netze vordringen, so kann er die Armee doch nicht ernstlich beunruhigen, da er keinerlei Fortschritte machen könnte; auch müßte der Heerführer schon äußerst dumm sein, da er mit diesem Marsche den Preußen Gelegenheit gäbe, ihm in den Rücken zu kommen. Setzt man aber beim Feind einen anderen Plan voraus und nimmt an, er werde nur ein Detachement nach Thorn schicken, um dort über die Weichsel zu gehen, so glauben wir doch nicht, daß der Schade beträchtlich sein könnte. Dies Detachement könnte die neue Festung Graudenz weder belagern noch einnehmen, und st wäre dem Plan der <81>preußischen Defensive keinerlei Abbruch getan. Ich frage aber: wie kann das feindliche Detachement in einem so unfruchtbaren Lande wie Pomerellen seinen Unterhalt finden? Es setzt sich dem Hungertod aus; denn solange die Preußen Herren der Weichsel sind, kann kein Feind sich dort halten. Somit kann der preußische General, der in einem verschanzten Lager bei Lötzen oder Borowen sieht, dreist Detachements in den Rücken des Gegners senden, um die feindlichen Korps zu vertreiben, die die Weichsel und Netze überschritten haben.
Ziehen wir die letzte Konsequenz und nehmen wir an, die Abschnitte von Memel und Ruß, von Inster und Pregel, die Lager bei Lötzen und Borowen ließen sich auf die Dauer nicht halten und man müßte nach einigen Feldzügen notgedrungen über die Weichsel zurückgehen. Böte dann der Fluß nicht eine sehr beträchtliche Schranke?
Dieser Umstand sowie das oben Gesagte führt uns auf die Frage, was zu tun wäre, falls der Bruch mit den Russen unvermeidlich würde und man auf einen Angriff von Ostpreußen her gefaßt sein müßte. Unter solchen Umständen gilt es sofort, sich Danzigs zu bemächtigen und zugleich die Festung auf dem linken Weichselufer wieder instand zu setzen; der jenseitige Teil wird durch die Überschwemmungen hinreichend geschützt. Diese Vorsichtsmaßregeln und das Fort an der Nogat genügen zur Deckung der rechten Flanke des Lagers bei Bromberg. Anders sieht es mit Thorn. Man muß sich wohl hüten, es zu besetzen; denn seine unvorteilhafte Lage inmitten eines Höhenkranzes gestattet keine wirksame Verteidigung. Mithin bedarf das Lager bei Graudenz zum Schutze der rechten Flanke nur des Forts von Bromberg, und seine Verteidigungslinie darf sich nicht weiter ausdehnen. Beide Forts haben nur den Zweck, den Feind am Zusammenbringen von Schiffen zum Übergang über die Weichsel zu hindern, sei es flußaufwärts vom Haff her, sei es flußabwärts von Warschau her. Denn Pontons genügen für den Fluß nicht; es bedarf richtiger Schiffe, um eine Brücke zu schlagen. Um keine Möglichkeit unberührt zu lassen, ist eins zuzugeben: Sobald die Russen ihre Flotte benutzen wollen, um Truppen zu landen — sei es bei Danzig oder selbst bei Stolp in Pommern —, kann man sie nicht daran hindern. Aber das können nur schwache Korps sein, die ein Detachement des Lagers bei Graudenz leicht vertreiben kann.
Soviel von der linken Flanke. Rechterhand sind andere Maßregeln erforderlich. Zunächst ist nichts leichter, als gleich beim Ausbruch des Krieges die Weichselbrücke bei Thorn abzubrechen. Ich gestehe aber, daß das nicht hinreicht; denn der Feind kann von Warschau her beliebig viel Schiffe herbeischaffen, um dort eine Brücke zu schlagen. Hier beginnen nun die strategischen Manöver. Was hindert einen General, aus dem Lager bei Graudenz stracks auf Thorn zu marschieren, sobald der Übergang des Feindes feststeht, ihn von der Weichsel abzuschneiden und die feindliche Armee ohne Kampf in die Enge zu treiben? Aus allem hier Dargelegten schließen wir, daß ein geschickter Heerführer Preußen auch bei mäßigen Streitkräften mehrere Feldzüge hindurch halten kann. Er hat drei<82> Stellungen, die hervorragende Vorteile bieten, bevor er den Weichselabschnitt zu halten braucht: 1.die Memel, 2.die Inster, 3. Lötzen. Muß er sich ungünstigsten Falls auf Graudenz zurückziehen, so kann er durch kräftige Verteidigung der Weichsel und Netze auf die oben angegebene Art zugleich Pommern und Schlesien decken.
Der König ist bei diesem Plane nicht stehen geblieben; er hat alle Lager aufnehmen lassen. Ingenieuroffiziere haben die Pläne gezeichnet; alle Märsche sind eingetragen, die Dispositionen neben jede Marschroute gesetzt, sodaß ein General, der mit der Verteidigung Preußens betraut ist, seine Arbeit völlig zugerichtet findet; ihm bleibt nur noch der Ruhm, sie auszuführen. Von diesem Verteidigungsplan sind zwei Exemplare hergestellt. Das eine befindet sich im Gouvernementsarchiv in Königsberg, das andere in Potsdam in der Plankammer.
<83>Die wichtigsten Begebenheiten von 1774 bis 1778
Die sich leicht denken läßt, kamen der Neid, der Haß und die Eifersucht, die die Teilung Polens unter den europäischen Mächten erregt hatte, nicht so bald zur Ruhe. Das Ereignis war noch zu neu und der Eindruck zu frisch, als daß die Herrscher, deren Eigenliebe dadurch verletzt wurde, es ruhig hingenommen hätten.
Frankreich boste sich im stillen, daß es ihm nicht gelungen war, die Konföderation von Bar aufrechtzuerhalten. Es konnte sich nicht verhehlen, daß der Krieg gegen Rußland, zu dem es der Türkei geraten, eine schlimme Wendung genommen hatte. Es fühlte sich gewissermaßen gedemütigt, weil eine Monarchie von seiner Bedeutung auf die polnischen Wirren so wenig Einfluß gehabt hatte. Nicht geringer war seine Besorgnis über die engen Beziehungen, die sich zwischen der Kaiserin-Königin, der Zarin und dem König von Preußen anzuknüpfen begannen. Ein solcher Dreibund hätte in Europa ein zu entschiedenes Übergewicht erlangt, als daß man in Versailles ruhig zuschauen durfte. Doch das war nur trügerischer Schein: die drei Mächte waren weit entfernt von einem so engen Bundesverhältnis, wie es die Öffentlichkeit annehmen mochte.
Ludwig XVI. hatte soeben den Thron bestiegen. Ein Bischof händigte ihm das politische Testament ein, das der Dauphin, des Königs Vater, ihm anvertraut hatte83-1, um es seinem Sohne bei seiner Thronbesteigung zu übergeben. Der König machte es sich zur Pflicht, dem Willen seines Vaters in allen Dingen nachzukommen. Die Folge davon war, daß der von Ludwig XV. entlassene Maurepas unter Ludwig XVI. Premierminister wurde83-2, während Aiguillon verbannt ward, und daß Choiseul jegliche Hoffnung verlor, wieder in Gunst zu gelangen. Maurepas war Ende det Siebziger. Unter der vorhergehenden Regierung war er lange Minister gewesen. Er besaß also Geschäftskenntnis, war auch geistig bedeutend und zu großen Entwürfen fähig, aber, wie gesagt, nicht mehr in dem Alter, wo die Seele noch Feuer genug besitzt, um etwas Großes zu unternehmen. Die schlechte Finanzverwaltung der vorangehenden Regierung hatte den Staat an den Rand eines allgemeinen Bankrotts<84> gebracht. Dies Schreckbild machte Maurepas stutzig: mehr als 40 000 Familien, die ihr ganzes Vermögen in Staatspapieren angelegt hatten, standen vor dem Zusammenbruch. Pflegen die Minister auch wenig nach den Leiden des Volkes zu fragen, so sind sie doch nicht unempfindlich gegen den Tadel, der sich notgedrungen gegen sie richtet. Der Versailler Vertrag bestand noch, so wenig vorteilhaft er auch für Frankreich war. Überdies hatte Maurepas Rücksicht auf die junge Königin84-1 zu nehmen, Kaiser Josephs Schwester und Maria Theresias Tochter. Zeigte sie sich nur etwas gefällig, so konnte sie von heute auf morgen solchen Einfluß auf ihren königlichen Gatten gewinnen, daß sie ihn völlig beherrschte. Und so bot denn der alte Vormund bei seinem Mündel, dessen Charakter sich noch nicht gefestigt hatte, abwechselnd Behutsamkeit und Festigkeit auf, um zu verhindern, daß die Regierung in Weiberhände geriete.
Andrerseits freute sich Frankreich, Englands alte Rivalin, über die Unruhen, die in Amerika zwischen den englischen Kolonien und dem Mutterlande ausbrachen. Unter der Hand schürte es den Empörungsgeist und ermunterte die Amerikaner, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Despotismus zu wahren, den König Georg III.. dort aufrichten wollte. Ja, es machte ihnen Aussichten auf Beihilfe, die sie von der Freundschaft des Allerchrisitichsten Königs erwarten könnten.
Ein ganz anderes Bild bietet der Londoner Hof. Der Schotte Bute84-2 beherrscht das Reich und den König und hüllt sich — wie die bösen Geister, von denen man immerfort redet und die man nie sieht — bei all seinen Unternehmungen in tiefstes Dunkel. Seine Sendlinge, seine Kreaturen sind die Hebel, mit denen er die Staatssmaschine nach seinem Willen treibt. Sein System ist das der alten Torys: nach ihrer Behauptung geht es England nur dann gut, wenn der König despotisch schaltet und Großbritannien sich auf keinerlei Bündnisse mit den Kontinentalmächten einläßt, sondern sich lediglich der Förderung seiner Handelsinteressen widmet. Paris ist in seinen Augen das gleiche, was Karthago für den Zensor Cato war. Dürfte Bute handeln, wie er wollte, und könnte er alle französischen Schiffe zusammentreiben, er würde sie auf einen Schlag vernichten. Er ist herrisch und hart in der Regierung, wenig wählerisch in der Wahl seiner Mittel, aber die Ungeschicklichkeit seiner Geschäftsführung ist noch größer als sein Starrsinn. Zur Ausführung seiner weitschauenden Pläne begann er mit der Bestechung des Unterhauses. Eine Million Pfund Sterling, die die Nation dem König jährlich für seine Zivilllsie zahlt, reichte kaum hin, um die feilen Parlamentsmitglieder zu befriedigen. Diese Summe, die zum Unterhalt der königlichen Familie, des Hofes und der Gesandten bestimmt ist, diente also Jahr für Jahr dazu, der Nation das Rückgrat zu brechen, und so Neb Georg III. zum Leben und zur würdigen Repräsentation in London nichts als die 500 000 Taler aus seinem Kurfürstentum Hannover. Das englische Volk, durch<85> seinen eigenen Herrscher erniedrigt und entwürdigt, kannte fortan keinen anderen als dessen Willen.
Doch alle diese Rechtswidrigkeiten schienen noch nicht hinreichend: Lord Bute plante einen noch keckeren und entscheidenderen Schlag, um das despotische Regiment, auf das er hinauswollte, desto rascher aufzurichten. Er bewog den König, den amerikanischen Kolonien willkürliche Steuern aufzuerlegen85-1, teils um seine Einkünfte zu erhöhen, teils um ein Beispiel zu geben, das mit der Zeit in Großbritannien Nachahmung finden konnte. Doch wir werden ja sehen, daß dieser Akt des Despotismus nicht die erwarteten Folgen zeitigte.
Die Amerikaner, die Bute keiner Bestechungsversuche gewürdigt hatte, lehnten sich offen gegen die Steuern auf, die gegen Recht und Brauch und namentlich gegen die seit ihrer Gründung bestehenden Freiheiten verstießen. Eine weise Regierung hätte die Unruhen im Keime erstickt, allein das Londoner Ministerium verfuhr nach ganz anderen Grundsätzen. Es kam zu neuen Händeln wegen einiger Kaufleute, die das Monopol auf gewisse ostindische Waren hatten; die Kolonien sollten gezwungen werden, diese zu kaufen85-2. Die Härte und Gewaltsamkeit des Verfahrens brachte den Aufruhr zum Ausbruch. Auf einem Kongreß in Philadelphia warfen die Amerikaner das ihnen unerträglich gewordene englische Joch ab und erklärten sich für frei und unabhängig (4. Juli 1776). Dadurch wurde Großbritannien in einen höchst kostspieligen Krieg mit seinen eigenen Kolonien verwickelt. Hatte Lord Bute diese Sache aber ungeschickt angefangen, so führte er sie noch ungeschickter fort, als der Krieg ausbrach. Er hielt 7 000 Mann regulärer Truppen tatsächlich für hinreichend, um Amerika zu unterwerfen, und da er in seinen Berechnungen kein Newton war, irrte er sich jedesmal. General Washington, oder wie man ihn in London nannte, das Haupt der Rebellen, trug schon bei den ersten Feindseligkeiten Erfolge über die bei Boston versammelten Royalisten davon. König Georg war auf Siege gefaßt; die Nachricht von dieser Niederlage überraschte ihn, und die Regierung sah sich genötigt, ihre Maßnahmen zu ändern.
Es lag auf der Hand, daß die in Amerika vorhandenen Truppen zum Erreichen des vorgesteckten Zieles nicht genügten. Es galt also, eine Armee aufzustellen, trotzdem man sich der Schwierigkeit bewußt war, so viele Leute aufzutreiben und zusammenzubringen. Die Engländer haben es jederzeit an Gewandtheit und Schmiegsamkeit in ihren Unternehmungen fehlen lassen. Nur auf ihren eigenen Vorteil erpicht, verstehen sie es nicht, die anderen bei dem ihren zu fassen. Mit ihren Guineen<86> glaubten sie alles ausrichten zu können. Sie wandten sich also zunächst an die Zarin, stießen sie aber durch ihre Anerbietungen um so mehr vor den Kopf, als die stolze Katharina es weit unter ihrer Würde fand, Subsidien von einer fremden Macht anzunehmen. Schließlich fanden sie in Deutschland geldgierige oder verschuldete Fürsten, die das englische Geld nahmen. So bekamen die Engländer 12 000 Hessen, 4000 Braunschweiger, 1200 Ansbacher, ebenso viele aus Hanau, und ein paar hundert Leute, die ihnen der Fürst von Waldeck stellte. Außerdem sandte der Hof 4 000 Hannoveraner nach Gibraltar und Port Mahon zur Ablösung der dortigen englischen Garnisonen, die nach Amerika geschickt wurden. All diese Truppen standen unter Lord Howe und seinem Bruder, dem Admiral86-1, wie wir seinerzeit berichten werden. Jedes Kriegsjahr kostete den Engländern 6 Millionen Pfund Sterling oder 36 000 Millionen Taler. Die englischen Staatsschulden wurden schon damals auf 900 Millionen Taler beziffert. Da ein Kriegsjahr zur Unterwerfung der Kolonien nicht ausreichte, ließ sich also bereits damals voraussehen, daß die Staatsschuld in Bälde eine Milliarde übersteigen würde.
Der folgende Feldzug brachte keine Entscheidung. Die Amerikaner behaupteten sich gegen Lord Howe und alle ihm nachgeschickten Verstärkungen; doch gegen Ende des Jahres 1777 wandte sich das Glück offen den Kolonien zu. Auf Befehl des Hofes rückte General Burgoyne mit 13 000 Mann aus Kanada an, um nach den ihm gegebenen Weisungen gegen Boston zu operieren, während Lord Howe, der nichts davon erfuhr, sich Philadelphias bemächtigt hatte. Dieser Mißgriff verdarb alles. Burgoyne hatte keine Pferde zum Transport der Lebensmittel und konnte seine Unternehmung ohne sie nicht durchführen. Er mußte sich mit all seinen Truppen den Amerikanern, die er unterwerfen wollte, gefangen geben86-2. Eine solche Katastrophe hätte in früheren Zeiten die ganze Nation gegen die Regierung in Harnisch gebracht, ja selbst eine Revolution herbeigeführt. Damals erregte sie nur leises Murren: so sehr überwog die Liebe zum Gelde die Vaterlandsliebe. Das englische Volk, einst so edel und hochherzig, setzte den persönlichen Vorteil über das Gemeinwohl.
König Georg III., der aus Laune oder Eigensinn an Butes System festhielt, versteifte sich auf die Überwindung der Hindernisse, die sich vor ihm türmten. Gleichgültig gegen das Unglück, das er auf sein Volk wälzte, verfolgte er seine Pläne nur um so leidenschaftlicher. Um sich die Überlegenheit über die Amerikaner zu verschaffen, ließ er an allen deutschen Höfen Unterhandlungen anknüpfen, um ihnen die letzten Hilfskräfte abzupressen, die sie noch liefern konnten. In Deutschland spürte man bereits den Ausfall an Menschen, die in jene fernen Länder verschickt worden waren, und der König von Preußen sah voller Besorgnis, daß das Reich sich all seiner Verteidiger entblößte, besonders im Hinblick auf die Möglichkeit eines neuen<87> Krieges. Hatten doch im Kriege von 1756 Niedersachsen und Westfalen allein ein Heer gestellt, das alle Invasionspläne der Franzosen zum Stocken gebracht und vereitelt hatte. Aus diesem Grunde machte er Schwierigkeiten beim Durchmarsch der Truppen, die an England verkauft waren, soweit ihr Weg durch das Magdeburgische, das Mindener Land und die niederrheinischen Provinzen führte. Das war nur eine schwache Vergeltung für die schlimmen Praktiken, die der Londoner Hof wegen der Stadt Danzig und ihres Hafens87-1 gegen ihn geübt hatte. Immerhin wollte der König die Dinge nicht auf die Spitze treiben. Lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man schon Feinde genug auf Erden hat, auch wenn man sich nicht die Mühe gibt, sich leichtfertig neue auf den Hals zu laden.
Soviel von England während der kurzen Zeitspanne, deren Begebenheiten wir hier skizzieren wollen. Wir ziehen nun die Summe des Denkwürdigen, das sich zur selben Zeit in Rußland zutrug.
Die Kaiserin von Rußland hatte eben den Türkenkrieg beendet87-2. Ihre Truppen hatten ihr großen Ruhm erstritten, aber der Staat war an Menschen und Geld fast erschöpft und der Friede so wenig gesichert, daß der Großwesir selbst dem russischen Gesandten bei der Pforte, Fürst Repnin, erklärte: wenn der Krim-Khan nicht unter die türkische Herrschaft zurückkehrte und die Zarin Kertsch und Ienikala nicht zurückgäbe, so würde der der Türkei abgepreßte Friede nicht von langer Dauer sein. Auf Grund dieser Erklärung besetzten die russischen Truppen Perekop, und alsbald brachen die Feindseligkeiten in der Krim wieder aus. Es war kein förmlicher Krieg, bei dem zwei große Heere sich gegenüberstanden, sondern es kam nur zu Einfällen, zu Landungen türkischer Truppen an verschiedenen Küstenpunkten, die zu kleinen Kämpftn führten. Die Russen gingen zwar stets als Sieger daraus hervor, aber dieser Ungewisse Zustand beunruhigte die Zarin. Mußte sie doch ihr Heer an der Grenze der Tartarei versammeln und ein starkes Korps in Kiew halten, um im Notfall einer Truppenmacht von 40 000 Türken entgegenzutreten, die bei Bender lagerten und von da leicht einen Vorstoß quer durch Polen gegen die russischen Provinzen jenseits des Dnjestr machen konnten. So herrschte weder Krieg noch Friede; die Ausgaben der Zarin waren aber ebenso groß wie bei einem erklärten Kriege zwischen beiden Mächten.
Andere Vorgänge, die nicht minder zur Zeitgeschichte gehören, spielten sich am Petersburger Hofe selbst ab. Als ihr Sohn, der Thronfolger, ins heiratsfähige Alter kam, wollte die Zarin ihm eine Gattin auswählen. Es sollte eine deutsche Prinzeß sein, deren Alter und Person ihrem Sohne zusagte. Die Wahl war für den Berliner Hof nicht gleichgültig, da diese Eheschließung seinen Interessen günstig oder nachteilig werden konnte. Deutschland war damals arm an Prinzessinnen. Nur drei oder vier kamen in Frage; die meisten waren zu alt oder zu jung. Unter denen, die zur Wahl standen, war eine Schwester des Kurfürsten von Sachsen87-3, eine württem<88>bergische Prinzeß88-1 — sie war recht jung — und drei Töchter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, deren älteste Schwester den Prinzen von Preußen geheiratet hatte. Es war also höchst vorteilhaft, wenn eine darunter Großfürstin wurde; dann hätten die verwandtschaftlichen Bande das politische Bündnis noch gefestigt und Preußen enger denn je mit Rußland verknüpft. Der König setzte alle Hebel in Bewegung, um es dahin zu bringen, und das gelang ihm auch völlig. Die Darmstädtischen Prinzessinnen reisten über Berlin nach Petersburg; die zweite Tochter des Landgrafen trug den Apfel davon, und die Hochzeit wurde feierlich begangen (1773)88-2.
Die neue Großfürstin betrug sich nicht so, wie man von einer Prinzessin ihres Geblüts erwarten durfte. Sie war in einer Zeit der Ränke und Kabalen nach Petersburg gekommen, wo der ganze Hof durch die Umtriebe der fremden Gesandten aufgewühlt war. Der spanische und französische Vertreter88-3 setzten alles daran, um Hader zwischen Rußland, Österreich und Preußen zu stiften. Fürchteten sie doch, daß ein allzu festes Bündnis zwischen diesen drei Mächten zustandekommen könnte. Um ihr Ziel zu erreichen, glaubten sie sich eine Partei bilden zu müssen, die ihnen zu Gebote stände. So kamen sie auf den Einfall, wenn sie die Großfürstin auf ihre Seite brächten, werde ihnen das übrige nicht schwer fallen. Zu dem Zweck gewannen sie einen Fürsten Rasumowski, der im persönlichen Dienste des Großfürsten war. Als Werkzeug der Gesandten ging Nasumowski in seiner Dreistigkeit so weit, daß er zum Liebhaber der Großfürstin wurde, bei der er dank der Gunst ihres Gatten freien Zutritt hatte. Sie machte sich die Ansichten ihres Geliebten zu eigen und geriet völlig in seinen Bann. Auf diese Weise kam sie ganz in das Fahrwasser des spanischen Botschafters. Anderthalb Jahre nach der Hochzeit ward sie guter Hoffnung, aber wie man sich allgemein zuraunte, nicht von ihrem Gemahl. Der Berliner Hof bekam Wind von all diesen Umtrieben und gefährlichen Machenschaften.
Ferner waren damals neue Reibereien in Warschau wegen der polnischen Gebiete entstanden, die die Teilungsmächte besetzt hatten. Die Sarmaten erhoben lautes Gezeter und beschuldigten Österreich und Preußen, ihre Grenzen weit über das vertragsmäßig Ausbedungene erweitert zu haben88-4. Diese Klagen hatten Eindruck auf die Zarin gemacht; denn es schmeichelte ihrer Eigenliebe, an große Monarchen Provinzen verschenkt, und mehr noch ihrem Stolze, die Grenzen bestimmt zu haben.
Um den etwaigen schlimmen Folgen der Verstimmung der Zarin vorzubeugen und sie schleunigst.zu beschwichtigen, beschloß der König, Prinz Heinrich nach Petersburg zu schicken, angeblich um ihr einen Besuch abzustatten, zu dem sie ihn eingeladen hatte88-5. Hinzugefügt muß werden, daß der König sich mit dem Wiener Hofe ins Ein<89>vernehmen gesetzt hatte, sodaß beide Mächte ihre Besitzungen trotz des Geschreis der Polen unverkürzt behielten. Während sie gleichzeitig den russischen Hof zu beruhigen suchten, verfolgte Fürst Kaunitz in seiner doppelzüngigen Politik nur das Ziel, den Berliner Hof mit dem Petersburger zu entzweien. Zu dem Zweck ließ er dem letzteren erklären, die Kaiserin-Königin habe lediglich aus Gefälligkeit gegen die Zarin beschlossen, der Republik Polen einen Teil der Woiwodschaft Lublin zurückzuerstatten, alles Gebiet am rechten Ufer des Bug, die Krakauer Vorstadt Casimir und noch einige andere Stücke, die sie in Besitz hatte.
Unter diesen eigentümlichen und heiklen Umständen kam Prinz Heinrich nach Petersburg. Er hatte die Franzosen, Spanier und Österreicher gegen sich. Kaum war er von der Zarin empfangen worden, so starb die Großfürstin bei der Geburt eines toten Kindes89-1. Prinz Heinrich, der der Szene beiwohnte, stand der Zarin bei diesem Schicksalsschlage bei, soviel er vermochte. Besonders aber nahm er sich des Großfürsten an, der durch diesen ebenso ungewohnten wie düstern Vorgang tieferschüttert war. Prinz Heinrich wich nicht von seiner Seite; es gelang ihm nicht allein, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit beizutragen; sein Meisterwerk war die völlige Wieder-aussöhnung zwischen Mutter und Sohn. Hatten doch die Zerwürfnisse und die Feindschaft zwischen beiden seit der Heirat des Großfürsten derart zugenommen, daß für einen von beiden Teilen schlimme Folgen daraus zu erwachsen drohten. Die Zarin war tiefgerührt über den Liebesdienst, den Prinz Heinrich ihr erwiesen hatte; seither wuchs sein Einfluß von Tag zu Tag. Er machte den besten Gebrauch davon. Die Zarin war willens, ihren Sohn sogleich wiederzuverheiraten. Prinz Heinrich schlug ihr die Prinzessin von Württemberg89-2 vor, die Großnichte des Königs, und dieser Vorschlag fand sofort ihren Beifall. Außerdem wurde beschlossen, daß der Großfürst den Prinzen Heinrich nach Berlin begleiten sollte, um die Prinzessin zu sehen und sich mit ihr zu verloben. Darauf sollte er sie nach Petersburg geleiten und sich dort mit ihr vermählen.
Schwieriger fiel es dem Prinzen, die Forderungen der Polen zu durchkreuzen, die von Preußen die Rückgabe einiger Landstriche verlangten. Die Österreicher waren mit dem Beispiel voraufgegangen; Rußland bestand darauf, daß der König ihrem Vorgang folgte. Die Sache wurde dem russischen Gesandten in Polen, Stackelberg, zur Vermittlung überwiesen, und nachdem man sich schlecht und recht geeinigt hatte, erstattete der Berliner Hof der Republik den Goplo-See, das linke Drewenz-Ufer und einige Dörfer in der Umgegend von Thorn zurück.
Wir wollen den Empfang des Großfürsten hier nicht ausführlich schildern: es war von der Grenze bis nach Berlin eine Kette von Festlichkeiten, bei denen sich Prunk und Geschmack um die Ehre stritten, den erlauchten Gast würdig zu feiern89-3. Nicht<90> verhehlen aber dürfen wir, wie die Menschenkenner über den Charakter des jungen Großfürsten urteilten. Er zeigte sich stolz, hochmütig und heftig, und so fürchteten alle, die die russischen Verhältnisse kennen, er werde Mühe haben, sich auf dem Thron zu behaupten, oder als Herrscher eines harten und halbwilden Volkes, das durch die milde Regierung mehrerer Kaiserinnen verwöhnt war, ein ähnliches Schicksal erleiden wie sein Vater.
In Wien glaubte man nicht, daß der Großfürst nach Berlin kommen werde. Fürst Kaunitz verließ sich auf die Wirkung seiner Ränke. Er war überzeugt, dadurch, daß sein Hof als erster einige den Polen entrissene Gebiete zurückerstattet hätte, sei der Berliner Hof mit dem Petersburger unwiderruflich verfeindet. In dem Augenblick aber, wo er zu triumphieren glaubt, erfährt er, daß der Großfürst in Berlin ist, daß er die Prinzessin von Württemberg heiratet, und daß die Beziehungen zwischen Preußen und Rußland enger denn je sind.
Verfehlte Kaunitz auch seinen Streich in Petersburg, so entschädigte er sich doch auf Kosten der Türkei; denn der Wiener Hof hatte, unter dem Vorwand einer Grenzregulierung zwischen Ungarn und der Walachei, die Bukowina besetzt90-1, die sich bis auf eine Meile von Chozim erstreckt. Die Türken waren unwissend, oder besser gesagt, töricht genug, ohne einen stichhaltigen Grund von österreichischer Seite und ohne Klage in diese Zerstücklung ihrer Staaten zu willigen. Die anderen Mächte dachten nicht so. Rußland hatte allen Grund, auf die Erwerbung des Wiener Hofes am Dnjestr eifersüchtig zu sein; denn im Besitz eines Gebietes in nächster Nähe von Chozim konnten die Österreicher den russischen Heeren den Übergang über den Dnjestr verwehren, sobald diese ihre Eroberungen auf die Moldau oder Walachei ausdehnen wollten. Ließen sie aber die russischen Truppen hinüber, so konnten sie ihnen als Herren der Bukowina die Lebensmittel abschneiden oder doch wenigstens in den Kriegen zwischen Rußland und der Türkei als Schiedsrichter auftreten, je nachdem, wie es ihnen vorteilhaft dünkte.
Andrerseits intrigierten die Österreicher unaufhörlich in Konstantinopel, um die Erbitterung wachzuhalten, die der letzte Friedensschluß zwischen Rußland und der Türkei erregt hatte, und um neue Zerwürfnisse herbeizuführen. Auch die Franzosen bliesen ins Feuer. Diese geheimen Umtriebe rüttelten endlich den Großherrn auf und führten zu der schon erwähnten Erklärung an den Fürsten Repnin90-2 und zu den Plänkeleien in der tartarischen Krim, die in der Folge beigelegt wurden.
Wien war damals Europas Pläneschmiede und der Herd der Intrigen. Der höchst anmaßliche und hochmütige österreichische Hof, der die anderen beherrschen wollte, richtete seine Blicke überallhin, um seine Grenzen zu erweitern und die Staaten, die ihm bequem lagen, seiner Monarchie einzuverleiben. Im Osten trachtete die österreichische Ländergier nach Serbien und Bosnien. Im Süden bot sich ein Teil der<91> Besitzungen der Republik Venedig als lockende Beute dar. Man wartete in Wien nur auf eine Gelegenheit zur Aufteilung dieses günstig gelegenen Gebietes, um dadurch Triest und die Lombardei mit Tirol zu verbinden. Das war aber noch nicht alles. Nach dem Tode des Herzogs von Modem, dessen Erbin ein Erzherzog geheiratet hatte91-1, gedachte man das Herzogtum Ferrara, das die Kurie besaß91-2, zurückzufordern und dem König von Sardinien91-3 das Gebiet von Tortona und Allessandria abzunehmen, da es von jeher den Herzögen von Mailand gehört hatte. Nach Westen bildete Bayern einen verlockenden Köder. Als Nachbarland Österreichs eröffnete es ihm einen Weg nach Tirol. Im Besitz Bayerns, war das Haus Österreich fast im Besitz des ganzen Donaulaufes. Außerdem hielt man es in Wien den Interessen des Kaisers für nachteilig, wenn Bayern und die Pfalz in eine Hand kämen91-4. Da der Kurfürst von der Pfalz durch die bayerische Herrschaft zu mächtig geworden wäre, war es also besser, daß der Kaiser Bayern selbst einsteckte91-5. Geht man von Bayern donauaufwärts, so kommt man nach dem Herzogtum Württemberg, auf das der Wiener Hof höchst berechtigte Ansprüche zu haben glaubte. Alle diese Eroberungen hätten eine Länderbrücke von Wien bis zum Rheine gebildet; dort konnte das einst zum Reiche gehörige Elsaß Frankreich wiederabgenommen werden. Von da endlich führte der Weg nach Lothringen, das noch vor kurzem das Erbland von Josephs Vorfahren gewesen war. Wenden wir uns nun zum Norden, so gelangen wir nach Schlesien, dessen Verlust Österreich nicht verschmerzen konnte, und das der Wiener Hof bei der ersten Gelegenheit zurückgewinnen wollte.
Der Kaiser war noch zu unreif, um seine weitschauenden Pläne zu verbergen und zu verschleiern. Seine Lebhaftigkeit verriet ihn häufig; er wußte nicht, wie nötig VerStellungskunst in der Politik ist. Ein Beispiel dafür möge genügen. Gegen Ende des Jahres 1775 litt der König von Preußen unter heftigen, andauernden Gichtanfällen. Van Swieten, der Sohn eines Arztes und kaiserlicher Gesandter in Berlin, hielt diese Gicht für eine ausgeprägte Wassersucht. Stolz darauf, seinem Hofe den Tod eines lange gefurchtsten Gegners anzeigen zu können, meldete er dem Kaiser dreist, es ginge mit dem König zu Ende, und er würde kein Jahr mehr leben. Sofort gerät Josephs Gemüt in Wallung. Alle österreichischen Truppen rücken ins Feld; Böhmen wird zum Sammelpunkt bestimmt, und der Kaiser harrt in Wien ungeduldig auf die Todesnachricht, um sofort durch Sachsen gegen die brandenburgische Grenze vorzudringen und den Nachfolger vor die Wahl zu stellen: entweder Schlesien sofort an Österreich herauszugeben, oder sich von seinen Truppen erdrückt zu sehen, bevor er sich<92> zur Verteidigung rüsten kann. Da all das ganz öffentlich geschah, wurde es überall ruchbar und trug, wie sich leicht denken läßt, nicht zur Erhöhung der Freundschaft zwischen beiden Höfen bei. Der Öffentlichkeit erschien diese Szene um so lachhafter, als der König von Preußen nur die gewöhnliche Gicht hatte und bereits geheilt war, ehe die österreichische Armee sich versammelt hatte. Nun ließ der Kaiser alle seine Truppen wieder in ihre Quartiere abrücken, und der Wiener Hof war für sein unkluges Benehmen an den Pranger gestellt.
Im folgenden Jahre, 1777, unternahm der Kaiser inkognito eine Reise nach Frankreich. Sein Aufenthalt in Paris und Versailles trug nicht dazu bei, die Bande zwischen beiden Völkern enger zu knüpfen. Er hatte weit mehr Lebensart und Schliff als Ludwig XVI. Der französische Monarch konnte seine Eifersucht auf diese Vorzüge kaum verhehlen. Nun wollte Joseph auch die französischen Provinzen bereisen. Er ließ sich dort wohl mehr gehen als in der Hauptstadt und zeigte unverhohlenen Neid auf die guten Fabriken, Handelseinrichtungen und ähnliche Schöpfungen des französischen Gewerbefleißes. Manchmal sogar, wenn er schlechter Laune war, nahm er die Ehrungen und Aufmerksamkeiten, mit denen man ihm entgegenkam, in unwirscher und hochfahrender Weise entgegen. Diese Kleinigkeiten entgingen dem französischen Scharfblick nicht. Bei Hofe hatte der Kaiser sich durch Höflichkeit hervorgetan; in der Provinz erlegte er sich weniger Zwang auf und erschien mchr als Neider denn als Freund der Nation, bei der er zu Gaste war. So verlor er alles Ansehen, das er sich durch seine Liebenswürdigkeit erworben hatte.
AufIoseph hingegen machte diese Reise einen ganz anderen Eindruck. Er hatte die Normandie bereist, die Bretagne, Provence, das Languedoc, Burgund und die Franche-Comté — lauter Provinzen, die früher von eigenen Vasallenfürsten beherrscht, allmählich aber der Monarchie einverleibt worden waren. Diese Tatsache machte ihm tiefen Eindruck und regte ihn zu dem, wie ihm schien, demütigenden Vergleich zwischen der zu einer Einheit zusammengefaßten Ländermaffe Frankreichs und dem Zustand in Deutschland an. Er war zwar das Oberhaupt des Reiches, aber unter den Reichsfürsten waren so mächtige Könige und Herrscher, daß sie ihm Widerstand leisten, ja ihn bekriegen konnten. Hätte er die Macht besessen, er hätte flugs alle deutschen Lande unter seine Herrschaft gebracht, sich selbst zum Gebieter des weiten Reiches aufgeworfen und sich dadurch mächtiger gemacht als alle Monarchen Europas. Dieser Plan beschäftigte ihn unausgesetzt. Nach seiner Meinung durfte ihn das Haus Österreich nie aus den Augen verlieren.
Diese ehrsüchtigen Pläne erweckten in ihm die Leidenschaft, sich Bayerns zu bemächtigen. Obwohl der Tod des bayrischen Kurfürsten keineswegs nahe schien, sparte der Kaiser weder Intrigen noch Bestechung, um den Kurfürsten von der Pfalz und dessen Minister auf seine Seite zu ziehen. Aber wer sollte denken, daß so abstoßende und empörende Dinge in Mannheim mit solcher Offenheit und solchem Mangel an Zurückhaltung behandelt wurden, daß nicht nur Deutschland, nein, ganz Europa Be<93>scheid wußte! Der König von Preußen, der den Wiener Hof nie aus den Äugen ver-lor, kam als einer der ersten hinter dies schändliche Treiben. Österreich war zu gefährlich und zu mächtig, um vernachlässigt zu werden, zumal man die Pläne seiner Feinde genau kennen muß, wenn man ihnen entgegentreten will.
Aus den verschiedenen angeführten Tatsachen ergibt sich, daß der Friede Europas allerorten bedroht war. Das Feuer glomm unter der Asche, und ein Nichts konnte es zur hellen Glut entfachen.
Rußland war von einem Tage zum anderen auf einen Angriff der Türken gefaßt. Der Krieg war zwar nicht erklärt, aber auf beiden Seiten kam es zu Feindseligkeiten. Der letzte Krieg hatte der Zarin ungeheure Summen gekostet. Rußland war fast erschöpft, besonders wenn man die Verheerungen Pugatschews93-1 an den Ufern des Jaik in der Provinz Kasan und den Ruin der sehr einträglichen Bergwerke in jener Gegend hinzunimmt. Diese Verhältnisse waren nicht sehr günstig. Die Armee war in schlechtem Zustande, die Artillerie vernachlässigt, wenig Geld, wenig Kredit vorhanden. Kurz, wenn die Pforte zum Kriege schritt, stand sehr zu befürchten, daß das russische Reich nicht auf so glänzende Erfolge zu rechnen hätte wie früher.
In Wien herrschte ein junger, von Ehrsucht verzehrter, ruhmbegieriger Kaiser, der nur auf eine Gelegenheit brannte, um Europas Ruhe zu stören. Er hatte zwei Feldherren, Lacy und Laudon, die sich im letzten Kriege ausgezeichnet hatten. Sein Heer war in besserem Zustande denn je. Er hatte die Zahl der Feldgeschütze auf 2 000 erhöht. Nur die Finanzen litten noch unter den ungeheuren Kosten des letzten Krieges und standen noch nicht auf ganz sicherer Basis. Die Staatsschulden wurden auf 100 Millionen Taler bewertet; der Zins war auf 4 Prozent herabgesetzt worden, aber das Volk seufzte unter der Steuerlast, die sich täglich vermehrte, und trotz der gewaltigen, den Provinzen abgepreßten Summen, die nach Wien strömten, blieben der Kaiserin-Königin nach Abzug der festen, regulären Ausgaben nur zwei Millionen zur freien Verfügung. So war also kein anderer Fonds vorhanden als die 4 Millionen Taler, die Feldmarschall Lacy durch seine Ersparnisse bei der Heeresverwaltung zurückgelegt hatte. Indes hatte die Wiener Bank durch pünktliche Verzinsung der vom Hof aufgenommenen Kapitalien ihren Kredit in Holland und Genua so befestigt, daß der Hof, wenn er neue Anleihen machen mußte, auf neue Hilfsquellen rechnen konnte. Nimmt man zu diesem gesicherten Kredit ein stehendes Heer von 170 000 Mann, so wird jeder Leser leicht zugeben, daß die österreichische Macht damals furchtgebietender war als unter den früheren Kaisern, selbst unter Karl V.
Frankreich war, so wie wir es geschildert haben, sehr heruntergekommen, wenn man seinen damaligen politischen Zustand mit dem verglich, was es in der großen Zeit Ludwigs XIV. gewesen war. Seine Fruchtbarkeit schien erschöpft; es schien<94> nicht mehr die Kraft zu haben, so große Geister wie ehemals hervorzubringen. Von ungeheuren Schulden erdrückt, sann es immerzu auf Mittel, sich aus ihnen herauszuarbeiten. Ein Generalkontrolleur der Finanzen wurde als Alchymist angesehen: er sollte Gold machen. Sobald er nicht genug herbeischaffte, jagte man ihn sogleich fort. Endlich fiel die Wahl auf Necker, obwohl er Calvinist war. Vielleicht hoffte man, ein Ketzer, der ja doch verdammt war, werde einen Pakt mit dem Teufel schließen und das für die Regierung nötige Geld herbeischaffen. Der Staat unterhielt 100 000 Mann reguläre Truppen und 60 000 Mann Milizen. In den Häfen fehlte es an Schiffen; kaum zwölf waren seetüchtig. Maurepas benutzte die Zeit, wo England seinen unangebrachten Krieg mit den Kolonien führte, zur Hebung der französischen Flotte. Von 1776 ab ward auf allen Werften gearbeitet. 36 Linienschiffe waren bereits fertig; von 1778 an belief sich ihre Zahl auf 66, ungerechnet die Fregatten und anderen Fahrzeuge. Die Inseln und die amerikanischen Kolonien hatten sämtlich hinreichende Besatzungen. Für seine ostindischen Besitzungen hatte Frankreich vielleicht weniger gesorgt. Indes hätten soviel Zurüstungen den Engländern wohl die Augen öffnen und ihnen einen baldigen Bruch mit Frankreich prophezeien können, wenn sie sich um die Zukunft gekümmert hätten94-1. Frankreichs Lage war zwar nicht glänzend, verdiente aber doch die Aufmerksamkeit der übrigen Mächte. Infolge seiner Schulden konnte es zwar keinen langen Krieg aushalten, aber es fühlte sich stark durch sein Bündnis mit Spanien und den Beistand, den es sich davon versprechen durfte, und so suchte es nur eine Gelegenheit, um wie ein Falke auf seine Beute herabzusioßen und sich an England für die Unbill zu rächen, die es ihm während des letzten Krieges zugefügt hatte. Überhaupt konnte in Deutschland und in Südeuropa nichts Wichtiges unternommen werden, ohne daß man sich mit Frankreich ins Einvernehmen setzte.
England war, wie gesagt, unter dem Joch der Torys, von Schulden erdrückt und in einen höchst kostspieligen Krieg verwickelt, der die Staatsschulden jährlich um 36 Millionen Taler erhöhte. Um sich am eigenen Leibe zu schaden, erschöpfte es all seine Hilfsquellen und ging mit Riesenschritten dem Verfall entgegen. Die Minister häuften Fehler auf Fehler. Der größte war, einen Krieg in Amerika zu führen, der keinen Nutzen bringen konnte. Dazu kam, daß England sich mit aller Welt ohne Grund verfeindete, abgesehen von Frankreich, Englands Erbfeind. Allein der Londoner Hof stand sich ebenso schlecht mit Spanien infolge der Streitigkeiten über die Falklandinsel94-2, und in Portugal hatte England seit dem Tode des letzten Königs94-3 jeden Einfluß verloren. Durch sein hochmütiges, hartes und tyrannisches Benehmen gegen den Gouverneur von St. Eustache hatte es sich die Freundschaft und das Vertrauen der Niederlande verscherzt94-4. Als Kurfürst von Hannover hatte der König<95> von England den Wiener Hof verstimmt, weil er ihm die üblichen Pässe für die Ausfuhr von Remontepferden verweigerte. Er hatte ferner die Zarin verletzt, indem er Rußland wie einen feilen Kleinstaat behandelte, dessen Hilfe er erkaufen wollte. Seit dem Abenteuer seiner Schwester, der Königin Karoline Mathilde95-1, stand er sich mit Dänemark auf Kriegsfuß. Doch am meisten über ihn zu klagen hatte der König von Preußen. Er konnte dem König von England den unwürdigen Frieden vorwerfen, den dieser mit Frankreich geschlossen hatte, um ihn im Stich zu lassen, die Treulosigkeit, womit er ihn dem Wiener Hof aufopfern wollte, die schmählichen Intrigen, die er angezettelt hatte, um ihn mit dem Zar Peter III. zu verfeinden95-2, und schließlich all die Ränke, die England gesponnen hatte, um ihn um den Besitz des Danziger Hafens zu bringen95-3. England hatte also die völlige Vereinsamung, in der es sich damals befand, lediglich seinem eigenen falschen Benehmen zu danken.
Schweden hatte zwar seine Verfassung geändert95-4, aber keine neuen Kräfte gewonnen. Seine Handelsbilanz war ungünstig. Von Frankreich erhielt es keine Subfidien, und so war das Land kaum imstande, sich zu verteidigen, geschweige denn jemanden anzugreifen. Es galt im Rate der europäischen Völker noch weniger als jene römischen Senatoren, die man pedarii nannte, weil sie nicht das Recht hatten, selbst ein Votum abzugeben, sondern nur der Meinung der anderen beitreten durften.
Dänemark besaß eine gute Flotte und ein Heer von 30000 Mann. Aber bei seiner Schwäche stand es fast auf der gleichen Stufe wie Schweden.
Der König von Sardinien war durch das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich so gut wie geknebelt. Aus eigener Kraft vermochte er nichts; er konnte nur im Bunde mit einer Großmacht eine Rolle spielen, bedeutete unter der damaligen Konstellation also nicht mehr als Schweden und Dänemark.
Polen war voll unruhiger, leichtfertiger Köpfe. Es unterhielt nur 14 000 Mann, und seine Finanzen reichten nicht einmal aus, um dies kleine Kontingent ins Feld zu stellen. Der russische Gesandte regierte das Land im Namen der Zarin, ungefähr so, wie einst die Prokonsuln die Provinzen des römischen Reiches regierten. Für die Beurteilung Polens war es in Wirklichkeit also ganz gleichgültig, was man in Warschau dachte oder plante, wenn man nur wußte, was in Petersburg beschlossen war.
Preußen hatte sich während des Friedens einiger Ruhe erfreut. Es verfolgte aufmerksam die Pläne, die seine Nachbarn schmiedeten, mischte sich aber in nichts unmittelbar ein und war vor allem darauf bedacht, seine verheerten Provinzen wiederherzustellen. Die Bevölkerung hatte bedeutend zugenommen, die Staatseinkünfte waren um ein Viertel höher als im Jahre 1756, die Armee völlig reorganisiert. Seit 1774 unterhielt der König ein wohldiszipliniertes Heer von 186 000 Mann, das jeden Augenblick kriegsbereit war. Die Festungen waren größtenteils ausgebaut und in gutem Zustand, die Magazine für ein Kriegsjahr gefüllt und ziemlich beträcht<96>liche Summen zurückgelegt, um ohne Unterstützung mehrere Feldzüge aushalten zu können.
Rußland war Preußens einziger Bundesgenosse. Dies Bündnis hätte hingereicht, wäre nicht der Ausbruch eines neuen Krieges in der Krim zu befürchten gewesen, der die Zarin verhindert hätte, dem König die ausbedungene Hilfe zu leisten. Allerdings hatte der Berliner Hof alle Mächte rücksichtsvoll behandelt und war mit keiner entzweit, aber angesichts der ehrgeizigen Absichten des Kaisers war mit Sicherheit vorauszusehen, daß das erste unverhoffte Ereignis diesen Vulkan zum Ausbruch bringen würde. Schon waren anläßlich der Visitation des Reichskammergerichts Mißhellig-leiten im Reiche entstanden. Das rechtswidrige Verfahren dieses Gerichtshofes hatte zu allerlei Beschwerden von seilen der geschädigten Fürsten geführt. Anstatt nun aber die Schuldigen, die seine Kreaturen waren, zu bestrafen oder fortzuschicken, hielt der Wiener Hofihnen die Stange. Doch der König von Preußen und der König von England in ihrer Eigenschaft als Kurfürsten nebst einem starken Anhang zwangen die Österreicher, in mehreren Punkten nachzugeben. Der despotische Sinn des Kaisers fühlte sich dadurch verletzt und brütete Rachepläne. Kurz, wohin man auch den Blick wandte, die Ruhe Europas schien von kurzer Dauer.
Um unter so kritischen Verhältnissen nicht planlos zu handeln, mußte Preußen sich mit anderen Mächten verständigen und die wirkliche Stimmung in Frankreich ergründen. Die alten Beziehungen zwischen dem Berliner und Versailler Hofe waren seit 1756 abgebrochen. Der darauf folgende Krieg, die Begeisterung der Franzosen für Österreich, ihre Anstrengungen zur Zerschmetterung des Königs von Preußen — einer ihrer Lieblingsausdrücke — und schließlich die daraus entsprungene Animosität hatten die Geister einander nicht näher gebracht. Derartige Wunden sind zu schmerzhaft, um rasch zu heilen. Nach dem Hubertusburger Frieden verwandelte sich die Erbitterung in Kälte; danach ging der Berliner Hof ein Bündnis mit Rußland ein. Nun muß man wissen, daß die Zarin eine Art Abneigung gegen alles Französische hatte. Diese stammte aus der Zeit der Kaiserin Elisabeth, wo der Versailler und Wiener Gesandte geraten hatten, die Zarin, d. h. die damalige Großfürstin, in ein Kloster zu stecken und den Großfürsten mit Prinzessin Kunigunde von Sachsen zu vermählen96-1. Solche Züge prägen sich dem weiblichen Gemüt so tief ein, daß ihre Spur sich nie verwischt. Der König von Preußen durfte sich also damals Frankreich nicht zu sehr nähern, wenn er seine einzige Bundesgenossin behalten wollte. Aus diesem Grunde kam der französische Gesandte in Berlin, Guines, eine Kreatur Choiseuls, mit seinen Unterhandlungen nicht vorwärts96-2, zumal 1770 die polnischen Unruhen ausbrachen und der König nicht zugleich auf selten der Russen stehen konnte, die für König Stanislaus Poniatowski eintraten, und auf selten der Franzosen, die die Konföderation von Bar96-3 unterstützten. Bald darauf kam es zu den Ereignissen, die <97>die Teilung Polens herbeiführten: damit verbot sich mehr denn jemals jedes enge Verhältnis zum Versailler Hofe.
Zu all diesen Hindernissen kam noch das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich, das jede etwaige Verbindung mit Frankreich noch unmöglicher machte. Denn solange dieser Vertrag bestand, konnte Frankreich nicht, ohne gegen ihn zu verstoßen, mit dem Berliner Hofe anknüpfen. Auf den abberufenen Guines folgte Pons97-1, der sich für seine Stellung wenig eignete. Er war ein beschränkter Geist ohne Geschäftskenntnis, der sich in allem, was er tat, auf einen Exiesuiten, seinen einstigen Erzieher, verließ. Dieser Abbé Mat stand derart unter dem Einfluß des kaiserlichen Gesandten van Swieten, daß er nur so hörte, dachte und urteilte, wieÖsterreich es ihm eingeblasen hatte. Das ging so weit, daß Pons den Spitznamen „Kammerherr van Swietens“ führte. Infolgedessen konnten die preußischen Minister kein offenes Wort mit ihm reden, wenn der Wiener Hof nicht sofort alles haarklein erfahren sollte, und von dem war vorauszusetzen, daß er diese Kenntnis gegen die Interessen des Königs benutzen werde.
Mit dem Abschluß der Dinge in Polen und dem Dekorationswechsel, der auf der politischen Bühne um 1777 eintrat, unter dem neuen König und dem neuen Minister, die in Frankreich regierten, war die Möglichkeit gegeben, den Petersburger und Versailler Hof auszusöhnen. Denn die alten Machthaber waren verschwunden, und der Groll der Zarin konnte sich unmöglich auf die Nachfolger übertragen. Die Schwierigkeit bestand also nur noch darin, wie man zu einer Aussprache gelangen konnte. Der König hielt es für das beste, seine Vorschläge durch seinen Gesandten am VersMer Hofe, Goltz, machen zu lassen. Der wandte sich unmittelbar an Maurepas und drückte ihm den Wunsch seines Gebieters aus, sich Frankreich wieder zu nähern. Zugleich bat er, wegen des geringen Vertrauens, das Pons in Berlin besaß, jemand anders dorthin zu schicken, mit dem man sich frei und sicher aussprechen könnte. Maurepas nahm dies Anerbieten mit Vergnügen auf und schickte Iaucourt, der als Offizier unverdächtig reisen konnte, unter dem Vorwand nach Berlin, den preußischen Manövern beizuwohnen. Iaucourt kam während der Magdeburger Revuen97-2 an. Der Zufall fügte es, daß auch Fürst Liechtenstein97-3 zugegen war. Infolgedessen mußten beide, der König wie der Gesandte, große Vorsicht anwenden, damit der Österreicher nicht merkte, was vorging. Das gelang auch so gut, daß der Fürst nach Wien zurückkehrte, ohne die geringste Ahnung von dem Einvernehmen zwischen Preußen und Frankreich zu haben. Nach dessen Abreise fand der König Gelegenheit, sich mit Jaucourt auszusprechen, ohne daß der mindeste Verdacht entstand. Alle Vorgänge seit dem letzten Frieden wurden durchgegangen und vieles, was die vergangenen und damaligen Konstellationen betraf, erörtert. Man machte sogar Konjekturen für die Zukunft. Auch der maßlose Ehrgeiz des Kaisers kam zur Sprache. Kurz, nachdem<98> die Interessen beider Mächte gründlich erörtert waren, mußte Jaucourt zugeben, daß ein Bündnis mit Preußen für Frankreich in jedem Sinne vorteilhafter sei als mit dem Wiener Hofe. Um sein Spiel besser zu verbergen, begab sich Jaucourt hierauf nach Prag, um den österreichischen Manövern beizuwohnen, und nach seiner Rückkehr nach Versailles erfuhr man, daß Maurepas mit seinen Besprechungen nicht unzufrieden gewesen war. Obwohl keinerlei Abmachungen zwischen beiden Höfen getroffen waren, gestaltete sich das Verhältnis zwischen Frankreich und Preußen in der Folge doch vertraulicher und harmonischer als seit langem.
Das war die Lage Europas bis zum Tode des Kurfürsten von Bayern, von dem im nächsten Kapitel die Rede sein soll.
<99>Der Bayrische Erbfolgekrieg
Die Teilung Polens zwischen Rußland, Österreich und Preußen, deren Umstände wir dargestellt haben, schien nach unserer Meinung das letzte bemerkenswerte Ereignis der Regierung des Königs gewesen zu sein. Allein das Schicksal, das der menschlichen Voraussicht spottet, hatte es anders beschlossen. Der plötzliche Tod eines Fürsten, der weder bald zu erwarten noch wahrscheinlich war, siörte unvermittelt die Ruhe Europas. Der Kurfürst von Bayern erkrankt an den Blattern, und sein Tod99-1 überrascht alle, denen an seiner Wiederherstellung lag, in dem Augenblick, da die Nachricht von seiner Genesung sie mit neuer Hoffnung erfüllte.
Seitdem wurde der Krieg fast unvermeidlich; denn wie man wußte, hatte der schrankenlose Ehrgeiz des Wiener Hofes und der junge Kaiser Joseph II. in seiner Begehrlichkeit es darauf abgesehen, Bayern beim Tode des Kurfürsten an sich zu reißen. Der Plan stammte von Kaiser Franz, der, um ihm einen Schein von Recht zu geben, seinen Sohn mit der Schwester des bayrischen Kurfürsten verheiratet hatte99-2, damit er Anspruch auf dessen Allodialerbe erwürbe. Da aber die bayrische Prinzessin ohne Nachkommen gestorben war, wurde dieser Vorwand hinfällig. Dem Kaiserhofe<100> blieb nun kein Rechtsanspruch, noch selbst der Schein eines solchen auf Bayern; er behalf sich daher mit gefälschten Dokumenten und vermeintlichen Hoheitsrechten, die der Kaiser als König von Böhmen auf die bayrischen Lehen zu haben glaubte. Alle Minister des Kurfürsten von der Pfalz100-1, ja dieser selbst, waren von Österreich im voraus bestochen. Man hatte ihm vorteilhafte Versorgungen für seine illegitimen Söhne versprochen, falls er ihnen die Rechte seiner legitimen Nachfolger opferte, an deren Spitze der Herzog von Zweibrücken100-2 stand.
Kaum traf in Wien die Kunde vom Ableben des Kurfürsten von Bayern ein, so trat der Staatsrat zusammen. Der Kaiser schlug vor, Bayern zu besetzen. Die Kaiseritt willigte mit Widerstreben in diesen gewaltsamen Schritt, oder besser: sie ließ sich hinreißen durch die Überredungskunst des Fürsten Kaunitz, der ihr versicherte, er würde keine üblen Folgen haben, und Europa würde in seiner Verblüffung oder Lethargie das kühne und entschiedene Vorgehen des Kaisers nicht hindern. Sofort rücken 16 Bataillone, 20 Schwadronen und 80 Geschütze ab. Bei dieser Nachricht erbleicht der Kurfürst von der Pfalz, der sich in München befand; ein panischer Schreck trübt sein bißchen Verstand; seine Feigheit gibt den Ausschlag, und er unterzeichnet zu seiner Schande ein Abkommen100-3, durch das er zwei Drittel von Bayern der österreichischen Ländergier abtritt.
Diese ebenso gewaltsame wie ungerechte Tat wurde allgemein ruchbar. Der Kaiser hatte seine Maske hinreichend gelüftet, um ganz Europa darüber aufzuklären, was für Folgen ein so zügelloser Ehrgeiz verhieße. In diesem kritischen Augenblick galt es, Partei zu nehmen. Entweder mußte man dem Gießbach, der, wenn ihn nichts hemmte, alles zu überschwemmen drohte, einen starken Damm entgegensetzen, oder jeder Reichsfürst mußte auf sein Freiheitsprivileg verzichten. Denn blieben die Reichsstände untätig, so schienen sie damit dem Kaiser stillschweigend das Recht zu geben, das er sich anmaßen wollte, über die erledigten Reichslehen despotisch zu verfügen. Das aber mußte zum allgemeinen Umsturz der Reichsgesetze, Verträge, ErbVerbrüderungen und Privilegien führen, die den Reichsfürsten ihr Besitztum sicherten.
Alle diese verhängnisvollen Folgen waren dem Scharfblick des Königs nicht entgangen. Bevor man aber zu gewaltsamen Mitteln griff, galt es erst andere Maßnahmen zu treffen. Der Herzog von Zweibrücken mußte gegen den Münchener Vertrag protestieren; Sachsen mußte den König für sein Allodialerbe um Hilfe angehen100-4. Vor allem aber mußte die Anschauung des Versailler und Petersburger Hofes ergründet werden; denn man mußte bestimmt wissen, was von ihrer Seite zu erwarten war.
Der Kurfürst von Sachsen war der erste, der sich an den König wandte, nachdem er. in Wien vergebens vorstellig geworden war. In seinem anmaßlichen Hochmut hatte<101> der Wiener Hof ihn nicht einmal einer Antwort gewürdigt. Denn der Kurfürst von der Pfalz, der fast seines ganzen Erbes beraubt war, vermochte Sachsens Allodialanspräche garnicht zu befriedigen. Andrerseits hatte der Wiener Hof, der mehr übereilt als besonnen handelte, sich des Herzogs von Zweibrücken nicht versichert, der als rechtmäßiger Nachfolger des Kurfürsten von der Pfalz dem Münchener Vertrag unbedingt zustimmen mußte, sollte dieser rechtsgültig werden. Außerdem hatte der Wiener Hof die ganze Sache mit so wenig Verschwiegenheit und Zurückhaltung betrieben, daß alle seine Schritte seit den zehn Jahren, wo er jenen Plan hegte, bekannt waren.
Das bewog den König, den Grafen Görtz101-1 inkognito nach München zu schicken. Er traf dort just im rechten Augenblick ein, um den Herzog von Zweibrücken von dem Abgrund zurückzureißen, in den er eben stürzen wollte. Graf Görtz stellte ihm vor, daß er durch Ratifikation des Vertrags seines Oheims garnichts gewänne; wenn er aber gegen dies rechtswidrige Abkommen protestierte, so bliebe ihm wenigstens die Aussicht auf Rückerstattung eines Teils des bayrischen Kreises, den der Kurfürst von der Pfalz den Österreichern so gewissenlos abgetreten hatte. Diese Wahrheit wirkte mächtig auf den jungen Fürsten; kurz darauf erschien sein Protest101-2. Gleichzeitig schrieb er an den König und bat um dessen Schutz und Beistand101-3.
Damit begann die Angelegenheit regelrechte Formen anzunehmen. Da der Kur-fürst von Sachsen und der Herzog von Zweibrücken den Berliner Hof mit der Vertretung ihrer Interessen betraut hatten, bot sich Anlaß genug, um mit dem Wiener Hofe Unterhandlungen über die bayrische Erbfolge anzuknüpfen. Das führte zu politischen Scharmützeln, während deren sich Zeit genug fand, zu ergründen, welche Partei Frankreich ergreifen würde und wie man in Petersburg dächte. Unter dem Vorwand völliger Unkenntnis ersuchte man in Wien um Aufklärung über die Rechte, die Österreich auf Bayern zu haben glaubte. Man bezweifelte sie, berief sich auf das Völkerrecht, führte alles an, was nach Recht und Brauch jenen Ansprüchen entgegenstand, zitierte die Artikel des Westfälischen Friedens, die in aller Form die bayrische Erbfolge regelten, kurz, man setzte den Kaiserhof um so mehr in Verlegenheit, als er bei dem unvermuteten Tode des bayrischen Kurfürsten keine Zeit gehabt hatte, seine Gewalttat durch plausible Scheingründe zu beschönigen. Und so war denn auch seine Verteidigung so lahm und schlecht, daß sie sich leicht widerlegen ließ: so schwer fällt es der Arglist und Bosheit, gegen Augenschein und Wahrheit zu kämpfen.
In diesem großen Interessenkonftikt fühlte sich der König mehr durch die Ungewißheit behindert, welche Stellung die Großmächte einnahmen, als durch die Haltung Österreichs. Frankreich war durch den Versailler Vertrag mit Österreich verbündet: hatte es sich mit dem Kaiser ins Einvernehmen gesetzt oder nicht? Hatte dieser<102> den Franzosen Abtretungen in Flandern versprochen, falls sie seiner widerrechtlichen Besitznahme von Bayern zustimmten? Zogen sie der Garantie des Westfälischen Friedens den Versailler Vertrag vor? Kurz, würden sie in den bevorstehenden Wirren neutral bleiben oder Österreich beistehen? Es war von äußerster Wichtigkeit, über all diese Punkte genau Bescheid zu wissen, um sich nicht in ein Unternehmen zu stürzen, dessen Folgen man nicht voraussehen konnte.
Alle diese Fragen wurden nach und nach in Versailles geklärt. Wie man erfuhr, mißbilligte das Ministerium innerlich das Vorgehen der Österreicher, wollte sich aber aus Rücksicht auf die Königin von Frankreich, Maria Theresias Tochter102-1, nicht gegen den Kaiser erklären, doch auch die Garantie des Westfälischen Friedens nicht fallen lassen. Mit anderen Worten: Frankreich wollte neutral bleiben — offenbar eine recht bescheidne Rolle für eine Großmacht, auf die zu Ludwigs XIV. Zeiten das erstaunte Europa die Augen geheftet hatte. Allein diese Haltung war durch vielerlei Gründe gerechtfertigt. Frankreich seufzte unter der ungeheuren Schuldenlast, die, wenn sie noch vergrößert wurde, den Staatsbankrott herbeiführen mußte; Maurepas war alt und dem sechzehnten Lustrum nahe102-2; der französischen Nation widerstrebte ein Krieg in Deutschland um so mehr, als sich die französischen Waffen in ihren letzten Feldzügen gegen die Alliierten unter Prinz Ferdinand von Braunschweig wenig mit Ruhm bedeckt hatten. Schließlich war Frankreich durch sein Bündnis mit den englischen Kolonien in Amerika102-3 gezwungen, deren Unabhängigkeit zu wahren, und das in einem Augenblick, wo es beschlossen hatte, England zur See zu bekriegen102-4. Zur Ausrüstung so vieler Schisse wurde auf allen Werften gearbeitet; hatte doch England durch einen Geheimartikel des letzten Friedens von 1763 die französische Flotte auf zwölf Linienschiffe beschränkt. Nun waren sechzig neue im Bau. Alles Geld, das man mit Mühe und Not aufbringen konnte, wurde für die Flotte bestimmt, und für andere Zwecke blieb nichts übrig.
Trotz dieses Zustands der Ohnmacht sah das französische Ministerium den kecken und verwegenen Anlauf des jungen Kaisers zum Despotismus mit Verdruß. Er schuf sich in Bayern einen Zugangsweg zu Elsaß und Lothringen; zugleich bahnte er sich einen Weg nach der Lombardei, ein Anschlag, dessen böse Folgen der König von Sardinien befürchtete, weshalb dieser denn auch in Frankreich laute Klagen erhob. Alle diese verschiedenen Perspektiven, alle diese Motive zusammen stimmten das Versailler Ministerium für den König von Preußen günstig: war es ihm doch sehr erwünscht, daß irgend eine Macht dem schrankenlosen Ehrgeiz des jungen Kaisers entgegentrat. Wurde ihm nicht im Beginn seines Unternehmens Einhalt geboten, so konnte er in seinen Vergrößerungsplänen sehr weit gehen. Frankreich verblieb also in einer Art von Apathie und sah zugleich die beiden mächtigsten Fürsten Deutschlands sich gegenseitig Abbruch tun.
<103>Das war die Haltung des Versailler Hofes, auf die man rechnen konnte. Nun galt es noch, die Absichten und die Gesinnung des Petersburger Hofes zu ergründen. Die Zarin war mit dem König von Preußen verbündet, stand aber dicht vor einem neuen Krieg mit der Pforte103-1, der ihr die Hände binden mußte, da er ihr die Mittel nahm, ihren Verpflichtungen gegen Preußen nachzukommen. Es war leicht vorauszusehen, daß die Österreicher List und Trug und Bestechung anwenden würden, um den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Russen und Türken zu beschleunigen. Durch diese Diversion beschäftigten sie den Petersburger Hof anderswo und hinderten ihn, Preußen Hilfe zu leisten. Dadurch erhielten also die weitschauenden Pläne des Kaisers freie Bahn.
Für Preußen lag viel daran, dem Wiener Hofe zuvorzukommen und das österreichische Ränkespiel in Konstantinopel zu durchkreuzen. Zu diesem Zweck bat der König Frankreich, sich bei der Pforte zu verwenden. Der Versailler Hof ging darauf ein, und man wird im folgenden sehen, daß seine Bemühungen nicht vergeblich waren. Die französischen Verhandlungen wurden durch eine schreckliche Epidemie unterstützt: die Pest brach bösartiger denn je in Konsiantinopel aus und richtete dort furchtbare Verheerungen an. Sie drang sogar in den Serail ein und nötigte den Großherrn103-2, in eins seiner Lustschlösser in der Nähe der Hauptstadt zu flüchten. Diese allgemeine Not flößte den Türken friedlichere Gesinnungen ein und dämpfte den unruhigen, abenteuerlustigen Geist des Großadmirals der Flotte, Ghasi Hassan Pascha, der am heftigsten zum Kriege gegen Rußland drängte. Dadurch wurde der Weg für die Friedensvorstellungen der Franzosen geebnet.
Diese verschiedenen Maßregeln beseitigten zwar viele Hindernisse, es blieben aber noch andere hinwegzuräumen, um sich völlig freie Bahn zu schaffen. Diese Schwierigleiten kamen von den russischen Ministern, die über die deutschen Verhältnisse wenig oder garnicht Bescheid wußten. So sehr sich auch Peter der Große und seine Nachfolgerinnen bemüht haben, das weite russische Reich zu kultivieren, die Aufklärung hatte sich dort doch bei weitem nicht so verbreitet wie im übrigen Europa. Die bayerische Erbfolgefrage bedurfte der Kommentierung. Bei der Austragung des Streites handelte es sich um Grundsätze des Völkerrechtes, des Lehnsrechtes, des Gewohnheitsrechtes und um Verträge, die das Recht der Erbfolge feststellten. Die russischen Minister verstanden wenig von diesen Dingen und befanden sich im Zustand hoffnungsloser Unwissenheit, wie der Schulausdruck lautet. Um ihnen die Sachlage begreiflicher zu machen, mußte man also auf die geringfügigsten Einzelheiten eingehen, mußte ihnen klarmachen, worin das Agnatenrecht besieht und weshalb der Vertrag des Kurfürsten von der Pfalz mit dem Kaiser nicht rechtsgültig war: weil nämlich die Zustimmung des Herzogs von Zweibrücken fehlte, ohne die der Kurfürst von der Pfalz kein Recht hatte, den größten Teil seines Erbes derart abzutreten und<104> preiszugeben. Bei all diesen Schriftstücken mußte man auf unendliche Einzelheiten eingehen, wozu dann noch die weite Entfernung trat; beides verschlang Zeit. Gleichwohl ließ sich der Petersburger Hof von dem widerrechtlichen Vorgehen des Kaisers überzeugen und sah ein, daß der, welcher nur das Oberhaupt des Reiches sein sollte, sich anschickte, sein Tyrann zu werden.
Während derart an allen Höfen Europas verhandelt wurde, ersah man in Wien aus den Denkschriften, die Freiherr von Riedesel104-1 im Namen Preußens überreichte, daß die Anschauungen des. Berliner Hofes in der bayrischen Erbfolgefrage den eigenen strikt zuwiderliefen. Nun schöpfte man in Wien Verdacht, und da man mit der Möglichkeit eines offenen Bruches rechnete, beschloß man Anfang März, seine Truppen in Böhmen zusammenzuziehen. Die italienischen, ungarischen und flandrischen Regimenter erhielten Befehl, schleunigst nach Böhmen zu rücken.
Sobald eine so ansehnliche Truppenmacht an der Grenze einer Provinz sich versammelt, gebietet das Staatswohl, sich gleichfalls zu rüsten, will man sich von seinem Nachbarn nicht Gesetze vorschreiben lassen. Aus diesem Grunde machte der König seine Truppen mobil, um zwei Armeen von je 80 000 Mann aufzustellen. Die eine unter Prinz Heinrich sollte sich bei Berlin versammeln, um sich rasch mit den Sachsen vereinigen zu können104-2, falls der Kaiser einen Einfall in Sachsen versuchte. Die andere, die der König selbst führen wollte, hatte ihren Sammelpunkt in Schlesien.
Der König verließ Berlin am 6. April und begab sich über Breslau nach Frankem stein, wo die schlesischen Truppen am selben Tage eintrafen. Es waren 30 000 Mann, die zur Defensive dienen sollten, bis die Truppen aus Preußen, Pommern und der Kurmark heran waren. Zu dem Zweck ward ein verschanztes Lager in der Grafschaft Glatz auf den Höhen von Pischkowitz bezogen. Die Linke wurde von den Geschützen der Festung Glatz flankiert und durch das Flüßchen Steine gedeckt, durch das mit Hilft einer Schleuse eine Überschwemmung hergestellt war.
Während dieser Vorbereitungen traf ein kaiserlicher Kurier mit einem Schreiben für den König ein. Es enthielt allerlei Gemeinplätze über den Wunsch, Frieden zu halten und sich besser zu verständigen. Der König beantwortete es mit aller gebührenden Höflichkeit und stellte dem Kaiser vor, es läge nur an ihm, den Frieden zu erhalten, indem er seine Ansprüche auf Bayern einschränke. Seine Mäßigung werde ihm mehr Ehre machen als die glänzendsten Eroberungen. Bald kehrte der Kurier mit einem zweiten Schreiben zurück, worin der Kaiser seine Ansprüche zu rechtfertigen suchte. Man widerlegte ihn mit Beweisgründen aus dem Lehnsrecht, Familienverträgen und dem Westfälischen Frieden. Schließlich kam noch ein dritter Kurier. Der Kaiser schien zum Nachgeben gewillt und schlug eine Unterhandlung vor, die dem Wiener Gesandten in Berlin, Graf Cobenzl, übertragen werden sollte. Der<105> König begriff, daß der Kaiser Zeit gewinnen wollte, um alle seine Truppen in Böhmen zusammenzuziehen, alle Stellungen zu befestigen, die er besetzen wollte, und die Artillerie-, Bagage- und Trainpferde aufzubringen, die seiner Armee noch fehlten. Da es jedoch darauf ankam, sich maßvoll zu zeigen, um Frankreich und Rußland nicht vor den Kopf zu stoßen, willigte der König in diese Unterhandlung105-1, obgleich ihr Ausgang leicht vorauszusehen war.
Die Österreicher brachten alle ihre schlechten Beweise vor, die von öen preußischen Ministern siegreich widerlegt wurden. Trotzdem wollte der Wiener Hof nicht im mindesten von seinen Eroberungsplänen abstehen. Um schließlich diesem unfruchtbaren Wortgefecht ein Ende zu machen, stellte man den Österreichern ein. Ultimatum: falls sie sich nicht bereit erklärten, den größten Teil Bayerns an den Kurfürsten von der Pfalz zurückzugeben, sollte diese Weigerung als Kriegserklärung aufgefaßt werden.
Das gerade wünschte der Kaiser. Er wollte sich von seiner Mutter, der Kaiserin, unabhängig machen durch den Oberbefehl über die Heere und den Glanz seiner Ruhmestaten, die er sich versprach. Indessen hat sich im Verlauf der Ereignisse gezeigt, daß seine Kombinationen keineswegs zutrafen. Er war verhaßt beim Adel, der ihm Unterdrückungsgelüste zuschrieb, und gefürchtet von den Geistlichen, die mehr an ihren Gütern hängen als an der Religion, die sie lehren, und die ihre beträchtlichen Einkünfte zu verlieren fürchteten. Auch die Armee liebte ihn nicht. Er hatte sich das Herz der Offiziere und Soldaten durch seine übermäßige Lebhaftigkeit und Heftigkeit entfremdet, die ihm mehr das Wesen eines Wahnwitzigen als eines vernünftigen Menschen gab. Solcher Art war der Fürst, dem der König den Krieg erklärte.
Seit dem 4. Mai waren die Armeen in Schlesien und Sachsen schlagfertig. Die Verhandlungen in Berlin wurden am 4. Juli abgebrochen, und am 5. setzten sich alle Truppen in Marsch. Zur besseren Verschleierung ihrer Absichten kantonnierte die schlesische Armee in winkelförmiger Stellung zwischen Reichenbach, Frankenstein und Neiße. Aus dieser Stellung konnte der Feind unmöglich erraten, ob die Truppen des Königs sich nach Mähren oder Böhmen wenden würden. Von der kaiserlichen Armee standen 30 000 Mann in Mähren unter dem Prinzen von Teschen105-2. Dies Korps hatte sich an der Mohra bei Heidenpiltsch verschanzt, um Olmütz zu decken. Die Armee des Kaisers stand hinter der Elbe in uneinnehmbaren Verschanzungen von Königgrätz bis zu dem Städtchen Arnau. Feldmarschall Laudon hatte mit 40 bis 50 000 Mann die Stellungen bei Reichenberg, Gabel und Schluckenau nach der Lausitz hin besetzt. Sein Gros stand zwischen Leitmeritz, Lobositz, Dux und Teplitz.
Der Feldzugsplan, den der König entworfen hatte105-3, war grundverschieden von dem, den er ausführen mußte. Er wollte den Krieg nach Mähren tragen, etwa 20 000 Mann<106> zur Deckung der Grafschaft Glatz und der Landeshuter Pässe zurücklassen, die Stellung bei Heidenpiltsch umgehen, was wohl ausführbar war, den Österreichern eine Schlacht liefern und, wenn er gesiegt hatte, ein Detachement von 20 000 Mann jenseits der March geradenwegs aufPreßburg schicken, das die dortige Donaubrücke besetzen, den Kaiserlichen jede Zufuhr aus Ungarn abschneiden und von Preßburg aus Streift züge gegen Wien unternehmen sollte. Dadurch hätte man den Hof gezwungen, zur Deckung der Hauptstadt und zur eigenen Sicherung einen Teil seiner Truppen über die Donau zurückzuziehen. Diese Schwächung der Armeen in Böhmen hätte dem Prinzen Heinrich freie Hand gegeben und alle Operationen seiner Armee erleichtert.
So aussichtsreich der Plan aber auch war, der König mußte ihn fallen lassen, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens ließen die Österreicher nur gegen 10 000 Mann in Währen. Der Rest unter dem Prinzen von Teschen stieß zum Kaiser bei Jaromircz. Daraus ergab sich: fiel der König mit 60 000 Mann in Mähren ein, so hätte die ganze Armee des Kaisers, die sich auf 80 000 Mann belief, eine Diversion nach Niederschlesien versucht, gegen die die Truppen unter General Wunsch106-1 bei ihrer viel zu geringen Zahl machtlos gewesen wären. Die Folge wäre gewesen, daß der König die Offensive in Oberschlesien hätte aufgeben und zur Verteidigung der Grafschaft Glatz oder der Landeshuter Berge herbeieilen müssen.
Der zweite und der Hauptgrund für den Einmarsch in Böhmen war dieser: Der Kurfürst von Sachsen fürchtete, die Österreicher möchten in seine Staaten einfallen und Dresden nehmen, bevor die Preußen ihm zu Hilfe eilen konnten. Auch Prinz Heinrich dachte fast ebenso. An der Ausführung dieses Planes mußte man den Kaiser hindern, falls er ihn wirklich vorhatte; denn sonst wäre der Kurfürst von Sachsen niedergeworfen und vielleicht gezwungen worden, zur Gegenpartei überzutreten. Mindestens aber hätte man den Kriegsschauplatz, statt nach Böhmen, ungeschickterweise nach Sachsen verlegt.
Der König mußte also mit seinen Hauptkräften in Böhmen eindringen, um dem Kaiser entgegenzutreten und ihn zu hindern, Verstärkungen an Feldmarschall Laudon zu schicken, der ohne sie zu schwach war, den Unternehmungen des Prinzen Heinrich Widerstand zu leisten. Andrerseits jedoch konnte man Oberschlesien nicht entblößen und mußte auch General Elrichshausen, der im Lager von Heidenpiltsch hinter der Mohra stand, Truppen entgegenstellen. Dazu wurden Stutterheim106-2 und Werner106-3 mit etwa 10 000 Mann bestimmt.
Folgendermaßen wurde der Plan gegen Böhmen ausgeführt. Die schlesische Armee rückte in die Grafschaft Glatz ein; die Avantgarde besetzte die wichtige Stellung auf dem Ratschenberg, von wo sie auf Nachod marschierte; die Armee folgte der Avantgarde. Am 7. Juli unternahm der König eine Rekognoszierung mit 50 Schwadronen Dragoner und Husaren.
<107>Um sich von der Stellung des Feindes einen deutlichen Begriff zu machen, muß man wissen, daß die Österreicher die Stadt Königgrätz so weit befestigt hatten, daß sie sich im Fall einer Belagerung wenigstens einige Wochen lang halten konnte. Am meisten trug dazu der Zusammenfluß der Elbe und Adler bei, mit dessen Hilfe schwer abzulassende Überschwemmungen hergestellt waren. Die Stadt bildete den Stützpunkt für den rechten Flügel der Lagerstellung. Aufdem anderen Elbufer bei Königgrätz lagerte ein Grenadierkorps nebst Kavallerie in Verschanzungen, die mehr einer Festung als einer Feldbefestigung glichen. Von Semonitz bis Schurz zog sich ein anderes Korps von etwa 30 000 Mann, gedeckt durch 8 Fuß tiefe und 16 Fuß breite Gräben, die stark verpalisadiert und mit Sturmpfählen versehen, außerdem noch mit spanischen Reitern umgeben waren, die die einzelnen Verschanzungen verbanden. Weiterhin erhoben sich die Höhenzüge von Kukus, die das diesseitige Elbufer beherrschen und sich in langer Flucht über Königinhof bis nach Arnau hindehnen. Dort endet die Bergkette bei Hohenelbe und geht in das Riesengebirge über. Alle Elbübergänge waren durch dreifache Redouten verteidigt. Auf den bewaldeten Berggipfeln hatte der Feind Baumverhaue angelegt; dahinter kampierte eine Reserve von 40 Bataillonen, die rasch zur Hilfe eilen konnte, wo immer die Preußen.so verwegen gewesen wären, einen Angriff zu wagen, vorausgesetzt, daß es ihnen gelungen wäre, nach und nach die zahlreichen Redouten und Befestigungen mit ihren 1500 Geschützen zu stürmen. Die Hauptschwierigkeit aber, die zu allen anderen hinzutrat und<108> den Elbübergang völlig unmöglich machte, war diese: das Flußbett ist von Jaromircz bis zum Hochgebirge auf beiden Ufern von 12 und mehr Fuß hohen Felsrändern eingefaßt, die man nur auf den vorhandenen Brücken überschreiten kann. Und gerade dort verbot eine verschwenderische Fülle von Befestigungen jedes Vordringen.
So gewaltig der Eindruck dieser furchtgebietenden Lagersiellung war, in den ersten Tagen hoffte man doch, durch Geschicklichkeit zu erreichen, was mit Gewalt nicht auszurichten war. Der Plan ging dahin, den zwischen Iaromircz und Schurz lagernden Heeresteilen ein Korps entgegenzustellen, das sie in Schach zu halten vermochte und zugleich Scheinangriffe einerseits auf das Dorf Hermanitz, andrerseits auf Königinhof machen sollte. Unterdes sollte das Gros der Armee sich unbemerkt durch das Silvatal ziehen, nachts bei dem Dorfe Werdet über die Elbe gehen und die Straße nach Prausnitz einschlagen, um die Höhen von Switschin zu erreichen, die die ganze Gegend, ja selbst die feindliche Lagersiellung beherrschten. Hätten die Preußen sich dort festzusetzen vermocht, so schnitten sie den rechten Flügel der Kaiserlichen vom linken ab und zwangen sie zur Schlacht unter ungünstigen Verhältnissen oder zu einem noch schimpflicheren Rückzuge. Auf Grund dieses Planes lagerte der König bei Wölsdorf mit nur 25 Bataillonen und so Schwadronen, die die Bewegungen der Hauptarmee verschleiern sollten. Diese blieb in der Stellung bei Nachod, von wo es leichter war, sie nach rechts oder links von dieser Avantgarde zu dirigieren.
Um sicher zu sein, ob der genannte Plan auch ausführbar war oder ob er verworfen werden mußte, bedurfte es genauesier Erkundung der feindlichen Stellung. Diese Rekognoszierung fand unter allerhand Scheingründen statt. Bald wurde eines der feindlichen Quartiere beunruhigt, bald plänkelte man mit den österreichischen Vorposten; am Häufigsten fouragierte man unter ihren Kanonen. Dank den verschiedenen Gelegenheiten, die dieser Kleinkrieg bot, entdeckte man, als man sich KöniginHof und dem Dorfe Werdet näherte, bei Prausnitz ein festes Lager von etwa 7 Bataillonen und dahinter, auf dem Gipfel des Switschinberges, eine Abteilung von etwa 4 Bataillonen. Diese Vorsichtsmaßregeln des Feindes bildeten unüberwindliche Hindernisse für das geplante Unternehmen. Der König mußte also darauf verzichten und sich etwas anderes ausdenken.
Die Verteilung der Truppen war gut, solange der erste Plan sich ausführen ließ. Auf die Dauer konnte sie falsch werden, wenn man sich damit begnügte, den gesamten Kräften des Kaisers ein so schwaches Korps entgegenzustellen. Die Aufstellung der Armee wurde also verändert: 40 Bataillone bezogen das Lager bei Wölsdorf; Generalleutnant Bülow108-1 wurde mit einigen Bataillonen und 30 Schwadronen nach Smirschitz geschickt, General Falkenhayn108-2 in das Defilee von Chwalkowitz hinter die Armee, General Wunsch mit 20 Bataillonen nach Nachod zur Deckung der<109> Zufuhr und General Anhalt109-1 mit 12 Bataillonen und 20 Schwadronen ganz rechts von der Armee nach Pilnikau, gegenüber von Arnau und Neuschloß.: Doch war seine Verbindung mit dem Gros durch den Silvawald gesichert, wo die Preußen Postierungen stehen hatten.
Während dieser Truppenbewegungen in Böhmen war die Armee des Kaisers völlig mit sich selbst beschäftigt. Die Furcht, von Stunde zu Stunde angegriffen zu werden, ließ garnicht den Gedanken aufkommen, Verstärkungen an Feldmarschall Laudon zu schicken; So erreichte Prinz Heinrich Dresden ohne jeden Widerstand. Von dort trieb er Detachements nach Böhmen vor, und zwar am linken Elbufer, rückte aber selbst ziemlich schnell, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, nach der Lausitz, während General Platen109-2 mit etwa 20 000 Mann zur Deckung Dresdens zurückblieb. Nachdem 18 000 Sachsen zu seinen Truppen gestoßen waren, drang Prinz Heinrich in mehreren Kolonnen in Böhmen ein. Diese umgingen und attackierten die feindlichen Detachements in Schluckenau, Numburg und Gabel, vertrieben sie und nahmen ihnen 1 500 Mann nebst 6 Kanonen ab. Prinz Heinrich ließ rings um Gabel Verschanzungen aufwerfen, mit deren Verteidigung die Sachsen betraut wurden. Mit dem Gros der Armee rückte er nach Niemes, wo er eine starke Lagerstellung bezog (9. August).
Die Kaiserlichen waren auf diesen Streich nicht gefaßt: er warf alle ihre Verteidigungspläne über den Haufen. Überstürzt verließ Feldmarschall Laudon die Stellung bei Aussig und Dux und, was noch mehr überraschen muß, seine Befestigungen von Leitmeritz nebst dem dortigen Magazin. Flugs benutzte General Platen diesen Fehler. Er nahm Leitmeritz, rückte auf Budin an die Eger und schob seine Avantgarde bis Welwarn vor, das nur 3 Meilen von Prag entfernt liegt. Schrecken und Bestürzung verbreiteten sich in der ganzen Stadt; der hohe Adel, der sich dort hinbegeben hatte, ergriff die Flucht, und Prag blieb tagelang wie verödet. Nachdem Feldmarschall Laudon, wie berichtet, das ganze linke Elbufer aufgegeben hatte, fühlte er sich erst in Münchengrätz, bei Junng-Bunzlau, wieder sicher. Da die Feinde alles für die Armee des Kaisers befürchten mußten, über die Prinz Heinrich herfallen konnte, wenn er gewollt hätte, so besetzte Laudon den ganzen Lauf der Iser, die zwischen Felsen oder zwischen Sümpfen dahinfließt, mit starken Detachements. In Oberschlesien hatten die Preußen zwei kaiserliche Dragonerregimenter in ihrem Lager bei Heidenpiltsch überrumpelt und fast gänzlich vernichtet.
Unter diesen Umständen, wo der Krieg entschieden war, wo die Preußen schon einige Erfolge errungen hatten und in Böhmen vier große Armeen gegeneinander operierten, trifft in Wölsdorf ein Fremder ein, der sich als Sekretär des russischen Gesandten in Wien, Prinz Galizin, ausgibt und den König sprechen will (16. Juli).<110> Dieser angebliche Sekretär war Thugut, der frühere österreichische Gesandte in Konstantinopel. Er überbrachte einen Brief der Kaiserin-Königin an den König110-1. Wir geben nur seinen Inhalt wieder. Die Kaiserin drückte ihren Kummer über die entstandenen Zwistigkeiten und Wirren aus, ihre Besorgnis um die Person des Kaisers, den Wunsch, einen Mittelweg zur gegenseitigen Versöhnung zu finden, und bat den König um eine Aussprache über diese verschiedenen Punkte. Daraufhin ergriff Thugut das Wort und sagte zum König, eine Verständigung wäre leicht, wenn man ehrlich zu Werke ginge. Die Absicht der Österreicher war, den König durch vorteilhafte Angebote zu bestechen, damit er von der Unterstützung des Kurfürsten von der Pfalz Abstand nahm. Zu dem Zwecke versicherte Thugut, sein Hof würde sich nicht nur der etwaigen Erbfolge des Königs in den Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth110-2 nicht widersetzen, sondern böte Preußen auch seinen Beistand zum Austausch dieser Markgrafschaften gegen Grenzländer Brandenburgs, wie die Lausitz oder Mecklenburg, an, falls er glaube, daß dies in seinem Vorteil liege.
Der König entgegnete Thugut, sein Hof vermische Dinge miteinander, die in keinem Zusammenhang stünden, nämlich sein rechtmäßiges und unbestreitbares Erbfolgerecht auf Ansbach und Bayreuth mit der widerrechtlichen Eroberung Bayerns und den Vorteil seiner Staaten mit dem Reichsinteresse, das er verträte. Wolle man sich verständigen, so müßte der Wiener Hof unbedingt auf einen Teil von Bayern verzichten, und es müßten Vorkehrungen dagegen getroffen werden, damit nicht in Zukunft Akte eines so gewalttätigen Despotismus die Ruhe des Deutschen Reiches und seine Grundfesten erschütterten. Was aber jene Erbfolge beträfe, so sei er weit entfernt, irgend einen Fürsten zum Austausch seiner Staaten gegen Ansbach und Bayreuth zu zwingen; wenn ein solcher Tausch stattfände, müßte es aus freien Stücken geschehen.
Der König fügte hinzu: Da diese Verhandlungen nur mündlich stattfänden, st wolle er der Kaiserin offenbare Beweise seiner friedlichen Gesinnung geben, indem er einige Hauptartikel aufsetze, die als Grundlage zu dem beabsichtigten Vertrage dienen könnten. Thugut erbot sich zum Sekretär, aber der König, der weder seinem Stil noch seinen Absichten traute, brachte sie selbst zu Papier. Sicherlich hätte die Kaiserin-Königin mit ihrer Annahme viel gewonnen. Der russische Hof hatte sie noch nicht erklärt; Frankreich riet Österreich zum Frieden; allein seine Ratschläge machten wenig Eindruck auf den feurigen, heftigen Charakter des jungen Kaisers und den. herrischen Fürsten Kaunitz.
Nachfolgend der Inhalt dieses Vorschlages. Die Kaiserin sollte Bayern an den Kurfürsten von der Pfalz herausgeben, mit Ausnahme von Burghausen, den Sati-nen110-3 und einem Teil der Oberpfalz. Die Donau sollte frei bleiben und die Blockade von Regensburg, die durch die Besetzung von Stadtamhof110-4 erfolgt sei, aufgehoben<111> werden. Die Erbfolge in Bayern sollte den rechtmäßigen Erben gesichert werden. Der Kurfürst von Sachsen sollte vom Pfälzer eine Geldentschädigung für den Allodialbesitz erhalten und der Wiener Hof ihm seine vorgeblichen Rechte auf alle in Sachsen liegenden Lehen abtreten. Der Herzog von Mecklenburg sollte als Entschädigung für seine Ansprüche in Bayern irgend ein erledigtes Reichslehen erhalten. Der Wiener Hof sollte dem König von Preußen keine Schwierigkeiten wegen seiner Erbfolge in Ansbach und Bayreuth mehr machen; Frankreich und Rußland und das Reich sollten den Vertrag garantieren.
Mit diesem Schriftstücke reiste Thugut nach Wien und kehrte danach mit einem Haufen heimtückischer Vorschläge zurück, mit denen Fürst Kaunitz ihn ausgestattet hatte (10. August), An der Gestalt, die die Verhandlung annahm, merkte der König, daß sie nicht zum Ziele führen konnte. Außerdem paßte es ihm nicht, mit einem Manne vom Schlage Thuguts zu verhandeln. Infolgedessen sandte er ihn nach Braunau, wo er seine Arglist vor seinen Ministern Graf Finckenstein und Hertzberg zum besten geben konnte. Sie schickten ihn nach einigen Tagen unverrichteter Dinge nach Wien zurück (15. August). Der ganze Inhalt dieser Unterhandlungen wurde den Ministern in Frankreich und Rußland mitgeteilt, damit sie sich von der selbstlosen Haltung Preußens überzeugten und sich nicht durch die falsche Darstellung irreführen ließen, die ihnen die Wiener Minister geben würden.
Die Kaiserin-Königin wünschte ehrlich den Frieden. Sie kannte den kriegerischen Ehrgeiz ihres Sohnes, des Kaisers, und fürchtete den Verlust oder die Schwächung ihrer Autorität. Allein ihr Minister, Fürst Kaunitz, stand ihr schlecht bei. Mit dem Instinkt eines Höflings schloß er sich lieber an den Kaiser an, dessen Jugend ihm eine glänzendere Perspektive für seine Familie eröffnete, als an die alternde Kaiserin, von der er keine Gnadenbeweise mehr zu erwarten hatte. Es ist nun einmal das Los aller menschlichen Dinge, daß kleine Interessen die größten Fragen entscheiden!
Als der Kaiser von der Unterhandlung Thuguts erfuhr, schäumte er. Er schrieb an seine Mutter, wenn sie Frieden schließen wolle, so kehre er nie nach Wien zurück, sondern werde lieber in Aachen oder sonstwo regieren, als ihr je wieder unter die Augen treten. Die Kaiserin ließ den Großherzog von Toskana111-1 kommen und schicke ihn sofort zur Armee, um seinen Bruder, den Kaiser, zu beschwichtigen und ihm friedlichere Gesinnungen einzuflößen. Der Erfolg dieser Zusammenkunft war ein Bruch zwischen beiden Brüdern, die bis dahin im besten Einvernehmen gelebt hatten.
Die Kriegsbegeisterung des jungen Kaisers kam von den falschen Begriffen, die er sich vom Ruhme gemacht hatte. Er wähnte, es genüge, Lärm in der Well zu machen, Provinzen an sich zu reißen, seine Herrschaft auszudehnen und Heere zu befehligen, um Rühm zu erwerben. Den Wert der Gerechtigkeit, Billigkeit und Be<112>sonnenheit empfand er nicht. So nötig ist es, daß die Herrscher sich von allen Dingen klare Begriffe machen! Ebenso falsch waren seine militärischen Anschauungen. Er meinte, die bloße Anwesenheit des Kaisers beim Heere genüge, damit es reiche Lorbeeren ernte. Die Erfahrung hatte ihn noch nicht lehren können, wieviel Arbeit und Mühe man auf sich nehmen muß, um nur ein kleines Lorbeerreis zu pflücken. Er hatte oft sagen hören, saß ein Heerführer wachsam sein müsse, und so sah er seine Aufgabe darin, fortwährend vom rechten bis zum linken Flügel durch sein Lager zu reiten, ohne je die Verschanzungen zu verlassen, selbst wenn Scharmützel oder Fouragierungen unter seinen Kanonen stattfanden.
Nachdem wir jene Verhandlung und alles, was darauf Bezug hat, berichtet haben, ist es Feit, die Kriegsoperationen der vier Heere wieder aufzunehmen, die einander in Böhmen beobachteten. Die Stellung der kaiserlichen Armee dem König gegenüber von Königgrätz bis Arnau war genau rekognosziert worden. Es blieb nur noch festzustellen, ob jenseits noch Truppen bei Hohenelbe und nach dem Hochgebirge zu standen. General Anhalt, der, wie gesagt112-1, rechts vom preußischen Lager nach den Dörfern Pilnikau und Kottwitz detachiert war, erhielt Befehl, Streifkorps nach Lattgenau vorzuschieben und selbst dorthin zu reiten, um genauen Bericht von den dortigen Verhältnissen zu geben. Er sah zunächst ein befestigtes Lager hinter Neuschloß. Weiterhin fand er nur zwei Bataillone auf den Höhen gelagert, die die Stadt Hohenelbe beherrschen.
Diese genau festgestellte Tatsache diente zur Grundlage für den neuen Plan, den der König faßte, als er die Armee kräftig nach dieser Seite warf. Dort konnte.der Elbübergang erzwungen werden: zwei Bataillone vermochten ihn nicht zu verteidigen. Gelang das Unternehmen, so konnte man sich die glänzendsten Erfolge versprechen, besonders wenn Prinz Heinrich von Niemes über die Iser vorstieß. Reichten sich die beiden preußischen Heere die Hand, so standen sie in Flanke und Rücken der Armee des Kaisers, die sich nur durch eine Schlacht behaupten, oder falls sie ihre weitgedehnten Verschanzungen verlassen mußte, erst hinter den Gitschiner Teichen eine sichere Stellung finden konnte. Ja, selbst diese Stellung war zu umgehen, und dann war sie gezwungen, sich nach Pardubitz zu flüchten, wo sie durch die Bohdanetscher Teiche und den Ablauf gesichert war.
So schön dieser Plan war, seine Ausführung bot große Schwierigkeiten. Erstens konnte man nur durch Hohlwege und Defileen an die Elbe gelangen und mußte auf diesen Wegen eine zahlreiche Artillerie mitschleppen, was äußerst schwer war. Das zweite war die Verproviantierung der Armee. Ging man über die Elbe, so konnte man das Brot nur bis auf 5 Meilen vom Flusse mitführen; ein weiterer Transport hätte sich durch den Pferdemangel verboten. Drittens war es schwer, <113>Prinz Heinrich zum Vormarsch zu bestimmen. Ihm widerstrebte jedes herzhafte Draufgehen, und zudem war seine Gesundheit ziemlich schwach. Alle diese Hindernisse, die sich der König klar machte, bewogen ihn, möglichst sicher zu gehen und seinen Plan sorgfältig geheimzuhalten, ohne ihn indes aufzugeben. Er wollte also sein Lager bei Wölsdorf nicht abbrechen, bevor die ganze Gegend von der Elbe bis zur schlesischen Grenze rein ausfouragiert war, zumal die Österreicher die Einwohner gezwungen hatten, mit ihrem sämtlichen Vieh über die Elbe zu flüchten. Auf diese Weise machte er es den Österreichern wenigstens unmöglich, während des Winters eine bedeutende Heeresmacht an seinen Grenzen zu halten und seine Truppen in ihren Quartieren zu beunruhigen.
Sobald all die Fouragierungen beendet waren, brach der König mit der Armee auf und bezog das Lager von Burkersdorf bei Soor (15. August), wo er vor 33 Jahren einen Sieg über dieselben Feinde davongetragen hatte. Auf österreichischer Seite kam nicht ein Mann aus den Verschanzungen hervor, um seine Armee zu verfolgen. Der Kaiser blieb unbeweglich in seiner alten Stellung hinter der Elbe, sogar ohne die Arrieregarde in dem scheußlichen Defilee von Chwalkowitz zu beunruhigen, durch das ihr Weg führte. Wunsch bezog wieder seine Stellung auf dem Ratschenberg hinter Nachod. Der Prinz von Preußen113-1 besetzte die Stellung bei Soor unfern der bei Pilnikau, wo der Erbprinz von Braunschweig113-2 befehligte. Ein paar Bataillone wurden nach Trautenau, Schatzlar und Landeshut geschickt, um die Zufuhr zu sichern, die von dort den kürzesten Weg zur Armee hatte.
Alle diese Bewegungen riefen keinerlei Veränderung in der Stellung des Feindes hervor, und so glaubte man, den Plan des Königs ausführen zu können. Zu dem Zwecke besetzte der Erbprinz mit seinem Korps die Höhe von Dreihäuser, und der Prinz von Preußen bezog statt dessen mit seinem Detachement die Stellung von Pilnikau, während der König mit 40 Bataillonen beim Dorfe Leopold lagerte (22. August). Derart konnten alle drei Korps, die Verbindung miteinander hielten, sich gegenseitig die Hand reichen, falls eins von ihnen angegriffen wurde. Doch es war Zeit, vorzurücken, um Hohenelbe näherzukommen. Zu dem Zweck besetzte der Erbprinz die Bergkuppen von Schwarzenthal bis Langenau; der König schloß sich links an ihn an und nahm mit seinen Truppen das Gelände von Lauterwasser bis zu einer Höhe zur Linken ein, die gleichfalls besetzt wurde (26. August). Der Prinz von Preußen behielt seine Stellung bei Pilnikau, von wo er einen Scheinangriff auf das feindliche Korps bei Neuschloß machen konnte, indes die Armee den Elbübergang erzwang. Der Prinz zeichnete sich bei verschiedenen Gelegenheiten durch Wachsamkeit und gute Anordnungen aus. Die Reserve wurde nach Wildschütz geschickt, um die Stellung des Prinzen von Preußen zu unterstützen, und die Brigade Luck113-3 erhielt Befehl, die schwer passierbaren Defileen von Hermannseifen, Mohren und Drei<114>Häuser zu besetzen. Sie hatte den Auftrag, das schwere Geschütz und die Haubitzen zur Armee zu schassen, brauchte aber drei Tage, um sie die drei Meilen von Trautenau bis Hermannseifen zu bringen. Die Geschütze mit ihrer großen Spurbreite konnten nicht durch die engen Felspfade hindurch. Sie wurden mit Ungeduld erwartet, kamen aber nicht an.
Der Verlust dieser kostbaren Zeit, die mit fruchtlosen Bemühungen vergeudet wurde, war für die Österreicher so vorteilhaft, daß sie sich mit ihrer ganzen Armee und ihren Geschützen auf den Bergen jenseits von Hohenelbe aufstellen konnten. Damit wurde der ganze Plan hinfällig; denn alles, was man gegen ein schwaches Korps wagen kann, wird tollkühn, wenn man es gegen eine zahlreiche Armee versucht, be-sonders wenn sie sich in einer fast uneinnehmbaren Stellung befindet. Zum Zurück werfen dieser Truppenmacht bedurfte es der Haubitzen, der einzigen Geschützart, die man gegen eine feindliche Höhenstellung gebrauchen kann, und die Haubitzen waren nicht zur Stelle. Ferner mußte man auf Brücken über die Elbe gehen und vor einer breiten Front aufmarschieren, die die Truppen vernichtet hätte, bevor sie sich in Schlachtordnung aufstellen konnten. Dazu kam, daß das Korps Siskovich vorher von den Hängen des Riesengebirges vertrieben werden mußte, sonst wäre es den Angreifern in die Flanke gefallen. Es stand auf dem Wachuraberge; seine Vertreibung war also eine Vorbedingung. Auch mußte Prinz Heinrich bei der Operation mitwirken, indem er im Rücken der kaiserlichen Armee irgend ein Lebenszeichen von sich gab und gegen die nahe Iser vorging; aber er wollte sich zu nichts entschließen.
Wären nicht alle die Hindernisse eingetreten, so ging der Plan, wie gesagt, dahin, Siskovich aus seiner Stellung zu vertreiben, dann 45 schwere Haubitzen Hinter Hohenelbe aufzustellen und von daden Teil des feindlichen Heeres, der unserer Rechten gegenüberstand, zu bombardieren. Hierauf wollte man die Elbe auf einer Furt überschreiten, die man bei einem Mönchskloster entdeckt hatte, und nachdem man den Feind zum Verlassen seiner Stellung genötigt hatte, sich selbst zwischen Branna und Starkenbach aufstellen, in der Flanke der bei Neuschloß lagernden Truppen. Dann aber blieb den Österreichern nur die Wahl: sich dort eilig zusammenzuziehen, um die Preußen in guter Stellung anzugreifen, was jedoch Zeit erforderte, oder den ganzen Ablauf unseren siegreichen Truppen zu überlassen.
Da aber aus allen angeführten Gründen auf diesen kühnen Plan verzichtet werden mußte, so blieb nichts weiter übrig, als die ganze, von den Einwohnern verlassene Gegend rein auszufouragieren und in eine Art von Wüstenei zu verwandeln. Dadurch sicherte man sich ruhige Winterquartiere, die man nur in Schlesien beziehen konnte. Es wurde also wie gewöhnlich fouragiert, stets an den Elbufern und unter den feindlichen Kanonen, ohne daß der Kaiser und seine Truppen das Geringste unternahmen, ja ohne daß ein Mann sich über die Elbe wagte, um zu verhindern, daß vor ihrer Nase den unglücklichen Bauern die Fourage weggenommen wurde.
<115>Das Land war zwar reich, aber bei der großen Truppenzahl, die es ernähren mußte, waren die Erzeugnisse des Bodens sehr bald aufgezehrt. Prinz Heinrich, der mit seiner Fourage sparsam umgehen mußte, meldete dem König, daß sie nur bis Mitte September ausreichte. Beide Heere rückten also ungefähr am gleichen Tage ab. Der König brach sein Lager bei Langenau und Lauterwasser am 8. September ab, Prinz Heinrich das seine bei Niemes zwei Tage später. Dieser ging bei Leitmeritz über die Elbe. Die große Bagage überschritt den Fluß bei Aussig und verlor die Hälfte ihrer Pferde, nicht durch den Feind, sondern aus Mangel an Umsicht und aus Nachlässigkeit. Der Prinz von Bernburg115-1, der die Sachsen unter sich hatte, zog sich auf Mau zurück und bezog eine Stellung auf dem Eckartsberg. Bei der Arrieregarde des Prinzen Heinrich kam es zu einigen Scharmützeln, bei denen die Usedom-Husaren115-2 sich hervortaten. Der Leser wird uns Dank wissen, wenn wir ihm diese kleinen Einzelheiten ersparen. Sie sind ohne Einfluß auf den Gang der großen Ereignisse.
Vorsichtshalber hatte der König zur Erleichterung seines Rückzuges sein schweres Geschütz und die Haubitzen von Hermannseifen nach Wildschütz vorausgesandt. Alle Maßregeln waren so gut getroffen, daß der Feind umsonst versuchte, den Erbprinzen bei Schwarzenthal anzugreifen; er mußte ihn ruhig in sein altes Lager bei Dreihäuser abziehen lassen. Die vom König geführte Kolonne stieß unterwegs auf etwa 20 Kanonen, die in den Defileen von Leopold steckengeblieben waren. Dadurch erfuhr der Marsch der Armee eine Verzögerung. Sofort besetzten die an der Spitze marschierenden Truppen die Höhen und verjagten ohne Mühe ein paar Pandurenund Husarenabteilungen, die von Neuschloß über Arnsdorf gekommen waren, um die Nachhut des Königs zu beunruhigen. Die Geschütze wurden von den Mannschaften bergauf gezogen; ein paar Kanonenschüsse verscheuchten den Feind, und die Armee bezog das Lager bei Wildschütz (8. September). Wie gesagt, besetzte die Reserve die Höhen, und der Prinz von Preußen nahm linkerhand Stellung, sodaß die Armee von Dreihäuser bis Pilnikau und Kottwitz eine fast ununterbrochene Linie bildete.
Alle diese verschiedenen Bewegungen der Preußen machten auf die kaiserliche Armee keinerlei Eindruck. Sie blieb unbeweglich hinter der Elbe stehen, gleich als wäre sie versteinert. Nachdem die ganze Gegend ausfouragiert war, zog sich der König auf Trautenau zurück, und zwar in drei Kolonnen. Nur die eine, die der Erbprinz von Braunschweig führte, wurde auf dem Marsche belästigt. Er machte kehrt und griff den Feind seinerseits an. Dieser befürchtete ein ernstliches Gefecht und zog sich unter Verlust von ein paar Hundert Toten und einigen Gefangenen zurück. Danach bezogen die Preußen ihr Lager, das Korps des Erbprinzen rechts auf den Höhen bei Freyheit, das des Prinzen von Preußen links auf den Hügeln der Trautenauer Kapelle. Wurmser, der mit einem Haufen leichter Truppen bei Prausnitz stand, ver<116>suchte verschiedentlich, die Stellung des Prinzen von Preußen anzugreifen, wurde aber jedesmal zurückgeschlagen, dank den guten Anordnungen und der Tatkraft des Prinzen. Sein Benehmen hätte jedem anderen Offizier, der es ebenso gemacht hätte, zur Ehre gereicht.
Da die Preußen gegen die Kaiserlichen nichts auszurichten vermochten, blieb ihnen nichts übrig, als die Lebensmittel in allen erreichbaren Gegenden zu verzehren und weiterzuziehen, sobald alles aufgegessen war. Zur Sicherung ihrer Bewegungen wurde alle Vorsicht und nötige Klugheit angewandt. Die Höhen hinter der Aupa wurden mit Infanterie und Kanonen besetzt; die vorgeschobenen Abteilungen zogen sich auf die Armee zurück, und der Rückzug fand in solcher Ordnung statt, daß der Feind der Arrieregarde nichts anhaben konnte. Mit Ausnahme eines leichten Pandurengefechts wurden die Truppen auf ihrem Marsche nirgends behelligt. Sie rückten bis Trautenau, wo ein paar Tage Rast gemacht wurde. Von da zog sich die Armee auf Schatzlar zurück (21. September), eine Stellung, die ganz Niederschlesien deckt. Wurmser wollte an jenem Tage ein Arrieregardengefecht herbeiführen. Sei es nun Übereilung oder Unwissenheit, er wartete mit seinem Angriff nicht, bis die Preußen sich in Marsch gesetzt hatten, sondern begann mit unserem linken Flügel einen Stellungskampf. Die Brigade Keller116-1, die eine Anhöhe auf der äußersten Linken<117> besetzt hielt, wehrte sich tapfer und wies den Feind mit einem Verluste von 400 Mann zurück. Darauf rückten die Truppen nach ihrem Bestimmungsort ab.
Der Erbprinz verließ Schatzlar mit 10 Bataillonen; in Münsterberg fließen dronen von der Armee des Königs zu ihm, mit denen er nach Oberschlesien marschierte. Dort übernahm er den Befehl über sämtliche schlesische Truppen. Gegen Ende September langte er in Troppau an. Die Verstärkung, die er nach Oberschlesien führte, war so berechnet, daß sie ein etwa gleich starkes Detachement aufwog, das der Kaiser Elrichshausen zuschickte. Dieses hätte den Österreichern ein allzu großes Übergewicht über Stutterheim gegeben, wäre dem nicht rechtzeitig vorgebeugt worden.
Der Feldzug hatte einen raschen Abschluß gefunden. Es war erst Ende September und die Jahreszeit für die militärischen Operationen keineswegs abgelaufen. Man mußte also voraussetzen, daß der Feind es dabei nicht bewenden lassen würde, sondern daß er nach der strikten Defensive, die er während des Feldzuges beobachtet hatte, noch irgend etwas im Schilde führte und wohl gar einen Winterfeldzug plante. Für einen österreichischen Einfall kamen zwei Hauptangriffspunkte in Betracht, erstens ein kraftvoller Angriff gegen den Erbprinzen und zweitens ein Vorstoß durch die Lausitzer Pässe. Der Umstand, daß an der Spitze der Heere ein junger, ehrgeiziger Kaiser stand, der darauf brannte, sich durch irgend einen glänzenden Schlag hervorzutun, schien die ihm zugemuteten Pläne zu rechtfertigen und erforderte jedenfalls reifliche Überlegung. Die etwaigen Pläne des Feindes gegen Oberschlesien schienen am leichtesten durchführbar. Er hatte große Magazine in Olmütz und konnte seinen Proviant bequem transportieren. Außerdem brauchte er die Preußen nur aus Troppau zu vertreiben, um sie zum Verlassen der Oppa und zum Rückzug auf Kosel und Neiße zu zwingen. Schwieriger war es, in die Lausitz einzudringen. Dort standen 20 000 Mann unter dem Prinzen von Bernburg; die Kaiserlichen hatten in der Nähe der Lausitz keine Magazine; in der Gegend von Schluckenau, Gabel, Rumburg und Friedland waren die Lebensmittel spärlich, sodaß es dem Feinde schwergefallen wäre, Vorräte genug zur Verpflegung einer größeren Truppenmacht aufzuspeichern. Immerhin konnte er, da ihm alles Fuhrwerk in Böhmen zur Verfügung stand, mit derzeit und mit großen Kosten Magazine in jener Gegend errichten, um sich auf einen Einfall vorzubereiten, der jedoch wegen der befestigten Stellung auf dem Eckartsberge große Schwierigkeiten gehabt hätte.
Je weniger klar man sich über die Absichten des Feindes war, um so mehr mußte man für alle Fälle gerüstet sein. Daher wurde Bosse117-1 mit 10 Schwadronen und 5 Bataillonen nach Löwenberg und Greiffenberg detachiert, mit dem Befehl, General d'Alton zu beobachten, der Friedland und Gabel besetzt hielt, und falls der Feind mit dem Prinzen von Bernburg anbinden wollte, ihm in den Rücken zu fallen, über<118>dies in allem mit dem Prinzen gemeinsam zu handeln. Andrerseits schickte Prinz Heinrich, der bei Nollendorf lagerte, ein Qetachement unter General Möllendorff118-1 nach Bautzen, das zum Prinzen von Bernburg stoßen sollte, falls die Österreicher ihn umgingen. Machte der Feind dabei ernstliche Anstrengungen und versuchte er, mit einem Teil seiner Armee in die Lausitz einzudringen, so sollte Möllendorff mit 20 Bataillonen und 30 Schwadronen auf Lauban marschieren, um den Angreifern die Zufuhr abzuschneiden. Als Möllendorff Böhmen verließ, um nach Bautzen zu marschieren, wurde er von den Österreichern angegriffen, warf sie aber mit beträchtlichen Verlusten zurück. Major Anhalt118-2, der unter Möllendorff diente, zeichnete sich bei diesem kleinen Gefecht sehr aus.
Solange es unbestimmt war, was die Feinde beginnen würden, blieb der König in Schatzlar. Sobald sich aber zeigte, daß sie nach der Lausitzer Grenze hin keinerlei Vorbereitungen zur Anlage von Magazinen trafen, ja daß die kaiserlichen Truppen dort schwächer waren als die preußischen, war es sehr wahrscheinlich, daß auf dieser Seite im Winter Ruhe herrschen würde. Nun konnte der König seine ganze Aufmerksamkeit ungestört auf Oberschlesien richten. Übrigens begann es im böhmischen Gebirge schon empfindlich kalt zu werden, und es fror alle Nächte. Die Österreicher hatten keine größeren Streitkräfte in der Gegend. Alle diese Gründe schienen hinreichend, um das Lager abzubrechen und die zur Verteidigung der Grenze bestimmten Truppen in Kantonnementsquartiere zu legen. Sie wurden in einer Stärke von 20 Bataillonen und 30 Schwadronen unter General Ramin118-3 zwischen Landeshut, Grüssau, Hirschberg, Schmiedeberg und Friedland verteilt, in den gleichen Stellungen, die der König 1759 besetzt hatte118-4.
Außerdem rückten 16 Bataillone und 15 Schwadronen nach Oberschlesien. Der König stieß in Neiße zu ihnen (18. Oktober), setzte sich an ihre Spitze und marschierte nach Neustadt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. um den Krieg nach Mähren zu tragen, wie er stets gewollt hatte;
2. weil der Erbprinz Troppau besetzt hielt;
3. weil die Feinde Iägerndorf hatten und ihn von dort aus von Neiße und Kosel abschneiden konnten.
Man mußte also notwendig Jägerndorf besetzen, um durch die dortige Stellung die Postenkette der Winterquartiere hinter der Oppa zu sichern. Ferner mußte man in Oberschlesien festen Fuß fassen, um im nächsten Frühjahr mit Nachdruck gegen Mähren operieren zu können. Die Truppen des Königs vertrieben die Österreicher ohne Mühe aus Jägerndorf; dann wurden die Stadt, der Kapellenberg und die feindlichen Angriffen am meisten ausgesetzten Dörfer sorgfältig befestigt. Ein Gleiches tat der Erbprinz in Troppau. So wurden beide Städte durch die neuen Verschan<119>zungen zu festen, vor jedem Angriff geschützten Plätzen. Als die Befestigungsarbeiten gegen Mitte November fast vollendet waren, begab sich der König nach Breslau, teils um die Vorbereitungen für den nächsten Feldzug zu treffen, teils um über die Unterhandlungen zu wachen, die eine recht interessante Wendung anzunehmen begannen.
Wir wollten die Darstellung des an großen Ereignissen armen Feldzuges nicht unterbrechen, glauben nun aber den Faden der politischen Geschäfte wieder aufnehmen zu müssen.
Das größte Interesse beanspruchte der Petersburger Hof; denn von ihm allein war wirkliche Hilfe zu erwarten. Katharina II. hatte sich verpflichtet, dem König Beistand zu leisten, sobald ihre Zwistigkeiten mit der Pforte beigelegt wären. Da der König die Zarin in die Lage bringen wollte, ihre Zusage zu erfüllen, so hatte er sich, dank dem guten Einvernehmen, das sich zwischen Frankreich und Preußen anbahnte, an das Versailler Ministerium gewandt und um Vermittlung zwischen den Russen und Türken gebeten119-1. Es war den Franzosen auch gelungen, die Pforte zum Vergleich mit ihren Feinden zu bewegen. Sie willigte darein, die russischen Schiffe freizugeben, die sie in den Dardanellen beschlagnahmt hatte, und den von Katharina begünstigten Tartaren-Khan anzuerkennen. Kaum war diese Nachricht in Petersburg eingetroffen, so war die Zarin über den Frieden in ihrem Reiche beruhigt. Vom Ehrgeiz verlockt, in die deutschen Wirren unmittelbar einzugreifen, trat sie offen für Preußen ein. Ihre Gesandten in Wien und Regensburg119-2 erklärten kurz gefaßt; „Sie bäte die Kaiserin-Königin, den Reichsfürsten volle Genugtuung für ihre Beschwerden zu geben, insbesondere betreffs der gerechten Klagen, die über die widerrechtliche Besetzung Bayerns erhoben würden. Geschähe das nicht, so müßte die Zarin ihren Verpflichtungen gegen den König von Preußen nachkommen und ihm das Hilfskorps schicken, das sie ihm vertragsmäßig zu stellen hätte.“
Diese Erklärung wirkte in Wien wie ein Donnerschlag. Das unerwartete Ereignis störte und verwirrte Fürst Kaunitz, der nichts vorhergesehen hatte, schämte sich, überrascht zusein, und wußte nicht, auf wen er die Schuld abwälzen sollte. Sein Sohn119-3, Gesandter in Petersburg, war jung und unerfahren und hatte mehr dem Vergnügen, als seinen Pflichten obgelegen. Er hatte seinen Hof weder vom Stande der Verhandlungen mit Konsiantinopel noch von der Gesinnung der Zarin gegen den König von Preußen benachrichtigt. Joseph II., der auf die Fortsetzung des Krieges brannte, benutzte die Verwirrung und Bestürzung seiner kaiserlichen Mutter, um ihr die Unterschrift zur Aushebung von 80 000 Rekruten abzupressen. Man müsse, rief er aus, alles ins Werk setzen, alle Hilfsquellen erschöpfen, um das Haus Hsierreich in dieser Entscheidungsstunde furchtgebietender denn je zu<120> machen. Er meinte, wenn die Ausgaben einmal gemacht seien, könnte nichts die Fortdauer des Krieges hemmen; aber die Kaiserin war ganz entgegengesetzter Meinung. Sie sehnte das Ende der Wirren herbei und setzte alle Hoffnung auf Frankreichs Vermittlung, die sie angerufen hatte. Ihre von Steuerlasten erdrückten Völker konnten die ungeheuren Kriegskosten nicht aufbringen; die Anleihen im Ausland entsprachen den Erwartungen des Hofes nicht; kurz, es herrschte solcher Geldmangel, daß die Soldaten oft ihre Löhnung nicht bekamen und die täglichen Bedürfnisse nicht befriedigen konnten. Aufgeklärte Leute sahen mit Schmerz den allgemeinen Zusammenbruch der Monarchie voraus, falls man ihm nicht vorbeugte, indem man den Vorschlägen zu einem billigen Frieden die Hand bot.
Schon hatte die Kaiserin, wie bereits erwähnt, Frankreichs Vermittlung angerufen. Ebenso hatte sie die guten Diensie des russischen Hofes in Anspruch genommen. Ein merkwürdiger Zufall wollte, daß das Schreiben aus Wien und die russische Erklärung, die zur gleichen Zeit abgegangen waren120-1, fast am selben Tag an ihrem Bestimmungsort eintrafen. Den Vorteil davon hatte der König; denn wäre das österreichische Ansuchen vor dem Abgang der russischen Erklärung eingetroffen, so hätte die Zarin diese wahrscheinlich unterdrückt. Andrerseits wünschte der König, der durch seine Sendboten alles erfuhr, nichts sehnlicher, als sich mit dem Wiener Hofe zu vergleichen, vorausgesetzt, daß die Reichsverfassung unangetastet blieb, daß weder die Interessen des Kurfürsten von Sachsen noch des Herzogs von Zweibrücken verletzt wurden, und daß er selber sicher war, wegen der Erbfolge in Ansbach und Bayreuth, auf die er unbestreitbare Rechte hatte, keinerlei Schwierigkeiten zu erfahren.
Weit entfernt, Frankreichs Vermittlung abzulehnen, betrachtete der König den Versailler Hof vielmehr als Bürgen des Westfälischen Friedens. Es mußte Frankreich ebenso sehr wie Preußen daran liegen, daß der Kaiser durch die widerrechtliche Besitzergreifung von Bayern sich keinen Weg bahnte, um entweder über den König von Sardinien in Italien herzufallen, was man in Turin sehr befürchtete, oder um noch leichter ins Elsaß und Lothringen einzubrechen. Der Kurfürst von Sachsen war ein Vetter Ludwigs XVI.120-2 und der Herzog von Zweibrücken sein Schützling. Nichtsdestoweniger hätte man gegen alle Klugheit verstoßen, wenn man Preußens und Deutschlands Interessen ganz in die Hände eines kraftlosen Ministeriums legte, das keinen festen Willen besaß und sich womöglich durch die Ränke und tückischen Einflüsterungen des Wiener Hofes gefangen nehmen ließ. Um Maurepas gegen alle österreichischen Vorschläge zu wappnen, die der Wiederherstellung des Friedens und der Ruhe in Deutschland direkt zuwiderliefen, schickte ihm der König eine Denkschrift mit Darlegung der Gründe, warum die und die Friedensbedingung annehmbar sei und warum man eine entgegengesetzte nicht annehmen könne, ferner eine Zusammen<121>fassung der hauptsächlichsten und unerläßlichen Bedingungen für öen allgemeinen Frieden. Dies Schriftstück rief einen so günstigen Eindruck hervor, daß Frankreich es zur Grundlage seiner Unterhandlungen in Wien machte. Breteuil, der französische Botschafter am Wiener Hofe, begegnete beim Kaiser fortwährenden Schwierigkeiten bei jedem Vorschlag, den er machte. Dessenungeachtet nahm die Kaiserin-Königin das Medensprojekt in der Form an, in der Frankreich es entworfen hatte.
Mittlerweile traf von seiten der Zarin Fürst Nepnin in Breslau ein121-1, und zwar trat er mehr als bevollmächtigter Gesandter auf, der im Auftrag seines Hofes Deutschland Gesetze vorschrieb, als wie ein General, der der preußischen Armee ein Hilfskorps zuführen sollte. Die russische Zarin war stolz darauf, daß die Kaiserin-Königin<122> sie um ihre guten Dienste zur Wiederherstellung des Friedens gebeten hatte. Sie fühlte sich den homerischen Göttern gleich, die durch ihre Machtsprüche das Los der armen Sterblichen bestimmten.
Der König hatte dem Petersburger Hofe vorgeschlagen, das russische Hilfskorps im nächsten Frühjahr in Lodomirien und Galizien zu verwenden, wo sich nur wenige Truppen befanden. Von da sollte es nach Ungarn vordringen, wo der Anmarsch der Russen alle Griechisch-Katholischen in Aufruhr gebracht hätte, die in Ungarn, Kroatien, im Temesvarer Banat und in Siebenbürgen wohnten122-1. Der König hatte sich sogar erboten, ein Korps von seinen Truppen dazustoßen zu lassen und alle Reichtümer jener Provinzen der Habgier der russischen Generale preiszugeben.
Dieser Vorschlag wurde aus Unwissenheit und aus einem noch unersättlicheren Bereicherungsdrang abgelehnt. Die Russen hatten vertragsmäßig ein Hilfskorps von 16 000 Mann zu stellen. Sie forderten dafür einen übermäßigen Preis, der in gar keinem Verhältnis zu den Diensten stand, die man von ihnen erwarten konnte. Das hätte dem König jährlich 3½ Millionen Taler gekostet, außerdem Subsidien in Höhe von einer halben Million für einen Krieg gegen die Türken, den Rußland garmcht führte. Ja, als wären das noch nicht genug drückende und maßlose Bedingungen gewesen, bestand Fürst Repnin auch noch darauf, der König solle sich für den Fall, daß der Türkenkrieg ihn mit seinem Hilfskorps nach Polen zurückriefe, verpflichten, ihn durch 16 000 Preußen zurückzugeleiten, damit er unterwegs nicht von den österreichischen Truppen in Lodomirien beunruhigt würde. Der Gipfel des Lächerlichen aber war seine Forderung, die Preußen sollten selbst für ihre Verpflegung sorgen und überall ihre Bedürfnisse bar bezahlen. Aus solchen Bedingungen ging deutlich hervor, daß die Zarin den Preußen nicht ernstlich beistehen wollte; sie erstickten das Gefühl der Dankbarkeit, das man für ihre Hilft hätte haben müssen. So mußte man solche Freundschaftsbeweise denn auch nur dem Wunsch Katharinas zuschreiben, sich unter diesem Vorwand in die deutschen Angelegenheiten einzumischen, um ihren Einfluß in Europa auszudehnen. Sie handelte aus eitler Ruhmbegier und nicht im Interesse ihres Verbündeten, noch nach den Verpflichtungen, die sie durch ihr Bündnis übernommen hatte.
Der schwindelnde Preis für die russischen Hilfstruppen erklärte sich großenteils daraus, daß sie den König auf diese Weise von dem Kriege abbringen wollte. Alle Briefe aus Petersburg enthielten eindringliche Friedensmahnungen. Das gefährlichste und ärgerlichste unter all diesen unangenehmen Dingen war die Ungeschicklichkeit und geringe Einsicht der russischen Minister. Graf Panin war keineswegs in den tückischen Kniffen der österreichischen Diplomatie bewandert. Immerfort mußte man<123> ihn auf die ihm gestellten Fallen hinweisen. Hätte man nicht stets ein Auge auf ihn gehabt, Fürst Kaunitz hätte nach Belieben sein Spiel mit ihm getrieben.
Die Schwäche des Versailler Ministeriums einerseits und die Unwissenheit des Petersburger andrerseits brachten den König in große Verlegenheit und vermehrten seine Besorgnis. Da indes die französische Klugheit der russischen Dummheit weit voraus war, mußte man von jener den glücklichen Ausgang der Unterhandlungen erhoffen.
Der Marquis von Breteuil, Frankreichs Gesandter am Kaiserhofe, fühlte sich geschmeichelt, den Friedensstifter in Deutschland zu spielen. Er wiegte sich in der Hoffnung, wenn er in die Spuren von Claude d'Avaux, dem Bevollmächtigten beim Westfälischen Frieden, träte, würde er sich dadurch den Weg zu den höchsten Würden seines Landes bahnen, insbesondere zum Ministerium des Auswärtigen, nach dem er brennend begehrte. Er bot alle seine Tatkraft auf und arbeitete so beharrlich, daß er Ende Januar an den Fürsten Nepnin nach Breslau den Plan des allgemeinen Friedens senden konnte, so wie der König ihn entworfen und wie die KaiserinKönigin ihn gutgeheißen hatte. Die Bedingungen waren die gleichen wie die schon genannten123-1, mit Ausnahme eines einzigen Artikels, den der König bewilligt hatte, nämlich, daß er seinen Ansprüchen auf die Herzogtümer Jülich und Berg zugunsten des Herzogs von Zweibrücken entsagte. Das war weiter nichts als eine Erneuerung des 1741 mit Frankreich abgeschlossenen Vertrages123-2, der dem König die Garantie für ganz Schlesien von selten Frankreichs verschaffte.
Dies Friedensprojekt wurde Preußens Verbündeten mitgeteilt. Die Sachsen zeterten gewaltig, schraubten ihre Ansprüche auf den bayrischen Allodialbesitz auf 7O Millionen Gulden herauf und sahen mit Schmerz voraus, daß es viel wäre, wenn sie 6 Millionen bekämen. Ferner verlangten sie vom Kaiser den Verzicht auf die Oberlehnshoheit, die er als König von Böhmen für Sachsen und die Lausitz in Anspruch nahm. Besonders aber hatten sie auf einige Gebietsentschädigungen zur Abrundung ihres Länderbesitzes gerechnet. Der Herzog von Zweibrücken bestand seinerseits hartnäckig darauf, daß Bayern kein Stück seines Territoriums verlieren dürfe, und erbot sich zur Abtretung eines Teiles der Oberpfalz, um das Rentamt Burg-Hausen zu behalten. Außerdem willigte er nur mit größtem Widerstreben in die Entschädigungen, die der Kurfürst von Sachsen zu beanspruchen hatte.
Um den Wünschen seiner Verbündeten nachzukommen, machte der König von Preußen einen neuen Versuch, der sich lediglich auf Bayern und das Rentamt Burg-Hausen bezog, um für sie womöglich günstigere Bedingungen beim Wiener Hofe herauszuschlagen. Statt aber darauf einzugehen, erklärte Fürst Kaunitz, über die neuen Forderungen der Preußen empört, mit dem ganzen österreichischen Hochmut: das Friedensprojekt, das der französische Botschafter dem Fürsten Repnin mitgeteilt<124> habe, sei das Ultimatum des Wiener Hofes, und die Kaiserin sei entschlossen, lieber den letzten Mann zu opfern, als auf diese neuen, ebenso demütigenden wie ihrer Würde Hohn sprechenden Bedingungen einzugehen.
Obwohl nichts natürlicher war, als die restlose Herausgabe einer widerrechtlich besetzten Provinz zu fordern, wollten Frankreich und Rußland weiter nichts als den Frieden, jenes, um den Kaiser loszuwerden, der Unterstützung verlangte, dieses, um den Preußen kein Hilfskorps stellen zu müssen. Demgemäß handelten sie und drängten die preußischen Minister, dem allgemeinen Friedensschluß nicht neue Hindernisse zu bereiten. Durch zwei vermittelnde Mächte behindert, die beide die größte Rücksichtnahme verdienten, vermochte der König von Preußen seinen Verbündeten nicht mit dem ganzen Eifer zu dienen, den er für sie empfand. Er konnte nicht Österreich, Frankreich und Rußland zugleich vor den Kopf stoßen, wollte aber mit letzterem doch die Maßregeln vereinbaren, die noch zu ergreifen waren. Dadurch wurde der Zusammentritt des Friedenskongresses um einen Monat verzögert; denn so viel Zeit war nötig, um die Antwort aus Petersburg zu erhalten.
Diese Frist wollen wir benutzen, um dem Leser einen Überblick über die Operationen zu geben, die während des Winters die Truppen in Atem hielten. Wie man sich erinnern wird, hatten wir den Erbprinzen in Oberschlesien verlassen, wo er damit beschäftigt war, seine Stellung bei Troppau und Iägerndorf zu halten und die Feinde bald nach Grätz, bald nach Mährisch-Ostrau, bald nach Achten hin zu treiben. Die Österreicher hielten es ihrerseits für eine Demütigung, wenn sie die Preußen im ungestörten Besitz eines ihnen gehörenden Gebietes ließen. Sie hätten gern alles versucht, um sie daraus zu vertreiben, sahen aber voraus, daß sie Troppau und Iägern-dorf nur zurückerobern könnten, wenn sie beide Städte von Grund aus zerstörten und verbrannten. Da dies Mittel der Kaiserin-Königin aber zu kostspielig und hart erschien, dachten sich die österreichischen Generale ein anderes aus. Durch Abschneidung des Erbprinzen von Neiße, von wo er nach ihrer irrtümlichen Annahme seinen Proviant bezog, glaubten sie ihn zur Räumung von ganz Oberschlesien zwingen zu können.
Zur Ausführung dieses Planes verlegte General Elrichshausen, durch 10 000 Mann verstärkt, die er aus Böhmen erhielt, sein Quartier nach Engelsberg, einem Städtchen in den Bergpässen, deren einer bei Branitz, unfern von Jägerndorf, mündet, ein zweiter bei Hof und ein dritter, der über Zuckmantel und Ziegenhals führt, in der Ebene, die sich zwischen Weidenau und Patschkau, Neiße und Neustadt dehnt. Dies etwa 15 000 Mann starke und vorteilhaft aufgestellte Korps beunruhigte unsere Quartiere verschiedentlich. Bald fouragierte es bei Neiße, wenn es auch stets zurückgetrieben wurde; bald alarmierte es die Gegend von Jägerndorf, von wo es aber Stutterheim, der dort kommandierte, gründlich geschlagen zurückwarf. Schließlich hatte der Erbprinz von Braunschwelg diese Scharmützel satt, die seine Truppen<125> ermüdeten, und beschloß, den Feind seinerseits zu beunruhigen. Er zog seine Quartiere zusammen und überfiel mit drei getrennten Korps die Stellungen bei Branitz, Achten und Engelsberg. Sobald die Preußen sich zeigten, ergriffen die Kaiserlichen die Flucht. Der Prinz nahm ihnen 4 Kanonen und 50 Gefangene ab; aber der Schrecken der Feinde war so groß, daß sie von den preußischen Kantonnements ab-zogen und die Truppen bei Troppau und Jägerndorf ungestört ließen. Nun richtete Elrichshausen seine ganze Aufmerksamkeit auf Zuckmantel und Ziegenhals, von wo er täglich Streifzüge ins flache Land unternahm.
Die preußischen Truppen in Neustadt und Neiße widersetzten sich immerfort den Beutezügen, die der Feind unternehmen wollte. Das führte zu verschiedenen Scharmützeln, bei denen sich die preußische Infanterie und Kavallerie gleichermaßen hervortaten. Aber diese Art von Kleinkrieg gehört nicht in die Denkwürdigkeiten, die wir schreiben wollen. Immerhin beschloß man, solchen dreisten Unternehmungen ein Ziel zu setzen. Die Truppen brauchten Ruhe während des Winters und hatten während des Feldkrieges Zeit genug zum Kämpfen. Um das zu erreichen und das Übel mit der Wurzel auszurotten, beschloß man, die Österreicher, wenn möglich, aus ihrer Stellung bei Zuckmantel zu vertreiben.
Wunsch, der mit 10 Bataillonen in der Grafschaft Glatz bisher müßig gestanden hatte, glaubte von dort für einige Zeit abrücken zu können, ohne durch sein kurzes Fernsein zuviel aufs Spiel zu setzen. Er ließ den Prinzen von Philippsthal125-1 mit zwei schwachen Bataillonen in Habelschwert, rückte auf Ziegenhals, von wo er die Feinde vertrieb, und verfolgte sie in die Bergschluchten bis nach Zuckmantel125-2. Aber diese Stellung war für die Preußen wegen der sie beherrschenden Höhen unhaltbar geworden. Die Österreicher hatten sie nicht nur mit Kanonen besetzt, sondern sie auch durch beträchtliche Verschanzungen befestigt, aus denen sie nicht zu vertreiben waren. Auch eine Umgehung war unmöglich; denn diese allzu hohen, steilen und abschüssigen Berge ließen sich nicht erklimmen. Nachdem Wunsch sich durch den Augenschein überzeugt hatte, daß auf dieser Seite nichts gegen die Feinde auszurichten sei, und daß ein längeres Verweilen bloßen Zeitverlust bedeute, kehrte er nach seiner alten Stellung bei Glatz zurück. Beim Marsche durch Landeck hörte er eine ziemlich lebhafte Kanonade in der Richtung auf Habelschwert. Sofort schlug er die Richtung dorthin ein; kaum aber war er ein Stück Wegs marschiert, so traf er auf 250 Mann vom Regiment Luck, die sich durchgeschlagen hatten. Von ihnen erfuhr er, daß der Prinz von Philippschal sich mit dem Rest des Regiments von den Österreichern hatte überrumpeln lassen, da er keinerlei Sicherungsmaßregeln getroffen hatte125-3. Diese schmachvolle Katastrophe darf man nur der Unwissenheit des jungen Prinzen zuschreiben, der seinen ersten Feldzug mitmachte und dem man kein selbständiges Kommando hätte anvertrauen dürfen.
<126>Bald darauf hörte Wunsch eine andere Kanonade. Der Feind griff eine Art von Mahlwerk oder Redoute126-1 an, in der der preußische General hundert Mann zur Verteidigung zurückgelassen hatte. Die österreichischen Haubitzen schossen sie in Brand, und Hauptmann Capeller126-2, der sich durch seinen tapferen Widerstand hervortat, mußte sich vor Ankunft der Hilfe ergeben, sodaß Wunsch sich mit seinem ganzen Korps in die Festung Glatz warf. Wurmser und die Kaiserlichen, die keine Ahnung von jener Redoute besaßen, hatten stracks auf Glatz marschieren und die Festung überrumpeln wollen. Ihre Absicht war indes ganz unausführbar. Die Werke von Glatz sind derart, daß sie allen Angriffen Trotz bieten, wofern der Feind nicht zur förmlichen Belagerung schreitet. Immerhin gelang es Wurmser, ein paar Quartiere im Glatzischen aufzuheben. Er hoffte sogar, der König würde, um ihn aus preußischem Gebiet zu vertreiben, Truppen aus Oberschlesien herbeiziehen und dadurch die Postenkette von Troppau und Iägerndorf und die Armee des Erbprinzen entblößen. Dadurch hätte Elrichshausen freie Hand bekommen, um mit Erfolg etwas gegen die Preußen zu unternehmen und die Oppa-Ufer zu säubern, die bei den Kaiserlichen solche Besorgnis erregten. Aber die Sache fiel anders aus, als die feindlichen Generale sich dachten und wünschten.
Der König nahm ein paar Bataillone aus der Reserve, die in Breslau überwinterten, sowie die Gardes du Corps, die Gensdarmen und das Regiment Anhalt und marschierte mit ihnen nach Reichenbach (4. Februar). Ferner schickte Ramin 4 Bataillone an General Anhalt, der schon 4 befehligte. Das ganze Korps besetzte Friedland und die dort angelegten Befestigungen. Zur Vertreibung des Feindes aus Waldenburg marschierte General Lestwitz126-3 auf Scharfeneck und General Anhalt auf Braunau. Die Kaiserlichen ergriffen überall die Flucht; Anhalt konnte kaum 50 Panduren abfangen. Während beide Korps vorrückten, besetzte der König Silberberg (16. Februar), um von dort aus Hilfe bringen zu können, wo es nötig werden sollte. Diese Bewegung machte solchen Eindruck auf die Feinde, daß sie Habelschwert räumten und sich nach Böhmen retteten.
Für alles war gesorgt worden. Hätte man die Kaiserlichen in Böhmen an der sächsischen Grenze ruhig gelassen, so wären alle ihre Truppen nach Schlesien zurückgeflutet und Wurmser hätte beträchtliche Verstärkung erhalten: Um daher die Aufmerksamkeit des Feindes zu teilen und ihn wehr an seine Sicherheit als an die Beunruhigung Schlesiens denken zu lassen, raffte Möllendorf einige Truppen zusammen, verließ Sachsen, marschierte nach Brix, schlug mit seiner Kavallerie die ihm entgegengestellte Streifschar, eroberte 3 Kanonen, machte 350 Gefangene und nahm das Magazin in dem Städtchen Brix weg (5. Februar).
Während der Nacht zum 7. geschah es, daß ein Unteroffizier vom Regiment Wunsch desertierte und, um sich an seinem Major zu rächen, die österreichischen Husaren<127> flugs in das Dorf führte, wo er den Major samt fünf Fahnen aufhob127-1. So sehr trifft es zu, daß ein Offizier nie genug auf seiner Hut sein kann, um sich vor Überfällen zu sichern. Etwas ähnliches passierte wenige Monate vorher127-2 dem Regiment Thadden in Schlesien, als es im Dorfe Dittersbach bei Schmiedeberg kantonnierte. Die Husaren machten einen Scheinangriff auf einen Vorposten des Regiments, während ein anderer Trupp durch einen Garten und eine Scheune in das Haus des Kommandeurs drang und drei Fahnen raubte. Er wurde jedoch vertrieben, bevor er der anderen habhaft wurde. Solche Vorkommnisse gereichen dem preußischen Dienst nicht zur Ehre, aber bei der großen Menge von Offizieren, die zu einer Armee gehören, können nicht alle gleich tüchtig und wachsam sein.
Während der Krieg ohne Rücksicht auf die Jahreszeit weiterging, kehrte der Kurier, den der König mit seinem Ultimatum abgesandt hatte, aus Petersburg zurück, und da beide Höfe über die darin aufgestellten Artikel einig waren, schickte Fürst Repnin es an Breteuil nach Wien. Der Botschafter meldete, das Schriftstück habe bei der Kaiserin-Königin großen Beifall gefunden, und man gedenke einen Kongreß zu veranstalten, um die letzte Hand an das Friedenswerk zu legen.
Sollte die Nachwelt es für möglich halten, daß unter diesen Umständen, wo selbst der Wiener Hof offenbar ernstlich an die Beendigung des Krieges dachte, ein General Wallis127-3 mit 8 000 bis 10 000 Mann plötzlich vor Neustadt erschien, wo das Regiment Prinz von Preußen und das Grenadierbataillon Preuß im Quartier lagen? Da der Feind die Stadt nicht nehmen konnte, beschoß er sie mit etwa 20 Haubitzen, die er mit sich führte, und warf so viel Granaten hinein, daß die Schindeln, womit die meisten Dächer gedeckt waren, Feuer fingen und 240 Häuser in Flammen aufgingen. Doch die Besatzung hielt stand. Als General Stutterheim von dem Vordringen der Feinde erfuhr, packte er sie bei Branitz im Rücken; die bei Roßwalde kantonnierenden Truppen fielen den Österreichern in die eine Flanke, Detachements aus Neiße in die andere. Da Wallis bei längerem Verweilen sein ganzes Korps aufs Spiel gesetzt hätte, zog er sich nach Zuckmantel zurück (28. Februar). Er wurde verfolgt und bis in seinen Schlupfwinkel zurückbegleitet. Diese Unternehmung war vom Kaiser ausgedacht und Wallis übertragen worden. Da der Kaiser den König von Preußen für leidenschaftlich und aufbrausend hielt, wähnte er ihn durch die Einäscherung einer seiner Städte so zu reizen, daß er bei den bevorstehenden Unterhandlungen widerspenstiger sein und größere Schwierigkeiten machen, ja sie womöglich aus schlechter Laune ganz abbrechen würde. Aber dies schmachvolle Unternehmen der Österreicher schlug nur zu ihrer eigenen Schande aus.
<128>Kurz darauf erhielt Fürst Repnin ein Schreiben von Breteuil des Inhalts, daß die Kaiserin-Königin sehnlichst einen Waffenstillstand wünschte. Der König empfing die Nachricht am 4. März in Silberberg und gab seinen Generalen Befehl, sich mit den feindlichen Generalen über den vorgeschlagenen Waffenstillstand zu vereinbaren. Für Böhmen wurde der Termin auf den 7. festgesetzt, für Oberschlesien und Mähren auf den 8., zwischen Sachsen und Böhmen auf den 10. Nachdem dieser Zeitpunkt herangekommen war, wurden die Truppen in weitere Quartiere gelegt, um ihnen mehr Bequemlichkeit zu gönnen und vor allem die ansteckenden Krankheiten zu verhüten, die an den Grenzen schon auszubrechen begannen. Am 6. begab sich der König nach Breslau, um mit Fürst Repnin zu konferieren. Die Stadt Teschen wurde von allen Seiten als Ort der Verhandlungen angenommen. Der König ernannte Riedesel128-1 zu seinem Bevollmächtigten bei diesem Kongreß. Inzwischen traf in Breslau Törring-Seefeld als Gesandter des Kurfürsten von der Pfalz ein. Er, Fürst Repnin, Riedesel, der sächsische Gesandte Zinzendorf und Hofenfels als Bevollmächtiger von Zweibrücken, kurz, der ganze Schwarm der Unterhändler begab sich nach Teschen, wo sich auch der französische Botschafter und Bevollmächtigte Frankreichs, Breteuil, und Cobenzl128-2 als Gesandter der Kaiserin-Königin einfanden (10. März).
Die Kaiserin wollte ehrlich den Frieden. Aber so eilig sie es hatte, ihn bald hergestellt zu sehen, sie vermochte ihrem Sohne, dem Kaiser, nicht die gleiche Gesinnung einzuflößen. Wie schon betont, glaubte er seine Ehre verletzt, wenn er nicht fest bei einer Sache blieb, die er tolldreist unternommen hatte. Infolge der Differenzen zwischen Mutter und Sohn waren in Wien zwei Parteien entstanden, die sich natürlich immerfort entgegenarbeiteten. Dadurch entstanden viele Schwierigkeiten für die vermittelnden Mächte, obgleich der Kaiser wohl einsah, daß, wenn er offen eine Unterhandlung durchkreuzte, an der Rußland und Frankreich beteiligt waren, er es mit starken Gegnern zu tun bekäme. Durch verhüllten Widerstand hoffte er zum gleichen Ziele zu kommen, besonders wenn er nicht selbst hervortrat, sondern einen anderen vorschob, den er nach seinem Gutdünken dirigieren konnte. Seine Wahl fiel auf den Kurfürsten von der Pfalz, der samt seinen Ministern dem Kaiserhofe blind ergeben war. Aber diese neue List wurde bald aufgedeckt.
Sobald die Gesandten in Teschen ihre Konferenzen begannen, trat Graf Cobenzl schlecht und recht dem von Frankreich gemachten Friedensvorschlag bei, erhob keinerlei Schwierigkeiten und schien so zufrieden, wie man es nur wünschen konnte. Man hoffte schon auf baldiges Zustandekommen des Friedens. Da erhielt Fürst Repnin einen Kurier von Asseburg, dem Gesandten der Zarin in Regensburg, mit der Nachricht, der Kurfürst von der Pfalz habe ihm erklärt, er könne und wolle dem Kurfürsten von Sachsen keinerlei Entschädigung geben und zöge es vor, sich an <129>seinen früheren, mit dem Wiener Hofe geschlossenen Vertrag zu halten, statt die Erörterung seiner Interessen dem Kongreß zu Teschen anheimzugeben129-1. Allerdings spielte der Kurfürst von der Pfalz die ihm vom Kaiser soufflierte Rolle recht linkisch. Breteuil und Fürst Repnin entdeckten ohne Mühe den wahren Urheber dieses neuen Kunstgriffes. Sie schlugen beide einen gebieterischen Ton an und erklärten mit der ganzen Würde von Bevollmächtigten großer Reiche, alle kontrahierenden Mächte hätten das ihnen vorgeschlagene Friedensprojekt bereits angenommen, und sie würden somit jeden als Feind betrachten, der seiner ersten Verpflichtung zuwiderhandelte. Bei diesen Worten erbleichte Cobenzl, der Pfälzer beugte sich, und nach Wien gingen eiligst Kuriere ab.
Dessenungeachtet entstanden bald andere Schwierigkeiten, die den Weg der Vermittlung in einemfort sperrten. Einmal waren es die Sachsen, deren Habgier unersättlich war, ein andermal verlangte der Gesandte von Zweibrücken, um seinen Eifer zu bekunden, eine unmäßige Erhöhung der Apanage für seinen Herrn und verteidigte sein Lieblingsargument, wonach Bayern ein unteilbares Herzogtum sei. Der König mußte dazwischenfahren, damit es nicht so weiterging. Mit Hilfe der Vermittler gelang es ihm, wenn auch nur mit Mühe und Not, die unangebrachte Hitzigkeit der beiden Gesandten zu dämpfen. Er bewies dem Sachsen, daß sein Kurfürst ohne Frankreich, Rußland und Preußen nicht einen Pfennig von Österreich bekäme, so berechtigt seine Ansprüche auch wären, daß er also vernünftig handeln und mit den Summen fürlieb nehmen solle, die man mit großer Mühe für ihn durchgesetzt habe. Ungefähr das gleiche wurde dem Gesandten von Zweibrücken gesagt. Man hielt ihm vor, sein Fürst könne nach dem Verlust von Dreiviertel von Bayern froh sein, wenn er zwei Drittel davon zurückerhielte, ganz zu geschweigen, daß der König zu seinen Gunsten die brandenburgischen Erbansprüche auf Jülich und Berg fallen ließe. Kaum hatte man die beiden Gesandten beschwichtigt, so trat die Marionette des Kaisers, der Kurfürst von der Pfalz, wieder auf und erhob neue Einwendungen. Frankreich war empört darüber, und der Gesandte Ludwigs XVI. in München129-2 schlug einen Ton an, wie ihn sich Ludwig XIV. inmitten seiner Siege erlaubt hatte. Nichtsdestoweniger dauerten die Streitereien in Teschen fort, und die Bevollmächtigten begannen selbst am Erfolg ihrer Unterhandlungen zu verzweifeln.
Schott waren sechs Wochen fruchtlos verlaufen; man schrieb den 20. April. Da kam in Wien ein Kurier aus Konstantinopel mit der Nachricht an, daß der Friede zwischen der Pforte und Rußland geschlossen sei129-3. Nur ein so weittragendes Ereignis<130> konnte das unruhige und ehrgeizige Gemüt des jungen Kaisers niederbeugen. Solange die Wahrscheinlichkeit eines russisch-türkischen Krieges auf einen baldigen Bruch zwischen beiden Mächten hoffen ließ, hatte Joseph II. die Erklärung des Petersburger Hofes zugunsten Preußens und des Deutschen Reiches nur für eine Demonstration, eine eitle Prahlerei angesehen, kurz, für bloßes Gerede, das mehr Lärm als Wirkung hervorrief. Denn Rußland war zur Genüge in der Krim beschäftigt, um den Khan, seinen Schützling, gegen die Pforte zu verteidigen, die ihn absetzen wollte. Es hätte somit weder die Kraft noch die Mittel gehabt, den König von Preußen wirksam zu unterstützen. Aber die Wiederherstellung des Friedens zerstörte alle Hoffnungen, in denen der Kaiser sich gewiegt hatte. Er konnte sich nicht verhehlen, daß Rußland, nun es die Arme frei hatte, seine Kräfte nach Gutdünken verwenden konnte. Mithin war es in der Lage, dem König von Preußen ein so starkes Hilfskorps zu schicken, daß Preußen dadurch eine bedeutende numerische Überlegenheit gewann, gegen die sich die Kaiserlichen nicht ein Kriegsjahr hindurch mit Ehren zu behaupten vermochten, und noch weniger, wenn sich der Krieg in die Länge zog.
Der russisch-türkische Friedensschluß ist also eigentlich der Zeitpunkt, wo der Kongreß zu Teschen begann. Sofort blieben die Uhrwerke, die der Kaiser heimlich in Bewegung setzte, stehen, als wären sie entzwei gegangen. Der Kurfürst von der Pfalz und sein Bevollmächtigter hüllten sich in ehrfürchtiges Schweigen; Graf Cobenzl wurde verbindlicher, ließ seine arglistigen Vorschläge fallen und sprach sich offen und ehrlich über das aus, was den Gegenstand der Verhandlungen bildete. Alle diese günstigen Umstände förderten das Werk so rasch, daß binnen vierzehn Tagen allgemeine Übereinstimmung herrschte und der Friede am 13. Mai, dem Geburtstag der Kaiserin-Königin, geschlossen und unterzeichnet wurde.
Wir begnügen uns mit der Aufzählung seiner wichtigsten Artikel. Der Kaiser gab ganz Bayern und die Oberpfalz an den Kurfürsten von der Pfalz zurück, mit Ausnahme des Rentamtes Burghausen130-1. Die Erbfolge in beiden Staaten wurde dem Herzog von Zweibrücken zugesichert, desgleichen allen Seitenlinien, die die nämlichen Rechte hatten. Der Kurfürst von Sachsen erhielt eine Entschädigung von 6 Millionen Gulden, die ihm in jährlichen Raten von 500 000 Gulden ausgezahlt werden sollte. Der Kaiser verzichtete zugunsten des Kurfürsten von Sachsen auf die Oberlehnsherrlichkeit über die Grafschaft Schönburg, eine Enklave im Kurfürstentum. Er erkannte ferner die Rechtmäßigkeit der Erbansprüche auf Ansbach und Bayreuth an, die an Preußen zurückfallen mußten, und versprach, wegen dieser Erbfolge keine Schwierigkeiten mehr zu machen. Andrerseits ließ der König von Preußen seine Ansprüche auf Jülich und Berg zugunsten der Linie Sulzbach fallen, wofür Frankreich ihm die Garantie auf Schlesien erneuerte, die es im Vertrage von 1741 übernommen hatte130-2. Der Herzog von Mecklenburg erhielt das Recht de non apellando<131> als Entschädigung für seine Ansprüche. Schließlich wurde der vorstehende Vertrag von Rußland, Frankreich und dem ganzen Deutschen Reich garantiert.
Kaum war der Vertrag unterzeichnet, so räumten die Preußen ohne weiteres alle österreichischen Gebiete, die sie besetzt hielten. Der Kurfürst von der Pfalz, der in allem, was er tat, so plump und ungeschickt war, ließ es sich beikommen, den Österreichern Scherereien wegen der herauszugebenden oder auszutauschenden Gebiete in Bayern zu machen; aber diese kleinen Reibereien hatten keinerlei Folgen. Denn die Garantiemächte imponierten den kontrahierenden Fürsten zu sehr, als daß diese gewagt hätten, sie offenbar vor den Kopf zu stoßen und die Artikel eines feierlichen Vertrages, der durch ihre Vermittlung geschlossen war, nicht zu erfüllen.
So endeten die deutschen Wirren. Alle Welt war, bevor sie beigelegt wurden, auf einen mehrjährigen Krieg gefaßt. Aber es kam nur zu einem wunderlichen Gemisch von diplomatischen Verhandlungen und militärischen Operationen. Der Grund dafür lag in den beiden Parteien, die den Kaiserhof spalteten und von denen die eine bald die Oberhand gewann, bald von der anderen unterdrückt wurde. Die Offiziere waren in steter Unsicherheit; kein Mensch wußte, ob Friede oder Krieg war, und diese peinliche Lage währte bis zu dem Tage, wo der Friede in Teschen unterzeichnet ward. Die preußischen Truppen errangen anscheinend überall Erfolge über ihre Gegner, wo sie regelrecht kämpfen konnten, wogegen die Kaiserlichen in allem, was List, Überfall und Verschlagenheit heißt, kurz, in allem, was zum Kleinkrieg gehört, die Oberhand behielten.
Es gebührt einem Zeitgenossen vielleicht nicht, über die Hauptsächlichsten Fehler zu richten, die auf beiden Seiten begangen wurden. Trotzdem können wir als Augenzeugen wohl unsere Meinung über das Verhalten der Höfe und ihrer Heerführer aussprechen, sowohl vor wie bei dieser wichtigen Begebenheit. Offenbar ließ sich der Kaiserhof ohne große Überlegung in das Unternehmen gegen Bayern ein. Hätte er seinen Plan reiflich erwogen, so hätte er einen Mittelweg gefunden, auf dem er zum Ziele gelangt wäre, ohne sich mit irgendwem zu überwerfen. Dazu wäre vorerst nötig gewesen, sich mit Frankreich zu verständigen, indem er ihm für die ErWerbungen in Bayern Abtretungen in Flandern als Kompensation angeboten hätte, oder sich mit Preußen ins Einvernehmen zu setzen, indem er seine Interessen auf anderen Gebieten begünstigte. Was der Kaiser dann auch getan hätte, er brauchte keine Feinde mehr zu fürchten. Denn war er mit Frankreich einig, so war seine Partei zu stark, als daß Preußen sich hätte widersetzen können, und ebenso vermochte Frank-reich, wenn er mit Preußen im Einvernehmen war, ihm nicht die geringste Schwierigkeit zu bereiten.
Der zweite Vorwurf, den man den Wiener Ministern machen kann, war der, daß sie das Manifest, das sie bei der Besitzergreifung von Bayern veröffentlichten, nicht besser motiviert hatten. So rechtswidrig ihr Vorgehen war, sie hätten doch Argu<132>mente benutzen können, die, wenn auch nicht zwingend, so doch besiechend wirkten und, einmal im Publikum verbreitet, schwerer auszurotten waren als die angeblichen Rechtsansprüche, auf die sie sich beriefen, die sich leicht widerlegen ließen und auch rasch widerlegt wurden.
Der dritte Vorwurf trifft vor allem den österreichischen General, der den Feldzugsplatt ausgearbeitet hat. Dieser Plan stimmte in keiner Weise zu der politischen Lage des Hofes; denn der Kaiser hatte keinen Bundesgenossen, von dem er Hilfe erwarten konnte. Dagegen durste der König von Preußen auf den Beistand der Russen, auf die Truppen von Hannover und anderen Reichsfürsten rechnen. Es lag also ganz und garnicht im Interesse des kaiserlichen Heeres, seinem Verteidigungplan so enge Grenzen wie die Elbufer zu ziehen. Die Defensive gegen Sachsen und die Lausitz war ebenso unklug wie die des Kaisers gegen Schlesien; denn es ist unmöglich, so ausgedehnte Grenzen gegen einen Feind zu verteidigen, der, wenn er mit seiner ganzen Macht an einem einzigen Punkte durchstößt, alle gegen ihn getroffenen Maßnahmen über den Haufen wirft und alle Abteilungen, denen der Grenzschutz übertragen ist, in Verwirrung setzt, da sie überstürzt abziehen müssen. Das ist oft in den Alpen passiert, wenn die Könige von Sardinien den Übergang verwehren wollten: die Franzosen haben ihn allemal erzwungen. Konnten sie an einer Stelle nicht durchdringen, so fanden sie Mittel und Wege, anderswo bis nach Piemont und Turin vorzustoßen. Das Interesse des Kaisers gebot also, daß er mit einem Offensivkrieg begann und die Preußen in dem Augenblick angriff, wo sie aus den schlesischen Bergen hervortraten; denn schlug er sie, so war vorauszusehen, daß ein so entscheidender Schlag ihre Bundesgenossen einschüchterte und jede Hilfeleistung von ihrer Seite verhinderte. Wurde er aber geschlagen, so fand er allemal seine befestigten Stellungen hinter der Elbe, in denen er sich zu halten vermochte, dem weiteren Vordringen des Feindes Einhalt gebieten und einen Defensivkrieg führen konnte, der dann allen Regeln der Kunst entsprochen hätte.
Den Preußen hingegen kann man vorwerfen, daß ihre sächsische Armee es an Nerv und Tatkraft fehlen ließ; denn sie versäumte eine ganz einzige Gelegenheit, die sich bot, als Prinz Heinrich bei Niemes und der König bei Hohenelbe stand. Ein Marsch über die Iser genügte, um den Kaiser zum Abzug zu zwingen. Dann fand der Kaiser für seine Armee nicht eher eine gute Stellung als hinter den Teichen von Bohdanetsch oder vielleicht bei Kuttenberg. In diesem Falle aber war halb Böhmen für ihn verloren, und die Preußen erlangten in diesem Feldzug ein entscheidendes Übergewicht über ihre Feinde.
Aber es ist das Schicksal aller menschlichen Dinge, daß nichts vollkommen gelingt. Es ist der Menschheit verhängt, sich mit dem Ungefähr zu begnügen. Was war also das Ergebnis dieses Krieges, der beinahe ganz Europa in Bewegung setzte? Für diesmal war Deutschland vor dem kaiserlichen Despotismus gerettet. Der Kaiser hatte eine Art von Schlappe erlitten; denn er mußte das zurückgeben, was er an<133> sich gerissen hatte. Aber welche Wirkungen wird dieser Krieg für die Zukunft haben? Wird der Kaiser vorsichtiger werden? Wird jeder sein Feld in Ruhe bestellen können? Wird der Friede dadurch besser gesichert werden? Wir können auf diese Fragen nur skeptisch antworten. In der Zukunft ist kein Ding unmöglich. Unsere Augen sind zu kurzsichtig, um die künftigen Zufälle zu durchschauen. Es bleibt uns nichts, als uns in die Vorsehung oder besser in das Schicksal zu fügen. Sie werden die Zukunft bestimmen, so gut wie sie die Vergangenheit und den unendlichen Zeitraum bestimmt Haben, der vor unserer Geburt liegt.
<134>Anhang
1. Feldzugsplan134-1
(1778)
Wir werden zwei Armeen haben, die gegen die Österreicher operieren sollen. Wie wir wissen, gehen ihre Dispositionen dahin, daß sie einKorps von 76 000 Mann zwischen Olmütz und Königgrätz versammeln, daß sie 15 000 Kroaten bei Gabel haben und daß ein Korps von 32 000 Mann bei Teschen formiert wird.
Die eine unserer Armeen soll durch Sachsen nach Böhmen marschieren. Es ist unumgänglich nötig, daß sie nach Mttau ein Korps von 15 000 Mann, sowohl Preußen wie Sachsen, vorschiebt, um die Lausitz vor Einfällen zu sichern, die sich sogar bis Berlin erstrecken könnten. Ebenso notwendig ist es, daß einige aus Preußen und Sachsen gemischte Truppen gegen Peterswald und Dux hin stehen bleiben, um die rückwärtigen Verbindungen zu sichern und die Magazine zu decken.
Die beiden Armeen, die operieren sollen, haben zu beachten, daß diejenige, die der österreichischen Hauptarmee gegenüber steht, sich gewissermaßen in der Defensive halten muß, damit die andere die Zwischenzeit benutzen kann, um so weit vorzustoßen, wie die Umstände es gestatten.
Die Armee in Sachsen kann erst, wenn sie über Leitmeritz hinaus ist, mit Erfolg operieren und die Kroaten zur Räumung von Gabel zwingen. Danach ist ihre wichtigste Operation, gegen Prag vorzurücken und es zu belagern, falls die österreichische Hauptarmee sich dem nicht widersetzt. Die Armee in Oberschlesien muß über Hultschin auf Weißkirchen und Prerau operieren. Stößt sie dort auf die gesamte österreichische Streitmacht, so wird sie sich damit begnügen, sie zu beobachten und hinzuhalten, um der aus Sachsen vordringenden Armee die Eroberung Böhmens zu erleichtern. Entsendet die österreichische Hauptarmee ein starkes Detachement nach Böhmen, so muß man den Augenblick benutzen und eine Schlacht zu liefern suchen;<135> denn werden diese Truppen so nahe bei Wien geschlagen, so muß der Feind fiugs das Korps aus Böhmen herbeirufen, um Wien zu decken.
Nun bleibt noch die Frage offen, ob auf Unterstützung von den Russen zu rechnen ist. Dadurch würde alles verändert, und wir wären bald von der Armee bei Teschen befreit, die sich entweder nach Ungarn oder nach Lodomirien zurückziehen müßte.
Die größte Schwierigkeit für die Armee in Böhmen würde nach der Einnahme von Prag darin bestehen, Fuhrwerk genug aufzutreiben, um sich entweder über Budweis oder besser noch über Neuhaus und Wittingau der Donau zu nähern. Was die Truppen in Mähren betrifft, so werden sie, falls sie einen Sieg über den Feind davontragen, Brünn belagern und nach dessen Einnahme — die Hilfe der Russen vorausgesetzt — ein Detachement von etwa 30 000 gegen Hradisch abschicken, das auf Preßburg marschiert. Der Rest der Armee muß dann soweit wie möglich gegen die Donau vorgehen.
Alle diese Operationen sind großen Schwierigkeiten ausgesetzt. Trotzdem ist es bei etwas Glück wohl möglich, sie zu einem glücklichen Ende zu führen.
<136>2. Feldzugsplan für 1779136-1
(Dezember 1778)
Um Österreich zu bekriegen, den Krieg rasch zu beenden und den Feind zum Frieden zu zwingen, gibt es kein sichereres und schnelleres Mittel, als den Krieg an die Donau zu tragen. Das ist aber nur möglich, wenn man die Österreicher von Mähren her angreift.
Da die Kaiserin von Rußland bereit ist, die deutsche Freiheit aufrecht zu erhalten, und zu diesem Zweck ein Hilfskorps bestimmt hat, das dementsprechend operieren soll, entsteht die Frage, auf welche Weise dies Hilfskorps in ihrem eigenen Sinne am nutzbringendsten verwandt werden kann.
Fürst Repnin hat in einer Note den Vorschlag gemacht, das Korps im Verein mit preußischen Truppen in Lodomirien und Galizien operieren zu lassen. Daraus scheint sich für Rußland der Vorteil zu ergeben, daß es dies Korps stets bei der Hand hat, um es im Notfall gegen die Türken zu verwenden, falls diese über den Dnjester gehen wollen; auch kann es zu Einfällen in Ungarn benutzt werden. Andrerseits hätte dieser Vorschlag folgende Unzuträglichkeiten. Offenbar haben die Kaiserin von Rußland und der König von Preußen das gleiche Interesse an einer möglichst raschen Beendigung des Krieges. Nun liegt es auf der Hand, daß der Wiener Hof weder in Galizien noch in Lodomirien, noch selbst in Böhmen so empfindlich zu treffen ist wie in Mähren.
Die preußischen Truppen in Schlesien sind 80 000 Mann stark. Davon müßten notwendig 10 000 Mann nach Landeshut und 10 000 Mann nach Glatz, Neurode und Wünschelburg detachiert werden. Es blieben also nur 60 000 Mann zur VerWendung gegen Mähren übrig. Müßten davon noch 20 000 Mann nach Lodomirien geschickt werden, so wären nur noch 40 000 Mann verfügbar. Dadurch würde der König zu einem Verteidigungskriege gegen die Österreicher gezwungen, und das zöge die Sache sehr in die Länge. Stieße hingegen das russische Hilfskorps bei<137> Troppau zu den Preußen, so könnte man doch mit überlegenen Kräften operieren, und nach einer gewonnenen Schlacht könnte man hoffen, den Krieg an die Donau zu tragen, wodurch der Wiener Hof notwendig zum Frieden gezwungen würde. Dann hätte Rußland also nicht nur keinerlei Angriff von selten des Wiener Hofes zu befürchten, sondern es könnte sein Hilfskorps sogar nach Gutdünken gegen die Türken verwenden, falls es zum Kriege käme, und die ganze Arbeit wäre in einem Jahre getan.
Mir scheint also dieser Vorschlag den Vorzug vor dem anderen zu verdienen. Sein Hauptvorteil bestände darin, daß der Krieg möglichst bald beendet wird.
<138>3. Instruktion für den Erbprinzen von Braunschweig138-1
(16. Januar 1779)
Der nächste Feldzug wird wahrscheinlich über das Schicksal Deutschlands entscheiden. Man kann bei seiner Anlage also nicht Vorsicht genug anwenden. Der König beabsichtigt, mit Hilfe der Russen in Mähren offensiv vorzugehen und den Krieg soweit wie möglich nach der Donau zu tragen138-2. Andrerseits muß er 20 Bataillone teils in Landeshut, teils in der Grafschaft Glatz zurücklassen, um die dortige Grenze vor Einfällen oder selbst vor etwaigen Einmarschplänen des Feindes zu schützen. Vielleicht wird außerdem noch ein Korps in der Gegend von Teschen oder im Fürstentum Pleß zurückbleiben müssen, um die rückwärtigen Verbindungen gegen die Unternehmungen der Österreicher zu decken; sonst könnten diese von Galizien her alles bis Ratibor verwüsten und der in Mähren operierenden Armee in den Rücken kommen.
Die Armee in Sachsen kann die Operationen dieser Truppen in jenen entfernten Gegenden zwar nicht hindern, wohl aber etwaige Diversionen der österreichischen Elbarmee nach Schlesien vereiteln. Hieraus ergibt sich, daß diese Armee in Böhmen eindringen muß, zum größten Teil durch die Lausitz, der Nest durch Sachsen. Der Zweck ihrer Operation muß sein, die Elbe bis Leitmeritz vom Feinde zu säubern, um den Transport der Lebensmittel zu sichern; wenn der Feind ein starkes Korps bei Königgrätz oder Jaromircz hat, ihm in den Rücken zu kommen, seine Magazine wegzunehmen und ihn an offensivem Vorgehen gegen Schlesien zu hindern, dann aber mit allen Kräften gegen Prag vorzugehen. Kann man sich irgend einen Vorteil verschaffen, so muß man, wenn angängig, den Feind angreifen. Nach einem Siege fallen Prag und Eger bestimmt; dann ist es Zeit, an Königgrätz zu denken. Hat die Armee des Königs in Mähren einen ausgesprochenen Erfolg errungen, so muß Hadik unverzüglich Detachierungen nach Österreich machen, und die preußische Armee kann dann in Böhmen jede Unternehmung ausführen, die sie will, ohne vom Feinde<139> etwas befürchten zu müssen. Von dem Augenblick an legen wir, wenn wir unsere Operationen nach der Donau hinlenken, den Österreichern die Schlinge um den Hals.
Da die sächsischen Truppen für große Schläge nicht geeignet sind, so muß man sie mehr als Aushängeschild und als Aushilfe betrachten, statt sie zu ernstlichen Operationen zu verwenden. Benutzt man sie für die rückwärtigen Verbindungen, sozieht man Nutzen aus ihnen, ohne etwas aufs Spiel zu setzen.
Bei diesem ganzen Plane liegt die Hauptschwierigkeit im Lebensmitteltransport. Ich glaube, die Armee wird erst jenseits der Eger und Iser Pferde zu ihrer Verfügung finden. Gelingt es, eine hinreichende Zahl davon aufzutreiben, so wird der Rest der Operation leicht sein. Dieser Gegenstand wird die meiste Berechnung und Voraussicht erfordern.
Der Zeitpunkt der Eröffnung des Feldzuges läßt sich jetzt schon unmöglich bestimmen, aber soweit man zu urteilen vermag, wird es nicht vor Mitte Mai sein können, da man vorher keine Fourage findet.
<140>4. Betrachtungen über die Maßnahmen für einen neuen Krieg mit Österreich, falls dieses wie 1778 streng defensiv bleibt
(28. September 1779)
Es ist sehr schwierig, Pläne für die Zukunft zu machen. Die geringste Änderung in den Zeitverhältnissen nötigt auch zur Änderung der Dispositionen. Immerhin behalten die Grenzen und Grenzgebiete der Staaten ihre Beschaffenheit. Sie weisen vorteilhafte und ungünstige Gegenden auf, sodaß ein Feldherr sich vor den einen hüten und die anderen benutzen soll.
Schlesien, Böhmen, Oberschlesien und Mähren sind Länder, von denen wir genaue Kenntnis haben. Das ist für uns von Vorteil in allen Feldzügen, deren Kriegsschauplatz diese Provinzen bilden können. Die Politik muß allen Feldzugsplänen vorausgreifen; denn an ihr ist es, sie zu entwerfen, wobei sie sich stets nach der Natur öes Landes und nach den Mitteln zu richten hat, mit denen sich der Unterhalt der Truppen beschaffen läßt.
Würde Preußen in einen neuen Krieg mit Österreich verwickelt, so muß man zunächst wissen, welche Bundesgenossen die kriegführenden Parteien haben werden; denn ohne diese Kenntnis wäre jeder Feldzugsplan fehlerhaft und falsch berechnet. Der maßlose Ehrgeiz, den der Kaiser im letzten Kriege so unklug zur Schau trug, hat ihm in ganz Europa geschadet. Man betrachtet ihn als einen gefährlichen Fürsten, vor dem man auf seiner Hut sein muß. Mit dem russischen Hofe steht er sich schlecht, mit Frankreich schon fast auf Kriegsfuß. Er kann keine Verbündeten außer England haben, das aber durch den gegenwärtigen Krieg140-1 derart erschöpft ist, daß es auf lange Zeit außerstande sein wird, irgend einer Macht Subsidien zu zahlen. Andrerseits<141> haben die Türken sich zu einem Bündnis mit Rußland und Preußen erboten141-1. Tritt noch Frankreich hinzu, so ist die Übermacht ganz auf unserer Seite. Da das alles aber noch nicht zum Abschluß gebracht ist, wäre es leichtsinnig, mit etwas Unfern tigem wie mit einer vollendeten Tatsache zu rechnen.
Prüfen wir also lediglich, was im ungünstigsten Falle geschehen muß. Denn auf je weniger Schwierigkeiten man stößt, um so leichter werden die Operationen.
Die erste Versammlung der österreichischen Armee wird wahrscheinlich in denselben Gegenden stattfinden wie im Jahre 1778141-2. Da jedoch die österreichischen Truppen um 80000 Mann vermehrt worden sind und der Kaiser sich vorgenommen hat, sofort nach dem Bruche mit Nachdruck zu handeln, so wollen wir zunächst die Verteilung betrachten, die er vornehmen wird. In Galizien wird er ein Korps von 40 000 Mann haben, bei Bielitz 15 000, bei Heidenpiltsch ohne Zweifel 20 000, insgesamt 75 000 Mann. In seinem Lager zwischen Königgrätz und Arnau wird er nicht weniger als 100 000 Mann, 40 000 bei Neuschloß und an der Lausitzer Grenze und 25 000 bei Eger haben, insgesamt 240 000 Mann, auf die seine Armee sich beläuft.
Preußen kann 166 000 Mann ins Feld stellen, Sachsen 20 000, und Rußland wird wohl ebensoviel hinzufügen, sodaß man den Österreichern 206 000 Kombattanten entgegenstellen kann. Somit hätten sie eine Übermacht von 34 000 Mann. Dieser Umstand darf uns jedoch nicht einschüchtern. Denn da die österreichischen Korps getrennt stehen, kann man sie einzeln vernichten und braucht nicht mit allen zugleich zu kämpfen.
Nun bleibt noch die Frage offen, welche Rücksichten man auf die Stellung der Österreicher nehmen muß und zu welchen Vorsichtsmaßregeln sie uns nötigt. Denn es wäre töricht, auf der einen Seite Großes zu leisten, während man auf der anderen das Doppelte verliert.
Die Aufstellung von 100 000 Österreichern hinter der Elbe zwingt uns wohl oder übel, ihnen in der Front erhebliche Kräfte entgegenzustellen, um sie in Respekt zu halten. Denn findet diese Armee die Grenzen von Schlesien und der Grafschaft Glatz unbesetzt, so könnte es geschehen, daß sie sowohl bei Landeshut wie bei Friedland und Glatz sich in den Bergen festsetzt und dort uneinnehmbare Stellungen bezieht. Dem aber darf sich ein kluger Feldherr nicht aussetzen. Durch solche Achtlosigkeit kann er Schlesien verlieren, während er es bei reiflicher Überlegung der Sachlage hätte decken können. Ferner ist zu bedenken: wenn nicht gleich zu Beginn des Feldzuges eine beträchtliche preußische Streitmacht den Stellungen des Kaisers hinter der Elbe entgegentritt, so kann er sich Dresdens bemächtigen und so den Hauptkriegsschauplatz nach Sachsen verlegen, um Böhmen zu entlasten. Infolgedessen würden wir gezwungen, das Land unserer Verbündeten zugrunde zu richten, um ihnen bei<142>zustehen, was doch eine traurige Hilfeleistung wäre. Klüger ist es, solchen Mißständen vorzubeugen, als ihnen nachträglich abhelfen zu müssen.
Die schlesischen Truppen können mit zwei Märschen über Nachod in Böhmen einbringen, die märkischen erst binnen acht Tagen in Eilmärschen über Dresden. Man muß daher seine Anordnungen so richtig treffen und alle Truppenbewegungen so genau berechnen, daß die märkische Armee fast zur selben Zeit in Dresden anlangt, wie in Böhmen eingerückt wird.
Soweit ich es übersehen kann, muß die Armee in Sachsen ebenso stark sein wie im letzten Kriege. Sie belief sich mit den Sachsen auf 80 000 Mann. Den Grund dafür werde ich im Verlauf dieser „Betrachtungen“ angeben.
Für die schlesische Armee genügen 60 000 Mann. Hiervon müssen unbedingt 20 000 Mann für Oberschlesien bestimmt werden, zunächst, um die Verbindung mit den Russen zu erleichtern, die bei Krakau vorbei müssen und dort unüberwindliche Hindernisse finden könnten, wenn sie von diesseits nicht unterstützt würden. Aber Nimmt man bei der staunenswerten Langsamkeit der Russen auch an, daß sie nicht so rasch auf die Beine zu bringen wären, so dürste man doch nicht weniger als 20 000 Mann in Oberschlesien haben, und wäre es nur, um sich gegenüber den Korps bei Heidenpiltsch und bei Bielitz in der Defensive zu halten. Das oberschlesische Detachement könnte anfangs bei Leobschütz Stellung nehmen und seinen Proviant aus Mosel beziehen.
Die schlesische Armee, die zur Operation in Böhmen bestimmt ist, müßte, wie schon gesagt, ungefähr so verfahren wie im Jahre 1778. Wäre zuviel von der Überlegenheit des Feindes zu befürchten, so könnte sie vielleicht ein Lager bei Chwalkowitz beziehen, mit den Defileen vor der Front und einer Flanke nach Nimmersatt; denn man darf sich nie der Hoffnung hingeben, das Lager des Kaisers hinter der Elbe angreifen zu können. Das ist erwiesenermaßen unmöglich, da man vor einer ungleich überlegenen, beherrschenden und auf beiden Seiten überflügelnden Front aufmarschieren müßte, wo man nach allen Regeln der Kunst geschlagen würde.
Aber, wird man fragen, was kann man sonst unternehmen? Soll man einen ganzen Feldzug lang mit verschränkten Armen stehen bleiben und nach Böhmen mehr auf Weide als in den Krieg ziehen? Keineswegs! Hier beginnt meine Darlegung, durch welche Mittel sich die Überlegenheit über den Feind erlangen läßt.
Die nach Sachsen bestimmte Armee muß ohne Zweifel auf Dresden als auf ihr Hauptziel losmarschieren. Dessen ungeachtet aber kann sie gleich ein Detachement von 10 000 Mann durch die Lausitz nach Schlesien in der Richtung auf Greiffenberg abschicken. Alle diese Märsche müssen genau berechnet sein und übereinstimmen, damit die Armee nach ihrer Ankunft in Dresden, wo sie ein Detachement von 20 000 Mann läßt, über die Elbe gehen und in die Lausitz eindringen kann. Diese Armee hat den Feldzug zu entscheiden. Die Straßen nach Schluckenau, Rumburg und Gabel werden wahrscheinlich von feindlichen Truppen besetzt sein, die sich dort verschanzt haben.<143> Ihre Stellungen lassen sich in der Front nicht überwältigen, man muß sie also umgehen, und zwar von Schlesien her. Darum soll das oben genannte Detachement sich gegen Greiffenberg wenden, während die Armee in Mttau eintrifft. In jener Gegend führt eine Straße durchs Gebirge — allerdings müßte sie ausgebessert werden —, auf der man hinter Gabel herauskommt. Auf ihr würde die von Mttau her vordringende Armee freien Einmarsch nach Böhmen haben.
Damit wäre die preußische Armee also in Böhmen. Sie muß sich jetzt mit jenem Detachement vereinigen und dann sofort den Brückenkopf von Leitmeritz im Rücken angreifen, damit das Mehl von Dresden dorthin geschafft werden kann. Damit wäre eine Bäckerei eingerichtet. Dann beziehen die bei Dresden zurückgebliebenen 20 000 Mann das Lager bei Leitmeritz. Bei Mttau braucht man durchaus nicht viel Truppen zu lassen; denn wenn möglich muß man das österreichische Korps, das dort die Grenze verteidigt hat, angreifen und auseinandersprengen, und die Armee muß mit einigen elbaufwärts transportierten Magazinen gegen Melnik vorrücken. Sobald man einen Brotvorrat hat, beginnen die eigentlichen Kriegsoperationen in der Richtung auf Gitschin. Diese Bewegung genügt, um die kaiserliche Armee zum Verlassen ihres Lagers an der Elbe zu zwingen. Dies ist der Augenblick, wo die schlesische Armee bei der Hand sein muß, um dem Feind unverzüglich zu folgen, gleich hinter ihm über die Elbe zu gehen und ihm derart auf den Hacken zu bleiben, daß er, statt gegen die sächsische Armee zu marschieren, wodurch er zwischen zwei große Armeen geriete, sich hinter die Bohdanetscher Teiche auf Pardubitz zurückziehen muß.
Nun kann man, falls man es für geraten hält, Prag durch Handstreich nehmen, sofern die Armee bei Eger sich nicht beeilt, uns zuvorzukommen. Dann aber kann die Armee 30 000 Mann in Böhmen zurücklassen und sich selbst nach Oberschlesien wenden. Zwei Wege stehen zur Verfügung, aber es ist unmöglich, ohne Kenntnis der augenblicklichen Lage den geeignetsten anzugeben. Der eine führt über Patschkau nach Neustadt, der andere über Habelschwert, Leitomischl und Schönhengst nach New stadt. Es fragt sich, ob bei Benutzung des letzteren Weges Brot genug aus Glatz ge-liefert werden kann. Ferner müßte bei diesem Marsche das Korps in Leobschütz zum Gelingen des Unternehmens beitragen, aber die Vereinigung mit diesem Korps herbeizuführen, wäre sehr schwer. Wahrscheinlich würden die Österreicher bei Heidenpiltsch, sobald sie sich im Rücken gefaßt sehen, auf Olmütz zurückgehen. Dann hätte man gewonnenes Spiel. Andernfalls aber bliebe noch immer der Weg über Altstadt zur Vereinigung mit dem Korps bei Leobschütz übrig.
Es fragte sich dann nur noch, wo sich die Russen befinden, ob sie im Marsch sind, ob sie bei Krakau stehen oder ob sie ihre Grenzen noch nicht verlassen haben. Denn danach hätten sich die weiteren Operationen zu richten.
Nehmen wir einmal alle diese verschiedenen Fälle an!
Stehen die Russen noch an ihren Grenzen, so wäre es gut, zu versuchen, ob man die Österreicher nicht aus Bielitz vertreiben kann. Anscheinend könnte man sie durch ein<144> detachiertes Korps zur Räumung jener Gegend zwingen. Sie haben zwei Rückzugslinien, entweder nach dem Jablunkapaß in das ungarische Hochgebirge oder nach Polen in die Karpathen. Doch kaum hätte man sie vertrieben, so würden sie wieder auftauchen. Der einzige Vorteil dieser Operation bestände in der Zerstörung ihrer Magazine in Bielitz, die sie nicht so schnell wieder erneuern könnten. Während dieser Operation müßte das Gros der mährischen Armee zwischen Jägerndorf und Troppau ein gutes Lager beziehen, um die Österreicher in ihrer Stellung bei Heidenpiltsch in Schach zu halten.
Nehmen wir nun den zweiten Fall an, daß die russischen Hilfstruppen sich bereits in Marsch gesetzt haben, so müßte man den gleichen Plan befolgen. Wenn sie sich jedoch schon Krakau nähern, so gäbe das Anlaß zu anderen Kombinationen. Wie stark ihr Hilfskorps auch sein möge, so ist es bei den Russen doch nicht Brauch, irgend etwas aufs Spiel zu setzen. Sie treiben die Vorsicht bis zum äußersten. Man wird sie daher nie zum Überschreiten der Weichsel bewegen, wenn ihnen nicht an die 20 000 Mann die Hand reichen. Die wird man ihnen also entgegenschicken müssen, will man auf die Vereinigung mit ihnen nicht ganz verzichten. Ich kann hier jedoch nicht angeben, auf welchem Wege man ihnen entgegengehen müßte; denn dazu müßte man im voraus wissen:
1. welche Stellung die österreichische Armee in Lodomirien einnehmen wird;
2. wie stark sie sein wird;
3. ob sie sich in der Defensive halten oder die Russen an der polnischen Grenze am greifen wird.
Das sind Einzelheiten, über die man seinerzeit Bescheid wissen muß und nach denen die Operationen im Verein mit den Russen zu regeln sind. Soweit ich die Russen kenne, wird ihr Hilfskorps erst gegen Ende des ersten Feldzuges eintreffen; denn sie ziehen die Winterquartiere den Strapazen des Krieges vor. Da dem so ist, scheint es einleuchtend, daß das Resultat des ersten Feldzuges sich auf das oben Angegebene beschränken wird, vorausgesetzt, daß alles nach Wunsch von statten geht.
Daran knüpfen sich folgende schwer zu lösende Fragen:
1. Soll man Winterquartiere in Böhmen beziehen?
2. Wie soll man sie einteilen?
Meine Antwort lautet: Hat man Prag genommen, so kann man ohne Schwierigkeit Winterquartiere in Böhmen beziehen; denn in die Hauptstadt lassen sich zur Not 30 Bataillone legen. Man hätte hier also einen guten Stützpunkt, zumal man der Umgegend bequem 40 bis 60 Schwadronen bei der Hand halten könnte. Der Rest der Truppen könnte zwischen Melnik und Leitmeritz verteilt werden, damit man im Besitz der Elbe und Moldau bleibt. Ist man jedoch nicht Herr von Prag, so wird die Schwierigkeit ungeheuer; denn die österreichische Armee bei Bohdanetsch wird die Elbe besetzen und hat auf dem jenseitigen Ufer eine große Zahl von Städten zur Verfügung, wie Chrudim, Czaslau, Kuttenberg usw., in denen sie sich eng zusammen<145>ziehen kann, während es diesseits nur elende Dörfer gibt, in denen die zerstreuten Truppen keinen Widerstand leisten können. Ihre Quartiere würden also den ganzen Winter hindurch beunruhigt werden, und die Aufhebung einzelner Posten wäre unvermeidlich. Gesetzt selbst, wir wären im Besitz von Königgrätz, so wäre es trotzdem unmöglich, sich auf dem diesseitigen Elbufer zu halten; denn das Land ist ausfouragiert, und jedes Bund Stroh müßte man aus Schlesien heranschaffen. Wo fände man in Schlesien alle für diesen Transport nötigen Pferde? Und welche Unsummen würde das kosten, ganz abgesehen davon, daß die Truppen, die während des ganzen Winters beunruhigt worden sind, im nächsten Frühjahr bei Eröffnung des Feldzuges völlig verbraucht wären!
Aber, wird man sagen, ist es ehrenvoll, sich zurückzuziehen, nachdem man so viel Land gewonnen hat? Ich gestehe, daß es wünschenswert wäre, sich in Böhmen halten zu können, aber das ist nur möglich, wenn die feindliche Armee in einer entscheidenden Schlacht so viel Verluste erlitten hat, daß sie sich nicht mehr im Felde zu zeigen wagt. Dann hat man freie Hand und kann sich nach Gutdünken einrichten, dem eroberten Lande Kontributionen auflegen und alle feine Vorteile ausnutzen.
Kommen wir nun zum zweiten Feldzuge. Hat man sich in Böhmen behaupten können oder nicht? Das ist die Frage, nach der sich die Operationen zu richten haben. Ist man im Besitz von Böhmen geblieben, so muß die Hauptarmee sich bei Prag versammeln. Kann sie sich vor Beginn der Operationen Egers bemächtigen, so wäre das ein glücklicher Streich, nicht um die Festung zu halten, sondern um sie zu schleifen. Die andere, schlesische Armee versammelt sich in Stärke von 40 000 Mann bei Königgrätz auf der Höhe von Pleß.
Damit sind wir bei den großen Operationen angelangt, die nur in Mähren stattfinden können. Die dortige preußische Armee ist 40 000 bis 50 000 Mann stark. Die Russen sind entweder schon zu ihr gestoßen oder die Vereinigung steht bevor. Wie dem aber auch sei, stets entstehen daraus die gleichen Verlegenheiten. Denn angenommen, die Russen ständen mit 15 000 Preußen in der Gegend von Krakau, so halten sie die Truppen in Lodomirien in Schach. Von dem Augenblick an hat die Armeeabteilung in Oberschlesien zwar nicht mehr zu fürchten, von den Österreichern im Rücken gefaßt zu werden, aber diese würden, von Wieliczka anrückend, durch niemand gehindert werden, über Tarnowitz stracks in Oberschlesien einzudringen und sich gegen Kosel zu wenden. Kosel jedoch ist in Oberschlesien der einzige Platz, wo sich Magazine für die Armee errichten lassen. Würde die Stadt auch nur blockiert, so würde es sofort an Proviant und an allem Armeebedarf fehlen. Das österreichische Korps bei Heidenpiltsch würde vorrücken, und ohne eine gewonnene Schlacht wären wir nicht imstande, Oberschlesien zu halten.
Ferner ist zu bedenken, daß auch das österreichische Korps in Bielitz unzweifelhaft in Tätigkeit treten würde und nach Pleß und Ratibor vordringen könnte, was sicher<146>lich geschehen würde, wenn man die einzigen in solchen Fällen zweckmäßigen Maßnahmen außer acht läßt (sie bestehen in der Ausnutzung des einzigen Vorteils, den der Feind uns bietet, nämlich daß er in getrennten Korps operiert).
Dann ist das einzig Vernünftige, mit der ganzen Armee, 70 000 Mann stark, eins der drei feindlichen Korps anzugreifen und es gründlich zu schlagen. Und zwar, wenn das österreichische Korps in Lodomirien den Russen folgt, muß die ganze preußisch russische Armee ihm auf den Leib rücken, sei es an der Grenze, sei es auf polnischem oder schlesischem Gebiet. Bleibt das Korps aber bei Wieliczka stehen, so muß man nach Vereinigung aller Kräfte aufdie Stellung von Heidenpiltsch losmarschieren, aus der man die Österreicher mit Sicherheit vertreiben kann, wenn man durch Troppau auf Bautsch marschiert und sie zu umgehen droht. Hat man die Mohra bei Hof überschritten, so wird der Feind diese Stellung gewiß verlassen. Es hängt dann nur von der Geschicklichkeit des Heerführers ab, ihn auf dem Rückzuge lebhaft anzugreifen und ihn, wenn irgend möglich, zu vernichten. Dann muß man aber von der anderen Seite schnell bei der Hand sein und das Korps bei Wieliczka nicht ganz aus den Augen verlieren. Denn was würden Eroberungen in Mähren nützen, wenn man derweilen Kosel verlöre und der Feind die rückwärtigen Verbindungen der Armee abschnitte? Um solchen peinlichen Zwischenfällen vorzubeugen, müßte man nach Vertreibung des Gegners aus Heidenpiltsch sofort mindestens 20 000 Mann detachieren, die sich in geschickter Defensive den Österreichern entgegenzustellen hätten, die über Bielitz oder Wieliczka in die preußischen Lande einfallen wollten.
Wir sind hier an einem Wendepunkt angekommen, von dem mit Sicherheit nur der sprechen kann, der die künftigen Zufälligkeiten kennt. Um bestimmte Regeln aufzustellen, was sich dann unternehmen ließe, müßte man ganz genau die Ereignisse kennen, die in dem hier angenommenen Kriege eintreten würden. Ich bin ein unwissender Mensch und besitze keine Prophetengabe. Noch weniger weiß ich, ob die Armeen, die ich als operierend annehme, Glück haben oder eine Niederlage erleiden würden. Setzen wir jedoch sicherheitshalber beides voraus. Träfe die beiden preußischen Armeen in Böhmen—die bei Prag und die bei Königgrätz im Lager von Pleß— ein Unglück, so fände die bei Prag gute Lager in der Nähe der Hauptstadt, in denen sie sich lange halten könnte, und die bei Königgrätz hätte einen sicheren Rückzug nach dem Ratschenberg, ja selbst nach Wünschelburg und der Heuscheuer, besonders wenn man die Straßen von Politz und aus Böhmen nach der Heuscheuer sprengen ließe. Geht in Böhmen aber alles gut und hat man weder von Chrudim noch von Czaslau her etwas zu befürchten, so muß die Armee bei Pleß und Königgrätz 20 000 Mann zur Verstärkung der oberschlesischen Armee detachieren. Dann kann sie 25 000 Mann zur Deckung der Provinz und Kosels zurücklassen und immer noch mit entschiedenem Übergewicht gegen das Heer operieren, das sie auf seinem Rückzuge von Heidenpiltsch geschlagen hat. Denn die stets wieder auftauchenden Schwierigkeiten sind folgende.
<147>Wie man weiß, haben die Österreicher bei Olmütz ein Lager vorbereitet, dessen Rechte sich an die Festung lehnt. Vor der Front fließt die March, und der linke Flügel zieht sich nach Li'ttau hin. Gestatten die Lebensmittel den Preußen, so weit vorzudringen, so müssen sie bis Kloster Hradisch diesseits der March gehen, wo sie eine sehr starke Stellung finden und die feindliche Armee unter Augen haben. Die Österreicher haben ihr Lager aus folgenden Gründen gewählt. Es ist diesseits der March unangreifbar, und sie wissen recht gut, daß die Preußen nur über die March gehen würden, um sie zu überwältigen. Der Muß läßt sich nur bei Neustadt, wo er klein ist, oder links bei Kremsier passieren. Wo man also auch den Übergang bewerkstelligt, sie können auf der anderen Seite über die March zurückgehen, dann ihr Lager bei Kloster Hradisch beziehen und so die preußische Armee von ihren Depots und Lebens-Mitteln abschneiden. Man darf somit nicht über die March gehen, bevor man die österreichische Armee zwischen Heidenpiltsch und Olmütz tüchtig geschlagen hat. Sonst würde man sich durch eigene Schuld den größten Unglücksfällen aussetzen.
Was bleibt da also zu tun übrig? wird man fragen. Ich antworte: eine Menge Unternehmungen, die aber alle mit großen Schwierigkeiten verknüpft sind; denn man muß gestehen, daß die Kriegführung der Österreicher, die Zahl ihrer Truppen und die Stärke ihrer Stellungen schwer zu überwindende Hindernisse sind. Aber nichts darf einen tapferen Mann zurückschrecken! Wenn er nur mit Umsicht handelt, wird er Mittel finden, sich die Überlegenheit über die Feinde zu sichern.
Um meinen Gedankengang ausführlich zu entwickeln, will ich Euch zunächst den allgemeinen Plan darlegen, dessen Ausführung man sich vornehmen muß. In allen Kriegen gegen das Haus Österreich muß das Hauptziel sein, den Kriegsschauplatz soviel wie möglich an die Donau zu verlegen, und zwar aus zwei Gründen: erstens um der österreichischen Armee ihre Lebensmittel und Rekruten zu nehmen, und zweitens um die Hauptstadt zu beunruhigen, in die sich alle vornehmen Herren mit ihren Schätzen geflüchtet haben. Wenn Wien ruft, muß alles ihm zu Hilfe eilen. Dann hat man freie Hand in Böhmen wie in Mähren. Die festen Plätze fallen, und einmal im Besitz des Landes, kann man sich Lebensmittel, Fourage und allen Armeebedarf auf Kosten des Feindes verschaffen, — die einzige Methode, um den Krieg auszuhallen und ihn mit Vorteil fortsetzen zu können.
Doch es genügt nicht, diesen allgemeinen Gedankengang anzugeben. Man muß auch zeigen, wie ein solcher Plan gelingen kann. Das erste, was die preußische Armee in Mähren ermitteln muß, ist, was die Truppen bei Bielitz und Wieliczka tun. Sie dürfen nie aus den Augen gelassen werden, da sie durch ihre unbequeme Stellung alles vereiteln können, was man unter sonst günstigen Umständen zu unternehmen vermöchte. Soviel sich beurteilen läßt, ist es nicht wahrscheinlich, daß jene Truppen, wenn sie nicht geschlagen worden sind, ruhig in ihrer Stellung verharren, besonders wenn sie sich keinem Feind gegenüber sehen, der sich ihren Bewegungen widersetzt. Die 20 000 Mann, die die Grenze gegen sie decken sollen, reichen keineswegs aus, um<148> ihnen Halt zu gebieten, besonders wenn jene vom Hofe Befehl haben, offensiv vorzugehen, was man mit ziemlicher Sicherheit annehmen kann. Man müßte also mim bestens 20 000 Mann zu ihrer Verstärkung detachieren, damit das Gleichgewicht zwischen ihnen und den feindlichen Kräften einigermaßen hergestellt wird.
Es blieben also etwa 55 000 Mann für die Operationen in Mähren übrig. Das erste, was in diesem Falle zu tun wäre, ist, die Magazine bis Weißkirchen, Leipnik oder Prerau vorzuschieben, je nachdem, welche von diesen Städten man am Verteidigungsfähigsten fände. Ist dies geschehen und die Feldbäckerei für die Armee gut eingerichtet, so muß ein Detachement aus Kosaken, Husaren und etwa 10 Bataillonen nebst einigen Dragonern zusammengestellt und mit Lebensmitteln für einen Monat und der Feldbäckerei versehen werden. Dies Detachement marschiert längs der March über Hradisch, Ungarisch-Brod auf der Straße nach Preßburg, das sein Bestimmungsort ist. Dort würde es ankommen, ohne auf den Feind zu stoßen. Es müßte sich unverzüglich des Donauübergangs versichern, erstens, um die Magazintransporte aus Ungarn nach Wien zu stören, und zweitens, um mit den Husaren und Kosaken Streifzüge bis ans Weichbild von Wien zu machen. Besitzt der Führer dieses De-tachements einige Umsicht, so ist es ziemlich sicher, daß er sich aus der bestangebauten und reichsten Gegend Ungarns Lebensmittel in Fülle verschaffen kann.
Bedenken wir nun aber, wozu dieser Zug die Österreicher veranlassen wird. Erstens ist es mehr als wahrscheinlich, daß die Armee in Lodomirien und das Korps bei Bielitz sich in Marsch setzen und den Preußen folgen, die sich Preßburgs bemächtigt haben. Das ist der Moment, wo die 35 000 Preußen, die Oberschlesien decken, sich gleichfalls in Marsch setzen müssen. Sie finden ihre Magazine in Weißkirchen völlig bereit, versorgen sich dort reichlich und folgen den Österreichern, die ihre Maßnahmen nicht im voraus getroffen haben und darum nicht so schnell marschieren können wie jene. Daraus erhellt, daß es in Ungarn zweifellos zu einer Schlacht kommen wird, und zwar zu einer Schlacht in der Ebene, bei der hundert gegen eins zu wetten ist, daß die Preußen den Sieg davontragen werden, wenn ihr Führer geschickt und entschlossen ist.
Doch das genügt noch nicht. Das Hilfegeschrei der Hauptstadt wird, wie gesagt, von allen Seiten Detachements herbeiziehen. Man wird Olmütz und Böhmen verlassen, um Wien zu retten. Das ist die Schäferstunde, die man wahrnehmen muß, um einen weiten Vorstoß zu machen, über die March zu gehen, die Umgegend von Olmütz zu verwüsten, auf Brünn zu rücken und es zu belagern, was eine Operation von acht Tagen ist.
Die Folgen davon werden diese sein. Die Armeen in Böhmen können nach Österreich hin operieren, und gewinnen sie eine Schlacht, so kann nichts sie hindern, gegen die Donau vorzudringen. Dann gehen dem Kaiserhof alle Hilfsquellen aus, und es ist anzunehmen, daß er, um der völligen Niederwerfung vorzubeugen, nachgeben und sich in sein Schicksal fügen wird, indem er sich zu einem vernünftigen Frieden versteht. Soweit der allgemeine Plan dessen, was zu unternehmen ist, den ich hier angeben wollte.<149> Zweifellos wird die Ausführung viele Schwierigkeiten bieten. Aber angenommen, es gelänge auch nur die Hälfte dieses Planes, so wäre die Wirkung für Preußen doch sehr günstig. Man wird gewiß fragen, wie die Armee bei Prag vorgehen soll. Ich antworte: sobald man Herr einer Provinz ist, kann man alle Pferde, die sich auftreiben lassen, benutzen, und in Böhmen gibt es zehnmal mehr Pferde, als zum Transport des Mehlbedarfs einer Armee nötig sind. Was die Fourage betrifft, so findet man sie überall, entweder noch auf den Feldern oder schon in den Scheunen. Außerdem könnte bei einem Vorstoß gegen die Donau Bayern alles liefern, was der Armee noch fehlen sollte. Was die schlesische Seite betrifft, so meine ich, daß man nach der Einnahme von Brünn dort Magazine errichten und in diesem Feldzuge nicht weiter vorgehen müßte als bis an die Ufer der Thaya, nach Znaim, Nikolsburg und anderen Orten, die man dem Feind gegenüber als Stützpunkte der Winterquartiere gebrauchen könnte. Indem man die Umgegend von Olmütz auf vier Meilen in der Runde verwüstet und nur wenige Truppen dort läßt, die die Stadt locker einschließen, würde man sie im Winter aushungern und sie im folgenden Frühjahr zwingen, sich ohne großen Widerstand zu ergeben.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich hinzufügen, daß aller Wahrscheinlich-keit nach nicht jede der vorgeschlagenen Unternehmungen so völlig gelingen wird, wie ich es annehme. Trotzdem sieht fest, daß man mit großen Plänen weiter kommt, als wenn man sich mit eingeschränkten und engen Gesichtspunkten begnügt149-1.
Ich habe diesen Plan unter der Voraussetzung entworfen, daß wir nur die Russen und Sachsen zu Bundesgenossen haben; denn ich wollte nicht mehr annehmen, als in Wirklichkeit jetzt besieht. Aber rechnen wir für einen Augenblick die Türkei in die Operationen ein, die wir vorschlagen, dann sind mindestens 40 000 Österreicher gegen sie beschäftigt und können nicht gegen Preußen kämpfen. Lassen wir noch die Franzosen in Flandern hinzutreten, so sind mindestens 30 000 Österreicher im Verein mit den Holländern und Engländern nötig, um den Streitkräften der Franzosen entgegenzutreten. Fügen wir eine Diversion in die Lombardei von seiten der französischen und sardinischen Truppen hinzu, denen die Österreicher mindestens 30 000 Mann entgegenstellen müßten, so ergibt das alles zusammen: gegen die Türken 40 000 Mann, in Wandern 30 000, in der Lombardei 30 000, insgesamt 100 000 Mann. Zieht man diese Zahl von den 240 000 Mann ab, aus denen ihre Armee besteht, so bleiben ihnen nur 140000 Mann gegen Preußen, das ihnen mit seinen Verbündeten 180 000 Mann entgegenstellen kann.
Aus dieser Berechnung ergibt sich also, wenn man den Truppen des Kaisers auf allen Seiten gleiche Kräfte entgegenstellt, daß die Preußen eine Übermacht von 40 000 Mann haben, die sie nach Gutdünken verwenden können. Dann läßt sich sogar eine Armee aufstellen, die getrennt operieren könnte, ohne auf einen Gegner zu stoßen, der ihren Unternehmungen entgegentreten könnte. Das aber ist die größte<150> Überlegenheit, die man sich über einen Feind verschaffen kann. Dann muß ein groß angelegter Plan, wie der vorbeschriebene, gelingen, wenn die Heerführer nicht aus Trägheit oder strafwürdiger Fahrlässigkeit ihre Pflicht versäumen, wenn sie nicht, unbekümmert um ihren eigenen Ruhm, um Ehre und Wohl des Vaterlandes, eher als Verräter denn als Staatsbürger handeln.
Die Preußen müssen stets an den Krieg denken; denn sie haben einen unruhigen, rührigen Nachbar, der seinen ganzen Ehrgeiz entfalten wird, sobald er durch den Tod seiner Mutter, der Kaiserin, volle Freiheit erhält und seiner eigenen Neigung folgen kann. Auf dies Ereignis muß man sich im voraus rüsten, da es wahrscheinlich, ja gewiß ist. Wer nicht jetzt überlegt, was am besten zu tun sein wird, der wird keine Zeit haben, es reiflich zu bedenken, wenn der Augenblick zum Handeln gekommen ist. Überdies denkt man bei kaltem Blute folgerichtig, erwägt alle Schwierigkeiten, findet Mittel und Wege zur Beseitigung der Hindernisse, die sich voraussichtlich den Operationen entgegenstellen werden. Verschiebt man dagegen das Plänemachen auf den Augenblick, wo man handeln soll, so können die Dinge unmöglich reiflich durchdacht werden, und man läßt aus Mangel an Zeit wichtige Faktoren außer acht, die, da sie nicht vorgesehen sind, zum Mißlingen der Feldzugspläne führen und zum eigenen Verderben ausschlagen können. Einzig aus Vaterlandsliebe habe ich diese Gedanken zu Papier gebracht. Lassen sie sich durch die Kenntnis des Geländes, in dem man operieren muß, berichtigen und verbessern, so wird man gut tun, das zu ändern, was zum Besten der Sache nötig ist.
NB. Ich vergaß, von der Stellung bei Zuckmantel zu sprechen, die die Österreicher während der ersten Winterquartiere sicherlich einnehmen werden. Man muß wissen, daß sie sich über Altstadt umgehen läßt.
<151>Denkschrift151-1
(19. Dezember 1782)
Es wird jetzt möglich, bestimmtere Mutmaßungen über die Beziehungen zwischen dem Kaiser und Rußland151-2 zu hegen. Der letzte Bericht von Görtz und Riedes 151-3 orientiert uns über die Lage der Dinge etwas besser als zuvor. Ich muß also alle Tatsachen gut verknüpfen, um in diesen kritischen Zeitläuften ein maßvolles und kluges Betragen einzuhalten. Meine Betrachtungen haben mich zu folgenden Schlüssen geführt.
Preußen muß sich ruhig verhalten und zusehen, ob die Tatsachen dem uns gemeldeten Benehmen der beiden Kaiserhöfe entsprechen. Zweitens muß man abwarten, wie Frankreich diese Schilderhebung des Kaisers aufnehmen wird, und welche Maßregeln er trifft, um die Pforte, Frankreichs Verbündete, zu erdrücken; drittens, welche Partei England ergreifen wird.
Nach alledem bleibt uns die Wahl zwischen zwei Entschlüssen. Entweder müßten wir, wenn unser Bündnis mit Rußland151-4 ganz in die Brüche geht und Frankreich sich völlig mit dem Wiener Hof überwirft, ein Bündnis mit Frankreich suchen. Oder wir müßten durch einige Demonstrationen — nicht jetzt, sondern nach dem zweiten Kriegsjahr - Vorteil aus diesem Kriege zu ziehen suchen, d. h. den Versuch machen, uns in Polen Gebietszuwachs zu verschaffen, ohne uns mit Rußland zu verfeinden, somit also am Bündnis mit Rußland festzuhalten. Dieser zweite Entschluß hätte den Vorteil, daß wir den Krieg mit Österreich vermeiden, zu dem Frankreich uns sicherlich drängen würde, und zweitens, daß trotz der großen Erwerbungen, die Rußland<152> und Österreich zweifelsohne machen werden, das Machtverhältnis ungefähr das gleiche bleibt.
Ein großes Glück für uns ist die Unterzeichnung der Friedenspräliminarien zwischen den kriegführenden Mächten152-1, der der Friede auf dem Fuße folgen wird. Ich glaube sogar, daß die Bedrängnis der Türkei zur Annäherung Frankreichs an England beigetragen haben mag.
Ich gestehe, daß diese hingeworfenen Gedanken zur Regelung unseres Verhaltens nicht hinreichen. Vielmehr wird sich bei reiflicher Erwägung der gegenwärtigen Lage zu diesen ersten Gedanken noch manches hinzufügen, manches von ihnen abstreichen lassen. Ich teile sie Ihnen frischgebacken mit; sie sollen nur als Leitsatz dienen, je nach den Gesichtspunkten, unter denen man die gegenwärtige Lage betrachten mag. Es ist klar, daß die weiteren Berichte sowohl aus Petersburg wie aus Wien zur richtigen Kombination unseres Verhaltens noch vielbeitragen können; denn in solchen Fällen darf man nicht bloß von heute auf morgen rechnen, sondern muß wie bei einer mathematischen Aufgabe vorgehen: wenn alles bestimmt ist, muß man es Punkt für Punkt befolgen, ohne Seitensprünge zu machen, wofern nicht ein unerwartetes Ereignis die gegenwärtigen Kombinationen völlig umwirft...
<153>Über die Politik
(November 1784)
Alles, was sich unter meiner Regierung in den europäischen Angelegenheiten zugetragen hat, habe ich bis zum Frieden von Teschen berichtet. Seitdem ist die Politik zum Chaos geworden.
Die Schuld liegt lediglich an der Unruhe und Oberflächlichkeit, womit der Kaiser seit dem Tode seiner Mutter153-1 seine persönlichen Geschäfte und die auswärtige Politik betreibt. Leichtfertig hat er dem engen Bündnis zwischen Preußen und Rußland den Erfolg zugeschrieben, den der König in dem Streit um die bayrische Erbfolge über ihn davontrug153-2. In seiner Überzeugung, der König sei der schlimmste Feind seiner ehrgeizigen Pläne, hat der Kaiser sich vorgenommen, ihm Rußland abspenstig zu machen, um ihm einen so wichtigen Bundesgenossen zu rauben und ihn derart zu isolieren, daß er für die österreichische Monarchie nicht mehr gefährlich werden könne. Zu dem Zweck ist er nach Rußland gereist153-3. Dort hat er die phantastischen Pläne Katharinas erfahren, die ihren jüngsten Enkel auf den Thron von Konstantinopel setzen wollte153-4, hat sich bei der Zarin lieb Kind gemacht, indem er ihrer Eigenliebe schmeichelte und versprach, ihr mit allen Kräften gegen die Türken beizustehen, hat Potemkin153-5, Woronzow153-6 und andere aus ihrer Umgebung gewonnen. Kurz, unter Hintansetzung der Wiener Etikette hat er es fertig gebracht, ein Bündnis mit der Zarin abzuschließen153-7. Aber der Kaiser hatte diese Rechnung ohne Frankreich gemacht, das mit der Türkei im Bunde sieht und nicht zulassen kann, daß eine so eng mit ihm verbündete Macht ungestraft vernichtet wird. Der Eroberungszug der Russen nach der Krim und nach Kuban, der ihnen diese beiden Provinzen eingebracht hat153-8, schmeichelte der Eigenliebe der Kaiserin. Sie wähnte, das enge Bundesverhältnis<154> zwischen den beiden Kaiserhöfen sichere ihr ein so entscheidendes Übergewicht, daß sie fortan der ganzen Welt nach ihrem Gutdünken Gesetze vorschreiben könnte.
Der Kaiser wollte Rußland von Preußen trennen und dann beide Mächte miteinander verfeinden, um Preußen mit vereinten Kräften zu Boden zu schlagen. Zu diesem Zweck suchte er die Stadt Danzig zu einem Gewaltschritt zu verleiten, um sie mit dem König zu entzweien. Die Danziger folgten dem Wunsche des Kaisers, aber in seiner Mäßigung legte der König diesen Streit in Güte bei. Die von der Zarin angebotene Vermittlung wurde angenommen und die strittigen Handelsfragen derart geregelt, daß sobald keine neuen Streitigkeiten entstehen können154-1.
Der Kaiser, der in seiner Ungeduld und Lebhaftigkeit immer hundert Dinge zugleich unternimmt, war st weit gegangen, von den Holländern die freie Schiffahrt auf der Scheide zu verlangen, was dem Sinne des Westfälischen Friedens strikt zuwiderläuft. Die Holländer waren darob erstaunt, traten aber den ungerechten Forderungen des Kaisers mit Festigkeit entgegen und nahmen ein Handelsschiff weg, das gegen den Sinn des Vertrages von Antwerpen nach der offenen See fuhr154-2. Frankreich, Hollands Bundesgenosse, bekam ob dieses Streiches einen großen Schreck und benahm sich sehr schwächlich. Holland fragte bei Preußen an, welche Hilfe es von ihm zu erwarten hätte. Der König ließ der Republik antworten154-3, Preußen gehörte nicht zu den Garantiemächten des Westfälischen Friedens und hätte kein Bündnis mit Holland oder Frankreich, somit auch nicht die geringste Verpflichtung, sich in einen fremden Streit einzumischen. Holland möchte sich doch an Frankreich wenden, das mit ihm verbündet sei und den Westfälischen Frieden garantiert habe. Es schuldete der Republik also Hilfe und Beistand und könnte sie gerechterweise nicht abschlagen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Frankreich klein beigeben154-4 und den Holländern so feige Ratschläge erteilen, wie vordem seinen Bundesgenossen, den Türken.
Diese unentschuldbare Schwäche bringt die Franzosen um alles Ansehen, das sie früher genossen. Wegen dieser Feigherzigkeit kann der König sich nicht mit einer Macht einlassen, deren Glanz so gesunken ist. Nimmt man die gegenwärtige Lage in Rußland hinzu, so wird man zugeben, daß der König den Weg beschreitet, den die Klugheit ihm vorschreibt154-5. Seit dem Tod ihres Günstlings Lanskoi154-6 ist die Zarin<155> in tiefe Schwermut versunken und hat alle Geschäfte liegen lassen. Schlägt dieser Kummer tiefere Wurzeln, so werden ihre ehrgeizigen Pläne aller Wahrscheinlichkeit nach darunter leiden. Und liegt die Eroberung Konstantinopels ihr nicht mehr am Herzen, so wird ihr Bündnis mit dem Kaiser völlig gelockert werden. Der Großfürft155-1 hält unerschütterlich zu Preußen. Es hieße also sehr übereilt handeln, wenn man ein nützliches Bündnis bräche, um ein anderes mit einer so heruntergekommenen Macht wie Frankreich anzuknüpfen. Der Einfluß der Königin155-2, der Schwester des Kaisers, würde auch die besten Verabredungen beider Mächte Über die Kriegsoperationen zunichte machen. Das Staatswohl und die bleibenden Interessen Preußens würden notwendig den Ränken der Höflinge und Weiber in Versailles preisgegeben, und unsere Wohlfahrt hinge ganz von den Launen der Königin von Frankreich und von den Kabalen der Hofschranzen Ludwigs XVI. ab. Ein Bündnis mit Frankreich wäre, so wie die Dinge jetzt liegen, nichts als ein übler Notbehelf und nur dann zu empfehlen, wenn man nirgendwo anders Bundesgenossen findet. O Richelieu, 0 Mazarw, 0 Ludwig XIV., was sagtet ihr, könntet ihr die Schande eurer Nachfolger sehen und erfahren!
<156>Zur Geschichte des Deutschen Fürstenbundes156-1
1. Kabinettserlaß an den Minister Graf Finckenstein
(21. Februar 1784)
Das Beste, was wir in der gegenwärtigen Lage tun können, ist, uns nicht zu rühren und ruhig abzuwarten, bis sich in Europa dies oder jenes ereignet, woraus wir sofort Nutzen ziehen müssen.
Auf Rußland, das gestehe ich, rechne ich für die nächsten Zeiten nicht; denn die Zarin, ihr Bakunin, ihr Besborodko156-2 und ihr Moronzow156-3 sind österreichisch bis in die. Fingerspitzen. Wollen wir uns also nicht in eitler Selbstgefälligkeit wiegen und uns selbst etwas vormachen, so dürfen wir nicht darauf rechnen, bie russische Macht wiederzugewinnen, falls nicht der Großfürst den Thron besteigt.
Aus dem Briefe des Grafen Hofenfels156-4 ersehen Sie, wie sklavisch Frankreich der Königin folgt156-5 und wie sehr es sich folglich von Österreich beherrschen läßt. Also selbst wenn die Franzosen Vereinbarungen mit uns treffen wollten, wäre man seiner<157> Sache nie sicher; denn die Königin könnte bei ihrem Einfluß stets alle Maßregeln durchkreuzen.
Bliebe also England. Nun hat die englische Regierung unter den jetzigen VerHältnissen erstens noch gar keine feste Gestalt gewonnen, und zweitens, wüßte man auch, wer ans Ruder kommt und daß die Staatsmaschine wieder funktioniert, so kennt man doch auch ihre gegenwärtige Erschöpfung und Schwäche157-1: England wird sich also, wenigstens fürs erste, nicht auf große Dinge einlassen.
Von Schweden und Dänemark will ich erst garnicht reden; denn beide sind kraftlos.
Bleiben also lediglich die Reichsfürsten. Unter ihnen kämen für ein Bündnis in Betracht: Hannover, Hessen, Braunschweig, vielleicht auch Bamberg, Würzburg, Fulda, Paderborn, Hildesheim und ganz Norddeutschland. Vielleicht könnte man auch den Kurfürsten von der Pfalz hinzunehmen, vorausgesetzt, daß der jetzige157-2 stirbt und der Herzog von Zweibrücken Kurfürst wird. Man müßte einen Bund aller dieser Fürsten zusiande bringen, lediglich zum Zweck der Aufrechterhaltung des Reichssystems, wie es jetzt besieht. Käme es zum Kriege, so müßte man nach meiner Meinung darangehen, sie sämtlich ins Spiel zu ziehen und ihnen Subsidien bezahlen, was nicht unmöglich wäre.
Das ist alles, was sich bisher ausdenken läßt. Auch müßte man dem Ganzen einen Anstrich geben. Soweit sich die Zukunft beurteilen läßt, wird auch Rußland sich einmischen, wenn der Kaiser uns zu Leibe will. Frankreich wird nicht mitmachen wollen. Wir können uns also mit Hilfe all dieser Reichsfürsten noch aus der Klemme ziehen und den Völkermassen die Stirn bieten, die die beiden Kaiserhöfe gegen uns ins Feld zu stellen vermöchten; aber ein anderes Mittel will mir nicht einfallen...
2. Entwurf zum Deutschen Fürstenbunde157-3
(24. Oktober 1784)
Da dieser Bund keine offensiven Tendenzen verfolgt, so soll er einzig in der Absicht gebildet werden, um die Rechte und Freiheiten der deutschen Fürsten aufrechtzuerhalten, und zwar ohne Unterschied der Religion. Es versteht sich, daß alles nur auf die Rechte und Privilegien hinauslaufen soll, die durch das Herkommen und die Goldene Bulle festgesetzt sind. Ich brauche nicht an das alte Gleichnis zu erinnern, wonach man einem Pferde leicht die Haare ausreißen kann, wenn man ihm jedes<158> einzeln auszieht, ihm aber nicht den Schwanz ausreißen kann, wenn man ihn im ganzen packt. Ein Bund, wie ich ihn vorschlage, geht nur darauf aus, die Besitzungen eines jeden zu sichern. Er soll verhindern, daß es einem ehrgeizigen und unternehmenden Kaiser gelingt, die deutsche Verfassung umzustoßen, indem er sie stückweise zerstört.
Beugt man hier nicht beizeiten vor, so wird der Kaiser seine sämtlichen Neffen in Florenz und Modena158-1 mit allen Bistümern, Erzbistümern und Abteien in Deutschland versorgen. Alsbald wird er sie säkularisieren und auf jedem Reichstage durch die Stimmen seiner Neffen die Oberhand gewinnen. Soviel von den katholischen Kirchenfürsten, die wir nach unserer Verfassung in ihren Rechten erhalten müssen.
Was die weltlichen Fürsten beider Konfessionen betrifft, so haben sie ein gleiches Interesse daran, die Länder, die sitz besitzen, zu behaupten. Dieser Bund hindert und beschränkt den Kaiser bei allen Ansprüchen, die er auf ihre Staaten erheben könnte. Ein Beispiel, das wir erst neuerdings erlebt haben, bildet der Versuch der widerrechtlichen Besitznahme eines Teiles von Bayern158-2.
Nicht weniger wichtig ist, was sich auf den Reichstag zu Regensburg und auf das Reichskammergericht zu Wetzlar bezieht. Werden nicht beizeiten die rechten Maßregeln ergriffen, um diese alten Institutionen aufrechtzuerhalten, so wird der Kaiser das benutzen, um einen tyrannischen Despotismus in ganz Deutschland aufzurichten.
Das sind im groben die wichtigsten Gründe, aus denen die Fürsten sich zu diesem Bunde vereinigen müssen; denn ihre Interessen sind die gleichen, und wenn sie einige von ihresgleichen erdrücken lassen, wird die Reihe ganz sicher auch an sie kommen. Sie haben dann nichts als das Vorrecht, in der Höhle des Polyphem zuletzt verspeist zu werden. Der Vorteil dieses Bundes besieht nun darin, daß, wenn der. Kaiser seine Macht mißbrauchen will, die vereinte Stimme aller Reichsstände ihm Respekt und Mäßigung einflößen kann. Oder wenn er widerspenstig ist, findet er eine ziemlich starke Partei, die sich mit seinen Kräften messen kann, ungerechnet die Bundesgenossen, die das Deutsche Reich zur Vertretung seiner Interessen bestimmen kann.
Dies sind, glaube ich, Betrachtungen, die reifliche Erwägung verdienen. Ich habe mich nur an die Hauptsachen gehalten, aber man könnte mehr Einzelheiten hinzufügen und sie der größeren Klarheit halber erläutern. Ich gehe hier nicht auf sie ein, da mich dies zu weit führen würde. Was aber bei einem im großen entworfenen Plane Kleinigkeiten sind, das wird, mit Sachkenntnis behandelt, im einzelnen belangreich, und ich glaube, Herr von Hertzberg wäre durchaus der Mann, um diese Ideen auszuarbeiten und ihnen die letzte Feile zu geben.
<159>3. Kabinettserlaß an die Minister Graf Finckenstein und von Hertzberg
(1. November 1784)
Ich habe Ihre gestrigen Vorstellungen159-1 erhalten. Wollen Sie, Herr von Hertzberg, mir die Freude machen, ein paar Tage hier zu verweilen, so kann ich Ihnen all meine Gedanken über den fraglichen Gegenstand eingehend auseinandersetzen.
Das erste, womit man anfangen müßte, ist eine mündliche Aussprache mit den Reichsfürsten, um ihnen ihre jetzige Lage klar zu machen und ihnen zu zeigen, wohin die Dinge treiben können. Erinnern Sie sich, welch schreckliche Schwierigkeiten beim Zustandekommen des Schmalkaldener Bundes entstanden, um die untereinander uneinigen Fürsten unter einen Hut zu bringen. Ein Herzog von Braunschweig159-2 war in den kleinen Raufereien jener Zeit gefangen genommen worden. Der Kurfürst von Brandenburg159-3 lehnte jedes Bündnis ab, bevor jener nicht in Freiheit gesetzt war. Der Kurfürst von Sachsen159-4 wollte von keinem Bündnis mit dem König von England wissen, noch mit Frankreich, noch selbst mit den Schweizern, weil es sein Gewissen bedrückte, sich mit Heinrich VIII. zu verbünden, dessen Religion sich mit der lutherischen nicht völlig deckte, noch gar mit Franz I.159-5, der die Protestanten im eigenen Lande verfolgte, noch mit den Schweizern, die Calvinisten waren. Der Landgraf von Hessen159-6 bestritt zwar alle diese Punkte, konnte aber den Kurfürsten von Sachsen nie überreden. Der trat dem Bunde erst bei, nachdem Karl V. auf dem Reichstag zu Regensburg einen höchst anmaßlichen Ton angeschlagen hatte. Erst dessen Erklärung159-7 brachte die Fürsten zusammen, ließ ihnen den Kamm schwellen und bewog sie, Truppen auszuheben.
In dieser Sache gilt es nicht, Staaten zu einigen, sondern sie aufzurütteln, damit sie ihre Verfassungen aufrecht erhalten und nicht auf ihren eigenen Interessen einschlafen. Ebensowenig handelt es sich darum, einen Krieg zu beginnen, wofern nicht Länderraub oder Rechtsbrüche von seiten des Kaisers die Reichsfürsten zwingen, dem mit vereinigten Kräften entgegenzutreten. Um aber das Ziel zu erreichen, dünkt mich das Rechte, sich über den Plan eines Fürstenbundes nur mündlich auszusprechen, damit man hört, was jeder darauf zu antworten hat, und vernimmt, wie schwer oder leicht er sich die Sache denkt. Sämtliche katholische Bischöfe müssen im eigensten<160> Interesse dem Projekt notgedrungen beitreten. Stirbt der Kurfürst von der Pfalz160-1, so haben wir auch Bayern und Sachsen für uns, vielleicht auch Hannover, ferner Trier, Bamberg, Würzburg und Fulda. Und entzweit sich Frankreich mit dem Hause Österreich, so treten zu alledem noch der Herzog von Württemberg160-2 und die Reichsstädte in Schwaben. Bleibt aber das Bündnis zwischen Frankreich und dem Wiener Hofe in Kraft, so kommen Württemberg, Baden, die Pfalz, der Kurfürst von Trier u. a. m. in Wegfall. Tun wir indes garnichts und legen die Hände in den Schoß, so ist es so sicher wie zweimal zwei gleich vier, daß kein Mensch an ein solches Bündnis denkt und dem Kaiser freie Hand bleibt, zu tun, was ihm beliebt. Lassen wir aber durch unsere verschiedenen Gesandten den Boden sondieren, so wird man hören, was die Leute zu sagen haben. Unternimmt dann der Kaiser irgend etwas gegen sie, so wird ganz gewiß nur eine Stimme sein, um Protest zu erheben.
Ich erwarte Ihre Ankunft hierselbst, Herr von Hertzberg, um ausführlicher mit Ihnen zu reden...
<161><162><163>Staats- und Flugschriften
<164><165>Darlegung der Gründe, die Seine Majestät den König von Preußen zu gerechten Vergeltungsmaßregeln gegen den Fürstbischof von Lüttich bewogen haben165-1
(11. September 1740)
Seine Majestät der König von Preußen ist durch die Äußerungen des Übelwollens seitens des Fürstbischofs von Lüttich zum Äußersten getrieben worden und hat sich zu seinem Bedauern gezwungen gesehen, die Gewalttaten und den Schimpf, die der Bischof ihm antun wollte, mit Waffengewalt zu vergelten.
Dieser Entschluß ist ihm sehr schwer gefallen, zumal er von Natur und aus Vorsatz allem abgeneigt ist, was irgendwie an Härte und Strenge streift. Da ihn aber der Fürstbischof von Lüttich zur Änderung seines Verhaltens genötigt hat, konnte Seine Majestät keinen anderen Entschluß fassen, als seine gerechten Ansprüche zu verfechten und Vergeltung für die schmachvolle Behandlung seines Bevollmächtigten von Kreytzen zu üben165-2, desgleichen für die Verachtung, die darin lag, daß der Fürstbischof von Lüttich nicht einmal den Brief des Königs zu beantworten geruhte.
Wie zuviel Härte der Grausamkeit nahe kommt, so gleicht zuviel Milde der Schwäche. Obwohl der König seine Interessen gern der öffentlichen Ruhe geopfert hätte, konnte er im Hinblick auf seine Ehre nicht ebenso verfahren. Dies ist der Hauptbeweggrund dafür, daß er einen seinen Anschauungen so entgegengesetzten Entschluß gefaßt hat.
Umsonst ist alles versucht worden, um zu einer gütlichen Einigung zu gelangen. Vielmehr hat die Mäßigung des Königs die Anmaßung des Fürstbischofs nur ge<166>steigert; seine Sanftmut machte ihn hochfahrend, und statt durch Güte etwas zu gewinnen, wurde Seine Majestät nach und nach zum Gegenstand der Schikane und Verachtung.
Da ihm also kein anderes Mittel bleibt, sein Recht zu erhalten, als die SelbstHilfe, und da der König mächtig genug ist, um es sich selbst zu schaffen, wird er den Fürstbischof von Lüttich fühlen lassen, wie unrecht er tat, seine Mäßigung so unwürdig zu mißbrauchen.
Trotz so vieler Äußerungen des Übelwollens seitens des Fürstbischofs wird der König keineswegs unerbittlich sein. Es genügt ihm, dem Fürstbischof gezeigt zu haben, daß er ihn strafen kann; ihn zu vernichten ist er zu hochherzig.
Tatbestand166-1
Die Untertanen der Herrschaft Herstall hatten sich im Jahre 1733 gegen den König aufgelehnt und sich unter den Schutz des Fürstbischofs von Lüttich gestellt, der ihnen ohne weiteres gewährt wurde. Der Fürstbischof hatte alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt und eine Unmenge geheimer Wege eingeschlagen, um die Herstaller gegen ihren Herrn und König aufzustacheln und sich dadurch eine Souveränität über die Herrschaft Hersiall anzumaßen, die die Bischöfe von Lüttich zur Zeit der manischen Fürsten zwar beansprucht hatten, die ihnen jedoch nie zugestanden ist. Vielmehr hatte man sie mit Grund und Recht bestritten.
Der verstorbene König ließ nichts unversucht, um die Hersialler Rebellen auf gütlichem Wege zum Gehorsam zurückzuführen, doch gelang ihm dies nie, und der Fürstbischof von Lüttich schürte durch seine Machenschaften immerfort den Ungehorsam und das Feuer des Aufruhrs in Hersiall.
Der verstorbene König ging in seiner Mäßigung so weit, daß er sich erbot, die Herrschaft Herstall für 100 000 Patagons166-2 an den Fürstbischof von Lüttich zu verkaufen, ein sehr geringer Preis für diese Herrschaft, die längs der Mosel und in einer reichen und fruchtbaren Gegend liegt. Da sie aber im Herzen des Bistums Lüttich liegt und von den Staaten des Königs abgetrennt ist, hielt Seine Majestät es für angezeigt, diesen Besitz seiner Ruhe zu opfern, um alles zu vermeiden, was Verwirrung anrichten oder im geringsten den Anschein von Ungerechtigkeit erwecken könnte.
Im Anfang der Unterhandlungen stellte sich der Fürstbischof von Lüttich, als wollte er auf das Angebot des Königs eingehen, dann aber entzog er sich ihm auf verschiedene Weise, ja, er verging sich aufs schwerste am Obersten Kreytzen, mit dessen Absendung der König ihn beehrt hatte. Trotz all dieser Äußerungen des<167> Üelwollens riß dem König noch nicht die Geduld: er wollte den Fürstbischof von Lüttich durch Güte beschämen.
Inzwischen gefiel es Gott, der alle Wechselfälle dieser Welt nach seiner unendlichen Weisheit leitet, den König abzuberufen und zu sich zu nehmen, um ihn für seine Mäßigung und Geduld zu belohnen.
Nach dem Tode Friedrich Wilhelms verweigerten die Untertanen von Herstall dem neuen König die Huldigung trotz wiederholter Befehle und Vorstellungen, die ihnen gemacht wurden. Der Fürstbischof von Lüttich unterließ nicht, ihren Widerstand seinerseits zu bestärken. Dadurch wurden alle Amnestieversprechen und alle Drohungen wirkungslos.
Seine Majestät sah sich zum Äußersten getrieben und beschloß, seinen Rat Rambonnet mit einem Handschreiben an den Fürstbischof von Lüttich zu schicken, um einen bündigen Bescheid zu verlangen, ob er sich die Souveränität über die Herrschaft Hersiall anmaße und gesonnen sei, die Rebellen zu unterstützen. Auf diesen Brief geruhte der Fürstbischof nicht einmal zu antworten.
Da das Maß nun voll war und der König in seiner Mäßigung nicht weitergehen konnte, ohne seiner Ehre etwas zu vergeben, so mußte er Waffengewalt anwenden, sowohl um den Fürstbischof von Lüttich für die Äußerungen seines Übelwollens zu strafen, die unter Nichtachtung der preußischen Herrschaftsrechte zur Auflehnung der Herstaller geführt haben, wie um seine Anmaßung, die ihren Gipfel erreicht hatte, zu dämpfen. Seine Majestät sah sich also gezwungen, die Grafschaft Hoorn und die Stadt Maaseyck zu besetzen. Sie sind weiter nichts als das Äquivalent für die Herrschaft Hersiall, die der Fürstbischof von Lüttich sich widerrechtlich angeeignet hat.
<168>Entwurf zur „Darlegung der Gründe, aus denen der König in Schlesien eingerückt ist“168-1
(Dezember 1740)
Die Ansprüche des Königs auf die meisten Herzog- und Fürstentümer Schlesiens sind unbestreitbar. Die Besitzer dieser Provinz haben dies selbst so sehr zugegeben, daß sie einen Vertrag mit Kurfürst Friedrich Wilhelm abschlossen, kraft dessen der Kurfürst für den Kreis Schwiebus seinen Rechten auf die anderen schlesischen Herzog- und Fürstentümer entsagt hat. Dieser Verzicht wäre gültig, hätte Kaiser Leopold I. den Kreis Schwiebus nicht mit schwärzester Treulosigkeit dem König Friedrich I. entrissen168-2.
Da somit das Äquivalent für den Verzicht zurückgegeben ist, tritt Preußen wieder in den Vollbesitz seiner Rechte, und das ganze Abkommen mit Kurfürst Friedrich Wilhelm wird null und nichtig.
Auf Grund dieser Rechte und eines Anspruches auf mehrere Millionen Taler ist der König in Schlesien eingerückt, um seinen Besitz und seine Rechte aufrechtzuerhalten. Zu Lebzeiten des Kaisers wäre ein solcher Schritt unangebracht gewesen; denn der Kaiser ist das Reichsoberhaupt, und der Angriff eines Reichsstandes gegen ihn hätte gegen die Reichsgesetze verstoßen.
Außerdem läuft dieser Schritt der Pragmatischen Sanktion nicht zuwider; denn der König will kein Erbe antreten, sondern nur seine besonderen Rechte wahren. Da der Kaiser selbst keinerlei Anrecht auf die ihm strittig gemachten schlesischen Herzogtümer besitzt, mit welchem Recht kann seine Tochter168-3 sie dann beanspruchen? Man kann doch nichts erben, was den Eltern nicht gehört hat!
Nehmen wir aber den schlimmsten Fall an, daß man das Vorgehen des Königs als Verstoß gegen die Pragmatische Sanktion betrachtet, so ist hervorzuheben, daß der König von Preußen dem Kaiser die Pragmatische Sanktion durch den Vertrag<169> von 1732169-1 nur unter der Bedingung der Garantie für das Herzogtum Berg gewährleistet hat. Diesen Vertrag hat das Haus Österreich aber gebrochen, indem es im Jahre 1738 oder 1739 den vorläufigen Besitz der Herzogtümer Iülich und Berg dem Hause Sulzbach garantierte169-2. Der König tritt also wieder in den Vollbesitz seiner Rechte, zumal man ihm als Äquivalent eigene Besitzungen des Kaisers versprochen hatte.
Alle diese Gründe miteinander haben den König zu seinem Vorgehen bestimmt. Er wünscht nichts sehnlicher, als sich mit dem Haus Österreich zu vergleichen, vorausgesetzt, daß man einige Rücksicht auf seine gerechten Ansprüche nimmt.
NB. Ich vergaß hinzuzufügen, daß Schlesien stets ein Mannslehen gewesen und nur durch die Pragmatische Sanktion zum Weiberlehen geworden ist. Da aber meine Garantie null und nichtig geworden ist, trete ich jetzt wieder in den Vollbesitz meiner Rechte; denn das Kaiserhaus hat keine männlichen Nachkommen mehr. Das kann zu den anderen oben erwähnten Gründen hinzugefügt werden.
<170>Schreiben des Grafen R. an einen Freund170-1
(August 1742)
Lieber Freund! Ich gestehe Ihnen, daß der Sonderftiede, den der König von Preußen soeben geschlossen hat, mich nicht minder empört hat als Sie. Ich empfand Unwillen über einen Fürsten, der seine Verpflichtungen so leichtfertig gebrochen hat. Selbst das Benehmen eines Staatsmannes fand ich zu rügen, der seine eigenen Interessen zu verkennen schien, indem er sich mit den Feinden versöhnte, die er am tiefsten verletzt hatte, und sich dadurch die Zuneigung derer verscherzte, denen er die größten Dienste geleistet hatte.
Ich fand dieser Tage Gelegenheit, über das Thema mit einem Manne zu sprechen, der über die gegenwärtigen Verhältnisse offenbar wohl unterrichtet war. Er erzählte mir zu meinem großen Erstaunen Folgendes. Der König von Preußen, sagte er, ist nicht so zu verurteilen, wie Sie meinen. Er hatte zwar Verpflichtungen, aber nur unter gewissen Bedingungen, und Sie wissen, daß an einen Kontrakt, den einer der Kontrahenten nicht erfüllt, der andere nicht mehr gebunden ist. Erfahren Sie denn den ganzen Zusammenhang der Gründe, aus denen der König eine Partei verließ, bei der er keine Sicherheit und Ehre mehr zu finden hatte.
Sein Bündnis zwang ihn nicht zur Stellung einer bestimmten Truppenzahl; es war nur gegenseitige Unterstützung ausgemacht. Der Streit um Schlesien war schon erledigt, als die Händel der Alliierten erst anfingen. Ich übergehe alle Zudringlich leiten der Franzosen, um den König von Preußen zum Handeln zu bewegen. Genug, daß Sie seine hochherzigen Anstrengungen in Mähren kennen, wo er mit 2O 000 Mann seiner Truppen eindrang170-2, um die Österreicher von Bayern abzuziehen, das sie bedrohten.
Die Sachsen traten damals als Hilfstruppen auf, die Preußen aber als Eroberer. Das verleidete diesen einen Zug, den sie lediglich aus hochherziger Gesinnung unternahmen. Gleichwohl blieben sie dieser Gesinnung treu, und Ende April, als die<171> Sachsen sich in ihre Heimat geflüchtet hatten, unterhielt der König von Preußen eine Armee von 60 000 Mann in Schlesien und Böhmen. Die Franzosen hatten versprochen, daß bis dahin alle Verstärkungen zu ihren Truppen stoßen sollten, und daß sie Anfang Mai stark genug zu nachdrücklichen Operationen sein würden. Es fand sich aber, daß diese neuen Truppen und ihre Rekruten Ende Mai noch kaum den Rhein passiert hatten. Die Schwäche der Franzosen, die in Böhmen höchstens 12 000 Mann hatten, und der Rückzug der Sachsen legte die ganze Last des Krieges auf die Schultern des Königs von Preußen. Er trug sie so gutwillig, daß er den Prinzen von Lothringen schlug171-1, als dieser zum Angriff gegen Prag vorrückte. Schließlich aber ward er es müde, allein die ganze Bürde zu tragen, und drängte die anderen zum Handeln. Alles, was er erreichte, war die Aufstellung eines gewaltigen Feldzugsplanes, demzufolge er die Österreicher bei Tabor, dem altberühmten Lager Ziskas, angreifen sollte, um von da bis zur Donau vorzustoßen und Wien zu belagern. Zur Durchführung dieser Operation hätte er ein unbezwingliches Lager angreifen und sechs Wochen durch ein Land marschieren müssen, das keinerlei Nahrungsmittel bot. Während dieser ganzen Zeit hätte die Armee ihren Proviant also auf Wagen mitführen müssen. Bei einiger militärischer Erfahrung sieht man die Unmöglichkeit eines so schlecht erwogenen Planes ein, dessen ganze Last den Preußen und dessen ganzer Gewinn den Franzosen zufiel, die längs der Moldau ohne Schwertstreich bis nach Passau vorrücken sollten.
Trotzdem hätte der König von Preußen nicht die Geduld verloren, wären seine Alliierten zu einer Zeit, wo er allein handelte, nicht völlig untätig geblieben, und hätte er nicht erfahren, daß, während man von ihm selbst einen glänzenden Schlag gegen den Kurfürsten von Hannover und die Holländer verlangte, ein gewisser du Fargis Frankreichs Interessen in Wien vertrat, daß Bussy für Frankreich in England sondierte, und daß man schließlich der Böswilligkeit die Krone aufsetzte, indem man ihn in Rußland verriet, während er sich in Böhmen für Frankreichs Ruhm opferte. In der Tat erfuhr der König, daß La Chétardie den Auftrag hatte, den Frieden zwischen Schweden und Rußland zustande zu bringen, und zwar unter der Bedingung, daß Rußland den Schweden die Eroberung Stettins und seines Gebietes garantierte171-2.
Ein so offenbares Doppelspiel empörte den König von Preußen schließlich, und er beschloß, sich um jeden Preis von seinen Alliierten zu trennen. Von dem Augenblick an arbeitete er ernstlich an der Wiederaussöhnung mit der Königin von Ungarn, und diese gelang ihm durch Vermittlung des Königs von England.
Ich hoffe, schloß mein Politiker, daß Sie nun keine Inkonsequenz mehr im Benehmen des Königs sehen. Er ist einfach dem Gesetz der Natur, dem Selbsterhaltungstrieb gefolgt, der uns gebietet, zuvörderst an unsere eigene Existenz zu denken. Nie<172>mand kann ihn verurteilen, weil er Bundesgenossen verlassen hat, von denen er sich verraten sah.
Das, lieber Freund, sind die Nachrichten, die ich über diese ebenso merkwürdige wie wichtige Tatsache erfuhr. Ich hatte von vornherein angenommen, daß ein aufgeklärter Fürst seine Alliierten nicht ohne Grund verlassen würde, und daß er nicht leichtfertig unsichere neue Bundesgenossen den alten, zuverlässigen vorzöge, daß er seine Freunde nicht zu Dank verpflichten wollte, um sich danach den Anspruch auf ihren Dank zu verscherzen. Allein ich vermochte von mir aus nicht alle Beweggründe zu erraten, die bei einem so plötzlichen und gewaltsamen Entschluß mitsprechen mochten. Jetzt aber, wo ich über die Sache Bescheid weiß, gestehe ich, daß ich das Benehmen des Königs von Preußen nicht nur für gerecht und vernünftig halte, sondern auch meinen Frieden mit ihm mache, wie er Frieden mit der Königin von Ungarn gemacht hat.
Überhaupt sind die großen Fürsten zu beklagen. Etwas in ihrem Benehmen bleibt der Öffentlichkeit stets schleierhaft, etwas in ihren Handlungen zweideutig. Das nimmt dann die Welt gegen sie ein, die schon von Natur eher zu harter als zu milder Beurteilung aller Dinge neigt. Wohl ihnen, wenn gerade und Wahrheitsliebende Seelen sich die Mühe geben, ihre Sache gegen ihre Neider zu verfechten oder gegen solche, deren Eitelkeit und Eigenliebe durch die Vernichtung ihrer verderblichen Pläne verletzt wird. Wahrhaftig, lieber Freund, es ziemt uns ebensowenig, über sie wie über die göttliche Vorsehung zu richten: es wird für Uneingeweihte stets verborgene Tiefen geben. Hat man ohne Kenntnis der Ursachen recht ins Blaue hinein geurteilt, erfährt dann aber den wahren Zusammenhang, so muß man ausrufen: „O, wenn's so steht, Hab' ich nichts weiter zu sagen!“ Ich bin Ihr usw.
<173>Schreiben aus Prag an einen Privatmann173-1
(Ende Februar 1743)
Wir sind jetzt sicher, daß die Königin herkommen wird; denn die Krönung soll am 25. April stattfinden173-2. Freilich scheint mir nach allem, was Sie mir mitteilen, diese Krönung etwas verfrüht. Gewiß muß der König von Frankreich ein sehr großer Fürst sein, nach allem zu urteilen, was Sie mir von ihm sagen. In Wien hat man das Vorurteil, Frankreich sei an Menschen und Truppen erschöpft, man brauche nur zu drohen, um alles durchzusetzen, was man verlange, und man könne der mächtigen Monarchie bald ganz enge Schranken setzen. Wir fürchten nichts so sehr wie einen voreiligen Feldzug in Bayern. Ich, der ich die Ehre hatte, dem Herrn Marschall Belle-Isle näher zu treten, der ich Zeuge seiner Tatkraft, seiner guten Dispositionen und seines Eifers für den Dienst seines Königs war, bin fest überzeugt, wenn er den Befehl über die Armee in Bayern erhielte, würde er uns manche Nuß zu knacken geben, wogegen man in Wien den Marschall Broglie gründlich verachtet und von seinem schimpflichen Rückzug nach Beraun173-3 mit aller denkbaren Geringschätzung spricht. Der Marschall ist bei seinen hohen Jahren unfähig, sein Amt zu versehen.<174> Ich hörte viele französische Offiziere, die ihn in diesem Feldzug begleiteten, sagen, er sei nicht imstande, die geringste Disposition zu treffen. Gebe Gott und die heilige Jungfrau, daß unsere Feinde nie andere Heerführer haben als einen Törring und Broglie!
Die Bayern wurden unter Törring überall verjagt und geschlagen; unter Seckendorff sind sie Helden; ebenso wären es die Franzosen unter Belle-Isle.
Von Wien aus tröstet man uns über den Marsch der Armee der Alliierten ins Reich, aber Sie vernichten alle meine Hoffnungen durch die großen Dinge, die Sie mir vom König von Frankreich erzählen174-1. In der Tat, wenn er noch 15 000 Mann nach Bayern schick, wenn er ein Korps von 60 000 Mann an der Mosel versammelt, um die Engländer zu verfolgen, wenn er außerdem 60 000 Mann in Flandern hat, um dort die Operationen nach dem Abzug der Engländer zu beginnen — dann sind die Franzosen uns und unseren Alliierten überlegen. Bedenken Sie jedoch, daß alle jene großen Heere nutzlos sind, wenn ihre Führer nicht völlige Freiheit zum Handeln haben, sondern den Befehlen ihres Hofes unterworfen sind, die bei der großen Entfernung notwendig zu spät kommen müssen. Bedenken Sie auch, daß Bayern ein ausgesogenes Land ist, wo die Franzosen verhungern werden, wenn sie den Feldzug nicht frühzeitig beginnen und Prinz Karl174-2 nicht zwingen, ihnen den Donaulauf bis Wien preiszugeben.
Träfe uns dies Unglück, dann freilich hätten wir alles zu befürchten vom König von Preußen und von den Sachsen, denen man sehr mißtraut, und Böhmen wäre sicherlich völlig verloren. Kurz, alles hängt von den Anstrengungen ab, die Frankreich machen wird, von den kräftigen und raschen Operationen und vor allem von der Tüchtigkeit seiner Heerführer.
<175>Entwurf zur „Darlegung der Gründe, aus denen der König sich genötigt sieht, dem Kaiser Hilfstruppen zu stellen“175-1
(August 1744)
Da der König die Wirren nicht mehr mit ansehen konnte, die das Reich zerreißen, seine Grundlagen erschüttern und die Macht des Kaisers175-2 zu vernichten drohen, hat er sich als Reichsfürst gezwungen gesehen, für die Sache des Vaterlandes einzutreten und die Macht, die Gott ihm verliehen hat, zur Wiederherstellung von Frieden, Ordnung und Freiheit in Deutschland zu benutzen. Seine Majestät hat alles versucht, um einen gütlichen Vergleich herbeizuführen, und alles vermieden, was ihn durch die natürliche Verkettung der Dinge zu Feindseligkeiten veranlassen mußte. Sein Gesandter in Wien, Graf Dohna175-3, hat alle möglichen Vorstellungen gemacht, um den Wiener Hof zu friedlichen Gesinnungen zu bekehren. Wie oft hat er ihm nicht vorgeschlagen, den Kaiser zum Abschluß eines billigen Vergleichs zu bewegen, zumal der große und edelmütige Fürst bereit war, den größten Teil seiner Ansprüche auf das österreichische Erbe aufzugeben, um seinem Vaterlande die Ruhe und den Frieden zu erhalten. Aber der Wiener Hof hat in seiner hochmütigen Rachsucht nie darein gewilligt. Er wollte von Frieden nichts wissen, vielmehr wünschte er den Kriegsbrand über ganz Europa zu verbreiten, um das Gleichgewicht der Mächte zu zerstören, die sich seinen ehrgeizigen Plänen widersetzten, und sie und ihre Bundesgenossen völlig seinem Willen zu unterwerfen. Welche Anstrengungen hat der König nicht auch durch seine Gesandten beim König von England gemacht, als er in seinem Lager bei Worms war, um zu verhindern, daß dieser sein Vaterland zerrisse und ohne Scheu unsere Verfassung zerstörte!175-4 Um die Republik Holland zu bewegen, die Friedensvermittlung zu übernehmen, hat der König sogar die Reichsfürsten vermocht, sich daran zu beteiligen. Aber sei es, daß die Generalstaaten, die die Hals<176>siarrigkeit des Wiener Hofes und die Hinterabsichten seiner Alliierten nur zu gut kennen, sich nicht getraut haben, diese Vermittlung zu übernehmen, sei es, daß ihre republikanische Verfassung den raschen Entschlüssen hinderlich war, die bei dergleichen Verhandlungen nötig sind: die Generalstaaten lehnten das Anerbieten ab.
Nachdem also Seine Majestät umsonst so vieles versucht hat, um dem Reiche Ordnung und Frieden wiederzugeben, sieht er sich durch das Bündnis der kurfürstlichen Häuser vom Jahre (1744)176-1, sowie in seiner Eigenschaft als einer der vornehmsten Reichsstände gezwungen, das Reich vor dem völligen Untergang zu retten. Zu diesem Zweck stellt er dem Kaiser eine große Zahl seiner Truppen als Hilfskontingent, um mit ihnen die Königin von Ungarn zu bekriegen, seine unversöhnliche Feindin, die in ihrem hochmütigen Stolz und Ehrgeiz auf weiter nichts sinnt, als ganz Deutschland unter ihr hartes Joch zu beugen.
<177>Entwurf des Manifestes gegen den Dresdener Hof177-1
(August 1745)
Seit der König von Preußen dem verstorbenen Kaiser Karl VII. Hilfstruppen gestellt177-2 und der König von Polen und Kurfürst von Sachsen fast gleichzeitig der Königin von Ungarn solche geliefert hat (unter dem Vorwand, zur Verteidigung Böhmens beizutragen), haben denkende Menschen gleich befürchtet, beide Fürsten würden ihre persönlichen Streitigkeiten in den Streit ihrer Verbündeten hineinziehen.
Schon allein der Umstand, daß der Königin von Ungarn sächsische Hilfstruppen gegen die Armeen des Königs gestellt worden sind, hätte Seiner Majestät das Recht gegeben, dem Brauche des Wiener Hofes zu folgen und gegen die sächsischen Staaten feindlich vorzugehen.
Nach diesem Grundsatz haben die Truppen der Königin von Ungarn die OberPfalz verheert und den Herzogtümern Jülich und Berg hohe Kriegskontributionen auferlegt, obwohl das Verhalten des Kurfürsten von der Pfalz177-3 gegen die Königin von Ungarn kein anderes war, als das des Kurfürsten von Sachsen gegen den König. Unter demselben Vorwand hat die Königin von Ungarn zweimal vergebliche Einfälle in Schlesien gemacht, und aus demselben Grunde sind die hessischen Truppen177-4 in Schwaben entwaffnet worden, nachdem der Kurfürst von Bayern ein Abkommen unterzeichnet hatte177-5.
Diese Tatsachen bezeugen, daß man in Wien zwischen kriegführenden und Hilfeleistenden Mächten keinen Unterschied macht. Der Wiener Brauch kann also mit gleichem Rechte in Berlin geübt werden, und der König hätte in gerechter Vergeltung gegen die Sachsen als Verbündete der Königin von Ungarn dieselben Maßregeln ergreifen können, zu denen die Königin sich gegen die Pfälzer, Preußen und Hessen als Verbündete des verstorbenen Kaisers berechtigt glaubte.
<178>Allein dem König widerstrebte es aufs äußerste, solche gewaltsamen Maßregeln zu ergreifen. Er wollte sich nicht zum Mitschuldigen der Ungesetzlichkeiten des Wiener Hofes machen; denn er meinte, wenn die Gerechtigkeit auch aus der Welt verbannt sei, so müßte sie noch bei den großen Fürsten zu finden sein178-1. Anstatt Groll, Bitterkeit und Gehässigkeit zu zeigen, ließ der König unmittelbar nach dem Tode des letzten Kaisers dem König von Polen freundliche Vorschläge machen, um einen Modus zur Versöhnung zu finden. Diese Vorschläge bewiesen die völlige Selbstlosigkeit Preußens und boten beträchtliche Vorteile und Gebietserweiterungen für das Haus Sachsen.
Diese friedlichen Schritte waren fruchtlos. Der Stolz des Dresdener Hofes war geschwellt durch den kindlichen Gedanken, die sächsischen Truppen hätten viel zu dem Rückzug beigetragen, den die Preußen am Ende des verflossenen Jahres unternahmen, um sich an der schlesischen Grenze aufzustellen178-2. Die Wahnhoffnung, große Eroberungen zu machen, wobei der sächsische Hof seine ehrgeizigen Absichten auf die Rechtswidrigkeiten des Warschauer Vertrages gründete178-3, die Eifersucht auf einen Nachbarn, dessen Vergrößerung er mit Groll und Neid gesehen hatte, kurz, ein Aufschäumen der Leidenschaften und wohl auch persönliche Interessen der Minister machten den Hof blind gegen die wahren Interessen Sachsens und taub gegen die Stimme der Gerechtigkeit und Billigkeit.
Durch den Warschauer Vertrag hatte sich der König von Polen verpflichtet, der Königin von Ungarn 30 000 Mann Hilfstruppen zu stellen, um Schlesien zu erobern. Bekanntlich wurde ferner ausgemacht, daß die Königin von Ungarn dem König von Polen zum Dank für diese Hilfe ihre Rechte auf die Fürstentümer Glogau, Jauer, Wohlau und die Handelsstädte im Gebirge abtreten sollte. Der König von England versprach die Zahlung einer ziemlich beträchtlichen Summe an Sachsen, um den König von Polen in den Stand zu setzen, Truppen in Polen zu unterhalten und die polnische Krone in seinem Hause erblich zu machen.
Auf Grund dieses Vertrages drangen die Sachsen am 26. Mai mit den Österreichern in Schlesien ein und rücken bis Hohenfriedberg vor, während fast zu gleicher Zeit ein Artillerietrain nebst Pontons von Dresden abging, um nach Glogau zu marschieren, das die Sachsen belagern wollten. Allein die Vorsehung, die die Reiche machtvoll regiert und in ihrer Weisheit über die menschlichen Dinge wacht, sie, der es beliebt, den Plan der Stolzen zunichte zu machen und Die zu demütigen, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen, hatte es anders beschlossen. Bekanntlich errangen die preußischen Truppen am 4. Juni unsterblichen Ruhm178-4, und die Folgen jenes Sieges zerstörten vollends die Pläne, die die Feinde gegen Ruhm und Macht des Königs geschmiedet hatten. Die ganze Welt weiß, welche unerhörten Grausamkeiten die Feinde in Schlesien begingen; auf ihrem Andenken liegt Fluch und Schande, und<179> man muß gestehen: für christliche und gesittete Völker ist eine Kriegführung schmachvoll, vor der selbst Barbaren erröten müßten.
Während so viele Greuel in Schlesien verübt wurden und es dem Himmel, dem gerechten Vergelter aller Verbrechen, gefiel, sie so auffällig, augenscheinlich und streng zu strafen, behauptete man in Dresden kaltblütig, Sachsen stände nicht im Kriege mit Preußen, und der Herzog von Weißenfels179-1 hätte mit seinen Truppen nicht die Erbländer des Königs angegriffen, sondern nur seine neuen Erwerbungen. Das Dresdener Ministerium gefiel sich in solchen Sophistereien, gleich als wären kleine scholastische Spitzfindigkeiten und kindische Wortklaubereien von Haarspaltern hinreichende Gründe zur Rechtfertigung seines illegitimen Vorgehens179-2.
Nichts ist leichter, als die Widerlegung so schwacher Argumente. Beide Staaten hatten in Frieden gelebt, bevor die Hilfstruppen des Kaisers in Böhmen einrücken. Wer ihren kurzen Marsch durch Sachsen haben die Minister des Königs von Polen laut, aber zu Unrecht, gezetert.
Verfolgen wir nun das Benehmen des Königs von Preußen bei diesem Durchmarsch179-3. Dem Einrücken der Armee war das Requisitionsschreiben des Kaisers vorangegangen. Die Truppen hielten sich unterwegs kaum auf und bezahlten bis auf die Fourage alles, was ihnen auf ihrem Marsche zur Verpflegung geliefert worden ist. Die Verpflichtungen des Königs, der Drang der Umstände und die geographische Lage des Landes ließen Seiner Majestät keine Wahl zwischen den Wegen, die man einschlagen konnte. Hätte der König Sachsen verderben wollen: wer hätte ihn dann hindern können, mit seinen 60 000 Mann die Handvoll Sachsen zu entwaffnen, die ihre Heimat beschützten, und sich zum Herrn des Landes zu machen? Aber haben die Dachsen ein Recht, den König so schwarzer Pläne zu zeihen? Hat dies undankbare Volk schon die Schlacht bei Chotusitz179-4 vergessen, wo der König allen Gefahren einer Schlacht trotzte, um die sächsische Grenze vor etwaigen Einfällen der Österreicher zu schützen, nachdem die Sachsen selbst den König in Mähren im Stich gelassen, sich in den Saazer Kreis zurückgezogen und ihre Grenzen am rechten Elbufer unverteidigt gelassen hatten?
Abgesehen von dem Durchmarsch der preußischen Truppen durch Sachsen bestand das gute Einvernehmen zwischen beiden Königen wenigstens äußerlich fort, und die beiderseitigen Gesandten blieben nach wie vor an den beiderseitigen Höfen.
Neid und Eifersucht allein und ungerechter, zügelloser Ehrgeiz konnten den König von Polen zu den Vereinbarungen des Warschauer Vertrages und zu den späteren Abmachungen bewegen. Schlesien war seit dem Breslauer Frieden von ganz Europa als preußisch angesehen worden; es war ein Erbe seiner Väter, das der König zurückgefordert und erobert hatte, nachdem das Haus Österreich im Mannessiamm<180> erloschen war. Daraus ergibt sich, daß Schlesien ebensogut zur preußischen Monarchie gehört, wie das Zeitzer und Merseburger Land zu Sachsen. Hier wie dort handelt es sich um Erbschaften, und man darf annehmen, daß in Dresden jedermann gegen einen Sophisten protestieren würde, der die wahnwitzige Behauptung aufstellte, das Zeitzer und Merseburger Land könne ungestraft angegriffen werden und man führe nicht Krieg gegen den König von Polen und Kurfürsten von Sachsen, indem man diese beiden Herzogtümer besetze.
Allein die Leidenschaft führt eine ganz andere Sprache als die Gerechtigkeit. Es liegt also auf der Hand, daß der König von Polen mit dem Augenblick, wo er den König von Preußen in einer seiner Besitzungen angreift, sei es in Schlesien, sei es wo anders, einen offenen Angriffskrieg gegen ihn führt. Wer wäre so blöde, sich nicht zur Notwehr berechtigt zu glauben, wenn er an einem seiner Glieder den Degenstich eines Bewaffneten erhält? Und wer wäre so stumpfsinnig, sich mit der albernen Ausflucht zu begnügen, sein Feind habe es nicht auf seinen Leib abgesehen, sondern nur auf seinen Arm?
Um den Sachsen jede Entschuldigung zu nehmen, wollen wir für einen Augenblick annehmen, daß ihr Einfall in Schlesien vom König nicht als Feindseligkeit aufgefaßt werden kann. Aber wie wollen sie die Einfälle ihrer neu ausgehobenen Truppen in die Neumark rechtfertigen? Soll man auch diese Provinz, ganz wie Schlesien, von denen ausnehmen, wo keine Feindseligkeiten erlaubt sind? Die reine Willkür der Sachsen soll also der Pflicht des Königs, seine Untertanen zu schützen, Schranken setzen, und Truppenmassen, die sich an einigen Stellen der Grenzen zusammenziehen und dort Einfälle machen, sollen als befreundete Heeresmacht angesehen werden, die die Pflichten guter Nachbarschaft sorgfältig pflegen? Um jedoch den Leser nicht zu lange mit diesem Thema aufzuhalten, verweise ich ihn auf den Anhang, wo das Protokoll dieses Einfalls180-1 wiedergegeben ist. Ich übergehe ferner ohne weiteres eine Unmenge anderer Kränkungen, die der König wiederholt von den Sachsen erlitten hat, wie Gebietsverletzungen durch den Durchmarsch von Truppen ohne Nequisitionsschreiben, Festnahme preußischer Soldaten und Rekruten, die auf dem Heimweg aus dem Reiche durch Sachsen marschierten, Intrigen, schwarze Machenschaften und unerlaubte Ränke, um den König mit seinen guten Nachbarn und Alliierten, den Polen, zu entzweien, deren Freiheit sozusagen an den Erfolg des Königs und die Erhaltung Schlesiens geknüpft ist.
Es scheint, daß die Geduld und Mäßigung des Königs nun ein Ende haben. Aber Seine Majestät hat Mitleid mit einem benachbarten unglücklichen Volke, das an den ihm zugefügten Kränkungen unschuldig ist; und da er das Elend und die unvermeidlichen Verheerungen des Krieges kennt, hat er die gerechte Vollstreckung seiner<181> Rache noch hinausgeschoben, um mit dem Dresdener Hofe neue Wege zum gütlichen Vergleich anzubahnen. Da er jedoch abermals eine völlige Zurückweisung erfahren hat, so ist zu vermuten, daß das Vertrauen des Königs von Polen durch die schänd-liche Treulosigkeit seiner Minister gemißbraucht worden ist. Die beweglichsten Vor-stellungen und die vorteilhaftesten Anerbietungen sind ganz umsonst verschwendet worden181-1.
Diese seltsame Verblendung zeigt also, daß das Maß voll ist, und es bleibt Seiner Majestät, nachdem alle Wege der Aussöhnung beschritten sind, kein anderer Entschluß, als der Gewalt mit Gewalt zu begegnen und seinen Untertanen, gegen die der König von Polen und Kurfürst von Sachsen so viele Gewalttaten und Unmenschlichleiten verübt hat, wirksamen Schutz zu gewähren, den verderblichen Absichten des starrsinnigen und unversöhnlichen Fürsten zuvorzukommen und die sächsischen Untertanen das gleiche Leid fühlen zu lassen, das er ungestraft den Staaten des Königs antun zu dürfen glaubt, gegen die er, wie es scheint, neue Eroberungspläne geschmiedet hat. Des Königs Absicht ist, einen ehrgeizigen und unversöhnlichen Fürsten zu maßvoller Gesinnung zu bringen.
Welcher Erfolg Seiner Majestät bei den nun bevorstehenden Operationen in Sachsen auch beschieden sein mag, er wird stets bereit sein, die Vorschläge, die ihm etwa gemacht werden, entgegenzunehmen, sofern sie billig und mit seinem Ruhme vereinbar sind. Indem der König von Preußen einerseits Proben von Festigkeit und Energie ablegt, ist er andrerseits nicht minder geneigt, bei jeder Gelegenheit seine Seelengröße und Mäßigung zu beweisen.
<182>Briefe an das Publikum182-1
(März 1753)
1. Brief
Ich habe stets Ihren Geschmack geliebt und Ihre Neigungen geachtet. Ich kenne Ihre unersättliche Begier nach Neuigkeiten und hege den Ehrgeiz, sie zu sättigen. Die gewöhnlichen Begebenheiten, wie sie Ihnen die kleinen Gesandten182-2, die Sie in Europa unterhalten, wöchentlich zweimal erzählen, sind Ihnen langweilig geworden. Sie wollen etwas Besonderes, Sie wollen erstaunliche Neuigkeiten. Ihre Gesandten melden Ihnen dann und wann unglaubliche Dinge. So wahr sie auch ohne Zweifel sind, sie befriedigen Sie nicht, Sie lieben in der Politik die Geheimnisse. Auch ich besitze diese Neigung nebst einer großen Geschicklichkeit, sie zu entdecken. Das setzt mich in den Stand, Sie von dem Geheimsten zu unterrichten, was jetzt an einem gewissen Hofe vorgeht. Sie begreifen auch ohne Erklärung, daß in unserer Sprache ein gewisser Hof den Hof zu Berlin bedeutet. Ich habe diese Nachrichten aus erster Hand. Es sind keine Gerüchte, sondern Tatsachen, die ihre völlige Richtigkeit haben. Ich habe erstaunliche Dinge entdeckt und vertraue sie Ihnen um so lieber an, als mir Ihre Klugheit und Verschwiegenheit bekannt ist und dies Geheimnis also unter uns beiden bleiben wird.
Zittern Sie für die Ruhe Europas! Wir stehen vor einem Ereignis, welches das Gleichgewicht der Mächte, das unsere Väter so weislich geschaffen haben, über den<183> Haufen werfen kann. Es ist um das System des Abbe St. Pierre183-1 geschehen; nun wird es niemals verwirklicht werden können! Ich habe erfahren, daß vor wenigen Tagen bei Hofe eine große Beratung stattfand, der alle Würdenträger beiwohnten. Dort wurde eine Sache von solcher Wichtigkeit erörtert, wie sie seit Menschengedenken nicht vorgekommen ist. Ein Tonkünstler aus Aix in der Provence schickt zwei Menuette, an denen er seit zehn Jahren komponiert hat, und bittet, sie beim Karneval spielen zu lassen. Das mag den oberflächlichen Geistern höchst seicht erscheinen, aber wir StaatsMänner wissen, was hinter allem steckt, und gehen den Dingen bis zu ihren letzten Konsequenzen nach. Wir sind viel zu gründlich, um so etwas für eine Kleinigkeit anzusehen.
Als man über das Ansuchen beratschlagte, bildeten sich zwei Parteien; ein Teil war für die Menuette und ein anderer dagegen. Die Fürsprecher der Menuette behaupteten, sie müßten gespielt werden, um durch diese Auszeichnung die zu ermuntern, die einer gewissen Macht wohlwollen, aber leider nicht sehr zahlreich sind. Die Gegner versetzten, es sei wider die Ehre der Nation, fremde Menuette spielen zu lassen, da im Lande selbst so viele neue gemacht würden. Hierauf antworteten jene, daß auch fremde Menuette gut sein könnten, und daß die Liebhaber der Künste mehr Achtung vor der Kunst als vor dem Vaterlande oder vor dem Ort haben müßten, woher die Menuette gekommen seien. Diese Gründe überzeugten die Gegner nicht; sie behaupteten vielmehr, daß man diese Menuette als Konterbande behandeln müßte. Gegen diese Entscheidung protestierten die Menuettisten heftig und bemühten sich zu beweisen, daß, wenn man fremde Menuette als Konterbande behandeln wollte, man dadurch allen anderen Völkern das Recht gäbe, ihrerseits alle Erzeugnisse Preußens zu verbieten, daß den Handel einschränken ihn vernichten hieße, und schließlich, daß es andere Mächte nicht kaltblütig dulden würden, wenn man es darauf anlegte, ihre MeWette von den Bällen und Festen auszuschließen. Hierüber erhitzten sich ihre Gegner und behaupteten, man müsse den Eigennutz und alle anderen Rücksichten stets dem Ruhme opfern; es sei gegen die Würde eines Hofes, nach anderen Klängen als den einheimischen zu tanzen; die Menuettisten seien Neuerer, die fremde Bräuche im Lande einführen wollten; man dürfe sich von seinen alten Gewohnheiten niemals abbringen lassen, auch wenn sie nichts taugten, und endlich, diese Menuette verdürben die Sitten. Der Streit ward so hitzig, daß alle zugleich redeten, jeder Recht haben wollte und auch die am wenigsten Aufgebrachten schon mit Grobheiten präludierten. Kurz, die Sitzung mußte aufgehoben werden.
Der Rat versammelte sich am nächsten Tage von neuem, um die Debatte wieder aufzunehmen. Der Enthusiasmus hatte mittlerweile abgenommen, und es war eine Friedenspartei entstanden. Um es jedermann recht zu machen, schlugen diese Frie<184>densstifter vor, man möge gestatten, daß das Menuett, das in Moll komponiert ist, gespielt werde, das andere aber nicht. Obwohl nun diese Vermittlung, weil sie vernünftig war, nicht angenommen wurde, ließen sie sich dadurch nicht abhalten, einen neuen Vorschlag zu wagen, nämlich die Menuette zu spielen, aber nicht zu tanzen. Das wurde mit beträchtlicher Stimmenmehrheit verworfen, und man versichert, daß jetzt eine Art von Manifest unter der Presse ist, worin die Gründe für die Nichtaufführung der Menuette dargelegt werden.
Dieser Schritt kann äußerst folgenschwer werden. Da ganz Europa und vor allem Ihre Neugier Anteil daran nehmen wird, so will ich mich eifrig danach erkundigen, was weiter vorgehen wird. Fest steht, daß der Hof sich mit dieser Angelegenheit eingehend beschäftigt, und das ist auch ganz natürlich, wenn man ihre Wichtigkeit bedenkt: ein Menuett kann eine sehr ernsthafte Sache werden. Wie viele derartige Beispiele könnte ich nicht anführen? Ein Kopfputz, den die Königin Anna von England erstehen wollte und den Lady Marlborough kaufte, zerriß die furchtbare Koalition der Mächte, die Frankreich bekriegten, und führte den Frieden herbei, den die Königin Anna im Jahre 1713 schloß184-1. Eine Verbeugung, die Cäsar den im Konkordiatempel versammelten Senatoren zu machen vergaß, bestimmte Brutus, sich gegen ihn zu verschwören. Und war nicht ein Apfel an all dem Unglück schuld, das den Nachkommen der ersten Bewohner des Paradieses widerfahren ist?
Sie werden mir zugeben, daß ein Menuett so viel wert ist wie ein Kopfputz, eine Verbeugung oder ein Apfel. Man muß nur abwarten, und wir werden schon sehen, was daraus entstehen wird. Ich halte jetzt, wo ich an Sie schreibe, noch zu sehr zurück; denn es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich mir diese Freiheit nehme. Ich verspreche Ihnen aber, mich bei der ersten Gelegenheit nicht mit den gewöhnlichen Mutmaßungen zu begnügen, sondern die allerwunderbarsten und ausschweifendsten Vermutungen zu wagen, wenn möglich, mit noch mehr Unverschämtheit als Ihre tleinenGesandten,deren Eintönigkeit und Abgeschmacktheit Sie zu verdrießen beginnt. Wenn diese Nachrichten, die ich mit der heutigen Post sende, Ihre Neugier nicht reizen, so verspreche ich Ihnen künftig ebenso, romantische und noch weit seltsamere.
P.S. Soeben erfahre ich, daß die anderen Höft Stellung zu der Menuettfrage genommen haben und binnen kurzem an unserem Hofe die ernstlichsten Vorstellungen machen werden. Das übrige mit der nächsten Post.
<185>2. Brief
Die große Angelegenheit, die uns beschäftigt, wird von Tag zu Tag verwickelter. Die Zwischenfälle, die wir voraussahen, sind zum Teil eingetreten. Man sieht nichts als ankommende und abgehende Kuriere, von deren Depeschen jedoch nichts verlautet. Der Botschafter von Fez hat unserem Ministerium eine Denkschrift überreicht. Sein Hof nimmt sich der Musik von Atz eifrig an, und die Denkschrift erklärt in bündigen Worten, daß der König von Fez die Weigerung, sie spielen zu lassen, als eine Beleidigung ansehen werde, die man ihm in seinen Bundesgenossen antut.
Auch der Botschafter des Hospodars der Walachei hat in dieser Sache Vorstellungen erhoben und hinzugefügt, sein Herr sähe sich genötigt, mit der Stadt Atz gemeinsame Sache zu machen, um die Ehre ihrer Menuette zu retten, zumal er unlängst eine französische Musikakademie in Argis185-1 gegründet habe.
Bisher haben alle Vorstellungen nichts gefruchtet. Unser Hof besteht auf seinem Entschluß und scheint die Sache bis zum Äußersten treiben zu wollen. Jedermann war über diese Unbeugsamkeit erstaunt, ist es aber nicht mehr, seit man aus sicherer Quelle erfahren hat, daß der Hof in seinem Eigensinn durch das geheime Schutzund Trutzbündnis bestärkt worden ist, das er soeben mit der Republik San Marino geschlossen hat. Salomo hat wohl mit Recht gesagt, daß schließlich alles offenbar wird; denn unserem Scharfsinn bleibt nichts verborgen. Bündnisse, Verträge, geheime Konventionen, alles ergründen wir. Man errät dies, erfährt jenes, fügt seine Mutmaßungen hinzu, und schließlich kennt man die Verträge so gut, als hätte man sie selber gemacht.
Sie werden sich sehr wundern, hier den geheimen Artikel dieses neuen Bündnisses zu finden; aber hören Sie, wie er in unsere Hände fiel! Der Botschafter von San Marino speiste jüngst bei dem Botschafter der dreizehn Kantone und ließ beim Herausziehen des Schnupftuches den Geheimartikel des Vertrages aus der Tasche fallen. Der Artikel ward sogleich aufgehoben, und wir waren so glücklich, ihn uns zu verschaffen. Wie vorsichtig muß doch ein Botschafter sein, und wie gefährlich ist es für ihn, ein Schnupftuch aus der Tasche zu ziehen! Hier ist er.
Der geheime Artikel
„Ferner verpflichtet sich Seine Majestät der König von Preußen, falls die Durchlauchtigste Republik San Marino wegen des jetzt geschlossenen Bündnisses durch schlechte Serenaden oder durch unliebsame Kastagnettentänze beunruhigt werden sollte, ihr auf seine Kosten ein Kriegsschiff von hundert Kanonen und vier Fregatten<186> zu stellen, die in seinem Hafen von Halberstadt zum Dienste besagter Republik stets bereit liegen sollen. Falls sie aber wegen widriger Winde oder anderer Umstände Subsidien vorzieht, soll dies Geschwader auf 400 Limes veranschlagt werden, zahlbar in der Münze, mit der der Kölner Zeitungsschreiber vor zehn Jahren bezahlt wurde186-1, eine Summe, die der Republik von ungeheurem Nutzen wider ihre Feinde sein kann.
Dagegen verpflichtet sich die Durchlauchtigste Republik San Marino, in allem, was die Menuettfrage betrifft, mit Preußen zu gehen, und erklärt das alte Bündnis zwischen besagter Republik und der Stadt Aix, das seit den Zeiten Peters von Provence und der schönen Magelone186-2 besieht, und kraft dessen sie besagter Stadt den ungestörten Besitz ihrer Musik garantiert, für null und nichtig, behält sich aber wohlverstanden vor, ihre Worte so oder so auszulegen, gleichzeitig ganz entgegengesetzte Verpflichtungen nach ihrem Gutdünken einzugehen und die alten Verträge zu entkräften, sobald es ihr in den Sinn kommt, neue zu schließen. Sie verspricht Seiner Majestät dem König von Preußen, ihr Kontingent bereit zu halten, damit es in Tätigkeit treten kann, sobald der casus foederis es erfordert. Das Kontingent soll aus drei Bierfiedlern und drei Marketenderinnen bestehen. Falls aber Seine Majestät der König von Preußen es für angezeigt hält, diese Beihilfe in Geld zu verwandeln, so soll die Durchlauchtigste Republik vom Augenblick der Kriegserklärung an jährliche Subsidien in Höhe von anderthalb Zechinen, vier Soldi und zehn Hellern bezahlen.
„N.B. Die Hilfe soll beiderseits bereit gehalten werden, um spätestens dm Monate nach erfolgter Aufforderung abgehen zu können. Falls diese Hilfe nicht hinreichen sollte, verpflichten sich die hohen Kontrahenten, die Zahl zu verdoppeln. Dieser Sonderartikel soll ganz geheim gehalten werden und die gleiche Kraft wie der Hauptvertrag haben. Ferner verpflichten sich beide Teile, die anderen befreundeten Mächte zum Beitritt zu dieser Allianz einzuladen.“
Der Hauptvertrag ist noch nicht bekannt geworden. Da er aber dazu gemacht ist, aller Welt mitgeteilt zu werden, so versichern wir Ihnen im voraus, daß die Lektüre sich nicht lohnen wird. Die Quintessenz des Giftes, sein Zartestes und Feinstes, steckt in dem Geheimartikel, weshalb er auch eine rechte Wollust für Sie sein wird. Der Botschafter von Fez war bei dem Gastmahl zugegen, wo dieser Geheimartikel verloren ging; er hat ihn ungesäumt abschreiben lassen und ihn durch seinen Lautenspieler (der in Fez eine große Rolle spielt) unmittelbar an seinen Hof geschickt. Da alle Umstände bei einer solchen Angelegenheit von Bedeutung sind, dürfen wir nicht verschweigen, daß das linke Schulterblatt des Kuriers gekrümmt und sein Pferd ein Kroatengaul war.
<187>Dies große Ereignis öffnet unseren Mutmaßungen ein weites Feld. Sollte es zum Kriege kommen, so können die Stadt Aix, der König von Fez und der Hospodar der Walachei ihr Bündnis durch den Beitritt Chouli-Khans, des Gerechten, der seinen Oheim und seine Brüder blenden ließ, sowie des jetzt regierenden Schahs von Persien verstärken. Sollten diesen aber die inneren Unruhen, die sein schönes Reich aufwühlen, allzusehr in Anspruch nehmen, so bleibt ihnen immer noch das Bündnis mit dem Großmogul oder dem Kaiser von Japan, aus deren Ländern sie Kamele und wirkliche Elefanten beziehen könnten. Es ist unmöglich, daß ein gewisser Hof so vielen vereinten Mächten widersteht, und es ist zu hoffen, daß endlich der glückliche Tag kommen wird, wo er seinen Feinden unterliegt. Welche Freude werden uns diese so sehnlichst erwünschten Ereignisse bescheren! Wie zufrieden werden Ihre Neuigkeitsfabrikanten sein, ihre Prophezeiungen endlich erfüllt zu sehen, und wieviel Dank werden sie nicht den beiden Menuetten schulden, deren eines in Moll komponiert ist!
Unterdessen gehen die Feste und Bälle hier ihren gewöhnlichen Gang. Der Hof denkt an nichts als an Vergnügungen und lebt in der Sicherheit, die den großen Katastrophen vorangeht. Wir aber, die wir weiter sehen, als unsere Nasen reichen, die wir das Gras wachsen hören, wir verkündigen gleich der unglücklichen Kassandra, daß das Maß voll ist, daß die Tage der Trauer nahe sind, und daß man hier, trotz der Durchlauchtigsten Republik San Marino, ja selbst der Republik Lucca, in kurzem eine Barbarenhorde sehen wird, die für die Menuette aus Aix in der Provence Rache nimmt und die Musik des trefflichen Opernmachers verbrennt, daß wirkliche Elefanten das Orchester niedertrampeln werden, daß, um das Unglück voll zu machen, dies Barbarenvolk die Stimme der Herren, die auf unseren Bühnen den Diskant singen, in schrecklichen Baß verwandeln wird, daß die Jungfrauen, die an eben diesen Bühnen so keusch ihres Amtes walten, geschändet werden, und daß man als einzige Musik nur die beiden Menuette aus Aix hören wird, deren eins in Moll komponiert ist.
Sollte diese Prophezeiung nicht eintreffen, so werden wir diesen widrigen Zufall mit dreister Stirn ertragen und doch nicht aufhören, zu prophezeien. Unseren Herren Kollegen aber, die sich gleich uns mit Voraussagen der Zukunft beschäftigen, raten wir, wenn sie die künftigen Ereignisse nicht treffen, die der Vergangenheit zu prophezeien oder auf ein Jahrhundert voraus zu weissagen.
Soeben erfahren wir, daß der Botschafter von Fez die Kolik bekommen hat und sich an der großen Zehe elektrisieren lassen will. Wie ein berühmter Arzt versichert, kommt sein Übel daher, daß er sich im Schimpfen übernommen hat. Sein Wundarzt behauptet, es sei eine diplomatische Krankheit, und er habe es für angebracht gehab ten, sich vom Hofe zu entfernen.
P.S. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, daß mein Stil an Eleganz und edler Kühnheit dem Ihrer Korrespondenten nicht gleichkommt. Ich studiere unablässig in Ihren Archiven, um diesen Grad der Vollkommenheit zu erreichen. Ich fange an,<188> mir ihre Wendungen anzueignen, und werde mich demnächst gewisser kräftiger, nerviger und malerischer Beiwörter bedienen. z. B. der Hospodar ohne Treu und Glauben soll den Hospodar der Walachei bedeuten; mit dem treulosen und verräterischen Fürsten meine ich den König von Fez. Ich will alle Kräfte aufbieten, um mich durch meinen Eifer Ihrer Güte und Ihres Vertrauens würdiger zu machen. Das übrige mit der nächsten Post.
3. Brief
Schreiben des Grafen Rinochetti, ersten Senators der Republik San Marino, an Baron von Zopenbrug, Minister Seiner Majestät des Königs von Preußen
Herr Minister! Wir haben mit ebenso großem Erstaunen wie Unwillen vernommen, daß eine Art von Zeitungsschreiber Unverschämtheiten über unsere Durchlauchtigste Republik geschrieben hat, und daß diese anstößige Schrift in der Hauptstadt Ihres Herrn und Königs gedruckt und verkauft worden ist.
Bisher hat keine Schrift, keine Zeitung aus Berlin irgendwen beleidigt. Übrigens ist uns bekannt, daß Seine Majestät der König von Preußen die Schmähschriften gegen Privatpersonen streng bestraft. Es befremdet uns daher um so mehr, daß man den Druck des Werkes, das zu unseren Klagen Veranlassung gibt, erlaubt hat, und wir wagen zu hoffen, Ihr Herr und König werde es nicht dulden, daß in seinen Staaten eine Privatperson einen Souverän beschimpft. Wir schmeicheln uns, daß Höchstdieselben geruhen werden, den Elenden zu bestrafen, der uns so schwer beleidigt hat. Er druckt Verträge und Geheimartikel; es scheint sogar, daß er uns lächerlich machen will. Wahrhaftig, das ist nicht zu ertragen, und wir brauchen eine sinnfällige Genugtuung! Allerdings gibt es in Europa einige Staaten, die mächtiger sind als der unsere; muß man uns aber darum verachten, weil wir nicht die Stärksten sind? Gleichwohl weiß meine Durchlauchtigste Republik sich in Italien Ansehen zu verschaffen. Wir haben allein, ohne Bundesgenossen, den Ränken des Kardinals Alberoni188-1, den Bullen und Bannflüchen der Kurie, sowie allen Anfeindungen widerstanden. Wir haben die Ränke unserer Feinde aufgedeckt, ihreAnschläge vereitelt, für unsere Freiheit gestritten und uns aufrechterhalten. Wären diese Taten zu Bern, Venedig oder Amsterdam geschehen, würden sie deshalb rühmlicher sein als in San<189> Marino? Rom war in seinen Anfängen nicht einmal das, was wir jetzt sind. Wohlleben hat unsere strengen Sitten nicht verderbt; man sieht bei uns altväterische Tugend. Unsere Mäßigkeit und Einigkeit erhalten unseren Staat; wir haben nichts Kostbareres als unsere Freiheit und unseren guten Ruf: weder ein unseliger Zeitungsschreiber noch irgend eine Macht auf der Welt soll uns dies unschätzbare Gut rauben! Wir hoffen, Seine Majestät wird es nicht länger dulden, daß man uns verunglimpft, sondern als König sich der Sache einer souveränen Republik annehmen. Wir schmeicheln uns, Herr Minister, daß Sie durch Ihr großes Ansehen unsere gerechten Vorstellungen unterstützen und meiner Durchlauchtigsten Republik die Genugtuung verschaffen werden, die sie von der Billigkeit Ihres Herrn und Königs erwartet. Ich habe die Ehre zu sein Ihr usw.
Antwort des Barons von Zopenbrug, Staatsministers Seiner Majestät des Königs von Preußen, an den Grafen Rinochetti, ersten Senator der Republik San Marino
Herr Graf! Sofort nach Empfang des Briefes, mit dem Sie mich beehrten, habe ich Seiner Majestät Bericht darüber erstattet. Sie können versichert sein, daß hier jedermann heftig die Privatpersonen verurteilt, die durch ihre Schriften Souveräne zu beleidigen wagen. Vom Papst und vom Kaiser bis herab zum Bischof von konstanz und dem Fürsten von Zipfelzerbst müssen alle regierenden Häupter vom Publikum respektiert werden, sie mögen stark oder schwach, Bundesgenossen oder Feinde sein; das macht keinen Unterschied, und der Anstand erfordert, daß man nur in geziemenden Ausdrücken von ihnen spricht. Die großen Herrscher ehren sich in ihresgleichen. Dulden sie bei sich, daß ein Privatmann eine fremde Macht beleidigt, so vergessen sie, was sie sich selber schuldig sind. Seit einiger Zeit ist der Mißbrauch der Presse bis zum Äußersten gestiegen. Privatleute haben über die Bosheit der Schriftsteller zu klagen gehabt, und mehr als eineMacht ist von diesen Leuten beleidigt worden, die Neuigkeiten zusammenstoppeln, um ihr Leben zu fristen, die mehr Lügen als Wahrheiten verbreiten und sich zu Aretinen189-1 unseres Jahrhunderts auswerfen. Aber, Herr Graf, niemand mißt den Nachrichten, die sie verbreiten, Glauben bei, und da sie das Publikum nur allzu oft gröblich hinters Licht geführt haben, sind ihre Nachrichten unglaubhaft geworden. Man hat nicht gewartet, bis Ihre Durchlauchtigste Republik ihre gerechten Beschwerden gegen die heimlichen Nachrichten anbrachte, die hier ausgestreut wurden. Man hat die Schrift sogleich verboten und dem Verfasser ernstlich untersagt, ohne Erlaubnis zu schreiben. Ich hoffe, daß die Großmut Dero Durchlauchtigster Republik sich mitdieser Züchtigung begnügen wird. Einem Schwätzer öas Reden oder einem Hirnverbrannten das Schreiben verbieten, ist die größte<190> Strafe, die man ihm auferlegen kann. Wir halten es mit der Achtung, die man fremden Mächten schuldet, äußerst streng, und nimmermehr wird man hier zugeben, daß jemand, er sei wer er wolle, es an Ehrerbietung gegen sie fehlen läßt.
Ich bin hocherfreut, daß diese Lappalie mir Gelegenheit verschafft hat, Ihrer Durchlauchtigsten Republik einen Dienst zu leisten und die Bekanntschaft mit einer Persönlichkeit zu machen, deren Ruf so groß ist wie der Ihrige.
In dieser Gesinnung verbleibe ich usw.
<191>Schreiben des Kardinals Richelieu an den König von Preußen191-1
(Oktober 1756)
Elysium, den 15. Oktober 1756.
Majestät!
Seit einiger Zeit ist eine Anzahl Erdenbewohner zu uns gekommen, die uns berichtet haben, welche Erfolge Ew. Majestät über Ihre Feinde errungen haben191-2. In unserem friedlichen Aufenthaltsort ist von nichts die Rede, als von Ihren Siegen. Obwohl die Schatten für die Welt unter dem Monde nicht mehr solche maßlose Anhänglichkeit besitzen wie deren Bewohner, bleiben sie doch der Gesinnung treu, die jeder Staatsbürger haben muß.
Mithin nehme ich, obwohl tot, an den Erfolgen Frankreichs teil. Mein Interesse gilt dem Ruhm eines Staates, den ich ehedem lenkte, und ich empfinde die holde Freude eines Vormunds, der sein ihm anvertrautes Mündel gedeihen sieht. Als guter Franzose also wage ich Ew. Majestät zu Ihren glücklichen Erfolgen zu gratulieren, die der französischen Monarchie so zum Vorteil gereichen. Wie ich sehe, folgen Ew. Majestät meinem Beispiel und weichen nicht von meinen Grundsätzen ab. Sie verlieren Frankreichs wahre Feinde nicht aus den Augen, und indem Sie unbeirrt an der gesunden Politik festhalten, kommen Sie an Heldentaten Gustav Adolf gleich. Ach, wie sehr zolle ich den weisen Maßnahmen Beifall, womit Ew. Majestät den weitgreifenden Plänen des Hauses Österreich Schranken setzen! Sie also legen seiner Begehrlichkeit und Ehrsucht Zügel an! Sie sind, Majestät, der beste Bundesgenosse, den Frankreich je gehabt hat. Mir fehlte zu meinem Glücke nichts, als in Ihrem Zeitalter geboren zu sein.
Seit meinem Tode haben die Dinge sich freilich gründlich verändert! Aber ich weiß über den gegenwärtigen Stand der Geschäfte Bescheid, genau so, als ob ich mit ihnen noch betraut wäre. Durch Kardinal Fleury, dessen liebenswürdiger Schatten in unsere<192> seligen Gefilde hinabgestiegen ist192-1, erfuhr ich, daß die Franche-Comté, Elsaß und Lothringen nun zu Frankreich gehören, und daß das Haus Bourbon in Spanien und in Italien regiert. Wie er mir sagte, ist aus der Asche des Hauses Österreich ein neuer Zweig entsprossen, der tiefe Wurzeln geschlagen und durch die bewundernswerte Ordnung in seinen Finanzen und die Zucht seiner Truppen mehr Kraft gewonnen hat, als er durch die Lostrennung mehrerer Provinzen verlor. Ferner hat Kardinal Fleury mich über das ränkevolle Verhalten dieses neuen Hauses Österreich unterrichtet, das, ebenso ehrgeizig wie das alte, seine Schlingen unter Blumen zu verbergen weiß, das mit Sappen vorgeht, anstatt offen zu stürmen, das seine Feinde einlullt, anstatt sie zu bekämpfen, und das alle möglichen Formen anzunehmen weiß, um die wahre zu verbergen. Diesen Proteus, Majestät, haben Sie wie ein zweiter Herkules gezwungen, seine ursprüngliche Gestalt wieder anzunehmen, und durch Ihre Siege haben Sie dem Überfluten seines Ehrgeizes einen Damm entgegengesetzt.
Wir Bewohner des Elysiums, Majestät, deren leichter Geist alle irdischen Hüllen und alle Erdenschwere der Lebendigen abgestreift hat, wir kennen die Zukunft so gut wie die Gegenwart. Unsere Augen durchschauen jeden Kunstgriff. Mit einem Blick erkennen wir die Wirkungen aus den Ursachen. Daher fielen mir neulich, als ich Europa musterte, die gefährlichen Pläne auf, die das neue Haus Österreich schmiedet. Ich sah, Majestät, daß dies Haus Österreich, oder vielmehr das Haus Lothringen, sich in der Hoffnung wiegt, Ihre Macht zerschmettern zu können, um seinen Despotismus und seineTyrannei in Deutschland aufzurichten, daß es Frankreich seines treusten Verbündeten berauben wollte, um dann mit allen Kräften des Heiligen Römischen Reiches gegen den Allerchristlichsten König vorzugehen. Ich sah, daß Schweden nicht mehr das ist, was es früher war, daß sich auf den Trümmern des Thrones eine grausame, blutdürstige Aristokratie erhebt192-2, und daß folglich mein Vaterland ohne Sie keinen Verbündeten mehr im Norden hätte. Ich sah, daß eine neue Macht, die erst halb der Barbarei entwachsen, aber durch ihre Truppenzahl furchtgebietend ist, eine Macht, die vom Eismeer bis zum Maötischen See192-3 herrscht, mit Hilfe des Deutschen Kaisers die Nachkommen Solimatts und Mohammeds zu Boden zu schlagen vermocht hat192-4. Beugte also Frankreich hier nicht vor, so sähe es sich einem Feinde gegenüber, der mächtiger ist als Karl V., ehrgeiziger als Ferdinand II. und tatkräftiger als Karl VI., einer Macht, die unaufhörlich die Franche-Comté, Elsaß und Lothringen, ja vielleicht auch Flandern, zurückfordern würde und deren weltgreifende Pläne wohl gar auf Vertreibung der Bourbonen aus Italien abzielen. Wie viele Kriege müßten in dieser schicksalsvollen Zukunft entbrennen! Wieviel hochherzige Franzosen müßten, vor der Zeit hingerafft, zu uns herabsteigen in unsere friedlichen Wohnungen! Ihnen, Majestät, war es vorbehalten, so viel Übeln vorzubeugen, unseren Königsthron zu be<193>festigen und die Hydra niederzuschlagen, deren stets neu wachsende Köpfe das Reich der Lilien immerfort bedrohen.
Nach so ruhmvollen Taten, nach einem so langen und glücklichen Leben, wie ich es Ew. Majefiät wünsche, werden Sie in diesen seligen Gefilden Wohnung nehmen, um unsere Huldigungen zu empfangen. Ich hoffe, Ew. Majestät werden dann geruhen, unter Ihrer Umgebung den zu erkennen, der die Ehre hat zu verharren als
Ew. Majestät
untertänigster und aufrichtigster Bewunderer
Armand Jean du Plessis, Kardinal und Herzog von Richelieu.
Schreiben eines Schweizers an einen venezianischen Nobile
(September 1758)
Mein Herr! Sie wollen von mir wissen, was in Deutschland Neues vorgeht. Sie kommen an die falsche Adresse. Bei meinem zurückgezogenen Leben kümmere ich mich wenig um die erlauchte Räuberei unserer modernen Helden; ich lebe nur im Altertum und beschränke meine Wißbegier auf die Neuigkeiten von Haus, Herd und Garten.
Sie fragen weiter, ob ich glaube, daß die Verschwörung so vieler Monarchen zur Unterdrückung eines Einzigen194-1 den Gesetzen der natürlichen Billigkeit entspricht. Auf diese Rechtsfrage ist die Antwort leicht, zumal meine Zurückgezogenheit mich der unerbittlichen Rache der kleinen Tyrannen entrückt, die unser armes Europa beherrschen oder vielmehr auf den Kopf stellen. Erinnern Sie sich bitte, daß ich in einem Freistaate lebe, dessen Bräuche und Gewohnheiten ich seit geraumer Zelt angenommen habe, und daß ich mich nicht so weit erniedrigen kann, meine Gedanken zu verhüllen und mit Ihnen in der Sprache der Höfe zu reden, in der auch die Ehrlichsten ihre Gefühle nur zum geringsten Teil andeuten und durchblicken lassen. Ich antworte Ihnen mit dem Freimut eines Philosophen, der sein Herz an nichts auf der Welt hängt und daher ohne Furcht und Hoffnung lebt.
Wer zugibt, daß Cartouche und seine Bande unschuldig hingerichtet worden sind194-2, könnte auch das Verfahren Ihrer Staatsmänner entschuldigen: sie wollen sich in die Staaten eines Fürsten teilen, die ihre Begehrlichkeit und ihren Neid erregen. Mußte jedoch die Justiz, wie Sie wohl nicht bezweifeln, Cartouche und seine Spießgesellen hinrichten lassen, um Mord, Raub und Plünderung zu verhindern und die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen, so werden Sie zugeben müssen, daß die hochgestellten Personen, die das gleiche Verbrechen begehen, die gleiche Straft verdienen. Ob eine<195> obskure Räuberbande ein paar Morde begeht und einige Bürger ausraubt, oder ob ein mit den erlauchtesten Namen prunkendes Bündnis sich das Ziel setzt, Europa durch Krieg zu verheeren, um einen Fürsten auszurauben, der keinen Bundesgenossen hat als seine eigene Kraft — es bleibt doch wohl das gleiche. Besieht aber ein Unterschied, so liegt er darin, daß die Wirksamkeit dieser Staatsmänner von größerer Tragweite ist, somit um so verbrecherischer wird durch all das Unglück und Elend, das nicht nur einige Bürger oder Familien trifft, sondern ganze Völker und Nationen.
Gewiß hätte Cartouche an der Stelle dieser Leute, die ganz Europa gegen eine einzige Macht in Aufruhr bringen, nicht anders gehandelt. Vergleichen Sie sein Benehmen mit dem Ihrer Staatsmänner, so finden Sie das gleiche Verfahren, die gleichen Mittel und ein ähnliches Ziel. Da Cartouche allein zu schwach war, um große Räubereien zu vollführen, rottete er sich mit einer Anzahl von Verbrechern, von Armen und Elenden zusammen, die wie er hundertmal dem Rad und Galgen entronnen waren. Ihre Minister arbeiten an allen europäischen Höfen mit Bestechung und Ränken, um Mitschuldige für ihr Verbrechen zu finden. Sie versichern, die Beute werde gut sein195-1, und versprechen den anderen einen Anteil daran. Kurz, durch Aufstachlung der Ehrsucht und des Eigennutzes gelang es ihnen, jene Verschwörung zu bilden, die der Ruhe Europas so verhängnisvoll ward. Cartouche nahm sich vor, mit seiner Bande ahnungslose Reisende zu überfallen, in Häuser einzubrechen, um sie auszurauben und alles Wertvolle fortzuschaffen. Die Liga, von der Sie reden, will mit möglichster Sicherheit die Staaten eines großen Herrschers plündern, zerstören, verheeren und sie ihm rauben, wenn sie es vermag. Das ist völlig das gleiche. Was Cartouche zum Verbrechen trieb, war große Faulheit, schlechte Wirtschaft, zügelloser Eigennutz und ein verderbliches Hintenansetzen jeder Tugend und jedes Ehrgefühls. Daraus können Sie schließen, daß ähnliche Missetaten die gleichen Ursachen haben müssen, und daß sie nur bei betrüblicher Herzensverderbnis und einer sehr falschen Vorstellung vom wahren Ruhme entstehen können.
Aber da taucht eine ganz andere Frage auf: Sind denn die Großen und die Herrscher verpflichtet, sich in allen ihren Handlungen streng an die Gesetze zu halten, die die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft gewährleisten, oder gibt es Fälle, wo der Vorteil ihrer Staaten und große Interessenfragen sie davon lossprechen können?
Ziehen Sie Machiavell zu Rate, so wird er Ihnen sagen, daß alle Mittel gut und rechtmäßig sind, wenn sie nur dem Vorteil und Ehrgeiz der Fürsten dienen. Das ist Verbrechermoral, und solche Grundsätze sind um so abscheulicher, als man, wenn alle Herrscher sich nach ihnen richteten, besser täte, in Gesellschaft von Tigern, Panthern und Löwen als in der Gesellschaft von derart handelnden Menschen zu leben. Schlagen Sie Hugo Grotius auf, so werden Sie finden, daß dieser weise und gelehrte<196> Rechtskundige nur eine Tugend, eine Moral für alle Menschen gelten läßt, weil die Handlungen an sich gut oder böse sind und die, welche sie vollbringen, ihren Wert und ihre Art nicht verändern. In seinem Buche über das Völkerrecht untersucht er die verschiedenen Gründe zum Kriege bis ins Genauste, wägt alle nach ihrem wahren Werte ab und legt dar, welches die rechtmäßigen und die ungerechten sind. Ich brauche Ihnen diese Stellen wohl nicht auszuschreiben; denn Sie haben ja lange in Deutschland geweilt und sich besonders mit jenem trefflichen Werke befaßt. Es gibt also für alle Menschen nur eine Tugend, eine Gerechtigkeit, deren Vorschriften sich keiner mit Anstand entziehen kann. Hinzu kommt, daß die Herrscher sich doppelt vor Missetaten hüten müßten, weil sie, wenn der Brauch allgemein wird, mehr unter der Wiedervergeltung leiden würden als die Bürger.
Aber, werden Sie fragen, wie kommt es, daß Handlungen, die sich im Grunde gleichen, von der Welt so verschieden aufgefaßt werden? Warum wird Cartouche auf dem Greveplatz gerädert, und warum überhäuft man Ihre Staatsmänner, die nach den gleichen Grundsätzen verfahren, mit Lob? Das kommt von einem lächerlichen Vorurteil, dem zufolge ein Raub ruchlos ist, wogegen Eroberungen ruhmreich sind. Trotzdem ward Cartouche zum Helden eines Epos196-1, weil er in seinem Gewerbe ohnegleichen war, und wenn Alberoni196-2 gelobt wurde, so galt das mehr seinem Genie als seinem Charakter. Seine Pläne waren so umfassend, daß unser Kontinent für sie zu klein schien. Sein unruhiger, tatenlustiger Geist brauchte noch andere Welten als die unsere, um sie umzuwälzen. Die Welt lobte seine großen Entwürfe, die sie blendeten, aber niemand hat ihn als Vorbild aufgestellt, und sicherlich fand die Begeisterung, die seine großen Pläne erweckten, ein reichliches Gegengewicht in dem Abscheu, den seine Ehrsucht und sein Charakter einflößten. Nur tugendhafte Taten machen die Menschen unsterblich; das Lob feiler Söldlinge und Modelaunen währen nicht lange; sie teilen das Los mäßiger Statuen, die wohl Ignoranten gefallen mögen, aber neben Meisterwerke gestellt, verblassen.
In dem ungeheuren Flutschwall von Schmeicheleien, mit denen man die MachtHaber jederzeit überschüttet hat, unter den zahllosen übertriebenen Lobsprüchen, mit denen Redner und Dichter in allen Zeitaltern ihre Schirmherren bedachten, findet man nichts dem Worte Vergleichbares, das Cato für alle Zeiten zur Ehre gereicht: „Sind auch die Götter mit Cäsar, Cato folgt dem Pompejus196-3.“ Offenbar war die Sache des Senats und des berühmten Römers, der sie verfocht, nur insoweit gerecht, als Cato für sie eintrat. Das ist eine Art des Lobes, nach der alle Minister und Machthaber streben sollten; wenigstens wäre es für das Wohl der Menschheit zu wünschen. Um so zu denken, muß man — das werden Sie zugeben — eine glück liche Natur haben, von Liebe zum wahren Ruhm erfüllt sein, muß man Seelenadel und<197> jenes Ehrgefühl besitzen, das in den schönen Zeiten der römischen Republik bei hochherzigen Menschen der fruchtbare Mutterboden wahrhaft heroischer Gesinnungen war. Seit aber die Römer mit der Schlichtheit ihrer Sitten die Unschuld verloren, seit Scipio Karthago besiegt und Mummius Korinth unterworfen hatte197-1, änderte sich offenbar der Charakter der Welteroberer. Die großen Tugenden wurden selten; mit dem Reichtum der Besiegten kamen alle Lasier nach Rom. Man mußte Geld haben, um die Ämter zu kaufen und das Volk zu besiechen. Es genügte nicht, tugendhaft zu sein, sondern man mußte auch für reich gelten. Der Eigennutz, dies niedrige, verlogene Lasier, ward fast zur allgemeinen Krankheit. Luxus und Verschwendungssucht, das Verlangen, sich durch prunkvolle Einrichtung und erlesene Köche hervorzutun, griff um sich, und der persönliche Vorteil siegte über die Liebe zum Vaterland und zum wahren Ruhme. Seitdem findet man bei den Beratungen des Senats nur noch selten Beispiele der alten Seelengröße, die ihn in den Augen der fremden Völker verehrungswürdig gemacht hatte. Derselbe Senat, der eifersüchtig nach der WeltHerrschaft trachtete, wurde unbedenklich in der Wahl der Mittel, die seinen Machtzuwachs erleichtern konnten. Die Folgen dieses Sittenverfalls zeigten sich in den Kriegen, die die Römer mit König Perseus, mit den Ätoliern, mit Antiochus und schließlich mit Jugurtha führten.
Was damals in Rom eintrat, zeigt sich heutzutage in Europa. Die schlimmen Sitten des Zeitalters sind fast allgemein geworden. Die Privatleute bringen sie in die großen Ämter mit, zu denen sie emporsteigen; sie verwalten die Staatsgeschäfte nach den gleichen Grundsätzen wie ihre persönlichen Angelegenheiten.
Ich glaube, mein Herr, ich habe schon zuviel über einen Gemeinplatz gesprochen. Ich wollte einen Brief schreiben, und nun ist es fast eine Abhandlung geworden. Vielleicht finden Sie den Vergleich mit Cartouche zu stark; immerhin werden Sie zugeben müssen, daß er zutrifft. Ich möchte, daß all die Ehrgeizigen und Selbstsüchtigen, all die Verbreiter der öffentlichen Seuchen, die unseren armen Erdteil so um barmherzig verheeren, wenigstens erfahren, daß ihre Bosheit sie in den Augen der gerechten Nachwelt nicht achtbar machen, daß das Urteil der künftigen Zeiten nicht günstiger lauten wird als das, welches ich auf Ihre Veranlassung kühn ausgesprochen habe.
Das Böse, das diese erlauchten Verbrecher verüben, erreicht mich in meinem stillen Erdenwinkel nicht; all diese tragischen, blutigen Ereignisse sind für mich nur ein Schauspiel. Europa ist für mich bloß eine Zauberlaterne; ich habe kein anderes InMesse als das der Menschlichkeit. Ich wünschte, man setzte dem Mord und Totschlag und all den Greueln, vor denen die Natur schaudert, ein Ziel, und machte sich klar, daß unser armes Geschlecht, das der Tod auf so mancherlei Art bedroht, nicht erst der Bosheit einiger galliger Staatsmänner bedarf, um schneller zum Orkus zu fahren.<198> Ich wünschte schließlich, die Weltbeherrscher würden vernünftig und alle Menschen glücklich. Das aber, werden Sie sagen, sind Visionen wie der Platonische Idealsiaat, oder vielleicht denken Sie von mir dasselbe, was man von dem verstorbenen Abbé St. Pierre198-1 sagte: daß er den Traum eines Ehrenmannes träumte. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich will lieber als Ehrenmann träumen, denn verbrecherische Taten begehen.
Doch genug jetzt! Ich merke, ich falle in die Fehler meines Alters. Sie haben mich zum Reden gebracht, und ich habe schon zuviel geschwatzt. Ich hoffe, Sie verzeihen es mir angesichts der Hochachtung, mit der ich verbleibe usw.
<199>Schreiben eines Sekretärs des Grafen Kaunitz an einen Sekretär des Grafen Cobenzl199-1
(September 1758)
Lieber Freund! Sehr verdrießt mich Ihre falsche Meinung über das Verhalten des Grafen Kaunitz in den jetzigen Wirren. Ich schreibe sie Ihrem Fernsein von Wien zu, den falschen Begriffen Ihrer Umgebung und alten Vorurteilen, die Sie irreführen. Sie meinen also, der Reichstag zu Regensburg handle zu vorschnell gegen den König von Preußen. Sie möchten, wie Sie sagen, daß seine Citationen199-2 und Advocatorien199-3 nicht veröffentlicht werden.
Ferner glauben Sie, unser Bündnis mit Frankreich sei kein festes Band, sondern etwas Erkünsteltes, den gegenseitigen Interessen Zuwiderlaufendes, und wir hätten besonders seit der Einnahme von Kap Breton199-4 samt und sonders zu fürchten, daß das Versailler Ministerium Vergeltung an uns üben werde? Wer dies alles muß ich Ihnen die Augen öffnen und Sie überzeugen, daß das Benehmen des Grafen Kaunitz nicht nur keinen Tadel, sondern höchstes Lob verdient.
Viele Gründe haben uns davon abgebracht, den König von Preußen zu schonen. Einer der hauptsächlichsten ist zweifellos der, daß es der Kaiserwürde entspricht, Proben ihrer Übermacht zu geben. Wenn wir den mächtigsten Reichsfürsten hart anfassen, schlagen wir alle anderen durch die Furcht nieder, die dies Verfahren ihnen einflößt. Der König von Preußen ist für das Haus Österreich nicht nur ein gefährlicher Feind, sondern auch ein zu fürchtender Nebenbuhler im Reiche. Mithin müssen alle treuen Untertanen unserer unvergleichlichen Kaiserin auch den letzten Blutstropfen verspritzen, um so viel, wie an ihnen ist, zur Vernichtung seiner Macht beizutragen. Seit dem letzten Frieden hatten all unsere Bemühungen und Maßregeln, kurz unser<200> ganzes System, nur den Zweck, Schlesien zurückzuerobern. Schlesien rundete unser Gebiet ab, lieferte uns Truppen, Geld und Versorgungen für viele vornehme Herren, die die Kaiserin jetzt nicht zufriedenstellen kann. Unser Plan beschränke sich nie auf die Eroberung Schlesiens, sondern ging stets auf die völlige Zerschmetterung des Königs von Preußen aus, damit keine Macht in Deutschland dem Kaiserhofe mehr Einhalt gebieten und er seine Herrschaft fest begründen kann. Alle geistlichen Fürsten sind unsere Kreaturen; auch die weltlichen müßte man dahin bringen, und zur Ausführung der kaiserlichen Befehle müßte die Absendung eines Kommissars genügen, sodaß wir auf Rosen gebettet waren.
Die Sache der Augsburger Konfession verlöre dadurch um so mehr, als der König von Preußen ihre einzige Stütze ist; da aber diese Sekte ihrem Verfall entgegengeht, verdient sie keine besondere Aufmerksamkeit von unserer Seite. Immerhin muß ich Ihnen gestehen, daß der Protestantismus uns bessere Dienste geleistet hat als der Katholizismus. Wir haben in Rom davon gesprochen, die Ketzerei zu unterdrücken, und diese Perspektive allen Geistlichen eröffnet; schon allein dies Vorhaben hat uns soviel eingebracht wie ein Peru. Wie Sie wissen, fehlt es uns manchmal an Geld. Aber der Protestantismus ward für uns eine reichere Einnahmequelle als die Wiener Bank für Kaiser Karl VI.
Fünfzig Jahre lang hat unser Hof an der Erniedrigung des Hauses Bayern gearbeitet. Wie Sie sehen, ist es uns schließlich geglückt. Sollte es uns auch mehr Mühe und Zeit kosten, die Macht Preußens zu brechen, so müßten wir das doch mit Geduld ertragen. Einer der größten Vorteile, den wir vor den anderen Mächten Europas HOen, ist der, daß die Weisheit unseres Ministeriums stets das gleiche System verfolgt. Was uns im ersten Anlauf nicht gelingt, das bringt die Zeit zur Reife. Deswegen, lieber Freund, verzweifle ich an nichts. Wie? Zu einer Zeit, da alle unsere Verbündeten sich in Bewegung setzen, da unsere Heere im Begriff sind, den schönsten Feldzugsplan auszuführen, der je ersonnen ward, da unsere Übermacht und das große Geschick unserer Heerführer uns die größten Erfolge versprechen, wie? zu einer Zeit, da sich alles zu unserem Ruhme verbindet, finden Sie es seltsam, daß der Reichstag sich mit Würde ausspricht, und wollen nicht, daß er seinen Blitz gegen die Rebellen schleudert? Es ist aufs höchste zu beklagen, daß die Ereignisse unsere Hoffnung betrogen haben, sonst wären die Dekrete veröffentlicht worden, kraft deren zwei Könige samt ihren Anhängern in die Reichsacht erklärt werden sollten200-1. Welch schöner Tag wäre das für Wien gewesen! Und was konnte danach die Größe, den Ruhm und die Macht unserer unvergleichlichen Gebieterin noch erhöhen!
So viel zur Rechtfertigung unseres Verhaltens gegenüber demKönig vonPreußen! Noch leichter hoffe ich die Bedenken zu zerstreuen, die Sie hinsichtlich unseres Bündnisses mit Frankreich hegen.
<201>Es verwundert Sie, daß Frankreich, das in seinem Kriege gegen England beschlossen hatte, alle Kräfte zur See einzusetzen, plötzlich anders verfährt und sich gegen sein eigenes Interesse in einen Kontinentalkrieg verstrickt, der eigentlich nur das KaiserHaus etwas angeht. Daraus können Sie schließen, daß die Leute weder ein System haben noch konsequent handeln, und daß man allem, was sie tun, diese Inkonsequenz anmerkt. Schließen Sie ferner daraus, daß die Geschicklichkeit und das Benehmen des Grafen Kaunitz nicht genug bewundert werden kann. Der Graf hat jederzeit die Ansicht vertreten, wenn man die Franzosen bei ihrer Eitelkeit fasse, könne man sie leiten, wie man wolle. Und so hat er denn zu Beginn des Krieges den Bittsieller gespielt. Aus eigener Kraft vermöchte sich die Königin von Ungarn nicht gegen den König von Preußen zu behaupten; sie setzte all ihr Vertrauen auf den Beistand und die redliche Gesinnung des Allerchristlichsten Königs und gestände, ihm allein würde sie ihre Erhaltung danken. Diese Sprache führten wir in Versailles. Graf Kaunitz hat den Franzosen alle erdenklichen Gefälligkeiten erwiesen; er hat in Kleinigkeiten nachgegeben und sie in den wichtigen Fragen dahin geführt, wohin er wollte. Wir haben es dahin gebracht, daß die Sachsen zeterten und weinten. Wir haben Paris und Vesailles mit Nachrichten überschwemmt, die den Zeitläuften angepaßt waren. Kurz, die Eigenliebe der Franzosen, ihre Lust, sich in alles einzumischen, der beliebte Vorwand des Westfälischen Friedens, den wir unter den gegenwärtigen Umständen vortrefflich fanden, ihre Eitelkeit, als Schirmherren des Kaiserhauses und des Hauses Sachsen aufzutreten, besonders aber die Aussicht, die Schiedsrichterrolle in Deutschland zu spielen, schließlich auch die Briefe der Kaiserin an — 201-1 Sie verstehen mich schon — das alles zusammen hat die Franzosen auf den Leim gelockt, und nachdem der erste Schritt einmal getan war, fiel es uns nicht mehr schwer, sie zu weiteren Schritten zu bringen. Sie sehen, wie Graf Kaunitz sie am Bändchen hat. Was für Ausgaben an Geld, an Subsidien! Und welche Truppenmassen nötigt man sie, in den Dienst unserer erlauchten Kaiserin zu stellen!
Sie sagen, die Franzosen seien unsere Erbfeinde. Nun, um so besser für Graf Kaunitz! Konnte er einen größeren Coup machen, einen feineren politischen Streich führen, als die Feinde des Hauses Österreich an dessen Vergrößerung arbeiten zu lassen? Konnte er etwas Besseres tun, als Frankreich an Geld und Soldaten arm zu machen und es in einen Zustand der Erschöpfung zu versetzen, der es für die Zukunft unschädlich macht? Sie rügen es, daß man den Franzosen einige Gebiete in Flandern abgetreten hat201-2. Darauf wage ich nichts zu erwidern; aber angenommen, es träfe zu—sehen Sie nicht, welche Kunst darin liegt, sich von langer Hand neue Verbündete zu schaffen? Sobald wir gegen Frankreich Krieg führen wollen, wird allein der Name der zurückzuerobernden Städte genügen, daß man in Holland und England Sturm läutet. Das allein wird die Seemächte in Aufruhr bringen und sie zwingen, ihre Schätze und Truppen unseren Interessen zu opfern.
<202>Urteilen Sie also nicht mehr vorschnell und vernehmen Sie, daß das Verfahren des Herrn Grasen genau berechnet ist, daß alle seine Schritte abgemessen, alle seine Pläne reiflich bedacht und erwogen sind. Fürchten Sie sich also nicht mehr vor den Franzosen, die ihre Eigenliebe verblendet und die sich in dem Wahn, das feinere Spiel zu spielen, von den anderen zum besten haben lassen. Wir kennen ihre starken und schwachen Seiten, und sobald die Konjunktur wechselt, werden Sie sehen, wie wenig furchtgebietend sie uns erscheinen.
Leben Sie wohl, lieber Freund, leben Sie glücklich in Brüssel! Sobald wir eine gute Nachricht von unseren Armeen haben, können Sie sicher sein, daß ich sie Ihnen zukommen lassen werde. Was die Persönlichkeit betrifft, die Sie mir empfehlen, so wird es schwer hallen, ihr jetzt eine Stellung zu verschaffen. Erobern wir aber Schlesien zurück, so gibt es Stellen genug für sie wie für jeden Bewerber.
<203>Schreiben der Marquise von Pompadour an die Königin von Ungarn203-1
(Anfang 1759)
holde Königin! Die Liebenswürdigkeiten, die Ew. Majestät mir zu schreiben ge-
ruhen, sind für mich unschätzbar. Ich möchte mich Ihrer Güte und des Vertrauens, das Sie in meinen Eifer setzen, würdig zeigen. Es war der schönste Augenblick meines Lebens, wo ich zur Annäherung und zum ewigen Bündnis zwischen den beiden mächtigsten Monarchen Europas beitragen konnte und es mir gelang, die alten, lächerlichen Vorurteile auszurotten, die bei dem eingefleischten Haß<204> der Völker nur zu tiefe Wurzeln geschlagen haben. Sie sind jetzt so gründlich zerstört, daß Ew. Majestät auf die aufrichtige Anhänglichkeit des Herrschers und des gesundesten Teiles der Nation rechnen können. Ja, Ew. Majestät dürfen mich nicht für eine Schmeichlerin halten, wenn ich Ihnen sage, wir Franzosen hegen die gleiche Verehrung für Sie wie Ihre Untertanen.
Unsere Nation hat neben vielen Fehlern den Vorzug, daß sie großen Eigenschaften gerecht wird, und wäre es selbst bei ihren Feinden. Ew. Majestät haben so Großes vollbracht, haben Ihrem Geschlecht so viel Ehre gemacht, daß Sie sich nicht wundern können, wenn die Franzosen sich für Sie begeistern. Die, welche das Glück hatten, sich Ihnen zu Füßen zu werfen und Sie von Angesicht zu Angesicht zu bewundern, sind unerschöpflich über dies Thema. Ihre Gefühle teilen sich mit, greifen um sich, verbreiten sich, und die Öffentlichkeit bewundert einstimmig so viel erhabene und große Eigenschaften.
Habe ich mein Schicksal anzuklagen, so ist es, weil es mir bisher noch nicht verstattet war, Ihnen meine Aufwartung zu machen, ein Vorzug, den ich allen Gunstbezeugungen Fortunas vorzöge und auf den ich um keinen Preis verzichten möchte. Doch gestatten Ew. Majestät, Ihnen mein Herz mit dem Freimut zu öffnen, zu dem Sie mich durch Ihre Güte ermuntert und berechtigt haben. Finde ich je Gelegenheit zur Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches, tritt je der Augenblick ein, wo ich mich Ihnen zu Füßen werfen kann, wünschten Ew. Majestät dann, daß ich mit Zittern der unvergleichlichen Fürstin nahe, die ich verehre und die mich mit dem Titel „liebe Freundin“ auszeichnet?
Und doch könnte ich nur bebenden Herzens vor Ew. Majestät treten. Wien muß eine Stadt sein, die Ihre Gegenwart zaubervoll macht; nur ein einziger kritischer Punkt läßt mich vor Schrecken zu Eis erstarren. Sie besitzen hervorragende Eigenschaften genug, um einen leichten Fehler zuzudecken. Sie sind Ihrem ganzen Geschlecht so überlegen, daß ich Ihnen ungescheut einige Wirkungen der leichten Schwäche zum Vorwurf mache, die mir den Aufenthalt in Ihren Staaten unmöglich machen. Ew. Majestät erraten es selbst: es ist das schreckliche Tribunal, vor dem mir graust, die Inquisition, die tyrannisch und despotisch über Herz und Gefühl schaltet. Bitte, geruhen Ew. Majestät dies Tribunal aufzuheben! Schaffen Sie das Härteste aller Gerichte ab und fügen Sie zur Zahl Ihrer großen Tugenden auch die Toleranz gegen die liebenswerteste aller menschlichen Schwächen. Fordern Sie von den schwachen Sterblichen keine der Vollkommenheiten, mit denen die sonst so karge Natur Sie so verschwenderisch ausgestattet hat. Dulden Sie, daß in Ihrer Hauptstadt die freie Neigung und nicht die Sakramente der heiligen römischen Kirche die Herzen zusammenführt. Gestatten Sie, daß man ungestraft ein zärtliches Gemüt habe, ohne eine stets höchst peinliche Schmach erdulden zu müssen oder gar Ihre Ungnade, was noch schlimmer ist als alles andere. Glauben Ew. Majestät, wenn ich nach Wien käme, bloß um Ihnen zu Füßen zu fallen, ich wollte Gefahr laufen, weiter reisen zu<205> müssen und in Temesvar zu enden? Davor behüte mich Venus für immer! Ich will nicht nach Ungarn. Wie entsetzlich für eine Französin, die die Vorurteile der strengen, rauhen Schamhaftigkeit nicht kennt! Ich will weiter nichts, als Sie sehen, Sie hören und bewundern. Aber ich möchte frei sein; keine Inquisition, nichts, was mich behindert, was meinem Frohsinn Zügel anlegt und den Launen meines Herzens. Schranken zieht. Ew. Majestät werden darum nicht weniger apostolisch sein; denn, um Ihnen nichts zu verheimlichen, hatten die Apostel, Ihre Vorgänger, Schwestern bei sich, und man müßte zu harmlos sein, um zu glauben, es seien nur Betschwestern gewesen. In Rom geht man weiter: der Vater aller Gläubigen gestattet gegen Ablaß selbst die Stätten der Ausschweifung, und wenn man nur bezahlt, ist er zufrieden. Dieser gute Vater hat Mitleid mit den Schwächen seiner Kinder. Er wendet ihre kleinen Sünden zum Guten durch das Geld, das der Kirche zufließt.
Die Welt war zu allen Zeiten die gleiche. Sie bedarf des Vergnügens und der Freiheit in ihrem Vergnügen. Ihre getreuen Untertanen, die Ihren Geboten in allem folgen, gehorchen Ew. Majestät in diesem einzigen Punkte nicht, und trotz jenes furchtbaren Tribunals sieht Wien in seiner Lebensweise hinter Paris nicht zurück. Ich werde bei Ihnen vorstellig im Namen Ihrer sämtlichen Staaten. Die Vornehmen langweilen sich trotz Prunk und Größe; denn Stolz ist eine trübsinnige Leidenschaft. Seien Sie etwas nachsichtig gegen die Liebe, dulden Sie sie. Sie ist von allen Leidenschaften die Heitersie, geselligste und die einzige beglückende. Gestatten Sie, daß man dies Glück unter Ihrer Regierung genießt. Es ist das größte, das die Natur uns zum Trost für all die Leiden gab, deren das Menschenleben voll ist.
Setzen Sie mich durch diese Toleranz in die Lage, Ihnen meine Huldigungen ohne Furcht und Schrecken darzubringen, damit ich mich ungestraft der Glut meines Gefühls und der ganzen Bewunderung hingeben kann, die Ihre großen, seltenen Tugenden mir einflößen. Das ist der einzige Zug, der Ihnen noch zur Vollkommenheit fehtt. Lassen Ew. Majestät die Herzen aus dem Kerker frei; brechen Sie ihre Ketten, geben Sie der verstohlenen Liebe, die in Sklaverei schmachtet, die Freiheit. Üben Sie Ihre Strenge gegen die unbarmherzigen Kerkermeister und gegen die Büttel der Keuschheit, die die Kinder der Liebe und Freude nur zu lange geknechtet haben. Möge die holdeste, reizendste und menschlichste Leidenschaft eine Beschützerin in der erlauchtesten Fürstin, in der ersten Frau des Jahrhunderts, in Königin Maria Theresia finden, die einer der größten Monarchen Europas ist. Ich wäre überglücklich, holde Königin, könnte ich Sie mit Venus, meiner Göttin, ebenso leicht aussöhnen, wie mit meiner Nation! Das geschah zur Ruhe und im Interesse der Welt; was ich hier unternehme, wird für das Vergnügen der Welt sein. Das Interesse aber war dem Glück nie zu vergleichen! So mächtig Ew. Majestät auch sind, das Reich der Venus wird stets mächtiger sein als das Ihre; es wird trotz Ihnen bestehen. Die heidnischen Götter konnten sich seinen Gesetzen nicht entziehen; sollten wir irgend einem<206> Gott widerstehen? Es gewährt Freude, sich unterjochen zu lassen; Sie werden Ihren Untertanen diese Freude nicht nehmen.
Ich wage zu hoffen, daß Ew. Majestät meinen inständigen Bitten nachgeben, daß die Verfolgungen aufhören werden, und daß man zu Wien nicht mehr das Martyrium zu befürchten haben wird, weil man im Glauben an die Liebe verharrt, den man von seinen Eltern empfangen hat. Ich bin der festen Überzeugung, daß Sie meine demütige Bitte in Gnaden erfüllen werden. Aufs neue vermehren werden Sie durch diesen Akt der Milde die tiefe Verehrung, die respektvolle Anhänglichkeit und den Eifer, womit ich verharre usw.
<207>Über die Satirenschreiber
(März 1759)
Werden die Menschen denn nie lernen, die rechte Mittelstraße einzuhalten und mehr der Stimme der Vernunft als dem Taumelder Leidenschaften zu folgen? Sie haben die Neigung, alles zu übertreiben, sie kennen nur das Übermaß. Glühende Einbildungskraft reißt ein erhitztes Hirn weit über das hinaus, was es zu unternehmen gedachte. Es gibt hundert Irrwege. Das hieße mit Plato träumen, verlangte man von den Menschen Vollkommenheit, wo ihr Wesen nur ein Gemisch von Schwächen und Jämmerlichkeiten ist. Trotzdem kann man gewisse Praktiken nicht ohne Entrüstung mit ansehen, und die ganze Menschheit müßte gegen sie aufstehen.
Ich meine zwei Laster, die als Extreme in völligem Gegensatz stehen. Das eine ist die Kriecherei der Schmeichler gegenüber den Großen, die maßlosen, unverdienten Lobhudeleien, die den Empfänger ebenso entehren wie den Spender. Das andere ist jene dreiste, zynische Bosheit der Satirenschreiber, die die Sitten der Großen verzerren und mit ihrem wilden Geschrei auch die Throne nicht verschonen. Jene vergiften die Seele durch einen wohlschmeckenden Trank, diese bohren den Dolch in ein Herz und zerreißen es. Dem Lasier die Farbe der Tugend leihen, menschliche Launen vergöttern, ruchlose Handlungen rechtfertigen, heißt wirklichen Schaden stiften; denn das ermuntert die Menschen, die ein verderblicher Hang beherrscht, in verhängnisvoller Verblendung zu verharren. Lügen und Verleumdungen verbreiten, das Verdienst verdächtigen, die Tugend in Frage stellen und den Ruf von Menschen anschwärzen, weil sie in hoher Stellung sind, heißt ein schreiendes Unrecht begehen und der Bosheit die Krone aufsetzen. Beide allgemeine Seuchen unterscheiden sich dadurch voneinander, daß bei den Schmeichlern gemeiner Eigennutz, bei den Satirenschreibern ein unerschöpflicher Schatz von Mißgunst vorhanden ist. Sie sind wie ein Rost, der sich an die Schoßkinder des Glücks und an das hohe Verdienst großer Talente ansetzt.
Wenn Virgil und Horaz so kriecherisch waren, einem feigen und grausamen Tyrannen zu schmeicheln, so muß ihr Beispiel jeden, der etwas auf seinen guten Ruf hält, vor Nachahmung abschrecken. Wenn Juvenal alle Galle seines ätzenden Spotts über einen Minister wie Sejan207-1, über Ungeheuer wie Nero und Caligula ergoß,<208> so war dieser Schimpf durch ihr schmachvolles Benehmen und ihre maßlose Grausamleiten vollauf verdient. Wo aber sind in unseren Tagen die Ungeheuer, die ihnen gleichen? In den letzten Jahrhunderten zählen wir einen Ludwig XI. und Karl IX. von Frankreich, einen Philipp II. von Spanien, einen Papst Alexander VI. zu denen, die des öffentlichen Hasses wert waren. Mithin hat auch die Geschichte, die der lauteren Wahrheit huldigen und die Tatsachen sorgfältig buchen soll, sie nicht geschont. Sie sind von denen, die uns ihre Regierung geschildert haben, mit denkbar größter Strenge behandelt worden.
In unserem Zeitalter erhalten Beamte, Minister, Günstlinge, ja selbst die Herrscher ungefähr die gleiche Erziehung. Die Sitten haben sich gemildert, der philosophische Geist hat zugenommen und macht täglich neue Fortschritte. Wissenschaften und Künste verbreiten einen Firnis von Bildung und Anstand, der die Gemüter fügsamer und zugänglicher macht. Das Äußere der wohlerzogenen Menschen ist in Europa fast überall das gleiche.
Trifft es auch zu, daß wir weniger hervorragende und außergewöhnliche Geister besitzen, die ihresgleichen weit überlegen sind, als das Altertum, so haben wir wenigstens den Vorzug, daß die höchste Macht nicht in Händen von Ungeheuern an Grausamkeit ist, die die Welt verabscheuen muß. Allerdings tun die Großen nicht so viel Gutes, als sie könnten; die Höflinge haben Leidenschaften, und die Könige Schwächen, aber wenn sie ganz vollkommen wären, so wären sie keine Menschen. Was für ein Wahnwitz ist es also, in Iuvenals Spuren zu treten, wenn es an entsprechenden Gegenständen fehlt, an denen man das elende Talent der Satire üben kann! Gibt es etwas Erbärmlicheres, als berufsmäßig den guten Ruf anzuschwärzen, grobe Verleumdungen zu erfinden, ins Blaue hinein zu lästern, Lärm zu schlagen und Lügen zu verbreiten, nur um seine Bosheit zu befriedigen? Bei solchem blinden Lärm glaubt man schier, die ganze Welt sei in Gefahr. Untersucht man aber die Sache, so ist es nur ein Hund, der den Mond anbellt.
Diese Art von Schwätzern, die die Machthaber mit schamloser Frechheit angreifen, sind größtenteils obskure, elende Wichte. Sie werden zu feilen Söldlingen irgend eines Großen, der einen Nebenbuhler beneidet, oder sie folgen ihrem verderbten Herzen, ihrer verhängnisvollen Neigung, wie tolle Hunde um sich zu beißen, einerlei, wen der Zufall ihnen in den Weg führt. Liest man ihre Machwerke, man möchte glauben, sie hätten an den Höfen besoldete Spione, die ihnen Nachricht von den M. ringsten dortigen Vorgängen geben. Tatsächlich aber füllt ihre Einbildungskraft nur die Läsen ihrer Unwissenheit aus, und die von ihrer Feder Mißhandelten sind ihnen so unbekannt wie die Tugend, die sie so über die Maßen beleidigen. Was ist leichter, als. die Großen zu lästern? Man braucht nur ihre Fehler zu vergröbern, ihre Schwächen zu übertreiben, die üble Nachrede ihrer Feinde breitzutreten, und in Ermanglung solcher schönen Hilfsmittel gibt es ja ein Nepertorium alter Schmähschriften, die man abschreibt und der Zeit, den Personen anpaßt.
<209>Die Schmähungen gegen die Mächtigen der Erde sind zu Gemeinplätzen geworden. Wie jedes Amt seinen festen öden Kanzleistil besitzt, leidet es unter bestimmten Verleumdungen. Rest man eine Schrift gegen einen Finanzminister, so findet man darin mit Sicherheit, daß er hartherzig, unerbittlich, ein öffentlicher Räuber ist, daß er sich vom Mark der Völker mästet, sie erbarmungslos aussaugt und in seinen Unternehmungen wie ein Blödsinniger verfährt. Ist es ein Kriegsminister, so fallen die Festungen in Trümmer, das Heerwesen wird vernachlässigt, er versagt Ämter willkürlich und verleiht sie nur Günstlingen oder Zudringlichen. Man kann sicher sein, daß ein Staatssekretär seine Arbeit auf seine Beamten abwälzt; sie denken, lenken und arbeiten, während er über die Geschäfte garnicht Bescheid weiß. Er mag tun, was er will, an allem ist etwas zu mäkeln, im Kriege an seinem Ehrgeiz, im Frieden an seiner Schwäche, und für alles, was vorkommt, macht man ihn verantwortlich. Die Herrscher belohnen nie das Verdienst, besonders bei denen nicht, die sich für sehr verdienstvoll halten. Sie gelten oft für geizig, weil sie die Habsucht derer nicht befriedigen, die verschwenden möchten. Ihre Schwächen sind Verbrechen, ihre Fehler—denn wer begeht keine?—sind unerhörte Handlungen. Darauf laufen, von einigen Schattierungen abgesehen, alle die Schmähschriften heraus, die nur ein Echo ebenso alter wie ungerechter Anklagen sind. Doch leider ist es das Los dieser trefflichen Werke, daß sie gelesen werden, solange sie neu sind, um später in ewige Vergessenheit zu sinken.
Dürfte ich den schönen Seelen, die sich derart als Richter ehrbarer Leute aufspielen, einen Rat geben, so wäre es der, der Sache jetzt eine andere Wendung zu geben; denn seit Salomos Tagen ist an Schmähungen und Lobeserhebungen alles gesagt und alles erschöpft. Möchten sie doch versuchen, sich in ihren Schriften selbst zu schildern; möchten sie ihre Verzweiflung über das Wohlergehen der Großen ausdrücken, ihren Haß auf Talente und Verdienste, deren Glanz sie völlig verdunkelt. Möchten sie der Welt eine hohe Vorstellung von ihren Kenntnissen in der Regierungskunst geben. Es gibt noch Wahlreiche; vielleicht machen sie ihr Glück und man glaubt ihnen aufs Wort. Wenigstens würde diese neue Offenherzigkeit ihren Lesern den Verdruß ersparen, andere Roheiten und Frechheiten zu lesen. Wäre das Volk vernünftig, man könnte über die Schmähschriften lachen, welcher Art sie auch wären. Allein diese unwürdigen Machwerke sind ein wirkliches Übel, weil die ungebildete Menge, die eher das Schlechte als das Gute glaubt, begierig schlechte Eindrücke aufnimmt, die sich schwer wieder entwurzeln lassen. Daher kommen dann die Vorurteile, die oft den Monarchen selbst schädlich sind.
Kein Volk hat es mit den Schmähschriften toller getrieben als die Franzosen und Engländer. In diesen Monarchien gibt es keinen bekannten Mann, der nicht vorübergehend mit Kot bespritzt worden ist. Welche Greuel hat man nicht von dem Regenten, dem Herzog von Orleans, veröffentlicht!209-1 Wie hat man selbst einen Ludwig XIV. herabgezerrt!209-2
<210>Und doch verdiente Ludwig XIV. weder die maßlosen Lobeserhebungen, noch die rohen Schmähungen, mit denen er überhäuft wurde. Er war in krasser Unwissenheit aufgewachsen. Die Vergnügungen seiner ersten Jugend bestanden darin, dem Kardinal Mazarin bei der Messe zu ministrieren. Er war mit gesundem Verstande begabt, besaß Ehrgefühl und mehr Eitelkeit als Ehrgeiz. Er, den man bezichtigte, nach der Weltmonarchie zu streben, war siolzer auf die Unterwerfung des Dogen von Genua als auf die Triumphe seiner Feldherren über die Feinde. Ludwig XIV. be-saß Schwächen. Jedermann kennt seine Neigungen für einige Damen seines Hofes. Man weiß, daß Frau von Maintenon den Sieg über die anderen davontrug, und daß er, um sein Gewissen mit seiner Liebe in Einklang zu bringen, sich heimlich mit ihr vermählte. Darüber erhob sich ein Geschrei und Lärm, als müsse das Königreich untergehen, weil der König ein liebebedürftiges Herz hatte! Während so viele Pamphletschreiber ihn und seine Geliebte herabzerrten, hatte doch jedermann, von seinem Hofstaate bis zu dem kleinsten Schreiber in Paris, und selbst die, die so unanständig gegen ihn schrieben, sein Liebchen! Man machte also dem König ein Verbrechen aus etwas, was man bei dem Geringsten seiner Untertanen nicht mißbilligte. Dergleichen Züge verraten die Leidenschaften des Verfassers. Er schildert, ohne es zu merken, den Haß und die Erbitterung, die ihm selber am Herzen nagen.
Nicht wegen seiner Liebschaften sollte man Ludwig XIV. schelten. Was Tadel verdient, waren die unerhörten Grausamkeiten, die er in der Pfalz verüben ließ, und die an Melac erteilte Vollmacht, einen barbarischen Mordbrennerkrieg zu führen (1689). Auch sein Widerruf des Edikts von Nantes (1685) ist unentschuldbar. Er will die Gewissen knechten, verfährt mit unmenschlicher Härte gegen die Protestanten und beraubt sein Reich einer Unzahl fleißiger Menschen, die ihre Talente und denHaß gegen ihre Verfolger in ihre neuen Zufluchtsstätten mitnehmen. Sehe ich von diesen beiden Flecken ab, die den Glanz seiner langen Negierung verdunkeln, welchen Vorwurf kann man gegen Ludwig XIV. erheben, der die gegen ihn geschriebenen bitterbösen Schmähschriften rechtfertigte? Geziemt es wohl solchen armen Schluckern, deren ganzes Talent in unseliger Schreibfertigkeit besteht, den Thron ihres Herrschers zu besudeln? Kommt es ihnen zu, das Benehmen der Großen zu begeifern, über ihre Schwächen herzufallen und systematisch nach Fehlern an ihnen zu fahnden? Gebührt es Unbekannten, die allen Staatsgeschäften fern stehen, die nur die äußeren Vorgänge sehen, ohne zu wissen, was sie herbeiführt, die nur die Handlungen wahrnehmen, ohne ihre Motive zu kennen, die ihre ganze Staatskunsi aus den Zeitungen lernen — gebührt es ihnen, frage ich, die Herrscher der Welt zu richten? Und kann selbst ihre Unwissenheit ihre Dreistigkeit entschuldigen? Aber die Bosheit verzehrt sie; falscher Ehrgeiz treibt sie an. Sie wollen sich einen Namen machen, und um bekannt zu werden, ahmen sie Herosirat nach.
Wie man gestehen muß, gab es eine Zeit, wo die Satire gang und gäbe war; doch diese gute Zeit ist vorüber. Man mußte unter der Regierung Karls V. oder Franz' I.<211> geboren sein, wo die Monarchen einem Aretin211-1 ihren Tribut zahlten. Sein Schweigen wurde erkauft; die Witze, die er unterdrückte, wurden bezahlt, und sobald ein Fürst glaubte, eine Dummheit begangen zu haben, sandte er ihm Geschenke. Damals konnte man damit reich werden. Aber alles verändert sich. Unser Zeitalter ist griesgrämig geworden; unsere modernen Aretine erhalten statt Belohnung Unterkunft auf Staatskosten von den Herrschern, die sie beleidigt haben, und vor allem untersagt man ihnen die Ausübung ihrer Talente und Fähigkeiten.
Beispiele dieser Art schüchtern freilich solche nicht ein, die mit der Liebe zu so schönem Ruhme geboren sind. Sie gehen auch weniger ermuntert als Aretin ihren Weg, und ihre Begeisterung geht bis zum Martyrium. Um sich Mut zu machen und sich ihre Schlechtigkeit selbst zu verbergen, reden sie sich ein, für das Gemeinwohl zu wirken, die Sitten zu bessern und die Großen durch die Furcht vor ihrem grimmen Tadel in Zaum zu halten. Sie wähnen, ihre Stiche werden verspürt; man muß sie auf die geistreiche Fabel Lafontaines vom Ochsen und der Milbe verweisen211-2. In ihrem hochmütigen, weichlichen Wohlleben vernehmen die Mächtigen das Gesumme dieser Insekten des Parnasses entweder garnicht, oder sie bestrafen sie, sobald sie es hören.
Weder Lästerungen, noch Schmähschriften und Verleumdungen bessern die Men-schen; sie erbittern nur die Gemüter und reizen sie auf. Sie vermögen ihnen wohl den Wunsch nach Rache einzuflößen, nicht aber den, sich zu bessern. Im Gegenteil! Ein ungerechter Vorwurf beweist die Schuldlosigkeit und nährt die Eigenliebe, anstatt sie zu ersticken. Die Großen bleiben, wie sie sind; ein Höfling wird die Gunst seines Herrn nicht minder suchen, weil er in einer Schmähschrift beschimpft worden ist. Ränke sind unvermeidlich an einem Orte, wo viele Menschen zusammenkommen und ein Wettstreit des Ehrgeizes herrscht; sie werden also nach wie vor an den Höfen gesponnen werden, und die Minister werden den Gang der Geschäfte aus dem bisherigen Gesichtspunkt weiter verfolgen.
Die, auf deren Haupt die höchste Macht und Gewalt vereinigt ist, verdienen weit eher Mitleid als Neid. Den Weltbeherrschern entsinkt oft der Mut bei einem mühevollen Werke, dessen Ende nicht abzusehen ist. Unaufhörlich müssen sie mit ihren Gedanken in der Zukunft leben, alles vorhersehen, allem zuvorkommen. Sie sind für die Ereignisse verantwortlich, die der Zufall, menschlicher Klugheit spottend, herbeiführt, um ihre Maßregeln zu durchkreuzen. Sie sind überhäuft mit Geschäften, und die Anstrengungen wirken auf sie schließlich wie ein Schlafmittel, das auf die Dauer alles Streben nach Ruhm abtötet und sie die philosophische Ruhe des Privatlebens herbeisehnen läßt. Es ist viel nötiger, die Liebe zum Ruhme in ihnen zu erwecken, als danach zu trachten, sie zu ersticken. Ermuntern muß man die Menschen, aber nicht abschrecken, und das werden Schmähschriften niemals zustande bringen.
<212>Vielleicht denkt mancher, man brauche also nur mächtig und unbeschränkt zu sein, um Ich ganz dem Wahnsinn seiner Launen hinzugeben, seinen Willen zum Gesetz zu machen und, da man ja unverletzlich ist, alles mit Füßen zu treten, zumal niemand wagen wird, seine Stimme gegen so unerträgliche Mißbräuche der Macht zu erheben.
Ihnen antworte ich dreist: ich gebe zu, daß alle, die zeitlebens auf der höchsten Stufe der Macht über den Gesetzen stehen, gewiß eines Zügels bedürfen, damit sie ihre Gewalt nicht zur Unterdrückung der Schwachen mißbrauchen oder Ungerechtigkeiten begehen. Aber unwissende und obskure Skribenten sind nicht zu Lehrmeistern der Könige berufen. Da gibt es eine andere Lehrerin, die ihnen wirklich ihre Pflichten zeigt, ihr Urteil spricht und ihnen ungeschminkt sagt, was das Volk von ihnen denkt und denken soll: ich meine die Geschichte. Sie schont keinen der Gefürchteten, vor denen die Erde erzitterte. Sie richtet sie, billigt ihre guten Taten, verdammt die schlechten und belehrt so die Fürsten über alles, was an ihnen einst gelobt und getadelt werden wird.
Das Urteil über die Toten sagt den Lebenden, was sie dereinst zu erwarten haben, und welchen Klang ihr Name in der Nachwelt haben wird. Vor diesem Richterstuhle müssen alle Großen nach ihrem Tode erscheinen; da wird ihr Ruf auf ewig festgestellt. Die Geschichte ersetzt den Brauch der Ägypter, bei denen die verstorbenen Bürger von einem Tribunal abgeurteilt wurden, das über ihr Tun und Lassen richtete und ihnen das Begräbnis versagte, wenn ihre Taten verbrecherisch befunden wurden. Die Nachwelt ist unparteiisch. Sie kennt weder Neid noch Schmeichelei, läßt sich weder durch Lobreden noch durch Schmähschriften verblenden und unterscheidet echtes Gold von schlechter Münze. Die Zeit, die auch die geheimsten Dinge aufdeckt, entschleiert die Handlungen der Menschen und ihre Motive; sie zeigt einen Minister nicht von Höflingen beweihräuchert, einen König nicht von Schmeichlern umringt, sondern den Menschen ohne alle Ausschmückungen und ohne die eitlen Verkleidungen, die ihn verbargen. Wer aber weiß, daß er diesem Gericht nicht entgehen kann, muß sich darauf vorbereiten, ohne Flecken vor ihm zu erscheinen. Der Ruf ist alles, was uns nach dem Tode bleibt; es ist kein Zeichen von Hochmut, um ihn besorgt zu sein; er soll uns vielmehr sehr am Herzen liegen, sofern wir nur etwas edle und hohe Gesinnung besitzen.
Die echte Ruhmesliebe ist die Triebfeder aller Heldentaten und alles Nützlichen, was auf Erden geschieht. Warum ließe sich ein Mensch wohl im Dienste des Vaterlands töten, wenn nicht, um das Lob der Überlebenden zu ernten? Warum mühen sich Schriftsteller und Künstler, wenn nicht, um Beifall zu verdienen, sich einen Namen zu machen und Unsterblichkeit zu erringen? Das trifft in dem Maße zu, daß Cicero212-1, den die gleiche Glut beseelte, bemerkt, daß nicht nur die Schöngeister des Altertums, sondern auch die Philosophen der strengsten Sekten ihren Namen den Werken voransetzen, die von der Eitelkeit alles Irdischen handeln.
<213>Der Wunsch, sich unsterblich zu machen, ist die Triebfeder unserer Anstrengungen und unserer edelsten Taten. Die Tugend besitzt wohl Reize, und sie kann von schönen Seelen um ihrer selbst willen geliebt werden; das darf uns aber nicht bewegen, das Gute zu verdammen, das des Ruhmes wegen vollbracht wird. Welches auch immer die Triebfeder sei, der Vorteil der Menschheit gebietet, alle Mittel zu benutzen, die zur Besserung des Menschengeschlechts und zur Zähmung des wildesten aller Tiere, Mensch genannt, dienen. Man muß den Sinn für den Ruhm erwecken und anspornen und die Welt unaufhörlich dazu ermuntern. Wehe den Großen, die gegen diesen Stachel unempfindlich sind, wehe aber auch denen, die der beißende Spott der Satire zu sehr verletzt!
<214>Über die Schmähschriften214-1
(April 1759)
Es gibt viele Arten, sein Auskommen zu finden. Fleiß und Erfindungsgeist liefern täglich neue, von den gewöhnlichen Gewerben ganz abzusehen. Schon allein das schriftstellerische Talent bereichert die Gelehrten durch die Früchte ihrer Nachtwachen. Schriftsteller zweiten Ranges leben von ihren Buchhändlern. Die einen ernähren sich durch Versemachen, die anderen durch Lesen der Korrekturbogen, wieder andere durch Abschreiben, und noch andere schließlich widmen sich dem edlen Berufe, an den Schoßkindern Fortunas und den Machthabern Fehler zu entdecken. Sinnreich machen sie sich an Charaktere, die ihnen unbekannt sind. Sie malen aus der Phantasie, und da ihr Pinsel schwärzer ist als der Spagnolettos214-2, sind ihre Gemälde voll tiefer Schatten. Sie besitzen die Kunst, ihre Helden verhaßt zu machen, und wie man gestehen muß, ist dies schöne Geschäft noch einträglich. Solche gefährliche Keckheit nimmt in unseren Tagen zu und verbreitet sich mehr und mehr. Die Herren, die sich ihr hingeben, müssen fürchten, daß ihre große Zahl die Honorare drück und sie schließlich an den Bettelstab bringt. Sollte man es wohl glauben: sie möchten sich die Rechte der Zensoren im alten Rom aneignen! Nur finde ich einen kleinen Unterschied: Rom wählte seine Zensoren, diese Herren aber setzen sich selber ein; sie können wie die Könige von sich sagen: „von Gottes Gnaden und nicht durch Menschengunst“. Man muß gestehen, daß ihre Arbeit ihnen wenig Mühe kostet; sie besieht größtenteils nur aus Schimpfreden, oder sie ist die Frucht düsterer Einbildungskraft und finsterer Vorstellungen. Mit diesen Beschimpfungen treiben sieHandel und verteilen sie nach dem Gutdünken ihrer Beschützer, die ihreDienste anzuerkennen wissen. Man erstaunt immerfort über ihre kecke Dreistigkeit; doch gewährt ihnen ihre obskure Stellung eine Zuflucht. Was sie rettet, ist die Geringschätzung, mit der die Reichen und Stolzen ihre Schmähschriften behandeln. Ihr Geschrei erzeugt einen mißtönenden Lärm, der in der Luft verhallt. Sie kommen mir wie Mücken vor, die zu ihrem Spaß einen Elefanten stechen.
Vor einiger Zeit reiste ich in Holland und kam durch eine Stadt, wo ich in einem Gasthofe einkehren mußte. Dort sah ich einen ziemlich gut gekleideten Mann mit stolzer Miene und gebieterischer Haltung eintreten. Er betrachtete seine Umgebung<215> mit verächtlichen Blicken und schien das ganze Menschengeschlecht zu bemitleiden. Ich hielt ihn für einen der Herren, die zwei-, dreimal wöchentlich Könige auf der Bühne darstellen und dank dem fortwährenden Spielen solcher Rollen sich schließlich selbst für Könige halten. Das merkwürdige Benehmen des Mannes erregte meine Neugier, und ich fragte, wer es sei. Der Wirt, der ihn kannte, sagte: „Er ist einflußreicher, als Sie glauben. Er besitzt die Gabe, guten Ruf zu schaffen und zu vernichten; doch nach Art der Eroberer beschäftigt er sich mehr mit dem Zerstören als mit dem Aufbauen. Er lebt von seiner Feder, wie die Landleute von ihren Feldern. Sein Hausrat, seine Kleidung, seine Nahrung, alles ist auf Kosten der großen Herren erworben, die er ihren Nebenbuhlern opfert. Er treibt es fast so, wie der selige Kardinal Polignac, der, wie man sagt, für jede Antike, die er nach Paris senden durfte, dem Papst einen jansenistischen Bischof opferte, den er verbannen ließ. So kann auch unser Mann von jedem Stück seines Hausrats nachweisen, daß es auf Kosten des guten Rufes von bem und dem erworben ist. Er wälzt jetzt einen großen Plan in seinem Kopfe, und gelingt er, so möchte er sein Vermögen nicht mit dem eines Taxera noch eines Schwartzau215-1 tauschen.“—„Darf man wissen, worin dieser wunderbare Plan besteht?“ fragte ich. —„Es handelt sich“, sprach der Wirt, „um eine gute Satire gegen einen Herrscher. Macht er ste recht kräftig und so boshaft, wie man verlangt, so wird er mit Ehren überhäuft werden.“
Alles, was ich vernommen hatte, steigerte meine Neugier, dies Original kennen zu lernen, und ich bekam Lust, eine Unterhaltung mit dem Despoten anzuknüpfen, der es wagte, die Großen bei ihren Lebzeiten zu richten, wie die alten Ägypter es nach ihrem Tode taten. Ich glaubte in ihm den Geist jener Päpste zu erkennen, die Herrscher in den Bann taten und Königreiche mit dem Interdikt belegten. So trat ich denn an den furchtbaren Zensor heran und redete ihn an. Er empfing mich mit jener würdevollen oder frechen Miene, wie sie von Fürstengunst aufgeblähte Minister annehmen, wenn jemand eine Gnade von ihnen erbittet. Sein Hochmut, der mich tränkte, ließ mich zögern; aber schließlich faßte ich Mut und machte ihm ein ziemlich lahmes Kompliment über das Vergnügen, ihn kennen zu lernen.
Nach einigen allgemeinen Redensarten stellte ich die Frage, ob er mit seinem Gewerbe zufrieden sei. — „Ungemein“, entgegnete er. „Ich stehe mit mehr als einem Hofe in geheimem Briefwechsel und habe mit vielen großen Herren zu tun, die wich fürchten und aufsuchen. Ich habe mir durch meine Tätigkeit ein Reich gegründet, herrsche ohne Staat und schalte despotisch ohne Macht.“—„Aber, mein Herr,“ fragte ich, „ist Ihr Reich auch fest begründet, und haben Sie keinen der Schicksalsschläge zu befürchten, denen die Hochstehenden so sehr ausgesetzt sind?“ — „Was hätte ich zu befürchten?“ erwiderte er. „Entthronen kann man mich nicht. Ich beherrsche die Geister, und solange es Federn und Tinte auf Erden gibt, gehe ich meinen Weg. Von<216> meinem Arbeitszimmer aus lenke ich die Geschicke der Weltbedrücker. In meinen Händen halte ich den Ruf aller Großen, vor denen das Volk im Staube liegt. Beliebt es mir, st lasse ich sie vor Ärger vergehen, senke Verzweiflung in ihr Herz und raube ihnen die Früchte aller Gunstbeweise, mit denen Fortuna sie überschüttet.“ — „Ach!“ rief ich, „welch unmenschliches Vergnügen können Sie daran finden, Menschen unglücklich zu machen, vorausgesetzt daß Sie wirklich so handeln! Plagt Sie denn der geheime Drang jener bösen Geister, die grausame Freude daran haben sollen, das Menschengeschlecht zu verfolgen? Ach, mein Herr, ich bitte Sie...“—„Wie?“ unterbrach er mich. „Glauben Sie denn, mein Blut wäre Rosenwasser? Skrupeln und zarte Rücksichten überlasse ich den ängstlichen Gemütern. Mir gefällt es, die Eitelkeit und Anmaßung derer zu demütigen, die nichts zu fürchten haben, die harten Herzen, die mit dem öffentlichen Elend niemals Mitleid fühlen, zu betrüben und in Verzweiflung zu bringen, und die etwas leiden zu lassen, die täglich Leid stiften.“ — „Ach, mein Herr, ich bitte umGnade für das Menschengeschlecht!“ riefich aus. „Glauben Sie nicht, es sei so verderbt, wie Sie es sich vorstellen! Gewiß bedeckt das Lasier die Erde, aber die Seuche ist nicht allgemein. Glauben Sie nicht, daß Wohlergehen und Tugend unvereinbar seien; machen Sie wenigstens Unterschiede...“ — „Ich mache keine Unterschiede“, entgegnete er. „Alle Menschen sind schlecht, also kann ich sie alle mit gutem Gewissen angreifen.“ — „Das Ihre ist scheinbar nicht zart“, sagte ich. — „Wer würde mich ernähren?“ fuhr er fort. „Wenn ich Hunger habe, wovon soll ich leben? Denn schließlich muß man heutzutage doch etwas vorstellen, sonst wird man verachtet. Mein Schweigen bezahlt niemand, aber meine Arbeiten werden teuer bezahlt, und ich arbeite ja nur an Menschenherzen.“ — „Welch tiefer Fall“, rief ich aus, „für einen so despotischen Herrscher, für diesen schrecklichen, so gefürchtsten Zensor, für diesen obersten Richter über alle Großen der Welt! Wie? Krösus ist inmitten seiner Schätze auf Almosen angewiesen?“ — „Scherz beiseite! Mein Königtum ernährt mich nur insoweit, als ich meines Amtes walte. Ich bin zwar viel unumschränkter als die Könige; sie sind die Sklaven der Gesetze und können nur insoweit strafen oder belohnen, als diese es gestatten; sie haben keine Macht über den Ruhm, können ihn nicht verleihen noch nehmen. Ich dagegen mache mich zum Beherrscher der öffentlichen Meinung. Durch meinen Einfluß auf sie bildet man sich seine Vorstellungen über die Personen, je nachdem, wie ich sie schildere, und gleich den Königen beziehe ich Sübsidien, die die Bosheit der einen mir zahlt, um die Verderblichkeit der anderen aufzudecken. Daher besteuere ich die Großen und Fürsten; sie sind meine Sklaven; ich verkauft ihren Namen teurer oder billiger, je nach der Schwierigkeit, ihr Verdienst herabzuwürdigen. Ich brandschatze Haß und Neid und beschränke mich nicht auf Privatleute. Der Thron hat für mich nichts Furchtgebietendes; und so, wie Sie mich hier sehen, ohne Schatz und Heer, erkläre ich den Königen den Krieg und greife sie an, so mächtig sie sein mögen.“ — „Wahrhaftig,“ rie fich, „Sie wagen da viel. Der Krieg hat seine Wechselfälle, und eines Tages könnte Sie das Miß<217>geschick ereilen, das auch die größten Feldherren erfahren haben: völlig geschlagen zu werden.“ — „Scherz beiseite!“ erwiderte er. „Die Fürsten, die Monarchen verstehen sich meiner Waffen nicht zu bedienen; sie können knapp ihren Namen schreiben. Wollten sie einen Federkrieg beginnen, so ginge es lustig her. Ihre Schriften würden verworfen, während man den meinen Glauben schenkt. Was mich furchtbar macht, ist, daß ich der Lehrmeister des Publikums bin; ich schreibe ihm vor, was es denken soll.“—„Aber“, wandte ich ein, „die Herrscher haben es nicht nötig, sich der Feder zu bedienen ...“ — „Gemach!“ erwiderte er. „Ich glaube. Sie kommen mir ins Gehege.“—„Gott behüte!“ rief ich aus. „Sofern nicht irgend eine Kraft von Ihnen ausströmt, wie von den Leichnamen der Heiligen, und auf mich einwirkt. Aber um auf unser Thema zurückzukommen: belehren Sie mich doch bitte, wie es Ihnen gelingt, die in Verruf zu bringen, denen die Verleumdung nicht beikommen kann.“ — „Besitze ich denn keine Phantasie?“ erwiderte mein Mann. „Ist es schwerer, eine Schmähschrift als einen Roman zu schreiben? Was kostet es, geheime Anekdoten zu erfinden und Geschichten zu fabrizieren, die wahrscheinlich klingen? Der Grad von Wahrscheinlichkeit, den man den aufgetischten Märchen zu geben weiß, verschafft ihnen den meisten Glauben; und ist es überhaupt so schwer, die Menschen lächerlich zu machen?“
Er war im Begriff, mir alle seine Geheimnisse zu enthüllen, als ich mich nicht enthalten konnte, ihm zu sagen, ich schätzte mich sehr glücklich, vom Schicksal nicht zu einem Rang erhoben zu sein, bei dem ich Gefahr liefe, in seine Hände zu fallen. Ja, ich priese den Himmel für meine bescheidene Stellung, die mich zu unwichtig machte, um von ihm vor der Welt an den Pranger gestellt zu werden. „Ich kann Ihnen nicht verhehlen,“ setzte ich hinzu, „daß ich an Ihrer Stelle die Mächtigen fürchten würde; denn ihr Arm reicht so weit, daß sie überall hinlangen. Zudem scheint es mir, daß Sie, der als Tyrann schalten will, sich selbst das Los der Tyrannen bereiten.“
Darob geriet unser Mann in edle, heroische Begeisterung und führte mir zu Gemüte, daß es nichts Erhabeneres und Mutvolleres gäbe als kühne Wagnisse, daß man Leute, die auf der Straße spazieren gehen, nicht bezahle/wohl aber die Seiltänzer, und daß man schwierige und gewagte Pläne entwerfen müsse, um seinen Namen unsterblich zu machen. So entwickelte er mir bombastisch die Gefühle der Standhaftigkeit und Charakterstärke, die ihn beseelten. „Ja,“ fügte er hinzu, „gern unterwürfe ich mich der grausamsten Marter, um meine Unabhängigkeit, meine Freiheit, meine Rechte und die innere Genugtuung zu wahren, die ich darin finde, über die ganze Welt meine Glossen zumachen.“—„Recht schade,“ erwiderte ich, „daßSie nicht während der ersten Jahrhunderte der Kirche zur Welt kamen! Ihr Name hätte in den Verfolgungen geglänzt und gehörte jetzt der Legende an, und sicherlich würde Ihr Namenstag gefeiert. Ich fürchte nur, es kommt ganz anders, als Sie sich denken. Nachdem Sie eine Weile der geheimen Rachsucht hochstehender Neider zum Werkzeug gedient haben, werden Sie tragisch enden, ohne die erhoffte Berühmtheit zu erlangen.“
<218>Er wollte mir antworten, als jemand, der den Schluß unserer Unterredung gehört hatte, auf uns zutrat und ihm mit dürren Worten und ziemlich dreist die berühmte Geschichte von dem eisernen Käfig erzählte, in den Ludwig XIV. einen Schwätzer seines Schlages, der sein Talent gegen ihn geübt hatte, eingesperrt haben soll. Unser Mann erwiderte, es herrschten alljährlich im Frühjahr böse Fieber, aber nicht jeder stürbe daran; die Großen wüßten gute Witzworte garnicht zu schätzen; das Zeitalter sei sehr wählerisch und würde es immer mehr, und man machte zu wenig Aufhebens von Verdienst und Talent. Allein ich bemerkte, daß seine Miene sich seit der Geschichte von dem eisernen Käfig verdüstert hatte; er wurde in der Tat nachdenklich und schweigsam. Als ich ihn so finster sah, ging ich fort und überließ ihn seinen trüben Gedanken.
Kann man aus alledem nicht schließen, daß die Bosheit, auch wenn sie die GeWissensbisse erstickt, doch niemals von schrecklichen Befürchtungen frei ist, und daß ein tugendhaftes Leben allein Ruhe gewährt?
<219>Breve des Papstes an Feldmarschall Daun219-1
(Mai 1759)
Unserem heißgeliebten Sohn in Christo, dem Feldmarschall Dann, Oberkommandierenden der Armeen Ihrer Apostolischen Majestät, Klemens XIII.
Unserem heißgeliebten Sohn in Christo Gruß und apostolischen Segen!
Wir mit großer Befriedigung die glänzenden Erfolge Eurer Waffen wider die Ketzer, insbesondere den herrlichen Sieg erfahren haben, den Ihr am 14. Oktober vergangenen Jahres219-2 über die Preußen davon truget, haben Wir es als Vater der wahren Gläubigen für Unsere Pflicht gehalten, den wunderbaren Wirkungen Eurer Tapferkeit das Gewicht Unseres Segens hinzuzufügen und damit die Haltung Unserer Vorgänger nachzuahmen, die dem Prinzen Eugen glorreichen Angedenkens einen geweihten Hut und Degen verliehen, weil er die Ungläubigen in mehreren Feldschlachten besiegt hatte.
Euch, der Ihr durch Eure großen Eigenschaften die jenes Helden der Kirche übertrefft und verdunkelt, Euch, die Ihr gegen Ketzer zu kämpfen habt, die noch verstockter an ihren scheußlichen Irrlehren hangen als selbst die Türken, Euch versehen Wir mit allen göttlichen Segnungen. Möge dieser Degen, den Wir Euch senden, in Eurer Hand zur ewigen Ausrottung jener Ketzereien dienen, deren Pesthauch dem Höllenpfuhl entstiegen ist! Der Würgeengel wird an Eurer Seite kämpfen; er wird die verruchte Brut der Sektierer Luthers und Calvins ausrotten, und der Gott der Rache wird sich Eures Armes bedienen, um das gottlose Geschlecht der Amalekiter219-3 und Moabiter219-4 auszurotten. Möge dieser Degen Nebellenblut trinken; möge die Axt an die Wurzel des Baumes gelegt werden, der verfluchte Früchte trug. Möge nach dem Vorbild des heiligen Karl des Großen Norddeutschland mit Schwert, Feuer und Blut bekehrt werden!
<220>Freuen sich die Heiligen schon über ein verirrtes Schaf, das zur Herde zurückkehrt, welche Freude werdet Ihr ihnen, sowie allen Gläubigen erst bereiten, wenn Ihr dies verderbte Gezücht in den Schoß ihrer heiligen Mutter, der Kirche, zurückführt! Die heilige Mutter Gottes von Mariazell siehe Euch bei! Der heilige Nepomuk verdoppele seine Gebete für Euch! Das ganze Paradies, das Wir durch Unsere Legende beVölkern, nehme sich Eurer Erfolge an! In dieser frohen Erwartung geben Wir Euch Unseren doppelten apostolischen Segen. -
Gegeben zu Rom mit dem Fischerring, am 30. Januar 1759, im ersten Jahre Unseres Pontifikats.
<221>Glückwunsch des Prinzen Soubise an Feldmarschall Daun zu dem vom Papst empfangenen Degen221-1
(Mai 1759)
Herr Feldmarschall! Mit großer Genugtuung erfuhr ich von dem Geschenk, das Seine Heiligkeit Ihnen in Anerkennung der Geschicklichkeit und der Talente gemacht hat, die Sie so vielfach bewiesen. Schade, daß der Heilige Vater so spät darauf kam, Ihnen dies Geschenk zu machen! Ich hätte bei Roßbach einen geweihten Hut und Degen bitter nötig gehabt, und ich glaube, auch Ihnen wären sie bei Leuthen nicht schädlich gewesen. Aber besser spät als garnicht! Mit einem Dutzend Bergen, ein paar Tausend Kanonen221-2 und dem päpstlichen Degen werden Sie, das glauben Sie mir, ewig unbesieglich sein. Aber was kann man ohne geweihten Degen ausrichten? Unsere Franzosen hatten nicht einmal daran gedacht, ihre Säbel mit Weihwasser besprengen zu lassen. Die Folgen davon haben wir gesehen. Jetzt bürge ich Ihnen dafür, daß kein Ketzer Ihnen widerstehen kann. Sie brauchen nur Ihren Degen vor ihren Augen blitzen zu lassen, und ihr Heer wird bei dem Anblick davonlaufen, wie der Anblick von Minervas Schild die Menschen versteinert haben soll. Der Hof hat es nicht, für angezeigt gehalten, mich dies Jahr mit der Führung von Armeen zu betrauen. Um so mehr Muße habe ich, Ihren Operationen aufmerksam zu folgen und aus Ihrem Benehmen zu lernen: muß es doch bei der Unterstützung durch den geweihten Degen jedem Feldherrn eine Lehre geben. Sehnlicher denn je wünsche ich, daß unsere Höfe das glückliche Bündnis, das sie gegenwärtig eint, sorgfältig pflegen; denn was sollte aus uns werden, wenn wir eines Tages gegen Sie Krieg führen und zugleich Ihrem Geschick und Ihrem geweihten Degen widerstehen müßten? Ich bin mit aufrichtiger Bewunderung und denkbar größter Hochachtung usw.
<222>Schreiben eines preußischen Offiziers an einen Freund in Berlin222-1
(Juli 1759)
I
Schreiben Sie es unserer Untätigkeit zu, lieber Freund, wenn Sie so lange keine Nachrichten von mir erhielten! Unsere Armee geht dies Jahr ebenso müßig, wie sie in den vorhergehenden Jahren tätig war. Dies ist die dritte Stufe, die wir erklimmen. Wir haben den Ossa verlassen, um auf den Pelion zu klettern222-2. Wofern wir unser Lager nicht auf den Kaukasus verlegen, kann es nicht höher sein. Dadurch werden wir völlige Ruhe haben. Sie meinen sehr richtig, der Krieg lasse sich nicht aus Büchern erlernen. Das trifft dermaßen zu, daß man in den früheren Zeitaltern der Roheit und Unwissenheit viel zu tun glaubte, wenn man Städte belagerte. Sie sehen, wie sich alles verfeinert: jetzt belagert man ganze Provinzen. Die Österreicher und Russen vermeinen, Schlesien eingeschlossen zu haben. In der Nacht vom 11. zum 12. hat Feldmarschall Daun die Laufgräben vor dieser Provinz eröffnen lassen222-3; seine erste Parallele reicht vom Beerberg bis Steinkirch. Er hat eine Batterie von 80 Kanonen auf dem Berge von Marklissa errichtet, und Laudon hat eine Nikoschettbatterie auf den Höhen von Lauban erbaut. Unsere Artilleristen wiegen sich zwar in der Hoffnung, der Feind werde ihre Geschütze nicht so bald demontieren; ich bebaure ihre Zuverficht; die guten Leute sind verblendet. Von Marklissa bis Liebenthal222-4, dem Standort unserer Armee, sind nicht mehr als drei Meilen; ermessen Sie daraus, welche Wir<223>kung jene Feuerschlünde haben werden! Unsrerseits trifft man alle üblichen Vorbereitungen zur mannhaften Verteidigung. Der gemeine Mann spielt Komödie223-1, die Offiziere amüsieren sich. Zweifellos wird man bald an die Herstellung von Faschinen und Schanzkörben denken. Ein Genueser, ein gescheiter und geschickter Mann, hat sich anheischig gemacht, unsere Minen bis unter die Batterien des Feindes vorzutreiben, um sie alle auf einmal in die Luft zu sprengen. Geschwind, wie er ist, hofft er die Minen so weit zu bringen, daß sie im Dezember 1760 geladen werden können. Das wäre zeitig genug; denn legt man die gewöhnliche Berechnung für Belagerungen zugrunde und nimmt man die sicheren Anschläge des berühmten Vauban zu Hilfe, so ergibt sich, daß die Österreicher, wenn sie mit flüchtiger Sappe arbeiten, den Fuß unserer Glacis erst im März 1761 erreichen können. Gehen sie mit gedeckter Sappe vor, so wird ihre Arbeit sich bis zum September desselben Jahres hinziehen. Außer den Mannschaften, die Graf Daun verwendet, läßt er täglich 1500 Bauern an der Vollendung der ersten Parallele arbeiten.
Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Die Anfänge einer Belagerung pflegen ereignislos zu sein. Doch gedulden Sie sich, lieber Freund; Sie verlieren beim Abwarten nichts. Da Sie ungewöhnliche Dinge lieben, ist es recht und billig, wenn ich Sie nach Ihrem Geschmack bediene; ich verspreche Ihnen Außerordentliches. Die Kriegskunst hat den Gipfel ihrer Vollendung erreicht. Man hat die Geschütze, die Berge, kurz alles vervollkommnet223-2, von den Maultieren bis zu den Panduren. Ließen Turenne, Montecuccoli und Eugen sich einfallen, in unseren Tagen wieder aufzuerstehen, sie würden kaum für alte Faselhänse gelten. Einige kniffliche Leute, eigensinnige Liebhaber des Altmodischen, verbohrte Leute, die durchaus auf ihrer Meinung beharren, werden es vielleicht nicht zugeben, aber darüber kann man hinweggehen. Die Neuigkeit bildet den Reiz der Moden; warum sollte sie nicht auch den Ruf der Kriegsmänner bestimmen?
Gestatten Sie, lieber Freund, Sie zu verlassen; meine Pflicht ruft mich. Ich habe heute Tagesdienst an dem großen Fernrohr, um die Arbeiten des Feindes zu beobachten. Unser Lager könnte man jetzt für eine Sternwarte halten. Mars und Venus werden von den Astronomen nicht schärfer beobachtet als das österreichische Lager von unseren Offizieren. Kein Tag vergeht, wo nicht zweihundert Ferngläser gegen Marklissa und Lauban gerichtet sind. Wohl denen, die nichts zu beobachten haben und denen der letzterschienene Komet ebenso gleichgültig ist wie Daun, Laudon und Fermor. Genießen Sie, mein Freund, die Nutze Ihres friedlichen Heims und gedenken Sie hin und wieder wohlwollend Ihres alten Berichterstatters von der Armee.
Ich verbleibe stets Ihr usw.
<224>II
Bitte, gedulden Sie sich, lieber Freund! Es ist unmöglich, jeden Tag große Dinge zu vermelden. Die göttliche Langsamkeit und die übermenschliche Klugheit unserer Feinde liefern nicht so häufig glänzende Gelegenheiten, wie Sie es wünschen. Die Belagerung hat seit meinem letzten Brief keine Fortschritte gemacht. Laudons Rikoschettbatterie ist verschwunden224-1, ohne daß wir sie demoliert hätten, und ohne daß ich Ihnen den Grund dafür angeben könnte. Unsere Feinde haben ihre Angriffsfront verändert; sie haben einen Laufgrabenast von Schatzlar nach Schönberg vorgetrieben, und da sie durch eine lange Reihe von Erfahrungen festgestellt haben, daß die Kavallerieoffiziere sich besser auf den Festungskrieg verstehen als ihre Kollegen von der Infanterie, so haben sie das Kommando dem General de Ville anvertraut, von dem Sie haben reden hören, als er in Oberschlesien war224-2.
Während all dieser schönen Unternehmungen halten wir uns unbeweglich. Wenn man unsere beiden Armeen so sieht, hält man sie für gichtisch. In der Tat leiden beide Führer etwas an Gicht. Vielleicht ist das epidemisch geworden. Geht der Feldzug so weiter, dann machen Sie sich auf die Nachricht gefaßt, daß die beiden Lager festgewachsen sind. Die Sachsen werden darob wenig erbaut sein. Wie versichert wird, fouragieren und plündern die Österreicher sie aus Freundschaft und reiner Herzensgüte radikal aus. Sie tun es, weil dies nach der neuen, von Paris importierten Mode die beste Art ist, seinen Alliierten beizustehen.
Ich war der Überzeugung, unser Lager allein bediente sich der Fernrohre, habe aber gründlich umgelernt. Letzter Tage sah ich einen goldbetreßten Schwarm auf einem hohen Berge und an die hundert Fernrohre zugleich gegen uns gerichtet. Ist es nicht spaßhaft, daß Menschen, die, solange sie fern voneinander sind, nur Haß und Rache atmen und nur an die gegenseitige Vernichtung denken, sich nun betrachten und beMachten, so aufmerksam und verzückt, wie der verliebteste Tor seine Geliebte betrachtet? Sollten etwa Liebe und Haß gleiche Wirkungen zeitigen? Gewiß nicht! Wünscht der Liebhaber beim Anblick seiner Geliebten ihr eine Krone aufs Haupt zu setzen, so wünscht der Krieger beim Anblick des Feindes eine falsche Stellung oder einen Fehler benutzen zu können, Veränderungen in den Lagerstellungen zu sehen und ihre Gründe zu erraten.
Es geht das Gerücht, der Fiskal des ersten römischen Reiches224-3 sei in Dauns Lager eingetroffen, um ein gewisses Urteil zu vollstrecken und gewisse, mit viel Würde verbrämte Torheiten zu verkünden. Wie weiter behauptet wird, soll der Fiskal, mit einem gewissen Degen bewehrt224-4, an die Spitze der Grenadiere treten, um eine ge<225>Heime Unternehmung auszuführen. Ich verbürge mich nicht für die Nachricht, aber es wäre jedenfalls etwas gänzlich Neues. Ich hoffe, schon die Vorstellung davon wird Sie erfreuen.
Ich gedenke, alle Briefe zu sammeln, die ich an Sie zu schreiben die Ehre habe, um später Memoiren über den jetzigen Krieg daraus zu machen. Das Werk wird sehr lehrreich werden; es wird völlig unbekannte Anekdoten und das Geheimnis sämtlicher neuer Entdeckungen enthalten. Ich beabsichtige es in drei Teile zu gliedern. Der erste soll nur von Bergen handeln; im zweiten will ich untersuchen, wieviel Milliarden Kanonen eine Armee braucht, um unbesieglich zu sein225-1. Im dritten lehre ich die Kunst, wie man den Gebrauch der Beine bei den Truppen unnötig macht. Zuerst werde ich einen Prospekt drucken lassen, um Stimmung für die Subskription zu machen. Ich rechne zunächst auf alle Alpenbewohner und auf die Schweizer; ihnen wird das Loblied oder besser der Panegyrikus auf die Berge schmeicheln, den ich ganz im Stil von Bourdaloue225-2 schreiben werde. Auch die Geschützgießer werden mir Dank wissen für die Arbeit, die sie durch mein Werk bekommen. Die Impotenten und Faulpelze werden gern auf Band 3 subskribieren; sie werden entzück sein, zu hören, daß man im Kriege Großes vollbringen kann, ohne ein Glied zu rühren. Jeder Krückengänger und Gelähmte wird mein Buch mit Vergnügen kaufen. Ich verspreche es Ihnen, sobald Friede wird; jetzt haben wir in unserem Lager vollauf zu tun.
Ich bin heute zur Mine des Genuesen kommandiert, von der ich Ihnen erzählte, und muß die Nacht dort bleiben. Weitere Nachrichten von der Armee behalte ich mir für die nächste Post vor und verbleibe mit der Versicherung größter Hochachtung Ihr usw.
<226>Schreiben eines Schweizers an einen Genuesen
(Februar 1760)
Mein Herr! Die starke Einbildungskraft Ihrer Landsleute muß weit über den Instinkt der armen Schweizer gehen, die zwischen ihren Bergen eingeschlossen sind, deren ewiger Schnee die Geister erkältet und ihnen nur das Denkvermögen läßt. Ihr Brief hat mir fast die Glut Ihrer Gefühle mitgeteilt; auf ein Haar hätten die beiden Kaiserinnen und alle mit ihnen verbündeten Könige mich mit Staunen und Bewunderung erfüllt. Also diese Allianz, die mir nur schrecklich, furchtgebietend und verhängnisvoll erscheint, flößt Ihnen Begeisterung ein! Mit Entzücken sprechen Sie von Dem, der durch seine Staatskunst so viele sich widersprechende Tendenzen zusammengeführt und die Pläne so vieler Ehrgeiziger auf einen Gegenstand vereinigt hat.
Wie ich gestehen muß, würde ich ebenso gern die fürchterliche Pest bewundern, die in Marseille wütete226-1, das Erdbeben, das Quito und Mekines in Schutt legte, oder das, welches Lissabon zerstörte226-2, die Ausbrüche der Vulkane, die Blitzschläge, Überschwemmungen und alle Plagen, die die Menschheit heimsuchen. Alle diese verderblichen Ursachen unseres Mißgeschicks haben etwas Großes, Imposantes. Ihre schreckensvollen Wirkungen machen Eindruck auf die Phantasie, und solche tragischen Szenen packen uns, indem sie uns rühren. Der menschliche Geist ist so geartet, daß er alles, was ihm große, gewaltige oder wunderbare Vorstellungen erweckt, leidenschaftlich ergreift. Daher kommt es, daß erlauchte Schurken sich den Ruf großer Staatsmänner erwarben, daß bekannte Räuber sich den Heldennamen anmaßten und ihr Andenken im Gedächtnis der Menschen fortlebt226-3, während wahre Wohltäter der Menschheit, Männer, die ihrem Vaterland in der Stille nützten, indem sie Künste erfanden oder ermunterten, in schmähliche Vergessenheit sinken. Seien wir also vorsichtig und verwechseln wir das Große nicht mit dem Lobenswerten, das Imposante nicht mit dem Nützlichen.
Der einzige Gesichtspunkt, unter dem ein Staatsbürger die Handlungsweise der Politiker prüfen soll, ist sicherlich ihre Beziehung zum Wohle der Menschheit, das in öffentlicher Sicherheit, Freiheit und Frieden besieht. Gehe ich von diesem Grundsatz<227> aus, so machen mir alle Worte wie Macht, Größe, Stärke keinen Eindruck mehr. Ich verachte die Kniffe und die Fertigkeit der Diplomaten, die aus den fernsten Winkeln Europas die gewaltigen Heere zusammenbrachten, die Ihnen imponieren, und ich bemühe mich lediglich, im Geist dieser Staatsmänner zu schürfen, um ihre Anschauungen und die Grundlagen ihres Systems zu ergründen.
Diese Allianz erscheint mir als eine Verschwörung der Stärkeren zur Vernichtung der Schwächeren. Sie ist eine Liga von Ehrgeizigen, die Hab und Gut von Feinden an sich reißen wollen, die ihnen nach ihrer Meinung nicht gewachsen sind. Sie ist ein Kampf von Riesen gegen Zwerge, von Herrschern, die sich schon im voraus in die Beute derer teilen, die sie besiegen wollen, um ihre Verbündeten durch die Loch speise der Selbstsucht desto enger an sich zu ketten. Sehen wir bei dieser Allianz von den glanzvollen Namen ab, die sie sanktionieren, und schreiben wir einmal die politischen Machenschaften, die Ihnen raffiniert erscheinen, Privatleuten zu, welchen Namen werden wir ihnen dann geben? Setzten wir an Stelle der Krieger- und Heldenscharen, die den Erdball bedecken, eine Rotte obskurer, hergelaufener Menschen: wie werden wir dann ihr Benehmen kennzeichnen? Sagen Sie mir nicht, die Herrscher hätten keinen Richter Über sich und wären darum berechtigt, ihre Zwistigkeiten mit dem Degen auszufechten. Ich weiß es, und niemand streitet ihnen dies Recht ab. Aber folgt daraus, daß zehn sich gegen zwei verbünden müssen, um sie zu vernichten? Und soll die Politik auf die Ideen der Billigkeit, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit, die alle Völker üben, völlig verzichten? Mehr noch: Gelingt es dieser großen Allianz, ihre Feinde zu zerschmettern, so wird ihr das nicht zur Ehre gereichen; denn der Ruhm ist nur ein Lohn für bezwungene Hindernisse und die schwierigsten Unternehmungen.
Die Geschichte liefert uns nur ein Beispiel, die Ligue von Cambrai227-1, die zur Aufteilung der Republik Venedig geschlossen ward, als Gegenstück zu der großen Allianz, die gegenwärtig das Ziel verfolgt, Preußen zu zertrümmern. Im Altertum sehen wir wohl den Römern die Unterjochung vieler Völker gelingen, aber nur, weil diese Völker, größtenteils Barbaren, nie so geschickt waren, sich zum Widerstand gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden. Sobald der Koloß des römischen Reiches zerstört war, erhoben sich auf seinen Trümmern große Reiche, deren Kraft durch mächtige Vasallen geschwächt wurde. Die Herrscher waren ohne Autorität und kämpften immerfort gegen ihre eigenen Untertanen. Durch diese inneren Wirren wurden sie zu sehr in Schach gehalten, um ihren Nachbarn furchtbar zu werden. Nach vielen Jahrhunderten befestigte sich die Fürstenmacht und schlug tiefe Wurzeln. Wir datieren die Epoche der monarchischen Gewalt von der Regierung Franz' I. und Karls V.
Seitdem ward alles anders. Die Ehrsucht der Könige, durch keinen Zügel mehr gehemmt, griff nach allem, was ihre Habgier und Vergrößerungssucht befriedigen<228> konnte. Heinrich VIII. von England hielt durch sein geschicktes Benehmen die Wage zwischen Karl V. und Franz I.; sonst hätte der Kühnere oder Erfolgreichere von beiden ganz Europa umgewälzt. Seitdem ward die Erhaltung dieses Gleichgewichts das Hauptbestreben der europäischen Politik, und die Schwachen fanden einen Rückhalt gegen die Bedrückungen der Starken. Die neuere Geschichte liefert uns tausend Beispiele dafür. Bald unterstützt Frankreich den Bund der protestantischen Fürsten Deutschlands228-1, um zu verhindern, daß die Kaiser ihrenDespotismus aufrichten. Bald kommen die Könige von Schweden oder Dänemark der deutschen Freiheit zu Hilfe228-2. Bald steht ganz Europa dem Haus Österreich bei, dessen Hauptstadt Soliman II. belagern ließ228-3. In anderen Fällen verbünden sich die Kaiser, England, Holland und fast ganz Europa, um ein Gegengewicht gegen die Übermacht Ludwigs XIV. zu schaffen, der alles an sich zu reißen drohte. Dieser weisen Politik danken wir den Bestand der verschiedenen europäischen Regierungen. Sie war ein Damm, der sich dem Überfluten des Ehrgeizes stets entgegenschob.
Ich weiß nicht, wie es kam, daß Europa mit einem Schlage dies Gleichgewicht verloren hat,und zwar zu einer Zeit, wo es seiner vielleicht am dringensten bedurfte. Vielleicht ist es eine Folge dieses plötzlichen Systemwechsels, der uns wie ein Theatercoup vorkam. Und doch sprach viel dafür, daß es den Herrschern ebenso ergehen würde, wie den Flüssigkeiten, die die Chemiker in eine Phiole einschließen: nachdem sie eine Weile durcheinander gewirbelt sind, setzen sie sich mit der Zeit von selbst, je nach der ihnen innewohnenden Schwere. Allein es ist ganz anders gekommen; denn die Ursachen in der Natur bleiben stets die gleichen, wogegen die Gründe, die im Rate der Fürsten entscheiden, von den menschlichen Leidenschaften abhängen.
Nun werden Sie selber beurteilen können, welche verderblichen Wirkungen dies Monarchen komplott haben kann, diese Verschwörung, die Ihnen so reizvoll dünkt! Gelingt es den Herrschern, die Könige von England und Preußen zu zerschmettern, so werden sie solchen Geschmack daran bekommen, daß die Zuschauer bald das gleiche Los ereilt, und diese mächtige Liga wird in Europa einen unerträglichen tyrannischen Despotismus aufrichten, der für alle Nationen gleich schmachvoll ist. Wohin käme dann die Sicherheit des Besitzes? Welcher Herrscher wäre seines Thrones sicher? Müßte nicht jeder befürchten, daß er von heute auf morgen entthront wird, und daß seine Staaten ihm entrissen werden? Königreiche, Kurfürstentümer, Republiken, kleine Regierungen, alle führten dann nur ein unsicheres Dasein und würden schließlich von dem Schlund der vorherrschenden Mächte verschlungen. Die Herrscher, die in diesem Kriege ganz von selbst hätten Partei nehmen müssen, sind sämtlich isoliert oder neutral geblieben. Keiner von ihnen hat an den Wahlspruch unter dem Pfeilbündel im holländischen Wappen gedacht: Meine Kraft liegt in meiner Einigkeit. Ihre Sicherheit erscheint mir trügerisch; sie glauben, der Friede sei ihnen vorläufig<229> geschenkt, und sie sind offenbar zufrieden, wenn sie doch untergehen müssen, wenigstens als letzte dranzukommen.
Alles wiederholt sich, mein Herr. Salomo hat mit Recht gesagt: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Die gleichen Szenen kehren wieder, nur der Name der Handelnden wechselt. Die Liga der mächtigen Monarchen, die Europa bedroht, gleicht auf ein Haar dem Triumvirat des Augusius, Antonius und Lepidus. Hier wie dort hat man damit begonnen, sich seine ältesten Freunde zum Opfer zu bringen. Damals proskribierte man Senatoren, jetzt proskribiert man Herrscher. Nach Niederwerfung des Brutus, nach Vernichtung der Freiheit und der Republik hielt die Triumvirn kein Band des Interesses mehr zusammen, und sie wandten die Waffen gegeneinander. Lepidus ward ihr erstes Opfer, und nachdem der schurkischeste der drei, nämlich Augusius, die beiden anderen vernichtet hatte, riß er schließlich die Macht und die Herrschaft der Welt an sich.
Was bei den Römern eine rasche Umwälzung war, vollzieht sich heutzutage langsamer, aber das Wesen der Ehrsucht ändert sich nicht. Haben unsere modernen Triumvirn Erfolg, so werden sie die gleichen Pläne entwerfen und das gleiche Los erleiden wie in der Antike. Meine Schlußfolgerung fußt aufAnalogie und Erfahrung. Zum Wohle der Menschheit wünsche ich, daß meine Vermutungen falsch sind. Ich bin kein Prophet und will es nicht sein.
Sie werden aus diesem Gedankengang ersehen, daß das Gold, dessen Glanz Sie blendet, nicht ohne Schlacke ist; nun können Sie es in Ihrem Schmelztiegel läutern. Ich unterdrücke eine Fülle von Betrachtungen, die der Gegenstand nahelegt, und überlasse sie ganz Ihnen; Sie werden sie auch ohne Andeutung meinerseits anstellen. Verzeihen Sie mir alle, mit denen ich Sie belästige; es sind Früchte meines Landes. Vielleicht bewahren sie den Erdgeruch; jedenfalls kommen sie nicht den Reizen gleich, mit denen Ihre glänzende Phantasie alle Dinge ausschmückt, die sie berührt. Glauben Sie mir wenigstens, daß ich diese Schönheiten zu empfinden und zu bewundern vermag. Ja, seien Sie dessen ebenso versichert wie meiner Hochachtung usw.
<230>Schreiben eines österreichischen Offiziers an einen Freund in der Schweiz230-1
(Frühling 1761)
Lieber Freund! Sie fragen mich, was es Neues bei uns gibt, und sehnen den Frieden herbei. Ich glaube Sie mit der Nachricht zu erfreuen, daß mitten in unseren militärischen Operationen, während unsere Alliierten kräftig gegen den König von Preußen vorgehen, Unterhandlungen gepflogen werden, die, wie Eingeweihte versichern, schon ziemlich weit gediehen sind. Anscheinend fangen unsere Herrscher an, des Mordens, der Räubereien und Grausamkeiten müde zu werden, die der Krieg mit sich bringt. Fühlt man Europa den Puls, so sieht es fest, daß der Anfall von Tobsucht nachläßt. Vielleicht bedarf es noch eines Aderlasses, damit die Vernunft wieder völlig die Oberhand gewinnt. Angeblich wird über folgende Präliminarien verhandelt. Ich war vor einigen Tagen zum Essen beim General Spada, wo er es mir selber versicherte. Ich schicke Ihnen das Ganze, so wie ich es erhielt.
Präliminarartikel des allgemeinen Friedensschlusses zwischen den hohen Verbündeten und Ihren Majestäten, den Königen von Preußen und Großbritannien.
Artikel 1
Zwischen den vertragschließenden hohen Mächten soll ewiger Friede herrschen. Sie werden sich mit ruchloser Falschheit gegenseitige Freundschaft schwören und beständig daran arbeiten, sich zu schaden, bis Neid, Eifersucht und Ehrgeiz Mittel zum abermaligen Ausbruch finden.
<231>Artikel 2
Die vertragschließenden hohen Mächte verpflichten sich gegenseitig, die Minister aufknüpfen zu lassen, die den gegenwärtigen Krieg herbeigeführt haben, nämlich .... (diese Stelle ist mit so schlechter Tinte geschrieben, daß ich sie nicht entziffern konnte).
Artikel 3
Jeder der vertragschließenden hohen Mächte sieht es frei, ohne daß eine von ihnen dagegen Einspruch erheben dürste, daheim über die Torheiten, Tölpeleien, dummen. Streiche und andere scherzhafte Dinge, die bei den Machbaren vorkommen, laut zu lachen.
Artikel 4
Die hohen Mächte verbieten ihren Schreibern in Friedenszeiten die Sprache von Marktweibern gegen Souveräne231-1.
Artikel 5
Alle Kanonen, die Mitschuldige der ungeheuren Schlächtereien des gegenwärtigen Krieges waren, werden sorgfältig in die respektiven Zeughäuser eingesperrt.
Artikel 6
Da man seit sechstausend Jahren infolge reiflichen Nachdenkens einzusehen beginnt, daß Hochmut und Frechheit der Höfe oft zu blutigen Kriegen geführt hat, verpflichten sich die hohen Mächte gegenseitig, den hochtrabenden Stil und die eitle Anmaßung fahren zu lassen, da sie allen Herrschern schlecht anstehen und für die öffentliche Ruhe gefährlich sind.
Artikel 7
Sämtliche vertragschließenden hohen Mächte verzichten auf phantastische Projekte, und jedermann wird vernünftig sein.
Ober diesen Artikel wird am meisten disputiert. Gelingt seine gütliche Regelung, so können wir auf dauernden Frieden hoffen.)
Artikel 8
Sobald man sich über diese Artikel geeinigt hat, wird bei allen Armeen der Waffenstillstand veröffentlicht.
Das, lieber Freund, ist alles, was ich herausgebracht habe. Möge der Himmel so vielem Elend ein Ende machen und uns keinen brüchigen, sondern einen dauerhaften Frieden bescheren. Wie versichert wird, soll der Kongreß in Nürnberg abgehalten<232> und den Botschaftern soll die Mitnahme von Konkubinen untersagt werden, da man den weiblichen Sinn für wenig friedfertig hält. Auf dem Kongreß wird also mehr Sittenstrenge herrschen als auf Vielen Konzilen. Wie Sie sich entsinnen werden, hatten die Kardinale und Bischöfe auf den Konzilen von Basel und Konstanz so viele Freundinnen mit, daß kaum Platz genug war, um diesen geistlichen Serail unterzubringen. Ich habe die Ehre zu sein usw.
<233>Zeitungsartikel233-1
(März 1767)
Wie wir aus Potsdam hören, verdunkelte sich am 27. Februar gegen Abend die Luft. Finstere Wolken, von einem fast beispiellosen Sturme zusammengetrieben, bedeckten den ganzen Horizont; Blitz und Donner folgten sich Schlag auf Schlag, und während dieses furchtbaren Gewitters prasselte ein Hagel hernieder, wie er noch nie erlebt ward. Von zwei Ochsen, die einen Bauernwagen in die Stadt fuhren, wurde der eine buchstäblich gesteinigt. Viele Leute aus dem Volke wurden auf der Straße verletzt, einem Brauer wurde der Arm gebrochen. Der Hagelschlag hat Dächer zerstört, alle Fensterscheiben in der Richtung des Wettersturms wurden zertrümmert. In den Straßen sah man kürbisgroße Hagelkörner, die erst zwei Stunden nach dem Unwetter schmolzen. Diese Naturerscheinung hat großen Eindruck gemacht. Die Physiker behaupten, die Luft sei nicht imstande, so klobige Eismassen zu tragen; die kleineren Hagelkörner der sturmgepeitschten Wolken hätten sich im Fallen vereinigt und erst dicht vor dem Niedergang diesen ungeheuren Umfang erreicht. Wie dies aber auch zusammenhängt, fest sieht, daß derartige Vorkommnisse selten, ja fast beispiellos sind.
<234>Totengespräch
zwischen
dem Herzog von Choiseul, Graf Struensee und Sokrates
(Februar 1772)
Der Herzog von Choiseul kann seit seiner Verbannung234-1 für bürgerlich tot gelten. Auch Herrn von Struensee234-2 kann man schon als zum Tode verurteilt ansehen durch den Spruch, der über ihn gefällt werden wird. Einen Autor, der es mit der Chronologie nicht genau nimmt, hindert also nichts, sie als längst verstorben zu behandeln und sie in den Gefilden der Einbildung zusammentreffen zu lassen, wo nach der Mythologie der Heiden, Christen, Muselmanen und fast aller Völker der Erde die Schatten miteinander Zwiesprache halten.
Choiseul: Nein, Sie mögen sagen, was Sie wollen, ich bin untröstlich, nicht mehr in Versailles zu sein, Frankreich nicht mehr zu beherrschen, nicht mehr von mir reden zu machen! Wie trübselig ist das Schattendasein!
Sokrates: Nicht trübseliger als andere Dinge. Welche Wut beseelt Dich, ein Volk beherrschen zu wollen, das von Dir nicht beherrscht sein will? Und warum beschwerst Du Dich, den ewigen Naturgesetzen unterworfen zu sein, wie jeder andere Sterbliche?
Choiseul: Ich bin in Frankreich nicht so verhaßt, wie Du meinst. Als eigentlicher König und Herr besaß ich das Geheimnis, viele an mich zu fesseln, sei es durch Dienste, die ich ihnen erwies, durch Ämter, die ich zu vergeben hatte, oder durch Freigebigkeit, die mir nichts kostete. Man hat mein Scheiden betrauert. In ganz Frankreich ist kein Mensch mir an Geist gleich. Welche Rolle spielte ich! Ich störte Europas Frieden ganz nach meinem Belieben. Ich übertraf Richelieu und Mazarin!
Sokrates: Jawohl, in Kniffen, in bösartigen Ränken, in Gaunerstreichen; denn Du warst ein ausgemachter Spitzbube. Aber weißt Du nicht, daß niemand Deines<235>gleichen um seinen Ruf beneidet? Die Tugendhaften verabscheuen euch, ihre Meinung gibt in der Welt schließlich den Ausschlag, und sie diktieren das Urteil der Nachwelt. Du wirst in der Geschichte nur als berühmter Störenfried gelten, als Rakete, die einen Augenblick blendet, doch bald in dem Rauche verlischt, den sie selbst erzeugt.
Choiseul: Wahrhaftig, Herr Sokrates, Sie sind gallig; denn das müssen Sie sein, um einen Minister wie mich nicht anzuerkennen. Die französische Monarchie ist keine athenische Republik.
Sokrates: Du wähnst Dich noch in Versailles mit Deinem Weibe, oder vielmehr Deiner Schwester, Frau von Grammont235-1, von kriechenden Schmeichlern umgeben. Da log Dich die Falschheit unter der Maske der Höflichkeit reichlich an. Teils aus Furcht vor Deiner Macht, teils aus schnödem Eigennutz streute man Dir Weihrauch und sang Loblieder auf Deine Torheiten. Hier braucht keiner den anderen, hier beweihräuchert man keinen und sagt nur die lautere Wahrheit.
Choiseul: Ach, welch ein übler Aufenthaltsort! Wie verdrießlich ist es für einen Versailler Höfling, was sag' ich, für einen allmächtigen Minister, mit so plumpen Flegeln leben zu müssen! Doch was seh' ich da? Was für ein Wesen schickt man uns aus der anderen Welt zu? Was ist das für eine Bestie? Sie hat keinen Kopf! Gott verdamm' mich, ich glaube, es ist der heilige Dionysius. Wer bist Du, Mensch ohne Kopf?
Struensee: Ich habe leider nicht die Ehre, heilig zu sein, ich bin sogar ein Ketzer. Ich kam ohne Kopf her; denn man brauchte ihn in dem Lande, wo man ihn mir abschlug, well man sonst keinen anderen hatte.
Choiseul: In Frankreich ist man nicht so brutal. Bei uns sind die Gesetze für das Volk da und nicht für die Großen. Wir werden nicht geköpft. Aber welche Rolle spieltest Du auf Erden und warum hat man Dich derart behandelt?
Struensee: Ich bin Graf Struensee, einer von denen, die alles ihrem eigenen Verdienst danken; ich bin meines Glückes Schmied. Ich war Arzt in Holstein, als der Beherrscher Islands, Norwegens, Holsteins und Dänemarks nach Kiel kam. Er war schwer krank; ich heilte ihn glücklich, gewann seine Gunst und mehr noch die der Königin, die mich nicht mit gleichgültigen Blicken betrachtete. Ich wurde Minister und wollte Herrscher werden. Ich dachte wie Pompejus: ich wollte keinen Gleichen neben mir dulden. Ich fand Mittel und Wege, meinen Gebieter zu fesseln. Um ihn in Abhängigkeit zu erhalten, ließ ich ihn so viel Opium schlucken, daß er davon verblödete; dann wollten ich und die Königin uns zu Regenten des Reiches machen. Wenn man der Zweite ist, will man gern der Erste sein. Ich schuf mir einen großen Anhang. Wir waren im Begriff, den Monarchen für regierungsunfähig zu erklären.<236> Unvermutet ward ich des Nachts verhaftet und in Ketten gelegt. Die Dänen kannten Machiavell nicht; sie sahen das Große nicht, das in meinem Benehmen lag. Nachdem ich der eigentliche König gewesen war, schlug man mir den Kopf ab. Aber wer sind Sie, Herr Frager?
Choiseul: Ich bin der berühmte Herzog von Choiseul, vormals König von Frankreich, wie Sie von Dänemark. Auch ich war allein das Werkzeug meines Glückes; durch mein Ränkespiel erlangte ich den Platz neben dem Thron — oder auf dem Thron, wenn Sie wollen — und verlieh ihm den höchsten Glanz. Ich bin der UrHeber des berühmten Familienvertrages, durch den ich Spanien zum Opfer eines Teils seiner Flotte und seiner amerikanischen Besitzungen bewog, nur um die Ehre zu haben, Frankreich beizustehen, als es am Ende seiner Kräfte war, erschöpft durch den Krieg, den es mit England in Deutschland führte, geschlagen zu Wasser und zu Lande236-1. Unter solchen Umständen gelang es mir, einen möglichst vorteilhaften Frieden zu schließen und ...
Sokrates: Das ist das einzig Vernünftige, was Du zeitlebens vollbracht hast.
Choiseul: Es freut mich, daß Sie wenigstens etwas an mir loben. Seitdem vertrieb ich die Jesuiten aus Frankreich236-2, weil ich mich als Gesandter in Rom mit ihrem Ordensgeneral verfeindet hatte236-3.
Sokrates: Zu meiner Zeit gab es solches Gezücht nicht. Aber andere Verstorbene haben mir erzählt, es wären Sophisten, die mit Dolch und Gift arbeiten. Sollte Herr von Struensee wohl zu ihrer Sekte gehören?
Struensee: Ich gehöre zur Sekte Cromwells, Cäsar Borgias und Catilinas. Aber fahren Sie fort, mich zu belehren, Herr Herzog.
Choiseul: Nach diesem schönen Streich setzte ich mich in den Besitz von Avignon236-4. Ich vertrieb den Papst daraus, um die Grafschaft für ewig dem Königreich Frankreich einzuverleiben. Ebenso gewann ich Korsika, das ich den Genuesen geschickt fortstibitzte236-5.
Sokrates: Du warst also ein Eroberer?
Choiseul: Diese Eroberungen machte ich von meinem Kabinett aus. In Vergnügen und Zerstreuungen schwimmend, am Busen der Wollust störte ich den Frieden Europas. Je aufgeregter die anderen Mächte waren, um so ruhiger konnte Frankreich sein. Die Kriege und die Mißwirtschaft meiner Vorgänger hatten unsere Finanzen zerrüttet; der Kredit war dahin, und der Staatsbankrott stand vor der Tür.
<237>Struensee: Auf welche Weise störten Sie den Frieden Europas?
Choiseul: Kein Mensch hat sich je etwas Schlaueres, Geschickteres, Raffinierteres ausgedacht. Erstens legte ich unter falschem Namen große Kapitalien in der englischen „Ostindischen Kompagnie“ an. Meine Agenten ließen die Kurse je nach Belieben steigen und sinken. Dadurch entstand allgemeine Verwirrung, und die Direktoren der Gesellschaft entzweiten sich, während ich durch geschickte Machenschaften die indischen Rabobs gegen England aufwiegelte. Es kam zwischen ihnen zum Kriege, und die Gesellschaft machte beinahe bankrott. Ich wäre vor Freude fast gestorben.
Sokrates: Edle Seele!
Choiseul: Andrerseits hetzte ich die Reuchâteller gegen den König von Preußen auf237-1, um diesen unruhigen Geist daheim zu beschäftigen. Aber all diese Dinge, die ich nebeneinander lenkte, wie die Römer ihr Viergespann, genügten mir noch nicht. Durch große Summen, die ich im Diwan austeilte, brachte ich die Türken zum Krieg gegen Rußland237-2, schürte die polnische Konföderation, um Katharina einen Strich durch die Rechnung zu machen, und wollte Schweden gegen sie aufstacheln. Eine Diversion von jener Seite hätte der den Russen unterlegenen Pforte Lust geschafft. Ja, ich hätte die Kaiserin-Königin sogar dahin gebracht, Mustapha beizustehen, hätten mich meine Feinde nicht gestürzt.
Struensee: Schade, daß so viele schöne Pläne nicht zur Ausführung kamen!
Choiseul: Sicherlich. Ich hätte so viel Lärm gemacht, so viel Intrigen angezettelt, daß ganz Europa nur von mir gesprochen hätte.
Sokrates: Denke an Herostrat, der den Tempel von Ephesos ansteckte, um berühmt zu werden!
Choiseul: Das war nur ein Brandstifter, ich aber war ein großer Mann. Ich spielte auf unserem Erdball die Rolle der Vorsehung. Ich entschied alles, ohne daß irgendwer merkte, wie es geschah. Man sah nur die Schläge, aber nicht die Hand, die sie führte.
Sokrates: Tor! Wagst Du Dich mit der Vorsehung zu vergleichen, Deine Schurkenstreiche mit der Allmacht, Deine Verbrechen mit dem Urbild der Tugend?
Choiseul: Jawohl, Herr Sokrates, ich wage es. Möge Ihr graues Haupt erfahren, daß Staatsstreiche keine Verbrechen sind, und daß alles, was Ruhm bringt, groß ist. Denken Sie daran, daß Ihre Griechen Männer, die nicht an mich heranreichten, zu Halbgöttern erhoben.
<238>Sokrates: Er schnappt über; die Anfälle werden immer stärker. Geh und wende Dich an Hippokrates; er ist hier in der Nähe, er wird Deinen Wahnsinn heilen.
Choiseul: Herr Graf Struensee ist noch näher. Er würde mir diesen Dienst erweisen, wenn ich ihn nötig hätte (allerdings ohne Opium). Ach! Dieser schweigsame Weise! Für Wahnsinn hält er den edlen Stolz und das berechtigte Selbstvertrauen jedes großen Mannes!
Struensee: Sie bedürfen keiner Kur; Sie verdienen das größte Lob. Machiavell hätte Ihnen die Krone des Staatsmanns aufgesetzt. Aber warum wurden Sie verbannt?
Choiseul: Ein Kanzler238-1, der noch durchtriebener war als ich, setzte es mit Hilfe einer Favoritin238-2 durch, der ich mich zu beugen zu stolz war.
Struensee: Nachdem Sie so schöne Dinge so glücklich vollbracht hatten, unter welchem Vorwand konnte man Sie da verbannen?
Choiseul: Man führte die Zerrüttung der Finanzen ins Feld. Es widerstrebte Ludwig, sich als Urheber eines Staatsbankrotts zu sehen. Er wollte die Dinge hinziehen, um die öffentliche Erbitterung, die dieser Zusammenbruch gegen ihn erregen mußte, auf seinen Enkel238-3 zu vererben. Man bezichtigte mich also, während meiner Regierung das Geld mit vollen Händen ausgestreut zu haben; und fürwahr, ich verachtete das schnöde Metall; ich war freigebig; ich war mit der edlen Gesinnung eines Königs geboren, der hochherzig, ja verschwenderisch fein soll.
Sokrates: Meiner Treu, Du warst ein Erznarr, den Ruin Deines Landes zu vollenden.
Choiseul: Mein Geist trachtete nach Großem, und sicherlich liegt etwas Großes darin, wenn eine Monarchie wie Frankreich bankrott macht. Das ist nicht wie der Zusammenbruch eines Krämers; hier geht es um Milliarden; das Ereignis macht Aufsehen, verblüfft diesen, zerschmettert jenen und wirft auf einen Schlag eine große Zahl von Vermögen um. Was für ein Theatercoup!
Sokrates: Frevler!
Choiseul: Herr Philosoph, lassen Sie sich gesagt sein: wenn man die Welt regiert, darf man kein enges Gewissen haben.
Sokrates: Geh mir! Um Tausende von Bürgern ins Unglück zu stürzen, muß man wild wie ein Tiger sein und ein Herz von Stein haben!
Choiseul: Mit Ihren Ansichten mochten Sie am Kerameikos238-4 glänzen, aber Sie wären nur ein armseliger Minister geworden.
<239>Struensee: Sicherlich. Ein großer Geist gibt sich durch kühne Unternehmungen kund. Es muß etwas Neues sein. Er führt beispiellose Pläne aus, läßt die kleinlichen Bedenken den alten Weibern und geht stracks auf sein Ziel, ohne nach den Mitteln zu fragen, die ihn dahin führen. Nicht jedermann vermag unser Verdienst zu ermessen, die Philosophen noch weniger als andere; und doch fallen wir für gewöhnlich den Hofintrigen zum Opfer.
Choiseul: Ich fiel folgendermaßen. An unserem Hofe vermag das Verdienst nichts gegen die Launen einer Metze; außerdem wurden sie ihr noch von einem Schulfuchs im Talar eingeblasen. Denn was vermochte sie selbständig, außer das fast erloschene Feuer eines Fürsten zu schüren, der jederzeit ein Weiberknecht gewesen?
Struensee: Hätten Sie Opium gebraucht, um Ihren Monarchen einzuschläfern, so waren alle Intrigen umsonst. Sie wären noch heute Minister oder vielmehr König; denn wer die Macht hat und handelt, ist der wirkliche Herrscher, der aber, der ihn gewähren läßt, höchstens sein Sklave.
Choiseul: Das Opium war überflüssig. Die Natur hatte meinen Gebieter schon so gemacht, wie der Ihre es durch Ihre Arzneien wurde.
Sokrates: Dein Opium hat Dir gute Dienste geleistet, unglücklicher Abtrünniger des Hippokrates! Du wardst darum nicht mehr und minder eingekerkert und nicht gelinder bestraft, als Du es verdientest.
Struensee: Der Schicksalsschlag war nicht vorherzusehen. Welch ein Unglück, verdrängt zu werden, und noch dazu von was für Leuten!
Sokrates: Nein, das war eine Folge der ewigen Gerechtigkeit, damit nicht alle Verbrecher glücklich sind und wenigstens einige bestraft werden — zum warnenden Beispiel für die Lasterhaften.
Choiseul: Ich hoffe trotzdem, daß Sie meinen Sturz bedauern. Denn hätte ich weiter regiert, so hätte ich Europa in Staunen gesetzt durch die großen Dinge, die mein Geist ersonnen und ausgeführt hätte.
Sokrates: Du hättest auch weiter glänzende Torheiten vollbracht. Besäße Europa ein Narrenhaus, Du gehörtest hinein. Und was Dich betrifft, Däne, so wäre die Marter des Ixion und Prometheus noch zu gelind für Deinen schwarzen Undank gegen Deinen Herrn und für all die Verbrechen, die Du aus zügellosem Ehrgeiz begingest!
Choiseul: Das ist also der Ruhm, den ich erwartete! Struensee: Das ist also der Ruf, den ich mir versprach!
<240>Sokrates: Fort, Ihr Unseligen! Sucht Euch andere Gesellschaft als die meine. Tut Euch mit Catilina und Cromwell zusammen und besudelt die Wohnung der Weisen nicht länger durch Eure unreine Gegenwart!
Choiseul: Verlassen wir diesen unverschämten Schwätzer. Er fällt mir zur Last.
Struensee: Verlassen wir diesen düsteren Sittenprediger. Aber wohin? Ich will die Gesellschaft meiner deutschen Landsleute aussuchen und mich mit Wallenstein über mein Unglück trösten. Leben Sie wohl, König ohne Staat!
Choiseul: Ich für mein Teil gehe zu den Franzosen und suche den Hausmeier Pipin auf. Leben Sie wohl, Minister ohne Kopf!
<241>Totengespräch
zwischen
Prinz Eugen, Lord Marlborough und Fürst Liechtenstein
(1773)
Marlborough: Sharon wird nächstens verhungern; kein Mensch setzt mehr auf seinem Kahn über. Seit einigen Tagen haben wir keine Post mehr von der anderen Welt bekommen. Wenn das so weiter geht, wissen wir nicht mehr, was dort vorgeht: das wäre sehr schade.
Eugen: Nicht alle Verstorbenen kommen in die seligen Gefilde, die wir bewohnen; viele gehen in den Tartarus. Und dann wird die Erde nicht immer von Seuchen, Pest und Hungersnot heimgesucht. Gedulden Sie sich, es werden schon noch welche kommen.
Marlborough: Die Engländer erhängen sich mit Vorliebe in der späten Jahreszeit, trotzdem sehe ich keinen nahen. Vielleicht ist unseren Landsleuten durch Parlamentsbill verboten, sich aufzuknüpfen.
Eugen: Sie haben kürzlich Lord Chesterfield241-1 bekommen, dürfen sich also nicht beklagen. Und ich meinen Verwandten, den König von Sardinien241-2. Man stirbt nicht alle Tage. Lassen wir die Leute leben, damit sie Zeit finden, das Knäuel der Torheiten abzuhaspeln, das sie vor ihrem Tode beendet haben müssen. Doch mir ist, als sähe ich einen Schatten.
Marlborough: Ja, es ist ein Ankömmling; er schreitet auf uns zu.
Eugen: Ich glaube ihn zu erkennen. Sind Sie nicht Fürst Wenzel Liechtenstein?241-3
Liechtenstein: Ja, ich bin's. Ein recht schmerzhafter Tod entriß mich soeben meiner Familie, meinen großen Besitzungen, meinen Ehren und Würden.
<242>Eugen: Das ist das Los aller Menschen. Aber da Sie aus der Ferne kommen, st bezahlen Sie Ihre Eintrittskarte und erzählen Sie uns das Neueste, was sich in Ihrem Lande zugetragen hat.
Liechtenstein: Das ist viel. Alles ist verändert. Die Vergangenheit ist durch die Gegenwart ausgelöscht. Sie würden Europa nicht wiedererkennen; man hat in allen Dingen Fortschritte gemacht.
Eugen: Ich würde Europa nicht wiedererkennen? Sicherlich hat das Kaiserhaus, dessen Macht ich vergrößerte, ja befestigte, große Fortschritte gemacht und ist seit meiner Zeit ungleich mächtiger geworden.
Liechtenstein: Das gerade nicht; denn seit Ihrem Tode haben uns die Türken, Preußen und Franzosen geschlagen, und wir haben ein halbes Dutzend Provinzen verloren; doch das sind Bagatellen.
Eugen: Ich begreife Sie nicht. Wenn Sie soviel verloren, was für Fortschritte konnten Sie dann machen?
Liechtenstein: Wir haben unsere Finanzen vervollkommnet. Mit dem Rest der Provinzen, die uns verblieben sind, haben wir mehr Einnahmen als Karl VI. je mit dem Königreich Neapel, der Lombardei, Serbien, Schlesien und Belgrad. Was das Heerwesen betrifft, so unterhalten wir jetzt 160 000 Mann; soviel konnten Sie zu Ihrer Zeit nicht besolden. Ich für mein Teil habe an der Artillerie gearbeitet242-1. Ich gab 300 000 Taler aus meinem Vermögen hin, um sie in guten Stand zu setzen. Und so rückt denn keine Armee mehr ins Feld, ohne mindestens 400 Kanonen mitzunehmen. Sie verstanden nichts von diesem Gebrauch unserer Artillerie, der unsere Lager zu Festungen macht242-2. Sie hatten kaum 30 Geschütze bei Ihrer Armee.
Eugen: Allerdings. Aber mit diesen paar Kanonen schlug ich den Feind und ließ mich nicht schlagen.
Liechtenstein: Man kann geschlagen werden. Das sind kleine Unglücksfälle, die einem Ehrenmann passieren können.
Eugen: Ja, aber nicht durch seine Schuld.
Liechtenstein: O, wissen Sie, man urteilt heute weit besser als ehedem. Unser Verstand ist rein mathematisch geworden und fast unfehlbar. Doch ich wage Ihnen nicht zu sagen, was für Urteile man heute fällt.
Eugen: Sagen Sie's nur dreist. Obschon wir tot sind, können Sie uns doch noch belehren.
<243>Liechtenstein: Da Sie's wollen, vernehmen Sie denn: die Welt hat den Ruhm des Feldmarschalls Dann, obschon er oft geschlagen wurde, so hoch gestellt, daß er den Ihren völlig verschattet.
Marlborough: Sind Sie am hitzigen Fieber gestorben und reden Sie noch im Delirium? Ich werde nie glauben, das Andenken Eugens könnte derart herabgesetzt werden, daß man einen geschlagenen Dann über den Helden stellt, der mehr Kaiser war als Karl VI., der weise Feldzugspläne entwarf, der allein durch das Ansehen seines großen Namens die nötigen Summen aufbrachte, um die Truppen mobil zu machen, der dann selbst seine Pläne ausführte, den Feind schlug und weite Provinzen eroberte.
Liechtenstein: Ich habe kein hitziges Fieber; dieWelt ist imDelirium. Sie wirft dem Prinzen Eugen vor, er habe dem Hofkriegsrat keine ausführlichen Berichte über seine Erfolge zu geben vermocht.
Marlborough (zu Eugen): Man beschuldigt Sie, kein guter Schreiber gewesen zu sein. Ich glaubte, es kennzeichne die Helden, daß sie große Taten vollbringen und den Müßiggängern die Sorge überlassen, ihre Einzelheiten zusammenzutragen.
Eugen: Fürwahr, ich habe mich wohl gehütet, ausführliche Berichte zu geben. Genug, daß ich die Ergebnisse meiner Operationen meinen Feinden mitteilte, die sämtlich in jenem Kriegsrat saßen. Hätte ich noch lakonischer zu schreiben vermocht, meine Feldzüge wären noch erfolgreicher gewesen.
Marlborough: Genau so hielt ich's mit Königin Anna und ihrem Parlament. Unsere Gebieter waren reine Gliederpuppen. Es reichte völlig hin, sie über die Ergebnisse unserer Operationen kurz und bündig zu unterrichten. Sie konnten weder unsere Absichten und Pläne beurteilen noch die Gründe, weshalb wir lieber dies als jenes taten.
Liechtenstein: Es ist ja auch nicht meine Meinung; ich vermelde Ihnen nur die Denkweise des Publikums, ich bin lediglich Berichterstatter. Doch, Mylord, Sie sind in der gleichen Lage wie Prinz Eugen. Ich fürchte sehr, Sie aufzubringen, wenn ich Ihnen sage, wie man in England denkt.
Marlborough: Nur heraus mit der Sprache! Nach dem eben Gehörten wundert mich nichts mehr.
Liechtenstein: Ich gestehe Ihnen also errötend, daß Leute, die nicht wissen, was eine Kompagnie ist, geschweige denn ein Bataillon, die Behauptung wagen, Sie wären kein großer Feldherr, sondern dankten Ihren ganzen Ruf dem General Cadogan243-1. Sie wären nicht sowohl ein großer Feldherr als ein schlauer Diplomat, ver<244>stünden alle Hebel der Intrige in Ihrem Parlament in Bewegung zu setzen, um den Krieg in die Länge zu ziehen und auf diesem Wege sich die beträchtlichen Summen zusammenzurauben, die Sie aufgehäuft haben.
Marlborough: Mein Fall sieht einzig da. Ich war sterblich, aber der Neid meiner Feinde hat mich überlebt. Ja, ich habe mir Cadogan als Gehilfen meiner Arbeit ausgesucht und als geschickten Mann benutzt. Welcher Mensch könnte allein eine Armee in Bewegung setzen? Er braucht Gehilfen. Je mehr er unterstützt wird, um so besser geht die Sache. Ich hatte Freunde, sogar eine Partei im Parlament. Das mußte sein, sonst hätten die inneren Zwistigkeiten und der Mangel an Beistand uns zugrunde gerichtet, und die schönsten Pläne wären gescheitert. Habe ich etwas Geld für Schutzbriefe244-1 genommen, so war's in Feindesland, und eine rechtmäßige Steuer, die jeder Höchsikommandierende beanspruchen kann. In meiner Stellung hätte jeder andere ebensoviel oder noch mehr genommen.
Eugen: Wie? Höchstädt, Ramillies, Dudenaarde und Malplaquet haben den Namen des großen Mannes nicht geschirmt, und Viktoria selbst hat ihn vor den hämischen Geschossen des Neides nicht zu schützen vermocht? Welche Rolle hätte denn England ohne diesen echten Helden gespielt, der es hochhielt und zu Ansehen brachte, ja der es auf den Gipfel seiner Größe geführt hätte ohne jene elenden Weiberintrigen, die Frankreich zu seinem Sturze benutzte244-2? Hätte sich Marlboroughs Ansehen nur noch zwei Jahre behauptet, dann war Ludwig XIV. verloren. Liechtenstein: Ich gebe zu: Königin Anna hätte ohne Marlborough, und Karl VI. hätte ohne Eugen eine trübe Rolle gespielt. Ihnen allein verdanken beide Reiche Ruhm und Ansehen. Die vernünftigen Leute sind sich darüber einig, doch auf Erden muß man auf tausend Dummköpfe und hundert Narren einen gescheiten Kopf rechnen. Darum dürfen Sie nicht erstaunen, daß die Nachwelt so wunderliche Urteile über Sie gefällt hat.
Eugen: Man muß gestehen, daß wir kein Glück im Spiel haben. Während es über Alexander, Scipio, Cäsar und Ämilius Paullus nur eine Stimme gibt, muß. die Welt unseren Ruf zerpflücken, obwohl wir ebenso wie sie Großes vollbrachten, wogegen der ihre sich stets gleichbleibt und jeder Lobredner den von ihm Gepriesenen gern neben sie stellt, um ihn zu ehren!
Liechtenstein: Jene hatten das Glück, daß es in ihrem Malter keine Enzyklopädisten244-3 gab. .
Marlborough: Was ist das: ein Enzyklopädist? Welch barbarischer Name! Ist es ein Irokese? Ich habe ihn nie gehört.
<245>Liechtenstein: O, das glaub' ich: zu Ihrer Zeit gab es noch keine Enzyklopädisten. Es ist eine Sekte sogenannter Philosophen, die sich in unseren Tagen gebildet hat. Sie dünken sich erhaben über alles, was die Antike in dieser Gattung hervorgebracht hat. Mit der Schamlosigkeit der Zyniker verbinden sie die edle Dreistigkeit, alle Paradoxen, die ihnen in den Sinn kommen, zum besten zu geben. Sie brüsten sich mit Mathematik und behaupten, wer diese Wissenschaft nicht studiert habe, sei nicht recht klug. Folglich besitzen sie allein die Gabe, richtig zu denken. Ihre gewöhnlichsten Reden sind mit gelehrten Ausdrücken gespickt. So werden sie z. B. sagen, das und das Gesetz sei weislich im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat der Entfernungen erlassen; die und die Macht, die ein Bündnis mit einer anderen eingehen will, fühle sich durch die Anziehungskraft zu ihr hingezogen, und bald würden beide Völker miteinander assimiliert sein. Schlägt man ihnen einen Spaziergang vor, so ist dabei das Problem einer Kurve zu lösen. Haben sie eine Nierenkolik, so kurieren sie sich nach den hydrostatischen Regeln. Sticht sie ein Floh, so sind es unendlich kleine Größen, die sie belästigen. Fallen sie, so haben sie ihren Schwerpunkt verloren. Ist irgend ein Skribent so dreist, sie anzugreifen, so ertränken sie ihn in einer Sintflut von Tinte und Schmähungen; das Crimen laesae philosophiae ist unsühnbar.
Eugen: Aber welche Beziehung haben diese Narren zu unserem Ruf und dem Urteil, das man über uns fällt?
Liechtenstein: Weit mehr, als Sie glauben; denn sie schmähen alle Wissenschaften, außer ihrer eigenen Rechenkunst. Poesie ist eine seichte Kurzweil, die alten Fabeln müssen aus ihr ausgemerzt werden. Der Dichter soll nur die algebraischen Gleichungen schwungvoll reimen245-1. Die Geschichte soll man von rückwärts studieren, mit der Gegenwart anfangen und bei der Sintflut enden. Die Staatsverfassungen werden von ihnen samt und sonders verbessert. Frankreich soll unter einem Mathematiker als Gesetzgeber Republik werden. Mathematiker sollen sie beherrschen, indem sie alles, was in der neuen Republik geschieht, der Integralrechnung unterwerfen. Diese Republik wird den ewigen Frieden herbeiführen und sich ohne Heer behaupten.
Marlborough: Alles, was ich da höre, ist wundervoll. Aber leiden die Enzyklopädisten nicht vielleicht an Visionen von Wilden, Quäkern und Pennsylvaniern?
Liechtenstein: Mit der Behauptung würden Sie sie tief kränken. Sie halten sich auf ihre Originalität viel zugute.
Eugen: Wenn ich nicht irre, war der ewige Friede ein Traum eines gewissen Abbé St. Pierre245-2, der zu meiner Zeit tüchtig ausgelacht wurde.
Liechtenstein: Sie haben ihn wohl der Vergessenheit entrissen; denn sie tragen alle einen heiligen Graus vor dem Kriege zur Schau.
<246>Eugen: Man kann nicht leugnen, daß der Krieg ein Übel ist, aber ein unvermeidliches; denn ein Schiedsgericht über die Herrscher gibt es nicht. Liechtenstein: Der Haß auf die Heere und die Feldherren, die sich mit Ruhm bedecken, hindert sie freilich nicht, einen Federkrieg zu führen und sich öfters Grobheiten wie Marktweiber zu sagen. Hätten sie Truppen, sie ließen sie gegeneinander ins Feld rücken.
Marlborough: Es ist billiger, Tinte als Blut zu verspritzen, aber Injurien sind schlimmer als Wunden.
Liechtenstein: Was die Kriegskunst betrifft, so wage ich vor so großen Helden garnicht zu sagen, wie sehr sie sie herabzusetzen suchen und in welchen Ausdrücken sie von ihr sprechen.
Marlborough: Reden Sie nur unbesorgt. Da jene Leute alles kurz und klein schlagen, müssen wir dabei doch auch unser Teil abbekommen.
Liechtenstein: Die Leute behaupten, Sie seien nur Räuberhauptleute gewesen, denen ein Tyrann feile Henker anvertraut hätte, um in seinem Namen alle Verbrechen und alle möglichen Greuel gegen unschuldige Völker zu verüben246-1.
Eugen: Das sind Reden betrunkener Fuhrknechte. Sokrates, Aristoteles, Gassendi und Bayle drückten sich anders aus.
Liechtenstein: Sie sind nicht nur nicht betrunken, sondern oft hungrig. Ihr Geldbeutel reicht zum Wohlleben nicht aus. In ihrem Stil heißen solche schönen Reden philosophische Freiheiten. Man soll laut denken, jede Wahrheit herausschreien, und da sie nach ihrer Meinung die einzigen Hüter der Wahrheit sind, so halten sie sich für berechtigt, dreist alle Narrheiten aufzutischen, die ihnen in den Sinn kommen. Des Beifalls halten sie sich für versichert.
Marlborough: Offenbar gibt es in Europa keine Irrenhäuser mehr. Wären noch welche vorhanden, so ginge mein Rat dahin, die Herren dort unterzubringen, damit sie den Narren Gesetze geben — ihresgleichen.
Eugen: Ich würde raten, sie zu Statthaltern einer Provinz zu machen, die Strafe verdient. Nachdem sie bort alles auf den Kopf gestellt hätten, würden sie durch die Erfahrung lernen, daß sie Ignoranten sind, daß kritisieren leicht, aber Bessermachen schwer ist, und vor allem, daß man Gefahr läuft, viel dummes Zeug zu reden, wenn man von Dingen spricht, von denen man nichts versteht. Liechtenstein: Dünkelhafte Menschen geben nie zu, daß sie unrecht haben. Nach ihren Grundsätzen irrt der Weise nie; er allein ist erleuchtet. Von ihm soll das Acht ausstrahlen, das den düsteren Nebel verscheucht, in dem das blinde und blöde Volk dahinvegetiert. Und Gott weiß, wie es aufklären! Bald enthüllen sie ihm<247> den Ursprung der Vorurteile247-1; bald erscheint ein Buch über den Geist247-2, bald eins über das System der Natur247-3 und so weiter ad infinitum. Eine Rotte von Gassenjungen zählt sich, aus Tuerei oder Mode, zu ihren Schülern, äfft sie geflissentlich nach und tritt als Hilfslehrer des Menschengeschlechts auf. Und da es leichter ist, zu schimpfen, als Gründe anzuführen, so ist es bei ihren Schülern Brauch, bei jeder Gelegenheit unanständig über das Militär herzuziehen.
Eugen: Ein Geck findet stets einen größeren Gecken, der ihn bewundert. Aber stecken die Militärs diese Schmähungen ruhig ein? Liechtenstein: Sie lassen die Köter blaffen und gehen ihres Weges. Marlborough: Warum aber solche Erbitterung gegen den edelsten Beruf, unter dessen Schirm die anderen friedlich gedeihen?
Liechtenstein: Da sie in der Kriegskunst sämtlich sehr unwissend sind, glauben sie, sie könnten sie verächtlich machen, indem sie sie herabsetzen. Aber, wie gesagt, sie reißen alle Künste und Wissenschaften durchweg herunter, und auf der Trümmerstätte richten sie die Mathematik auf, um jeden anderen Ruhm zu vernichten und allen Glanz auf ihre Person zu lenken.
Marlborough: Aber wir haben doch weder Philosophie, noch Mathematik, noch die schöne Literatur verachtet und uns nur damit begnügt, in unserem Beruf Gutes zu leisten.
Eugen: Ich tat mehr. In Wien beschützte ich alle Gelehrten und zeichnete sie aus, selbst wenn niemand von ihnen ein Aufhebens machte. Liechtenstein: Das glaub' ich gern; denn Sie waren große Männer, und jene Afterphilosophen sind nur eitle Schelme, die eine Rolle spielen möchten. Das hindert freilich nicht, daß ihre Schmähungen durch ewige Wiederholung das Andenken der Großen schänden. Zieht man dreist Schlüsse, wenn sie auch falsch sind, so hält man sich für einen Philosophen, und wenn man Paradoxe vorbringt, meint man, die Palme davonzutragen. Wie oft hörte ich nicht Ihre größten Taten durch lächerliches Geschwätz herabzerren und Sie als Männer hinstellen, die den Nuhm widerrechtlich an sich rissen in einem Zeitalter der Unwissenheit, dem es an wahren Kennern des Verdienstes gebrach!
Marlborough: Unser Zeitalter ein Zeitalter der Unwissenheit! Ha, ich ertrag' es nicht länger!
Liechtenstein: Das jetzige Zeltalter ist das der Philosophen. Eugen: Wo man geschlagen wird, Provinzen verliert und sich dem Altertum über-legen wähnt. Mögen Ihre Philosophen sagen, was sie wollen, ich ziehe unser Zeitalter der Unwissenheit dem ihren vor.
<248>Marlborough: Ist auch England von Ihren Enzyklopädisten verseucht?
Liechtenstein: Zum Teil, aber nicht so sehr wie Frankreich.
Marlborough: Hat Frankreich denn Heerführer? Wie kann es welche haben, wenn sie so verunglimpft werden?
Liechtenstein: Das verdienen sie auch; es sind....
Marlborough: Hat England einen großen Heerführer hervorgebracht, der mir nachgefolgt ist?
Liechtenstein: Den Herzog von Cumberland.
Marlborough: Wieviel Schlachten hat er gewonnen?
Liechtenstein: Er unterlag bei Fontenoy, bei Hastenbeck und fiel bei Stade auf ein Haar in Kriegsgefangenschaft, mitsamt seinem Heere248-1.
Marlborough: Sie haben uns zum besten, Fürst. Wie? Ein geschlagener Daun, ein verprügetter Cumberland, das sind die Leute, die man uns vorzieht?
Liechtenstein: Nicht sie allein, sondern auch viele andere, die zwar im Kriege waren, aber keine Heere geführt haben, sie würden weder hinter Cäsar noch hinter Ihnen zurückstehen wollen. Diese Helden in spe haben die edle Dreistigkeit, sich vorzudrängen, und ihr Eigendünkel war so stark, daß das Publikum mitangesteckt wurde. Es prophezeit nichts als ihre künftigen Taten.
Marlborough: Wozu half uns soviel Mühe und Sorge, soviel Anstrengung?
Eugen: O Eitelkeit der Eitelkeiten! O Eitelkeit des Ruhmes!
V-1 Vgl. Bd. II, S. V.
V-2 Am Schluß des Kapitels über die polnische Teilung wiederholt der König nur das Datum des 18. Februar 1775, das unter der von ihm als Vorlage benutzten zweiten Fassung stand, ohne das Datum des Abschlusses der Revision anzumerken.
VI-1 Die Staatsschrlften aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges find in den „Anhängen“ von Bd. 3 und 4 wiebergegeben.
4-1 Vgl. Bd. IV, S. 125 f.
4-2 Der Sturz Peters III.
4-3 5. Oktober 1763.
5-1 Orlando innamorato, I. Buch, 12. Gesang, Stanze 14 und 15. Es handelt sich um die Fee Morgana, die den Helden Roland mit seinen Gefährten in einem kristallenen Schlosse gefangen hielt. Nur wer sie an ihren Haaren ergriff, konnte sie bezwingen.
7-1 Vgl. Bd. III. S. 19 f.
7-2 Kaunitz war am 4. April 1764 in den Reichsfürstenstand erhoben.
7-3 Vgl. S. 4.
7-4 Schon Anfang August 1763 erfolgte die Übersendung des preußischen Entwurfs.
8-1 Graf Viktor Friedrich Solms, der preußische Gesandte in Petersburg.
8-2 Kurfürst Friedrich Christian starb am 17. Dezember 1763; ihm folgte sein Sohn Friedrich August.
8-3 Gideon Benoît.
8-4 Graf Hermann Karl Keyserling.
8-5 Die Sendung des russischen Contreprojekts erfolgte im Januar, dessen Rücksendung mit ben preußischen Änderungen im Februar, Abschluß und Zeichnung des Vertrags am 11. April 1764.
9-1 Unter dem Namen der Dissidenten wurden die Evangelischen und die Griechisch-katholischen zusammengefaßt.
9-2 Poniatowski hatte von 1755 bls 1759 in Petersburg gewellt, seit 1757 als polnischer Gesandter. Dort war auch ein Liebesbund zwischen ihm und Katharina entstanden.
9-3 Der Konvokationsreichstag trat zur Vorbereitung der Wahl am 7. Mai 1764 zusammen, der Wahlreichstag selbst am 27. August und der Krönungsreichstag am 3. Dezember.
9-4 Friedrich Hans Karl Fürst von Carolath-Beuthen, Graf von Schönaich.
9-5 Die Konföderation, ein Bund der polnischen Edelleute, wurde geschlossen, sobald die Staatsmaschine versagte, um bestimmte Forderungen zu gesetzmäßigen Beschlüssen zu erheben. Nur auf den sub vinculo confoederationis abgehaltenen Reichstagen galt Stimmenmehrheit, wahrend sonst, dank dem liberum veto, jeder Landbote das Recht besaß, durch seinen Einspruch den Reichstag zu sprengen.
10-1 Freiherr Bernhard Wilhelm von der Goltz.
10-2 Vgl. Bb. l, S. 241.
11-1 Im „Provisorischen Traktat“ vom 22. AprU 1767 entsagte das Haus Gottorp allen Ansprüchen auf Schleswig und vertauschte seinen Anteil an Holstein gegen die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst (vgl. Bd. I, S.88; IV, S. 125.128).
11-2 Am 14. Juli 1765.
11-3 Am 26. Mai 1767. Vgl. die Gedächtnisrede des Königs In Bd. VIII, S. 201 ff.
12-1 18. August 1765.
13-1 Am 4. Oktober 1767 erfolgte die Vermählung zwischen der Prinzessin Wllhelmine, der Tochter des verstorbenen Prinzen August Wilhelm, und dem Prinzen Wilhelm V. von Oranlen, Erbstatthalter der Niederlande.
13-2 Die Generalkonföderation von Radom (Juni 1767).
13-3 Fürst Kajetan Soltyk und Graf Joseph Andreas Zaluski.
15-1 Die Gesandtschaften von Goltz (vgl. S. 10) und Guines dauerten von Februar bis Dezember 1769.
15-2 Michael Krasinski.
17-1 Vgl. S. 11.
17-2 Vgl. S. 11.
17-3 21. April 1769.
17-4 14. Juli 3769.
17-5 Der spätere König Friedrich Wilhelm III., geboren am 3. August 1770.
18-1 Markgraf Alexander.
18-2 Der Abschluß des Vertrages erfolgte am 23. Oktober 1769.
18-3 Vgl. S. 12.
18-4 Der Besuch Josephs II. in Neiße dauerte vom 25. bis 28. August 1769.
19-1 In der Fassung von 1775 hatte der König, noch unbeeinflußt von den schlimmen Erfahrungen der folgenden Jahre, geschrieben: „Der junge Monarch zeigte liebenswürdigste Lauterkeit und Offenheit, er war voll Lebhaftigkeit und Frohsinn. Eine schöne Seele, reine Absichten verbanden sich mit einem unermeßlichen Verlangen, sich zu unterrichten, und dem edlen Ehrgeiz, seinem Vaterlande nützlich zu sein. Bei einem solchen Charakter knüpften die Bande der Hochachtung und Freundschaft sich schnell zwischen beiden Monarchen.“
19-2 Joseph II. hatte das Versprechen unbedingter Neutralität für alle kriegerischen Verwicklungen gefordert. Wegen seines Bündnisses mit Rußland beschränkte sich König Friedrich auf die Zusage, den Kaiser nicht in seinen Besitzungen angreifen zu wollen.
20-1 Vgl. Bd. III, S. 91.
20-2 Das eigenhändig vom König entworfene Lynarsche Projekt war ln einem Erlaß an den Grafen Solms vom 2. Februar 1769 enthalten. Der Erlaß lautet: „Graf Lynar lst nach Berlin gekommen, um seine Tochter mit dem Sohne des Grafen Kamele zu verheiraten. Es lsi derselbe, der die konvention von Kloster Zeven abgeschlossen hat. Er ist ein großer Politiker und lenlt Europa noch von seinem Dorf aus, wohin er sich zurückgezogen hat (Lübbenau im Spreewald). Dieser Graf Lynar ist auf etwas recht Merkwürdiges verfallen, um alle Interessen der Fürsten zugunsten Rußlands zu vereinen und den europäischen Staatsgeschäften mit einem Schlage eine ganz andere Wendung zu geben. Nach seinem Plan soll also Rußland dem Wiener Hofe, damit er ihm gegen die Türken beistehe, die Stadt Lemberg mit Umgebung und die Zips anbieten, uns dagegen Polnisch-Preußen mit Ermland und dem Schutzrecht über Danzig. Rußland selbst soll sich zur Entschädigung für seine Kriegskosten ein beliebiges Stück von Polen aneignen, und da dann jede Eifersucht zwischen Österreich und Preußen beseitigt sei, würden beide den Russen um die Wette gegen die Türken beistehen. Dieser Plan hat etwas Blendendes und Bestechendes. Ich glaubte ihn Ihnen mitteilen zu müssen. Sie kennen die Denkweise des Grafen Panin, Sie werden also das Ganze verschweigen oder es nach Gutdünken verwerten Allerdings scheint mir der Vorschlag mehr glänzend als sicher.“
21-1 Die türkische Flotte wurde am 5. und 6. Juli 1770 bei Tschesme geschlagen und vernichtet.
22-1 Vgl. Bd. I, S. 158 ff
22-2 3. bis 7. September 1770.
22-3 Vgl. S. 19.
23-1 Vgl. S. 19.
23-2 In der Nacht zum 4. September 1770.
23-3 Der Kaïmakam Mehmed Pascha führte in Abwesenheit des Großwesirs Chalil Pascha, der im Felde weilte, die Geschäfte.
24-1 Marie Jeanne Gomarde de Vaubernier, die spätere Gräfin du Barry.
24-2 24.Dezember 1770.
25-1 Am 12. Oktober 1770 traf Prinz Heinrich in Petersburg ein; am 30. Januar 1771 trat er die Heimreise an.
25-2 D. d. Petersburg 9. Dezember 1770 (a. St.).
25-3 Die Antwort des Königs an Katharina II. ist vom 4. Januar 1771 datiert.
26-1 Freiherr Gottfried van Swieten.
27-1 Die Zips war bereits im Sommer 1769 besetzt worden. Ein Jahr später nahmen die Österreicher wettere Grenzstarosteien in Besitz. Entscheidend wurde aber erst der Umstand, daß sie, alte Ansprüche vorschützend, Ende November 1770 in diesen Grenzgebieten mit der Ausübung von Hoheitsrechten begannen und sie für „wiedervereinigt mit dem Königreich Ungarn“ erklärten.
27-2 In der Fassung von 1775 sagt der König geradezu, baß die Teilung dadurch „veranlaßt“ wurde.
27-3 Prinz Heinrich berichtet am 8. Januar 1771 über die Unterredung an den König, er sei an dem Abend dieses Tages bei der Kaiserin Katharina gewesen: „Scherzend erzählte sie mir, daß sich die Österreicher zweier Starosteien in Polen bemächtigt und an den Grenzen dieser Gebiete ihre Grenzabler aufgepflanzt hätten. Sie fügte hinzu: „Aber warum sollte alle Welt nicht auch zugreifen?“: Ich erwiderte, daß Du, lieber Bruder, einen Grenzkordon (gegen die Pest) in Polen gezogen, jedoch keine Starosteien okkupiert hattest. „Aber warum nicht okkupieren?“ sagte die Kaiserin lachend. Einen Augenblick später näherte sich mir Graf Tschernyschew, brachte das Gespräch auf denselben Gegenstand und schloß: „Aber warum nicht das Bistum Ermland wegnehmen? Denn schließlich muß doch jeder etwas haben.““
29-1 Das Bündnis zwischen der Pforte und Österreich wurde in der Nacht zum 7. Juli 1771 in Konstantinopel unterzeichnet, Doch von Maria Theresia nicht ratifiziert.
30-1 Am 17. August 1771 von Solms nach Berlin übersandt.
32-1 Von Solms am 6. Dezember 1771 Versandt.
32-2 Der Vertrag wurde am 17. Februar 1772 unterzeichnet, jedoch auf den 15. Januar zurückdatiert.
33-1 Vgl. S. 29.
36-1 Vgl. Bb.l, S. 64. 102. 114.
36-2 Franz Maria von Thugut.
36-3 Auf Grund des Allianzvertrages (vgl. S. 29).
36-4 Johann Christoph von Zegelin.
37-1 König Adolf Friedrich starb am 12. Februar 1771; ihm folgte sein Sohn Gustav III.
38-1 Vgl. S. 18.
38-2 Christian VII.
38-3 Vgl. S. II.
39-1 Johann Friedrich Struensee, seit Juli 1771 Graf und Kabinettsmlmsier.
39-2 Die Generale Eickstedt und Köller und Graf Adolf Siegfried Osten, der Minister des Auswärtigen.
39-3 Juliane Marie, die zweite Gemahlin des 1766 gestorbenen Königs Friedrich V.
39-4 In der Nacht zum 18. Januar 1772.
40-1 Der Kammerherr Graf Enewold Brandt.
40-2 Huldigungsfahrt der schwedischen Könige nach ihrer Thronbesteigung durch die Provinzen des Reiches.
40-3 Die entscheidende Wendung führte die Antwort Christians VII. vom 9. November 1772 herbei, der darin alle dänischen Rüstungen lediglich als Sicherungsmaßnahmen für die „eigenen Staaten“ bezeichnete.
41-1 November 1772.
41-2 Abburrisak-Effendi.
41-3 Vgl. S. 36 f.
42-1 Dolgoruki und Harris.
42-2 König Friedrich erhob Anspruch auf den Hafen von Danzig und den Hafenzoll, weil das Hafengebiet auf dem ihm durch die Teilung zugefallenen Grund und Boden von Oliva lag. Da der Danziger Magistrat diesen Anspruch bestritt, war die Mittlerrolle dem Petersburger Hofe übertragen.
43-1 Gregor Alexandrowitsch von Potemkin.
43-2 Vgl. S.10 f. und 38.
43-3 Im Teilungsvertrage war bestimmt, daß die Netze die Grenze der preußischen Erwerbung bilden und „ganz“ an Preußen fallen sollte. Als Österreich seine Grenze über Bug und Weichsel durch Podolien bis zum Sbrucz vorschob, forderte König Friedrich noch einen Streifen auf dem rechten Ufer des Flusses, der bis zum Südende des Goplo-Sees reichte, das sogenannte Überschwemmungsgebiet der Netze, sowie den Bezirk zwischen dem Goplo-See und der „Alten Netze“.
44-1 Prinzessin Wilhelmine von Hessen-Darmstadt, die nach ihrem Übertritt zum griechisch-katholischen Bekenntnis die Namen Natalie Alexjewna führte.
44-2 Vgl. S. 17.
44-3 Freiherr Achaz Ferdinand von der Asseburg.
44-4 Generalleutnant Freiherr Rupert Scipio von Lentulus.
45-1 Die Unterzeichnung der Abtretungsverträge erfolgte gleichzeitig am 18. September 1773 mit den drei Mächten.
45-2 Vgl. Bd. I, S. 64 und 66.
46-1 Peter I. sah sich 1711 von den Türken am Pruth eingeschlossen und zum Friedensschluß genötigt.
46-2 23. und 24. Juni 1773.
47-1 8. bis 10. IM 1773.
47-2 21. und 22. Oktober 1773,
48-1 Der Kosak Jemelian Pugatschew gab sich vielmehr selbst für Peter III. aus.
48-2 Die Russen forderten die Abtretung von Kinburn statt Kertsch und Ienikala.
48-3 Diese Angabe beruht auf Irrtum.
49-1 Abdul Hamid folgte seinem Bruder Mustapha III. am 21. Januar 1774.
49-2 Aasime. Sie war mit dem Großwesir Muhsin Gabe vermählt.
49-3 Friedensschluß von Kutschuk-Kainardsche.
50-1 Am 14. September 1774 wurde Pugatschew gefangen und am 10. Januar 1775 hingerichtet.
50-2 Vgl. S.43.
50-3 Graf Franz Xaver Branicki traf Ende April 1774 in Petersburg ein.
50-4 Vgl. S. 9, Anm. 2
51-1 Die Schreiben Katharinas II. sind vom 26. Mai (a. St.) datiert, die Antwort König Friedrichs vom 27. Juni, die Maria Theresias vom 16. Juli 1774. -
51-2 10. Mai 1774.
52-1 Vgl. S.24.
52-2 Es Handelte sich um Grenzstreitigkeiten in Südamerika. -
52-3 Für den amerikanischen Unabhängikeitskampf vgl. unten S. 85 f.
52-4 Vgl. S. 42.
52-5 Heinrich Wilhelm Reichardt und Graf Iwan Golowkin (vgl. S. 43).
53-1 Vgl. S.29, Anm.1.
53-2 Der russische und der preußische Gesandte in Wien.
53-3 Die Besitzergreifung der Bukowina erfolgte im September 1774.
58-1 Joachim Christian von Blumenthal; Valentin von Massow; Ludwig Philipp von Hagen; Karl Heinrich von Wedell.
58-2 Feldherr Julius August Friedrich von der Horst.
58-3 1766.
59-1 Der König kaufte Gotzkowsky, dem Begründer der Berliner Porzellanfabrik, diese 1763 ab und nahm sie in staatlichen Betrieb.
59-2 Die Gründung der Preußischen Bank erfolgte 1765.
60-1 Bankhaus in Amsterdam.
60-2 Vgl. Bd. VII, S. 136.
61-1 Vgl. Bd. VII, S. 135.
62-1 Die schlesische „Landschaft“ wurde 1770 begründet, die „Kreditsozietät“ für die kur- und Neumark 1777; Pommern folgte dann 1780.
63-1 Vgl. Bd. VI, S. 222; VII, S. 211.
63-2 Vgl. S. 17 f.
66-1 Vgl. für das Folgende auch den Erlaß des Königs über das Unterrichtswesen an den Minister Freiherrn von Zedlitz vom 5. September 1779 (Bd. VIII, S. 313 ff.).
66-2 Vgl. S. 29.32.
67-1 Timar ist das Lehngut, das die türkischen Krieger auf Lebenszeit erhielten, und nach dem sie ihren Namen Timarli führten.
67-2 Der Bromberger Kanal wurde 1772 begonnen und 1775 vollendet.
69-1 Die Freitruppen waren erst während des Krieges ausgehoben und wurden nach Friedensschluß wieder entlassen. Vgl. Bd. VI, S. 173 und 295.
70-1 Die in die Stammrolle Eingetragenen. Für die Einrichtung der Kantons vgl. Bd. l, S. 186; VI, S. 225 ff.; VII, S. 169 f.
70-2 Generalmajor Friedrich Wilhelm von Wartenberg leitete die Bekleidungs-, Ausrüstungs- und Ersatzangelegenheiten (vgl. Bd.VI, S.224).
70-3 Vgl. Bd. VI, S.224 und 226.
70-4 Vgl. Bb. VI, S. 234 und 239.
70-5 Die Generalmajore Bernhard Alexander von Diringshofen, Friedrich Christoph von Saldern, Friedrich Ehrentreich von Namin; die Obersten Anton Abraham von Steinkeller, Julius Treusch von Buttlar; die Generalmajore Wicharb Joachim Heinrich von Möllendorff, Joachim Friedrich von Alt-Stutterheim; Generalleutnant Bogislav Friedrich von Tauentzien.
70-6 Die Generalleutnants Christoph Karl von Bülow, Friedrich Wilhelm von Seydlitz die Generalmajore Friedrich Wilhelm von Lölhöffel, Hans Friedrich von Krusemarck.
71-1 Vgl. Bd. VII, S. 173 f.
72-1 Vgl. Bd. VI, S. 242 und 276 f.
72-2 Die „Grundsätze der Lagerkunst und der Taktik“ von 1770 (vgl. Bd. VI, S. l27 ff.).
73-1 Vgl. Bd. III, S. 13; VI, S. 118 ff. 227 ff.
74-1 Vgl. Bd. VI, S.229. -
74-2 Vgl. Bd. VI, S.242. -
74-3 Generalmajor Johann Jobst Heinrich Wilhelm von Buddenbrock. -
74-4 Für die Gründung des Kadettenkorps in Kulm vgl. S. 67.
75-1 Die Académie des Nobles. Auch sie stand unter Buddenbrocks Leitung.
75-2 Vgl. Bd. VIII, S. 251 ff.
75-3 Vgl. S. 70.
75-4 Vgl. Bd. VI, S. 222; VII, S. 180 f.
76-1 Vgl. S. 63.
76-2 Vgl. Bd. VI, S. 233.
76-3 Oberst Franz Ludwig von Rossières, Kommandant von Silberberg.
76-4 Vgl. S. 29 f.
77-1 Vgl. Bd. VI, S. 257.
77-2 Vgl. Bd. VI, S. 230.
79-1 Gemeint ist die Konvention von Kloster Zeven vom 8. September 1757 (vgl. Bd. III, S. 91).
79-2 Vielmehr teilt sich die Memel unterhalb Tilsit in die Nuß und Gilge und ergießt sich ins Kurische Haff.
83-1 Der Dauphin Ludwig, der Vater Ludwigs XVI., war 1765 gestorben. Er hatte sein Testament dem Bischof von Verdun, Almery de Ricolay, übergeben.
83-2 Vgl. S. 51 f.
84-1 Marie Antoinette.
84-2 Vgl. S. 7.
85-1 Zuerst war den Amerikanern 1765 eine Stempelsteuer aufgelegt worden; sie wurde 1766 zurückgenommen. Dann wurde Amerika 1767 mit indirekten Steuern auf Tee, Papier usw. belegt, die 1770 mit Ausnahme des Teezolls wiederaufgehoben wurden.
85-2 Die ostindische Kompagnie hatte die Erlaubnis, überall ihren Tee frei einzuführen; nur die Kolonien sollten einen Zoll erlegen. So kam es am l8. Dezember 1773 wegen des Teezolls zu Akten offener Gewalt; die Einwohner von Boston versenkten eine Schiffsladung Tee ins Meer.
86-1 Viscount William Howe und Viscount Richard Howe.
86-2 Bei Saratoga am 17. Oktober 1777.
87-1 Vgl. S. 32. 42.
87-2 Vgl. S. 49.
87-3 Es liegt ein Irrtum vor. Eine sächsische Prinzeß kam nicht in Frage.
88-1 Prinzessin Dorothea, Tochter des Prinzen Friedrich Eugen von Württemberg, eine Großnichte König Friedrichs.
88-2 Vgl. S. 44.
88-3 Graf Lacy und Durand.
88-4 Vgl. S. 50.
88-5 Nachdem die Zarin bereits Anfang 1774 einen zweiten Besuch des Prinzen Heinrich angeregt und ihn dann zur Teilnahme an den Festlichkeiten zur Feier des Friedens mit den Türken eingeladen hatte, wurde der Besuch auf das Frühjahr 1776 verschoben. Am 13. April 1776 traf Heinrich in Petersburg ein.
89-1 26. April 1776.
89-2 Prinzessin Dorothea (vgl. S. 88).
89-3 Der Besuch des Großfürsten Paul am Berliner Hofe währte vom 21. Juli bis 5. August 1776. Am 23. Juli erfolgte seine Verlobung mit der Prinzessin Dorothea, die bei ihrem Wertritt zum griechisch-katholischen Bekenntnis die Namen Maria Feodorowna erhielt. Die Vermählung fand am 18. Oktober statt.
90-1 Vgl. S. 53.
90-2 Vgl. S. 87.
91-1 Herzog Franz III. starb 1780. Aus der Ehe seines Sohnes und Nachfolgers Herkules Rainaldus war nur eine Tochter entsprossen, Maria Beatrix, die seit 1771 mit Erzherzog Ferdinand, dem dritten Sohn Maria Theresias, vermählt war.
91-2 Die Kurie hatte 1598 den besten Teil des Herzogtums Ferrara als Klrchenlehen eingezogen.
91-3 Viktor Amadeus III.
91-4 Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz war der Erbe des kinderlosen Kurfürsten Maximilian Joseph von Bayern.
91-5 Vgl. unten S. 99 ff.
93-1 Vgl. S. 47 f. 50.
94-1 Der Bruch erfolgte 1778.
94-2 Vgl. S. 23 f.
94-3 König Joseph l. (1750—1777).
94-4 Die Antilleninsel St. Eustache bildete einen Hauptstapelplatz der Holländer für die Versorgung der Amerikaner mit Kriegsbedarf. Im Dezember 1780 erklärte England endlich den Niederlanden den Krieg.
95-1 Vgl. S. 39 f.
95-2 Vgl. S. 4 und 7.
95-3 Vgl. S. 32. 42.
95-4 Vgl. S. 37.
96-1 Diese Angabe beruht auf Irrtum.
96-2 Vgl. S. 15.
96-3 Vgl. S. 15 f.
97-1 Pons traf Juni 1772 ein.
97-2 26.-28. Mai 1777.
97-3 Der österreichische General der Kavallerie Fürst Karl Liechtenstein.
99-1 Kurfürst Maximilian Joseph starb am 30. Dezember 1777. -
99-2 Prinzessin Josepha Maria Antonia, 1765 mit Joseph II. vermählt, war bereits 1767 gestorben.
100-1 Karl Theodor, der Erbe des Kurfürstentums Bayern.
100-2 Herzog Karl.
100-3 Vertrag vom 3. Januar 1778.
100-4 Die Mutter des Kurfürsten Friedrich August, Maria Antonia, war die Schwester des verstorbenen Kurfürsten von Bayern.
101-1 Graf Eustachius Görtz.
101-2 Am 16. März 1778 legten die Vertreter Preußens und Zweibrückens am Regensburger Reichstag gegen das österreichische Vorgehen Verwahrung ein.
101-3 Am 26. März 1778 verbürgte der König dem Herzog Karl sein Erbrecht auf Bayern durch feierlichen Vertrag.
102-1 Marie Antoinette.
102-2 Vgl. S. 51 f. und 83 f.
102-3 Vertrag von Versailles vom 6. Februar 1778.
102-4 Vgl. S. 94.
103-1 Vgl. S. 87.
103-2 Abbul Hamid.
104-1 Freiherr Johann Hermann von Riedesel, der preußische Gesandte in Wien.
104-2 Durch Vertrag vom 2. April 1778 waren dem König 21 000 Sachsen zur Verfügung gestellt worden.
105-1 Die Schreiben Josephs II., vom 11., l3. und 19. April 1778 datiert, sind vom König am 14., 18. und 20. beantwortet.
105-2 Prinz Albert von Sachsen-Teschen.
105-3 Vgl. Anhang (Nr. l).
106-1 Generalleutnant Johann Jakob von Wunsch.
106-2 Generalleutnant Joachim Friedrich von AltStutterheim.
106-3 Generalleutnant Paul von Werner.
108-1 Christoph Karl von Bülow.
108-2 Generalleutnant Friedrich Gotthelf von Falkenhayn.
109-1 Generalmajor Heinrich Wilhelm von Anhalt. -
109-2 Generalleutnant Dubislav Friedrich von Platen.
110-1 Der Brief Maria Theresias ist vom 12. Juli 1778 datiert. -
110-2 Vgl. S. 18.
110-3 Von Reichenhall.
110-4 ¼ Meile nordwestlich von Regensburg an der Donau.
111-1 Großherzog Leopold.
112-1 Vgl. S. 109.
113-1 Der Thronfolger Friedrich Wilhelm.
113-2 Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand.
113-3 Generalmajor Kaspar Fabian Gottlieb von Luck.
115-1 Generalleutnant Prinz Franz Adolf von Anhalt-Bernburg.
115-2 Generalmajor Adolf Detlev von Usedom.
116-1 Generalmajor Freiherr Johann Georg Wilhelm von Keller.
117-1 Generalmajor Friedrich Leopold von Bosse.
118-1 Generalleutnant Wichard Joachim Heinrich von Möllendorff.
118-2 Graf Albert von Anhalt.
118-3 Generalleutnant Friedrich Ehrentrelch von Ramin.
118-4 Vgl. Bd. IV, S. 10.
119-1 Vgl. S. 103.
119-2 Gallizin und Asseburg.
119-3 Graf Joseph Kaunitz.
120-1 Die russische Erklärung ist vom 2. Oktober, der Erlaß des Fürsten Kaunitz vom 27. September 1778 datiert.
120-2 Der Vater des Kurfürsten Friedrich August und die Mutter Ludwigs XVI. waren Geschwister.
121-1 In der Nacht zum 18. Dezember 1778.
122-1 Nach der im Anhang (Nr. 2) mitgeteilten Denkschrift des Königs „Feldzugsplan für 1779“, die in den Nahmen der Verhandlungen über die Aufgabe des russischen Hilfskorps gehört, bekämpfte Friedrich vielmehr die Sendung der russischen Truppen nach Galizien und Lobomirien und befürwortete ihre Verwendung in Mahren.
123-1 Vgl. S. 110 f.
123-2 Vgl. Bd. II, S. 79 f.
125-1 Generalmajor Prinz Adolf von Hessen-Philippsthal.
125-2 14. Januar 1779. -
125-3 18. Januar 1779.
126-1 Das Blockhaus von 0ber-Schwebeldorf, eine Meile südwestlich von Glatz.
126-2 Michael Wilhelm Capeller.
126-3 Generalmajor Johann Slgismund von Lestwltz.
127-1 Überfall von Cämmerswalde, 7. Februar 1779 (vgl. Bd. VI, S. 287). Die hohe Zahl der erbeuteten Fahnen erklärt sich dadurch, daß damals jede der 5 Musketlerkompagnien des Infanteriebataillons eine Fahne hatte.
127-2 8. November 1778.
127-3 Feldmarschalleutnant Graf Ollvler Wallis.
128-1 Vgl. S. 104.
128-2 Der Vizekanzler Graf Philipp Cobenzl, der an die Stelle seines erkrankten Vetters, des früheren Gesandten in Berlin, Graf Ludwig Cobenzl, trat.
129-1 Nach Riedefels Bericht vom 16. März 1779 hatte vielmehr Kurfürst Karl Theodor auf Veranlassung Österreichs erklärt, nur eine Million Gulden Entschädigung an Sachsen zahlen zu wollen. Breteuil hatte am 15. März dem Fürsten Repnin dies mitgeteilt, und beide Botschafter hatten daraufhin in Wien entsprechende Gegenvorstellungen erhoben.
129-2 Jacques D'unne.
129-3 In der im März 1779 gezeichneten Konvention von Ainali Kawak verstand sich die Pforte zur Bewilligung aller Forderungen Rußlands.
130-1 Das abgetretene Gebiet umfaßte das Innenviertel, den zwischen Inn, Salza und Donau gelegenen Teil von Nlederbayern.
130-2 Vgl. S. 123.
134-1 Den obigen Feldzugsplan übersandte der König im April 1778 dem Prinzen Heinrich, der den Oberbefehl über die Armee in Sachsen erhielt. Der Plan gelangte indessen nicht zur Ausführung (vgl. S.105 f.).
136-1 Anläßlich der Verhandlungen mit Rußland über die Verwendung des russischen Hilfskorps (vgl. S. 122) ist der obige Feldzugsplan entstanden und am 25. Dezember 1778 dem Kabinettsminister Graf Finckenstein zur Mitteilung an Fürst Repnin übersandt worden.
138-1 Am 13. Dezember 1778 war der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand zum Führer der Armee in Sachsen ernannt worden, nachdem Prinz Heinrich am 3. Dezember aus Gesundheitsrücksichten um Enthebung vom Kommando gebeten hatte.
138-2 Vgl. S. 136 f.
140-1 Der Krieg Englands mit den amerikanischen Kolonien und dem mit ihnen verbündeten Frankreich (vgl. S. 102) wurde erst 1783 durch den Frieden von Versailles beendet.
141-1 Der Antrag ging von dem Reis-Mendl Abdurrisak aus. König Friedrich, der ihn im September 1779 erhielt, befürwortete ihn eifrig in Petersburg, doch scheiterte die Allianz am Widerstände Katharinas II.
141-2 Vgl. S. 105.
149-1 Vgl. Bd. VI, S. 2O2. 219. 246 f.; VII, S. 215.
151-1 Dle obige Denkschrift wurde dem Kabinettsmimster Graf Finckenstein übersandt.
151-2 Im Mai 1781 hatten Katharina II. und Joseph II. ein Defensivbündnis auf 8 Jahre geschlossen. Im September 1782 eröffnete dle Zarin dem Kaiser ihren Plan der Aufteilung der Türkei; neben neuen russischen Erwerbungen handelte es sich um die Aufrichtung eines griechischen Kaisertums in Konstantinopel unter ihrem Enkel Konstantin als russischer Sekundogenitur, sowie um die Bildung eines Zwischenstaats Dacien aus Bessarabien und den Donaufürstentümern unter einem Herrscher griechischen Glaubens. Zugleich stellte sie dem Kaiser anHelm, sich selbst einen Anteil von der Türkei zu wählen.
151-3 Die preußischen Gesandten in Petersburg und Wien.
151-4 Im Jahre 1777 war das Bündnis bis 1788 verlängert worden.
152-1 Am 30. November 1782 wurden die Präliminarien zwischen England, Frankreich und Spanien zu Versailles unterzeichnet am 3. September 1783 folgte der definitive Friedensschluß.
153-1 Maria Theresia war am 29. November 1780 gestorben.
153-2 Vgl. S. 99 ff.
153-3 Nach Begrüßung der Zarin in Mohilew, weilte Joseph auf ihre Einladung hin drei Wochen im Juli 1780 am Petersburger Hofe.
153-4 Vgl. S. 151, Anm. 2.
153-5 Vgl. S. 43.
153-6 Graf Alexander Romanowltsch Woronzow, Senator und Präsident des Kommerzkollegs.
153-7 1733. Vgl. S. 151, Anm. 2.
153-8 Im Sommer 1783 war die Besitzergreifung erfolgt, die am 8. Januar 1784 von der Pforte durch den zweiten Bertrag von Alnali Kawak anerkannt wurde.
154-1 Der Streit begann mit der Festhaltung preußischer Schiffe auf der Weichsel durch Danziger Zollbeamte im April 1783 und wurde unter russischer Vermittlung durch Vergleich vom 7. September 1784 beigelegt.
154-2 Nach dem Westfälischen Frieden stand den Holländern das Recht der Scheldeschließung zu, die den belgischen Handel lahm legte. Im Mai 1784 forderte Joseph II. den Verzicht auf dieses Recht. Es kam zum offenen Konflikt, als am 8. Oktober ein unter österreichischer Flagge segelndes Schiff auf die Weigerung, den Zoll zu erlegen, mit Gewalt festgehalten wurde.
154-3 Der Bescheid wurde auf Grund einer mündlichen Weisung des Königs dem holländischen Gesandten, Baron von Reede, durch den Kabinettsminister Graf Finckenstein am 14. November 1784 erteilt.
154-4 Tatsächlich schlug Frankreich einen Vergleich vor, wie Hertzberg am 29. November 1784 dem König berichtet.
154-5 Die obigen Worte beziehen sich auf König Friedrichs Abneigung gegen ein Bündnis mit Frankreich, als dessen Anwalt Prinz Heinrich, der im Herbst 1784 in Paris weilte, aufgetreten war.
154-6 Lanskoi starb am 25. Juni 1784.
155-1 Paul Petrowitsch.
155-2 Marie Antoinette. Vgl. S. 156 f.
156-1 Um sich aus seiner politischen Isolierung zu befreien (vgl. S. 151 f. u. 153 ff.), entschloß sich König Friedrich zur Gründung des Deutschen Fürstenbundes. Den entscheidenden Anstoß gab die Nachricht von der friedlichen Lösung der Krise im Orient, bie durch den Abschluß des Vertrages von Ainali Kawak am 8. Januar 1784 erfolgte (vgl. S. 153, Anm. 8); denn die Nachgiebigkeit der Pforte sicherte den Frieden und damit den Bestand der Allianz Österreichs sowohl mit Rußland wie mit Frankreich. In dem Erlaß vom 21. Februar 1784 an Finckenstein entwickelt der König den Gedanken des Fürstenbundes.
Aber erst der Ausbruch des Konflikts zwischen dem Kaiser und den Holländern im Oktober 1784 (vgl. S.154) führte ihn dazu, den „Entwurf zum Deutschen Fürstenbunde“ aufzusetzen, dessen Gestalt und Ausführung er darauf im Erlaß vom 1. November 1784 seinen Kabinettsministern näher erläuterte. Am 23. Juli 1785 wurde zu Berlin zunächst mit den Vertretern von Dresden und Hannover die Urkunde des Fürstenbundes unterzeichnet, die allen Nelchsständen, auch den geistlichen, den Besitz ihrer Lande und Gerechtsame sichern sollte. Dem Fürstenbunde traten ferner bei der Kurfürst von Mainz, die Herzöge von Zweibrücken, Sachsen-Gotha und Sachsen-Weimar, von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, der Landgraf von Hessen-Kassel, bie Markgrafen von Ansbach-Bayreuth und von Baden, die Fürsten von Anhalt-Bernburg, Anhalt-Dessau und Anhalt-köthen, sowie der evangelische Bischof von Osnabrück.
156-2 Peter Wassiljewitsch Bakunin und Graf Alexander Andrejewitsch Besborodko leiteten unter dem Grafen Ostermann, Panins Nachfolger, die Geschäfte des Ministeriums des Auswärtigen.
156-3 Vgl. S. 153.
156-4 Minister des Herzogs Karl von Zweibrücken.
156-5 Vgl. S. 155.
157-1 Infolge des Krieges mit den amerikanischen Kolonien, mit Frankreich, Holland und Spanien.
157-2 Karl Theodor, seit 1778 auch Kurfürst von Bayern (vgl. S. 99ff.).
157-3 Der „Entwurf“ wurde mit einem Beglelterlaß vom 24. Oktober 1784 den Kabinettsministern übersandt.
158-1 Gemeint sind die Söhne seiner Brüder, des Großherzogs Leopold von Toskana und Erzherzog Ferdinands, des Gemahls der Prinzessin Maria Beatrix von Modena (vgl. S. 91).
158-2 Vgl. S. 99 ff.
159-1 Der von Hertzberg ausgesetzte Unionsentwurf nebst dem Begleitbericht der Minister vom 31. Oktober 1784.
159-2 Herzog Heinrich der Jüngere von Wolfenbüttel.
159-3 Joachim II.
159-4 Johann Friedrich.
159-5 In der Vorlage verschrieben: „Ludwig XIV.“
159-6 Philipp der Großmütige.
159-7 Auf eine Anfrage der Schmalkaldener nach dem Zweck feiner Rüstungen erwiderte Karl V. am 17. Juni 1546, daß sie den ungehorsamen Fürsten galten, die unter dem Scheine der Religion gegen ihn Praktiken trieben, die Rechtspflege des Reiches nicht leiden wollten, geistliche Güter einzögen und sie zu ihren Eigenliebigkelten mißbrauchten.
160-1 Karl Theodor (vgl. S. 157).
160-2 Karl Eugen.
165-1 Für den Streit mit dem Fürstbischof von Lüttich, Georg Ludwig von Berghes, betreffend die Lehnshoheit über die Herrschaft Herstall, die zur oranischen Erbschaft gehörte und 1732 an Preußen gefallen war, vgl. Bd. II, S. 58. Der Führer des preußischen Kommandos, das am 11. September 1740 in das Gebiet des Fürstbischofs einrückte, als dieser nach Ablauf der ihm gestellten zweitägigen Bedenkfrist keinerlei Antwort auf das preußische Ultimatum erteilte, erhielt den Auftrag, das obige vom König eigenhändig entworfene Manifest nebst dem „Tatbestand“ auf seinem Marsche zu verbreiten.
165-2 Vgl. Bd. II, S. 58.
166-1 Nach dem ersten Entwurf. -
166-2 Frühere flandrische Silbermünze im Wert von 1 Taler 3 Groschen 3 Pfennig.
168-1 Vgl. Bd. II, S. 59 ff. Die Denkschrift, deren eigenhändig vom König verfaßter Entwurf oben mitgeteilt wird, war anfänglich nur zur Instruktion der preußischen Vertreter im Ausland bestimmt, gelangte dann aber auch zur Veröffentlichung in der Presse.
168-2 Vgl. Bd. I, S. 87.100.
168-3 Maria Theresia.
169-1 Vielmehr von 1728.
169-2 Vgl. Bd. I, S. 55.
170-1 Die obige Flugschrift, deren Spitze sich gegen Frankreich richtet, war bestimmt, den Abschluß des Breslauer Sonderfriedens vom 11. Juni 1742 (vgl. Bd. II, S.119 f.) zu rechtfertigen. Wegen politischer Bedenken unterblieb jedoch ihre Veröffentlichung.
170-2 Angfang 1742 (vgl. Bd. II, S. 105 ff.).
171-1 In der Schlacht bei Chotusitz, 17. Mal 1742 (vgl. Bd. II, S. 114 ff.). -
171-2 Vgl. Bd. II, S. 119.
173-1 König Friedrich richtet in der obigen Flugschrift an Ludwig XV. die Mahnung, den unfähigen Führer der französischen Armee, den alten Herzog Franz Maria von Broglie, durch Marschall Belle-Isle zu ersetzen. Nach der Räumung von Prag in der Nacht auf den 17. Dezember 1742 hatten sich die Franzosen nach Bayern zurückgezogen (vgl. Bd. II, S. 134).
173-2 Die Krönung Maria Theresias in Prag zur Königin von Böhmen erfolgte am 12. Mai 1743. -
173-3 Vgl. Bd. II, S. 120.
174-1 Ludwig XV. hatte nach bem Tode des Kardinals Fleury (29. Januar 1743) öffentlich erklärt, die Leitung des Staates selbst, ohne einen Premierminister, zu übernehmen (vgl. Bd. II, S. 133).
174-2 Prinz Karl von Lothringen.
175-1 Mit einem Manifest gegen Österreich, dessen erster eigenhändiger Entwurf oben mitgeteilt wird, eröffnete König Friedrich im August 1744 den Zweiten Schlesischen Krieg (vgl. Bb. II, S. 173).
175-2 Karl VII., Kurfürst von Bayern.
175-3 Graf Friedrich Ludwig Dohna.
175-4 Für die Sendung des Grafen Karl Wilhelm von Finckenstein nach Worms im Sommer 1743 vgl. Bd. II, S. 143 f.
176-1 Die Frankfurter Union vom 22. Mai 1744 (vgl. Bd. II, S. 173).
177-1 Das Manifest gegen Sachsen wurde am 25. August 1745 in Berlin veröffentlicht (vgl. Bd. II, S. 226).
177-2 Vgl. S. 175 f. Karl VII. war am 20.Januar 1745 gestorben.
177-3 Kurfürst Karl Theobor war Mitglied der Frankfurter Union (vgl. S. 176).
177-4 Auch Hessen-Kassel gehörte zur Frankfurter Union (vgl. S. 176). —-
177-5 Am 22. April 1745 war der Friede von Füssen zwischen Maria Theresia und Maximilian Joseph, dem Nachfolger Karls VII., unterzeichnet worden (vgl. Bd. II.
12
178-1 Vgl. Bd. III, S. 64; VII, S. 72.
178-2 Vgl. Bd. II, S. 185 ff.
178-3 Für den Warschauer Vertrag vom 8. Januar 1745 vgl. Bd. II, S. 197.
178-4 Schlacht bei Hohenfriedberg (vgl. Bd. II, S. 218 ff.).
179-1 Der Führer der sächsischen Truppen.
179-2 Vgl. Bd. II, S. 246.
179-3 Im August 1744 (vgl. Bd. II, S. 172f.).
179-4 17. Mal 1742 (vgl. Bd. II, S. 114ff.).
180-1 Die in unserer Ausgabe nicht aufgenommene „Note über die von den irregulären Truppen des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen in der Neumark begangenen Feindseligkeiten“ enthält die eingehende Schilderung dieser Ausschreitungen.
181-1 Vgl. Bd. II, S. 246.
182-1 Den Anlaß zu der obigen Flugschrift bildete ein geheimer Separatartikel der russisch-österreichischen Defensivallianz vom 2. Juni 1746 (vgl. Bd. III, S. 23), von dem König Friedrich im Februar 1753 auf geheimem Wege über Dresden Kenntnis erhalten hatte. In dem Geheimartikel wurde der Verzicht Maria Theresias auf Schlesien und Glatz nicht nur dann für hinfällig erklärt, wenn der König Österreich angriff, sondern auch im Falle eines preußischen Angriffs auf Rußland oder Polen. Ferner war darin die Verdopplung der im Hauptvertrage ausgemachten gegenseitigen Unterstützung festgesetzt und als Dank für die Wiedergewinnung Schlesiens eine Geldentschädigung für Rußland zugesagt. Unter dem heiteren Gewande eines Faschingsscherzes, in das Friedrich die Flugschrift kleidete, verbarg sich die Warnung an die Kaiserhöhe, daß ihr Geheimnis gelüftet sei.
182-2 Korrespondenten.
183-1 Karl Irenäus Castel St. Pierre (1658—1743) war der Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl. Bd. VII, S. 248; VIII, S. 38).
184-1 Vgl. Bd. I, S. 116; VII, S. 104.
185-1 Die alte Residenz der Hospodare der Walachei.
186-1 D. h. mit einer Tracht Prügel.
186-2 Nach dem gleichnamigen Roman aus dem 12. Jahrhundert von Bernard de Treviez.
188-1 Für Alberoni vgl. Bd. l, S. 132 ff.
189-1 Pietrow Aretino (1491—1556), der berüchtigte Schriftsteller und Pamphletist.
191-1 In der obigen, an die Franzosen gerichteten Flugschrift geißelt König Friedrich den Umschwung ihrer Politik und ihr Bündnis mit dem auch von Richelieu einst heftig bekämpften Hause Österreich.
191-2 Gemeint ist die Schlacht bei Lobositz vom 1. Oktober 1756.
192-1 Vgl. S. 174, Anm. l;
192-2 Vgl. Bd. III S. 24f. -
192-3 Das Azowsche Meer.
192-4 Vgl. Bb. l, S. 158 ff.
194-1 Gemeint ist die Versailler Offensivallianz vom 1. Mal 1757 gegen Preußen, sowie das Bündnis, das Rußland am 2. Februar 1757 mit Österreich schloß, nachdem es am 11. Januar 1757 bereits der Versailler Defensivallianz vom 1. Mai 1756 beigetreten war (vgl. Bd. III, S. 58f.).
194-2 Cartouche, das Haupt einer berüchtigten Räuberbande, war 1721 in Paris hingerichtet worden.
195-1 Fußnote zur Flugschrift: „Diese zierliche Wendung findet sich in einem der nach Petersburg gerichteten und in den „Beweisschrlften und Urkunden“ (vgl. Bd. II, S. 43) abgedruckten Schreiben des Grafen Brüht.“
196-1 Offenbar ist das Lustspiel „Voleurs et des tours de gueux“ von Legrand und Riccoboni gemeint, in dem Cartouche noch während des Prozesses auf die Bühne gebracht wurde (vgl. Bd. VII, S. 33).
196-2 Vgl. S. 188.
196-3 Nach Lucanus, Pharsaliae I, 128.
197-1 146 v. Chr.
198-1 Vgl. S. 183.
199-1 Graf Karl Cobenzl residierte als österreichischer Minister der österreichischen Niederlande in Brüssel.
199-2 Es handelt sich um die Achtserklärung des Kaisers und des Reiches gegen König Friedrich wegen der Besetzung Sachsens. Die Nation, d. h. Vorladung dazu war vom Kaiser am 22. August 1757 unterzeichnet worden, doch hatte Friedrichs Vertreter am Regensburger Reichstag, Freiherr von Piotho, ben Notar Aprill, der sie am 14. Oktober 1757 im Auftrag des Reichsfiskals überbrachte, kurzerhand hinauswerfen lassen.
199-3 Dekrete, die alle nlchtpreußischen Untertanen aus preußischen Diensten zurückberiefen.
199-4 Am 26. Juni 1758 hatten die Engländer die Festung Louisburg auf der Insel Kap Breton am Eingang des St. Lorenz-Golfes erobert.
200-1 Vgl. Bd. IV, S. 59 f.
201-1 Die Marquise von Pompadour. Vgl. dafür S. 203.
201-2 Vgl. Bd. III, S. 207.
203-1 Die obige Satire bildet die fingierte Antwort auf ein Schreiben, das Maria Theresia angeblich an die Marquise gerichtet hatte. Doch hat sich bisher keinerlei Spur von Briefen der Kaiserin-Königin an die Pompadour nachweisen lassen.
207-1 Günstling des Tiberius.
209-1 Vgl. Bd. VII, S. 32.
209-2 Vgl. Bd. VII, S. 267.
v ' 14
211-1 Vgl. S. 189.
211-2 Eine solche Fabel von Lafontaine gibt es nicht. Vielleicht meint der König die Fabel „Die Mücke und der Ochs“ von Phärus.
212-1 Pro Archia poeta, cap. XI.
214-1 Vgl. S. 207 ff.
214-2 Jusepe de Ribera, genannt Lo Spagnoletto (1588—1656), spanischer Maler.
215-1 Reiche portugiesische Juden, die am Ende des 17. Jahrhunderts in Amsterdam lebten,
219-1 Für die angebliche Verleihung eines geweihten Hutes und Degens an Dann durch Klemens XIII. vgl. Bd. III, S. 153; VIII, S. 122 f.
219-2 Bei Hochkirch.
219-3 I. Samuelis, Kap. XV.
219-4 II. Samuelis, Kap. VIII, Vers 1 und 2.
221-1 Vgl. S.219 f. Die obige Satire gelangte nicht zur Veröffentlichung.
221-2 Anspielung auf die Kunst der Österreicher, ihre Stellungen auf Bergen zu wählen und zu befestigen, sowie auf ihre außerordentliche Vermehrung der Artillerie (vgl. Bd. VI, S. 118 ff.).
222-1 Nur das erste der beiden Schreiben gelangte zur Drucklegung. Wegen der Niederlage des Generals Wedell bei Kay am 23. Juli 1759 (vgl. Bd. IV, S. 12) erklärte König Friedrich, nach einem Vermerk seines Vorlesers Catt auf dem zweiten Schreiben: „Wir wollen es nicht veröffentlichen; denn Lachen ist nicht mehr angebracht.“
222-2 Die preußische Armee hatte am 4. Juli 1759 das Lager bei Landeshut verlassen und am 10. das feste Lager von Schmottseiffen, zwischen Löwenberg und Greiffenberg, bezogen (vgl. Bd. IV, S. II).
222-3 Seit dem 6. Juli 1759 stand die Daunsche Armee dem Könige gegenüber bei Marklissa (vgl. Bd. IV, S. 10).
222-4 Südwestlich von Schmottseiffen.
223-1 Der Vorleser Catt erzählt in seinen Tagebüchern von der Aufführung einer Harlekinade: „Die Verleihung des geweihten Hutes“. Darin stibitzt Harlekin Daun den geweihten Hut und Degen, während er ihm vorwirft, sie zum Kampfe gegen eine christliche Macht angenommen zu haben (vgl. S. 219 f.).
223-2 Vgl. S. 221.
224-1 Laudon war am 22. Juli 1759 mit seinem Korps aus Lauban zur Verewigung mit den Russen aufgebrochen (vgl. Bd. IV,.S.II).
224-2 April und Mal 1759 (vgl. Bd. IV, S. 10).
224-3 Das Papsttum.
224-4 Vgl. S. 219.
225-1 Vgl. S.221.
225-2 Louis Bourdaloue (1632—1704), berühmter französischer Kanzelredner.
226-1 1720.
226-2 1755 (vgl. Bd. III, S. 27).
226-3 Vgl. S. 196.
227-1 Geschlossen 1508 zwischen Kaiser Maximilian I., Ludwig XII. von Frankreich, Papst Julius II. und Ferdinand dem Katholischen gegen Venedig (vgl. Bd. III, S. 187.214).
228-1 Gegen Karl V.
228-2 Im Dreißigjährigen Kriege (vgl. Bd. l, S. 39 ff.).
228-3 1529.
230-1 Am 31. März 1761 hatte der russische Gesandte, Fürst Galizin, in London im Namen Rußlands und seiner Verbündeten den Vorschlag der Berufung eines Friedenskongresses nach Augsburg überreicht, mit der Aufforderung an England und Preußen, Bevollmächtigte für den Kongreß zu ernennen. König Friedrich zweifelte an der Aufrichtigkeit des Wiener Hofes und hielt daher den Kongreß, der in der Tat auch nicht zustande kam, von vornherein für aussichtslos (vgl. Bd. IV, S. 84 f. und 200 ff.). Diese Stimmung spiegelt sich in der obigen Satire wieder, die jedoch nicht zur Veröffentlichung gelangte.
231-1 Vgl. Bd. III, S. 60 und 119 f.
233-1 Da das Gerücht über einen bevorstehenden Krieg mit Österreich (vgl. S12 f.) im Frühjahr 1767 nicht verstummen wollte, veröffentlichte König Friedrich den obigen Faschingsartikel in den Berliner Zeitungen vom 5. März. Das darin beschriebene Naturwunder bot bem Professor Titius in Wlttenberg Anlaß zu einer gelehrten Untersuchung, die 1768 in Leipzig unter dem Titel erschien: „I. D. Titius' gemeinnützige Abhandlungen zu Beförderung der Erkenntniß und des Gebrauchs natürlicher Dinge.“
234-1 Choiseul war der Premierminister Frankreichs. Seine Entlassung und Verbannung erfolgte am 24. Dezember 1770. Vgl. S. 7.12.14f. 23 f. und die Satire „Die Choiseulade“ (Bd. X).
234-2 Für den dänischen Premierminister Graf Struensee vgl. S. 38 ff. Er wurde in der Nacht zum 18. Januar 1772 gestürzt und am 28. April enthauptet.
235-1 Die Herzogin Beatrix von Grammont war bereits im Juli 1770 verbannt worden.
236-1 In dem bourbonischen Familienpakt vom 15. August 1761 garantierten sich die aus bourboniWem Stamm entsprossenen Herrscherhauser von Frankreich, Spanien, Neapel und Parma gegenseitig ihren Besitz. Wr Spaniens Teilnahme am Kriege gegen England vgl. Bd. IV, S. 121 ff.
236-2 1762.
236-3 Choiseul war 1754-1757 Gesandter in Rom gewesen.
236-4 1768.
236-5 Durch den Versailler Vertrag vom 15. Mai 3768 trat Genua Korsika gegen Geld ab.
237-1 Das Fürstentum Neuchâtel war 1707 an Preußen gelangt (vgl. Bb. I, S. 110). Wegen einer angeblichen Verletzung der Privilegien des Landes kam es 1766 zum Aufruhr. Der Streit wurde 1768 durch Vergleich geschlichtet.
237-2 Vgl. S. 14f.
238-1 Maupeou (vgl. S. 24)
238-2 Gräfin du Barry (vgl. S. 24).
238-3 Der spätere König Ludwig XVI.
238-4 Der athenische Töpfermarkt, wo Sokrates oft seine Dispute führte.
241-1 Philipp Dormer Stanhope Lord Chesterfield, geb. 1694, starb am 24. März 1773 (vgl. Bd. VIII, S. 292).
241-2 Karl Emanuel III., König von Sardinien, Herzog von Savoyen, starb am 21. Februar 1773.
241-3 Füst Wenzel von Liechtenstein, geb. 1696, starb am 10. Februar 1772.
242-1 Vgl. Bd. III, S. 13.
242-2 Vgl. S. 221.
243-1 General Graf William Cadogan († 1726) war im Spanischen Erbfolgekrieg Marlboroughs Generalquartiermeister gewesen.
244-1 Schutzbriefe, die gegen eine Geldentschädigung gewährt wurden, befreiten von Einquartierung und anderen Kriegslasten.
244-2 Vgl. S. 184 und Bd. VII, S. 104.
244-3 Vgl. dazu die gegen Baron Holbach gerichteten Streitschriften von 1770: „Kritik der Abhandlung „Über die Vorurteile““ und „Kritik des „Systems der Natur““ (Bd. VII, S. 238 ff. und 258 ff.).
245-1 Vgl. die Abhandlung „Betrachtungen über die Betrachtungen der Mathematiker über die Dichtkunst“ (Bd. VIII, S. 62 ff.).
245-2 Vgl. S. 183.
246-1 Vgl. Bd. VII, S. 250 f.
247-1 Vgl. S.244, Anm.3.
247-2 Anspielung auf die Schrift „De l'esprit“ von Claude Adrien Helvétius (1715—1771).
247-3 Vgl. S. 244, Anm. 3.
248-1 Vgl. Bd. II, S. 206f.; III, S. 87 und 91.