<56> Stadt von zwei Seiten angreifen. Nachdem man nahe genug an den gedeckten Weg herangekommen ist, um die Kontreskarpe zu stürmen, könnte man dann in der Nacht ein starkes Detachement, das man zu diesem Zweck bereitgestellt hat, von einer andren Seite gegen die Stadt anrücken lassen. Es müßte dort eine halbe Stunde vor Tagesanbruch stürmen. Zugleich müßten alle Geschütze der beiden Angriffsfronten feuern, damit der Feind im Glauben, Ihr wolltet die Kontreskarpe stürmen, sein ganzes Augenmerk auf die beiden offenen Angriffe richtet und die Überrumpelung durch das Detachement ohne Widerstand gelingt. Ich bin überzeugt, der Feind würde seine Kräfte nur gegen den einen oder andern der offenen Angriffe wenden und den dritten außer acht lassen. Das müßten die Belagerer benutzen und den Platz von dieser Seite erobern. Solche Unternehmungen darf man jedoch nur dann wagen, wenn die Zeit drängt und man gewichtige Gründe hat, die Belagerung rasch zu beenden.

II. Verteidigung

Durch nichts wird eine Festung besser verteidigt als durch Minen und Überschwemmungen. Es bedarf aber großer Geschicklichkeit, um alle ihre Vorteile zu erkennen und sie zur rechten Zeit zu benutzen. Die Kunst der Verteidigung fester Plätze besieht hauptsächlich darin, ihre Übergabe hinauszuschieben. Die Mittel zu diesem Zweck sind nicht immer die gleichen. Manche Offiziere legen zuviel Wert auf die Ausfälle. Mich dünkt aber, daß der Verlust eines einzigen Mannes für die Besatzung schwerer wiegt als der Verlust von zwölf Mann für die Belagerer. Große Ausfälle bringen schwere Verluste mit sich und führen sogar oft zu nichts. Ich würde sie als Festungskommandant nur dann machen, wenn die Armee, die mich entsetzen soll, heranrückt; dann würde ich bei meinem Ausfall nicht viel aufs Spiel setzen. Während der Schlacht zwischen dem Feind und dem Entsatzheer würde ich sogar die Laufgräben mit größter Energie angreifen, um den Feind dadurch abzulenken. Hätte ich aber keinen Entsatz zu erwarten und wäre lediglich auf meine eigenen Kräfte angewiesen, so würde ich alles daran setzen, Zeit zu gewinnen. Ich habe bei allen Belagerungen, die ich geleitet habe, die Wahrnehmung gemacht, daß ein einziger Flintenschuß die Schanzarbeiter in Verwirrung bringt. Sie reißen aus und sind die ganze Nacht lang nicht mehr zur Arbeit heranzukriegen. Ich habe mir also ausgedacht, wenn man allnächtlich zu verschiedenen Malen Ausfälle mit zwölf Mann auf die Schanzarbeiter machte, so würde man sie zerstreuen, und der Feind verlöre eine Nacht nach der andern. Derart würde ich, ohne etwas aufs Spiel zu setzen, viel ausrichten und meine Besatzung schonen, um sie dafür in den Werken zu benutzen, wo die wirtliche Verteidigung des Platzes anfängt. Dort würde ich mein Feuer von langer Hand vorbereiten1. Stände z. B. der Sturm auf den gedeckten Weg bevor, so ließe


1 Für das sogenannte „präparierte Feuer“ vgl. die Instruktion an Lattorff.