<365> hervorruft, wohl aber die Kraft der Gedanken, die durch majestätischen Ausdruck den Hörer in ihren Bann zwingt, ihn überredet und den Beifall an sich reißt.
Er betrachtete die Alten als unsre Lehrmeister und gab ihnen vor den Neueren besonders darum den Vorzug, weil sie ihre Kunst gründlicher studiert haben. Wir hörten ihn oft äußern, früher hätte ein Mann Großes erreicht, da er seine Gaben nur der Kunst widmete, die er ausübte. Der Geschmack unstet Zeit aber für die Universalität der Wissenschaften könne nur Dilettanten auf allen Gebieten erzeugen. Ja, er hielt diese Tendenz für die Ursache des Verfalls der Literatur. Er war nicht der Meinung, daß Virgil den Euklid hätte kommentieren und daß Plato Schwanke hätte schreiben müssen; denn ein Menschenleben reiche nicht zur gründlichen Erlernung einer einzigen Kunst hin.
Bald rief der Krieg Stille aus dem Heim der Musen ab. Er folgte dem König 1742 nach Mähren, erhielt 1743 das Kavallerieregiment Prinz Eugen von Anhalt und wurde zum Generalmajor befördert.
Der Zweite Schlesische Krieg gab ihm Gelegenheit zur Entfaltung seiner militärischen Talente. Mit seiner Brigade schlug er Nadasdy bei einem Vorhutgefecht in der Gegend von Landeshut1 und verfolgte ihn bis nach Böhmen. Kurz darauf wurde er in der Schlacht von Hohenfriedberg verwundet. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß er sich dabei Ruhm erwarb. Die Großtaten der preußischen Kavallerie an jenem Tage sind zu bekannt, um hier daran zu erinnern.
Nach dem Winterfeldzug in Sachsen kehrte Stille mit dem König nach Berlin zurück, wo er Maupertuis seit kurzem als Präsidenten der Akademie fand. Er nahm teil an der Freude der ganzen Körperschaft, einen so berühmten Gelehrten an ihrer Spitze zu sehen2.
Künste und Wissenschaften gehen Hand in Hand. Die Methode, die einen Mathematiker in die Tiefen der Natur oder einen Philosophen durch die Finsternisse der Metaphysik führt, ist in allen Künsten die gleiche. Stille, der gelehrte Neigungen besaß, hatte sich diese Methode zu eigen gemacht und wollte sie auf einen Beruf anwenden, in dem er Hervorragendes leistete und während des Krieges sich mit Ruhm bedeckt hatte. Er verfaßte ein Werk über Ursprung und Fortschritte der Reiterei. Was wir davon gesehen haben, ist voll eigenartiger Untersuchungen und gelehrter Einzelheiten. Er hatte es bis zum Jahre 1750 fortgeführt, aber der Tod verhinderte ihn an der Vollendung seiner Forschungen, die das Lehrreichste gewesen wären, was er uns bieten konnte. Das Manuskript ist in den Händen seiner Familie; es wäre ein Verlust für die Welt, würde sie dieser Hinterlassenschaft beraubt3.
1 Am 22. Mai 1745 (vgl. Bd. II, S. 212).
2 Die rühmende Erwähnung Maupertuis' erfolgte im Hinblick auf die Schmähangriffe, die Voltaire damals gegen ihn richtete (vgl. Bd. VIII, S. 227ff.).
3 Das Manuskript ist ungedruckt geblieben; dagegen wurde 1762 sein nachgelassenes Werk „Les Campagnes du Roi, avec des réflexions sur les causes des évènements“ veröffentlicht.