<421>Feil ist der Menschen Sinn für blankes Gold.
Mit fremden Augen prüfe Deinen Plan
Und wieg Dich nie in selbstgewissem Wahn!
Du glaubst in voller Sicherheit zu sein?
Die Berge flößen Dir Vertrauen ein?
Wie, wenn der Feind die Truppen überfällt,
Die Du am Fluß als Grenzwacht aufgestellt?
Und ist auch Deine Stellung noch so gut,
Vertrau nicht ihr allein! Sei auf der Hut!

Der Alpen wolkenhoher Felsenwall,
Der Romas Reich gleich einem Bollwerk deckte
Und unersteiglich schier die Feinde schreckte,
Hemmt nicht den unverzagten Hannibal.
Er übersteigt ihn mit verwegnem Mut1;
Denn Heldenkühnheit große Wunder tut.
Er kommt, er naht auf unbetretnen Wegen,
Und bald ist ihm das Römerheer erlegen.

Vendôme sich auf die Felsenkette stützt,
Die der Lombarden reiche Flur beschützt.
Keck wagt Eugen die Etsch zu überschreiten2;
Wie er besonnen, aber plötzlich naht,
Wird frei der Po durch eine tapfre Tat
Vom Joch, das die Franzosen ihm bereiten.

Bedenke, daß der Ströme Flut zu Eis gerann
Und daß der Frost dem Feinde Brücken schlug,
Darüberhin er in beherztem Zug
In die verstreuten Lager brechen kann:
Verwirrung, Schrecken reißt zu wilder Flucht
Die Deinen hin. Mühvoller Jahre Frucht
Zerstört ein Tag. Der Feind raubt Deinem Heere
Den Siegeslohn und Dir die Waffenehre.
Weh Dir, bricht er in die Quartiere ein!
Verderben bringt nicht der Verlust allein:
Dein Kriegsvolk wird rebellisch und versagt


1 218 v. Chr.

2 Im Frühling 1701 (vgl. S. 52). Der französische Heerführer, der dem Prinzen Eugen gegenüberstand, war Marschall Catinat und nicht der Herzog von Vendöme, der erst 1702 das Kommando übernahm.