27. Kapitel Rückzug aus einem Lager in der Nähe des Feindes
Wir haben oft in großer Nähe des Feindes gelagert und haben dann unsre Etel? lung verlassen müssen, um uns wo anders hinzuwenden, wo unsre Gegenwart dringender nötig war. Ich halte es daher nicht für unangebracht, die Hauptregeln aufzustellen, von denen man in solchen Fällen nie abweichen darf.
<169>Lagert Ihr im Gebirge und Eure Vorposten stehen angesichts des Feindes, so müßt Ihr die größte Vorsicht anwenden, um Euer Vorhaben zu verbergen, ja es womöglich selbst Eurer eignen Armee zu verheimlichen, damit Ihr nicht von einem elenden Deserteur verraten werdet. Könnt Ihr dem Feind Eure Bewegungen verbergen — ich meine, daß er das Hin- und Herfahren in Eurem Lager nicht beobachten kann —, so schickt Ihr Eure Bagage um Mittag unter einem annehmbaren Vorwand voraus, z. B. die Wagen sollen Fourage holen, oder es sollen der Ordnung halber nur sowenig Wagen wie möglich im Lager bleiben.
Kann aber der Feind alle Vorgänge in Eurem lager beobachten, so schickt die Bagage in der Nacht vor Eurem Aufbruch voraus, um Euch ihrer zu entledigen, und am Abend vor der Nacht Eures Abmarsches laßt Ihr in der Abenddämmerung Euer ganzes schweres Geschütz abfahren. Denn behaltet Ihr es bei Euch und es stürzen einige Kanonen in den Hohlwegen um, so hält das Eure Kolonnen auf. Schickt Ihr sie dagegen voraus, so mögen immerhin ein paar Kanonen umstürzen oder die Lafetten zerbrechen; es ist immer noch Zeit genug, sie aus den tiefen Gleisen herauszuziehen und die Straße für die Armee freizumachen.
Es kommt darauf an, Euren Marsch so zu beschleunigen, daß der Feind das vorteilhafte Gelände, das Ihr ihm überlaßt, nicht zu einem Angriff benutzen kann. Mithin müßt Ihr von den Anhöhen in so vielen Kolonnen herunterrücken, als Wege vorhanden sind. Nachher könnt Ihr Euch in der Ebene in die Marschordnung setzen, die Ihr Euch vorgenommen habt. Alle Lagerwachen der Kavallerie müssen so lange auf ihren Posten bleiben, bis Eure Armee ganz in die Ebene hinuntergerückt ist. Ja, Ihr sollt auch noch die Wachtfeuer der Infanterie durch Husaren unterhalten und sie<170> „Wer da?“ rufen lassen, als ob die Wachen noch am Fleck ständen. Danach ziehen sich die Kavalleriewachen und Husaren plötzlich auf ein vereinbartes Zeichen im Galopp auf die Armee zurück. Der Feind, der Eure Bewegung erst in diesem Augenblick wahrnimmt, kann Euch jetzt nicht mehr den geringsten Schaden zufügen, und so zieht Ihr Euch geschickt aus der Verlegenheit.
In der Ebene lagern beide Armeen selten so dicht beieinander. Tritt aber der Fall ein, so muß man die gleiche Vorsicht gebrauchen und sich der Bagage entledigen. Habt Ihr ein Defilee hinter Euch, so müßt Ihr ein Korps zu seiner Besetzung vorausschicken. Das schwere Geschütz aber sollt Ihr in der Ebene lieber bei Euch behalten, ob Ihr nun am Tage oder bei Nacht abmarschiert. Da alles im voraus geregelt ist, kann daraus kein Schade erwachsen; denn der Feind ist sehr in Verlegenheit, wie er Euch angreifen soll, da er ja Eure Disposition nicht kennt.
Wollt Ihr alle Nachhutgefechte vermeiden, so räumt Euer Lager möglichst geschwind, marschiert in so viel Kolonnen ab, als Ihr könnt, auch wenn Ihr diese Kolonnen nachher verringern müßt, falls die Anzahl der Straßen nicht für alle ausreicht. Im übrigen gilt dasselbe, was ich vom Rückzug aus Lagern im Gebirge gesagt habe. Man läßt die Husaren zurück, um die Wachtfeuer zu unterhalten und „Wer da?“ zu rufen. Sie müssen dann aber schleunigst der Armee nachfolgen, damit der Feind ihnen nichts anhaben kann. Hätte König Wilhelm III. sein Lager bei Senef des Nachts verlassen, so wäre seine Nachhut nicht von Conde geschlagen worden170-1.
Eine wichtige Vorsicht ist auch die vorherige gründliche Rekognoszierung der Straßen, wenn möglich durch die Generale selbst, die die Kolonnen führen sollen. Dadurch beugt man nach Kräften aller Unordnung vor, der gewöhnlichen Begleiterscheinung der Nachtmärsche.
170-1 Vgl. S. 77, Anm. 1.