Betrachtungen über die Feldzugspläne (1775)201-1
Ihr wünscht eine Angabe der Grundsätze, die als Basis für die Feldzugspläne dienen sollen. Um Euch zu willfahren, muß ich mich darauf beschränken, ein paar allgemein gültige Regeln zusammenzufassen. Es bedarf verschiedener Regeln für den Offensivkrieg, für den Krieg zwischen gleich starken Mächten und schließlich für den Defensivkrieg.
Vor allem kommt die Natur des Landes in Betracht, in dem man Krieg führen will, ob es von Flüssen durchzogen oder mit Wäldern bedeckt, ob es durchschnitten ist oder weite Ebenen darbietet, ob es von Festungen verteidigt wird, ob es ein offenes Land oder voller Berge und Felsen ist, ob es in der Nähe des Meeres oder tief im Binnenland liegt. Ferner muß derjenige, der einen Feldzugsplan entwerfen will, sich zuvor genaue Kenntnis von den Kräften seines Gegners verschaffen. Er muß wissen, welche Hilfe dieser von seinen Verbündeten erwarten kann, muß die Kräfte des Feindes mit den eignen und mit dem vergleichen, was seine Bundesgenossen ihm an Truppen stellen können, und daraus schließen, welcherart der geplante Krieg sein wird.
Es gibt offene Länder, in denen man sich bei gleichen Kräften große Erfolge versprechen kann. Es gibt andre voller Defileen und Stellungen, die zum Offensivkrieg weit überlegene Streitkräfte erfordern. Hütet Euch wohl, Euch mit unbestimmten Ideen über diese Dinge zu begnügen. Sie verlangen vor allem klare, deutliche und bestimmte Begriffe. Kennt Ihr Euer Schachbrett, die Bauern und Offiziere schlecht, so habt Ihr wenig Aussicht, eine Schachpartie zu gewinnen. Nun aber ist der Krieg von ganz andrer Bedeutung als dies Spiel. Untersuchen wir also im großen, welche Regeln stets zu befolgen sind bei den drei Kriegsarten: offensiv, mit gleichen Kräften, defensiv.
Beginnen wir mit der Offensive. Das erste ist, wie gesagt, ein Vergleich aller Kräfte des Feindes einschließlich seiner Verbündeten mit den eignen und den Hilfstruppen, die Euch Eure Bundesgenossen stellen werden. Ihr müßt genaue Kenntnis<202> des Landes haben, in dem Ihr Krieg führen wollt, um über die Stellungen und Märsche, die Ihr dort machen könnt, Bescheid zu wissen und im voraus zu beurteilen, welche Lager der Feind zur Durchkreuzung Eurer Pläne beziehen kann. Vor allem müßt Ihr an die Verpflegung denken; denn eine Armee ist ein Körper, dessen Grundlage der Magen bildet202-1. Ihr mögt noch so schöne Pläne entwerfen, Ihr könnt sie doch nicht ausführen, wenn Eure Soldaten nichts zu essen haben. Ihr müßt also im voraus dafür sorgen, Magazine errichten und Depots in dem Lande anlegen, in dem Ihr Krieg führt, damit Eure Lebensmittel in der Nähe Eures Operationsgebiets sind.
Der erste Grundsatz eines Offensivkrieges ist, seinen Plan groß anzulegen, damit er im Falle des Gelingens bedeutende Folgen hat202-2. Versetzt dem Feind stets empfindliche Schläge und plänkelt nicht nur an seinen Grenzen herum. Der einzige Zweck des Kriegführens ist, den Gegner baldmöglichst zum Abschluß eines vorteilhaften Friedens zu zwingen. Diesen Gedanken muß man sich stets vor Augen halten. Steht Euer Plan nun fest und reichen Eure Lebensmittel zur Ausführung hin, so müßt Ihr alle möglichen Maßregeln ersinnen, um ihn vor dem Feinde geheim zu halten. Er muß bei Eröffnung des Feldzuges durch Eure Bewegungen irregeführt werden, Euch ganz andre Absichten zutrauen, als Ihr in Wirklichkeit habt. Nichts kann seine Maßregeln mehr durchkreuzen und ihn mehr zu falschen Schritten verleiten; an Euch ist es dann, Euren Nutzen daraus zu ziehen.
Bevor Ihr aber zum Handeln schreitet, müßt Ihr ohne Selbsttäuschung streng und kaltblütig alles prüfen, was der Feind zur Durchkreuzung Eures Planes unternehmen könnte, und in jedem besonderen Falle überlegen, welche Mittel Euch bleiben, um Euer Ziel trotz all seines Widerstandes zu erreichen. Je mehr Schwierigkeiten Ihr voraussetzt, desto weniger werdet Ihr überrascht sein, wenn Ihr ihnen beim Handeln begegnet. Außerdem habt Ihr dann schon in aller Ruhe über diese Hindernisse nachgedacht und Euch kaltblütig die Mittel zu ihrer Überwindung zurechtgelegt, sodaß Euch nichts mehr in Erstaunen setzen kann. So etwa war der Kriegszug Ludwigs XIV. gegen Holland im Jahre 1672. Er hätte ein glorreiches Ende genommen, hätten die Franzosen sich gleich der Schleusen von Naarden und Muiden bemächtigt. Dann wären sie Herren von Amsterdam geworden, zumal wenn die französische Armee sich nicht durch die zahlreichen Besatzungen geschwächt hätte, mit denen sie auch die kleinsten Festungen versah.
Feldzugspläne, die darauf angelegt sind, dem Feinde mit zwei, drei oder mehr Armeen entgegenzutreten, sind dem Mißlingen mehr ausgesetzt als solche, bei denen nur eine einzige Armee operiert. Es ist schwerer, drei gute Heerführer zu finden als einen. Ein Zweites kommt hinzu. Wenn Ihr Eure Hauptkräfte auf dem einen Kriegsschauplatz einsetzen wollt, so kann der Feind, da er freie Hand hat, sich seinerseits vornehmen, ein gleiches an einer andren Grenze zu tun. So geschieht es oft,<203> daß die Niederlage einer Eurer Armeen Euch zwingt, ihr Hilfe zu schicken, mithin Eure Hauptarmee zu schwächen. Mit dem Augenblick aber wird Euer ganzer Offensivplan hinfällig. Ihr werdet dort in die Defensive geworfen, wo Ihr mit Eurer Hauptmacht durchgreifen wolltet, und müßt eine geschlagene Armee in einer Provinz verstärken, in der große Anstrengungen zu machen garnicht in Eurem Interesse lag.
Man braucht nur in der „Histoire militaire de Louis XIV“ von Quincy203-1 die Pläne des Versailler Hofes am Anfang jedes Feldzuges nachzulesen, um sich von der Wahrheit des oben Gesagten zu überzeugen. Kein Feldzug entsprach den Plänen, die die Minister und Generale entworfen hatten. Woher kam das? frage ich; denn die Fehler der andren sollen uns stets als Warnung dienen, nicht in sie zu verfallen. Es kam daher, weil man zu sicher auf den Erfolg gerechnet, nicht genug an die Hilfsmittel des Gegners, an die Maßregeln gedacht hatte, die er in seinem Interesse ergreifen konnte, kurz, weil die gefährlichsten Schritte, die der Feind gegen Frankreichs Interesse tun konnte, nicht berücksichtigt waren. Darum dringe ich so sehr darauf, nicht oberflächlich zu verfahren, sondern alles zu prüfen und Euch vorzustellen, was der Feind möglicherweise ausführen könnte. Nehmt dem Zufall alles, was Ihr ihm durch Euren Scharfblick und Eure Vorsicht entreißen könnt: trotzdem wird er im Kriege noch immer zu viel Einfiuß behalten. Es kommt vor, daß Detachements durch die Schuld ihrer Führer oder durch die Überlegenheit des sie angreifenden Feindes geschlagen werden. Festungen können durch Überrumpelung fallen, Schlachten verloren gehen, weil dieser oder jener den Kopf verliert, weil ein General, der die Disposition der Schlacht kennt, verwundet wird oder fällt und die übrigen Generale des betreffenden Flügels, denen sie unbekannt ist, nicht im Sinne des Höchstkomman-dierenden handeln. Darum soll man nie Viktoria rufen, bevor man den Feind vom Schlachtfeld vertrieben hat.
Zieht Ihr Beispiele den Regeln vor, so will ich einen Feldzugsplan entwerfen, bei dem ich mich an die eben entwickelten Grundsätze halte.
Angenommen, Preußen, Österreich, das Deutsche Reich, England und Holland hätten ein Offensivbündnis gegen Frankreich geschlossen. Folgendermaßen müßte man verfahren, um einen verständigen und wohldurchdachten Feldzugsplan zu vereinbaren. Wie ich weiß, kann Frankreich 180 000 Mann ins Feld stellen. Seine Miliz, 60 000 Mann stark, dient zur Besetzung des dreifachen Festungsgürtels, der seine Grenzen schützt. Wie ich weiß, kann der König von Spanien, Frankreichs Verbündeter, ihm 40 000 Mann liefern, der König von Neapel 10 000, der König von Sardinien 40 000. Insgesamt 270 000 Mann außer den Festungsbesatzungen; ich zähle nur die Kombattanten.
Demgegenüber könnte Preußen aufstellen 150 000 Mann, Österreich 160 000, das Reich 40 000, England 20 000, Holland ebensoviel, außer den Flotten, die die Ope<204>rationen der Landheere zu unterstützen hätten. Die Verbündeten könnten also 390 000 Mann aufstellen. Sie hätten somit eine Überlegenheit von 120 000 Mann über die Franzosen.
Ferner weiß ich, daß Frankreichs Finanzen völlig zerrüttet sind und daß es nur mit Mühe drei Feldzüge bestreiten könnte. Spanien, das sich durch seine Rüstungen gegen Algier und Marokko erschöpft hat, kann den Krieg nicht länger aushalten, und der König von Sardinien ist verloren, wenn ihm nicht irgend eine Macht beträchtliche Subsidien zahlt.
Es bleibt also noch übrig, zu erwägen, wie man Frankreich angreifen und von welcher Seite man ihm den empfindlichsten Schlag versetzen kann.
Ich glaube, es muß von Flandern aus geschehen, wie ich es kurz begründen will. Ich bestimme also 100 000 Mann zum Angriff auf die Staaten des Königs von Sardinien durch die Lombardei. Diese Armee hat gegen 90 000 Sardinier, Spanier und Neapolitaner zu kämpfen. Eine zweite Armee von 110 000 Mann bestimme ich dazu, die Franzosen im Elsaß anzugreifen. Sie wird 80 000 Franzosen vor sich haben. Die Hauptarmee, 180 000 Mann stark, bestimme ich für Flandern, nicht um jedes Jahr eine Schlacht zu liefern und ein paar feste Plätze zu erobern, was sieben bis acht Feldzüge erfordern würde, sondern um ins Herz der Monarchie einzudringen, gegen die Somme vorzugehen und zugleich die Hauptstadt zu bedrohen.
Der Zweck dieses Planes ist folgender. Werden die Franzosen im eignen Lande angegriffen, so müssen sie Flandern bald verlassen, um Paris zu verteidigen. In den festen Plätzen würden nur die Milizen bleiben, die man leicht zur Übergabe zwingen kann, und vielleicht würden sie die Armee im Elsaß beträchtlich schwächen, um Paris besser zu schützen. Dadurch könnten die Verbündeten auf jenem Kriegsschauplatze große Erfolge erringen, während man in Flandern mit 40 000 Mann die wichtigsten Festungen einnehmen könnte, die man in seinem Rücken gelassen hat.
Ehe ich auf die Einzelheiten dieses Planes eingehe, muß ich vorausschicken, daß ich niemals in Flandern war und mich daher nach vielleicht nicht ganz zuverlässigen Karten richte. Die Hauptmagazine der Armee müssen in Brüssel, Nieuport und Veurne errichtet werden. Die Armee versammelt sich bei Brüssel und wendet sich nach Tournai, um die Franzosen für Lille und Valenciennes besorgt zu machen. Man muß eine Schlacht herbeizuführen suchen, um entschiedenes Übergewicht über den Feind zu erlangen, danach Bergues und schließlich Dünkirchen belagern, wobei man von der englischen Flotte unterstützt werden könnte. Diese Operationen werden ungefähr den ganzen Feldzug ausfüllen. Wenn möglich, müßte man auch noch Gravelingen belagern und einnehmen.
Prüfen wir nun, was die Franzosen diesem Plane entgegensetzen könnten. Wenn sie sich in Flandern angegriffen sehen, werden sie unzweifelhaft den Versuch machen, ihren Feinden zuvorzukommen. Sie können zur Belagerung von Tournai oder Mons schreiten, bevor die Hauptkräfte der Verbündeten vereinigt sind. Sie können<205> sich bei Dudenaarde aufstellen, um Euch zu zwingen, Euch nicht zu weit von Brüssel zu entfernen, damit Eure Zufuhr nicht abgeschnitten wird. Sie können auch ein Lager an der Schelde beziehen, zwischen Condé und St. Ghislain. Ja, wer weiß, ob sie nicht gar den Versuch machen würden, sich Brüssels vor der Ankunft der Alliierten zu bemächtigen? In all diesen Fällen müssen die Verbündeten mit einer Schlacht beginnen. Es gibt wenige Stellungen, die sich nicht umgehen ließen, und von dem Ausgang der Schlacht hängt alles ab. Fällt sie entscheidend aus, so wäre Brüssel in Bälde zurückgewonnen. Mons und Tournai dagegen muß man den Franzosen lassen und von seinem Hauptziel nicht um einer Kleinigkeit willen abgehen. Operiert Ihr mit 120 000 Mann nach Bergues und Dünkirchen hin, so bleiben Euch noch 60 000 Mann zur Deckung Brüssels und Eurer rückwärtigen Verbindungen, und die englische Flotte liefert Euch die nötigen Lebensmittel aus den Magazinen von Nieuport.
Schwieriger wird der zweite Feldzug fein, da Ihr Eure Absichten enthüllt habt und der Feind, Eure Pläne erratend, sich ihnen entgegenstellen wird. Ohne Zweifel wird er ein festes Lager wählen, um Euch den Weg zu verlegen. Dann müßt Ihr auf Mittel sinnen, ihn daraus zu vertreiben und ihn zu schlagen, um Gravelingen und danach Bourbourg zu belagern, wobei die englische Flotte, im Hafen von Gravelingen landend, Euch mit Lebensmitteln versorgen würde. Von da müßt Ihr Euch nach Montreuil wenden, wobei die englische Flotte, in den Meerbusen La Canche einlaufend, Euch Vorräte liefern würde. Will der Feind Euch noch weiter vorwärts aufhalten, so müßt Ihr ihn aus seiner Stellung vertreiben, auf Abbeville vorrücken und die englische Flotte nach der Sommemündung segeln lassen, damit Euch die Magazine nicht fehlen.
Vielleicht werdet Ihr einwenden, ich ließe zu viele feste Plätze hinter mir; aber ich habe ja noch 60 000 Mann übrig, von denen 20 000 meine rückwärtigen Verbindungen an geeigneten Punkten besetzen und 40 000 die von Milizen verteidigten Plätze, wie Cassel, Aire, St. Omer, belagern müssen. Ferner ist darauf zu rechnen, daß die ganze französische Armee vom Beginn des zweiten Feldzuges an schleunigst Flandern räumen wird, um Paris zu decken. Wenn Ihr dann mit Nachdruck gegen diese Armee operiert, so wird sich das französische Ministerium geschwind zum Frieden bequemen. Angenommen, Paris würde erobert, so muß man sich wohl hüten, Truppen hineinzulegen. Sie würden dort nur verweichlichen, und die Disziplin ginge verloren. Man müßte sich mit großen Kriegstontributionen begnügen.
Damit dieser Feldzugsplan auf festen Füßen sieht, müßte man die Vorsicht gebrauchen, gute Ingenieuroffiziere und Quartiermeister hinzuschicken, die, als Kaufleute verkleidet, alle jene Gegenden bereisen müßten, um etwaige Fehler des Planes zu berichtigen, sowohl in betreff des Geländes wie hinsichtlich der festen Plätze, die man einnehmen will, desgleichen wegen der Häfen, die mir nicht genau bekannt sind.
<206>Um indes Fehler zu vermeiden, die ich aus Unkenntnis des Landes vielleicht begangen habe, will ich Euch noch einen Feldzugsplan für ein Gelände entwerfen, das mir weit besser bekannt ist. Angenommen, es käme zum Krieg zwischen Preußen und Österreich. Bekanntlich kann das Haus Österreich 180 000 Mann ins Feld stellen. Nehmen wir ferner an, daß es keine Verbündeten, keine fremde Hilfe hätte. Preußen kann 180 000 Mann ins Feld stellen. Rußland muß 30 000 Mann Hilfstruppen hinzufügen206-1. Die Garnisonregimenter reichen aus, um die am meisten bedrohten Festungen gut zu besetzen. Diese Aufstellung zeigt, daß Preußen seinem Feinde um 30 000 Mann überlegen ist.
Nun entsteht die Frage: welches wird das Ziel des Krieges sein? Und da es gilt, das Haus Österreich zu schwächen, welche Provinz ließe sich am vorteilhaftesten von der Donaumonarchie abtrennen? Es springt in die Augen, daß dies nicht Mähren fein kann. Mähren liegt eingekeilt zwischen dem Fürstentum Teschen, Ungarn, Österreich und Böhmen, wäre also auf die Dauer nicht zu halten. Anders sieht es mit Böhmen. Es ließe sich, von Österreich getrennt, durch Errichtung einiger Forts in den Bergen, die nach Österreich und der bayrischen Grenze abfallen, gegen das Eindringen von dorther wirksam verteidigen.
Meine Kenntnis von Böhmen sagt mir aber, daß man es nie erobern wird, wenn man es zum Kriegsschauplatz macht206-2. Und zwar aus folgendem Grunde. Böhmen ist von einer Bergkette umschlossen, die man notwendig überschreiten muß, wenn man dort eindringen will. Es hängt somit nur vom Feinde ab, die Pässe, durch die Ihr gekommen seid, durch starke Detachements schließen zu lassen, um Euch von Euren Lebensmitteln und rückwärtigen Verbindungen abzuschneiden. Nimmt man aber auch an, daß der Feind auf diesen Plan nicht verfällt, so begebt Ihr Euch doch in ein von Bergen und Defileen gespicktes Land, wo der Feind Euch von Meile zu Meile den Weg verlegen kann und es beinahe unmöglich ist, entscheidende Schlachten zu schlagen; denn die Besiegten sind durch Berge und Wälder gedeckt. Ich nehme selbst an, daß Ihr Euch dank einer Reihe von Erfolgen zum Herrn von Prag macht. Dann bleibt Euch nur die leidige Wahl, Euch entweder durch die starke Besatzung zu schwächen, die Ihr nach Prag legen müßt, um Eure Lebensmittel zu decken, oder, wenn Ihr nur wenige Truppen dort laßt. Eure Magazine dem ersten besten Handstreich preiszugeben, den der Feind machen wird, um die Hauptstadt zu überrumpeln.
Man muß also zu andren Mitteln greifen, um die Eroberung Böhmens herbeizuführen. Das sicherste, wiewohl schwierig auszuführen, ist, den Krieg an die Donau zu tragen. Dadurch zwingt Ihr den Wiener Hof, seine Hauptkräfte aus Böhmen zurückzuziehen, und die Armee, die dort eindringen soll, hat dann die Möglichkeit, ihren Plan auszuführen.
<207>Auf Grund aller dieser Erwägungen entwerfe ich nun meinen Feldzugsplan.
Die Verteilung der Streitkräfte muß folgende sein. 110 000 Preußen und 30 000 Russen werden in Oberschlesien versammelt. Davon werden 10 000 Mann zur Verteidigung von Silberberg und der Grasschaft Glatz bestimmt. Von dort können sie sich nach Landeshut wenden, falls der Feind nach dieser Richtung etwas unternimmt. 30 000 Mann erhalten Befehl, in Streifkorps ins Fürstentum Teschen einzudringen und vor allem die Proviantzüge der Armee zu sichern, deren Magazin sich in Kosel befindet. Die Hauptarmee rückt auf Neustadt vor, damit der Feind, durch diese Scheinbewegung getäuscht, sich zur Vetteidigung der Gebirgsstraßen anschickt, die von Troppau und Iägerndorf nach Mähren führen, oder sich an der Mohra aufstellt, einem Fluß mit steilen, felsigen Ufern. Die preußische Armee in Sachsen, 60 000 Mann stark, entwaffnet, wenn nötig, die Sachsen, bezieht ein Lager auf den Bergen zwischen Berggießhübel, Peterswald usw., führt einen Parteigängerkrieg in Böhmen und begnügt sich damit, den Feind häufig besorgt zu machen, als ob sie die Absicht hätte, bei der ersten Gelegenheit in Böhmen einzubrechen. Ihre Streifkorps können in der Richtung auf Dux und Teplitz vorgehen und sich im Saazer Kreis ausdehnen, vielleicht auch bis zur Eger vordringen.
Die schlesische Hauptarmee nimmt, wenn alle ihre Maßregeln getroffen sind, zwischen Troppau und Jägerndorf Stellung und bezieht dott ein Lager. Nichts<208> kann den Feind mehr in der Meinung bestärken, daß die Preußen über die Berge gegen Olmütz vorgehen wollen. Dann muß sie über Hultschin, Fulnek und Mährisch-Weißkirchen marschieren. Durch diesen Umweg vermeidet man die Gebirgspässe und die schlimmen Mohraübergänge und gelangt in die Mährische Ebene hinab. Dann müssen Depots in Fulnek oder Mährisch-Weißkirchen errichtet werden, je nachdem, wie es am besten erscheint. Zur Sicherung der Lebensmittel müßten Feldbefestigungen mit Flatterminen angelegt werden. Die Armee muß von dort auf Prerau oder Kremsier vorrücken. Es ist klar, daß der Feind, der sich von den Preußen umgangen sieht, die Berge und die Mohra schleunigst verlassen wird. Doch läßt sich nicht leicht erraten, welchen Ort er zu einer neuen Stellung wählen wird. Allem Anschein nach aber wird er sich entschließen, die March zu verteidigen und diesen Fluß vor seiner Front zu lassen. Wegen ihrer sumpfigen Ufer ist die March schwer passierbar, und wahrscheinlich wird der Feind den Preußen hier die erste Schwierigkeit bereiten, indem er ihnen den Übergang streitig macht. Aber schließlich gibt es Mittel für alles, und höchstwahrscheinlich wird es, nachdem die Preußen den Fluß überschritten haben, zwischen beiden Armeen zur Schlacht kommen.
Ist das Waffenglück mit uns, so muß der Sieg soviel wie möglich ausgenutzt und der Feind bis zu den ersten beträchtlichen Defileen, auf die man stößt, hitzig verfolgt werden. Ist das geschehen, so muß ein zu diesem Zweck detachiertes Korps alles Getreide, Vieh und Lebensmittel in der Gegend von Olmütz bis auf drei Meilen im Umkreise wegnehmen und alle Backöfen in den Häusern zerstören, sowohl um der Festung alle Subsistenzmittel zu nehmen, als auch um schon im voraus zu verhindern, daß die Besatzung von Olmütz im nächsten Winter Ausfälle auf die Blockadetruppen macht. Die geschlagene österreichische Armee wird wahrscheinlich unter den Kanonen von Brünn Schutz suchen. Man darf sie jedoch nicht in Ruhe lassen, sondern muß versuchen, ihr die Zufuhr abzuschneiden, die sie über Znaim aus Österreich erhält. Nun könnte man starke Detachements nach der Thaya senden, die sogar bis an die Donau vordringen dürften. Beginnt der Feldzug im Juni, so muß man Olmütz recht eng einschließen. Im März des nächsten Jahres, wenn die Stadt zehn Monate lang ohne jede Hilfe gewesen ist, würde der Kommandant durch Hunger zur Übergabe genötigt sein oder nach leichter Verteidigung kapitulieren.
Die verlorene Schlacht würde den Wiener Hof natürlich zur Verstärkung seiner Armee in Mähren zwingen. Die böhmische müßte starke Detachements an sie abgeben: das wäre für die in Sachsen stehende Armee das Zeichen zum Vordringen.
Im nächsten Feldzuge müßte man die Feinde in ihren Stellungen umgehen, ihre Detachements aufzuheben oder zu vernichten suchen und den Krieg mit Nachdruck nach der Thaya und Donau hinübertragen. Die Armee in Sachsen würde den Feind energisch vor sich Hertreiben, Prag einnehmen, in das man die 10 000 Mann aus Silberberg werfen könnte, und die gesamte böhmische Armee könnte über Budweis und Wittingau gegen Linz an der Donau vorgehen. Durch diese Stellung würde<209> die österreichische Armee aller Lebensmittel beraubt, die sie von der oberen Donau bezieht, und da die 30 000 Mann der Hauptarmee, die die rückwärtigen Verbindungen zu decken hatten, nun teilweise entbehrlich werden, so könnte man sie im Falle großer Erfolge über Skalitz auf Preßburg detachieren. Die Österreicher würden in große Not kommen, und ich glaube, in dieser Lage, wo Wien bedroht wäre, würden sie die Hand zu jedem ihnen vorgeschlagenen Frieden reichen.
Wie ich zugebe, birgt dieser Plan große Schwierigkeiten. Man muß Glück haben, um ihn zu einem guten Ende zu führen. Aber mag es Politik, mag es Krieg, mag es irgend ein menschliches Unternehmen sein, das auf künftigen Zufällen und Wahrscheinlichkeitsrechnung beruht, keins wird gelingen, wenn es nicht vom Glück begünstigt wird.
Vielleicht erscheinen Euch diese Pläne zu groß und weitreichend; doch glaubt nicht, ich sei der einzige, der solche Pläne entwirft. Ich brauche Euch nur an einige Projekte des Prinzen Eugen zu erinnern, dessen großer Geist sich nicht mit Kleinigkeiten begnügte, sondern entscheidende Schläge zu führen suchte, die das Schicksal der Throne und Völker entschieden. Aus der Geschichte seiner Feldzüge könnt Ihr ein gleiches entnehmen. Ich will hier nur mit wenigen Worten daraus eingehen. Der große Kriegsheld wollte Cremona, das Hauptquartier der Franzosen, überfallen. Er drang in die Stadt ein, konnte sich darin aber nicht behaupten, weil Detachements, die zu jener Überrumpelung beitragen sollten, zu spät kamen209-1. Der Schlag ging fehl, aber darauf kommt es nicht an. Prüfen wir einmal, welche Folgen die Einnahme von Cremona gehabt hätte, wenn Prinz Eugen die Stadt hätte halten können. Erstens hätte er die ganze französische Generalität gefangen genommen. Niemand hätte den in Kantonnementsquattieren zerstreuten Truppen Befehle geben können. Er wäre über die verzettelte feindliche Armee hergefallen, hätte sie im einzelnen vernichtet, und der fliehende Rest wäre glücklich gewesen, in kleinen Trupps die Alpen zu erreichen und sich nach Frankreich zu retten. So hätte ein einziges aufgehobenes Quartier die ganze Lombardei von den Franzosen gesäubert und die Lombardei, Mantua und Parma dem österreichischen Zepter gewonnen.
Noch hat kein Mensch gelebt, dem alle Pläne geglückt wären. Faßt Ihr jedoch nur kleine Pläne, so werdet Ihr stets nur ein mittelmäßiger Mensch sein. Gelingen Euch aber von zehn großen Unternehmungen, die Ihr plant, nur zwei, so macht Ihr Euren Namen unsterblich. Wenn aber auch der Anschlag des Prinzen Eugen auf Cremona fehlschlug, er entschädigte sich dafür doch bald durch den klugen und geschickten Marsch auf Turin, bei dem er französische Detachements ruhig hinter sich ließ, um La Feuillade aus seinen Verschanzungen bei Turin zu vertreiben (1706). Dadurch säuberte er Italien mit einem Schlage von den Franzosen, die seit 1701, wo der Krieg anfing, Herren des Landes waren.
<210>Ganz ähnlich war der Plan, die Franzosen und Bayern bei Höchstädt anzugreifen. Sie wurden geschlagen210-1. Der Verlust der Schlacht zwang sie zur Räumung von Bayern und Schwaben, und sie fühlten sich nicht eher sicher, als bis sie über den Rhein gegangen waren. Ich nenne Euch stets den Prinzen Eugen als den größten Kriegshelden unsres Jahrhunderts. Folgt ihm nach Ungarn. Seht, wie er die Belagerung von Belgrad unternimmt, wie er selbst von den Türken belagert wird und ruhig abwartet, bis sie zum Teil einen kleinen Bach überschritten haben, der sie von seiner Armee trennte, um dann über sie herzufallen und einen entscheidenden Sieg davonzutragen, der den Großherrn zum Friedensschluß und zur Abtretung schöner Provinzen an den Kaiser zwang210-2.
Wer die Feldzüge des Prinzen Eugen liest, darf sich nicht damit begnügen, sein Gedächtnis mit militärischen Tatsachen anzufüllen. Er muß vor allem danach trachten, die großen Gesichtspunkte zu erfassen und ebenso zu denken. Es genügt nicht, in der Person des Prinzen Eugen das Muster eines großen Feldherrn studiert zu haben.
Nicht minder nützlich ist die Prüfung der Fehler, die die Minister der Höfe oder die Heerführer aus Mangel an Urteil und Kenntnissen begingen, indem sie die Pläne ihrer Unternehmungen schlecht entwarfen. Solche Beispiele sind nur zu zahlreich. Ich will nicht im Altertum herumstöbern, um Euch die Mißgriffe vergangener Zeiten in Erinnerung zu bringen, sondern nur die modernen Torheiten anführen, wo der Gang der Ereignisse Euch vertrauter und besser bekannt ist.
Karl XII. kommt mir zuerst in den Sinn, vielleicht der tapferste und inkonsequenteste Feldherr, den es je gab210-3. Wie Ihr wißt, schlug er die Russen bei Narwa (1700). Die Staatsraison und militärische Gründe erheischten, daß er bei Beginn des Frühlings nach Esthland marschierte, von dort den Zaren vertrieb, Petersburg zurückeroberte, den Zaren zum Frieden zwang und ihn auf seine alten Grenzen beschränkte. Ihr erkennt deutlich, daß er nach der Niederwerfung seines gefährlichsten Gegners unumschränkt über Polen hätte verfügen können; denn niemand hätte sich ihm zu widersetzen gewagt. Was aber tut er? Anstatt einen so vernünftigen Plan zu befolgen, kommt er auf den Einfall, sich mit den polnischen Woywoden herumzuschlagen und ein paar Händevoll Sachsen hier- und dorthin zu treiben. Dadurch läßt er dem Zaren Zeit, seine Truppen zu schulen, tüchtige Generale in seinen Dienst zu nehmen, kurz, all die Einrichtungen und Vorkehrungen zu treffen, die Karls völlige Niederlage bei Pultawa (1709) herbeiführen sollten. Was sollen wir vollends von Karls XII. Zug nach der Ukraine sagen, von wo er nach Moskau vordringen wollte? Wenn je ein Plan gegen Vernunft und gesunden Menschenverstand gefaßt ward, so ist es dieser. Seine Absicht war, den Zaren zu entthronen. Dies Vorhaben überstieg<211> seine Kräfte: er hatte kaum 30 000 Mann zu dessen Ausführung. Mithin mußte er darauf verzichten; denn im Kriege wie bei allem menschlichen Tun kann der Kluge zwar schwierige Dinge unternehmen, darf sich aber nie auf unausführbare Pläne einlassen.
Das ist aber nicht alles. Es ist eine Kriegsregel, daß man niemals weite Pointen oder Vorstöße von seinen Landesgrenzen machen darf. Alle in der Nähe der Grenze unternommenen Kriege verlaufen stets glücklicher als die, bei denen sich die Armeen zu weit vorwagen. Unter solchen Pointen verstehe ich, daß man sich von seinen Magazinen entfernt und zu tief in Feindesland eindringt, ohne seine rückwärtigen Verbindungen zu sichern211-1. Wer aber hat je gröberen Mißbrauch mit solchen weiten Vorstößen getrieben als Karl XII.? In der Ukraine war er völlig von Schweden abgeschnitten, aller Hilfsmittel aus der Heimat beraubt, ohne Magazine und ohne die Möglichkeit, welche anzulegen. Von Pultawa bis Moskau sind ungefähr 100 deutsche Meilen; dazu brauchte er 45 Marschtage. Selbst wenn ihm der Feind unterwegs nicht entgegengetreten wäre, wußte man doch, daß der Zar beschlossen hatte, alles auf seinem Wege zu verwüsten. Bei einem derartigen Zuge hätten die Schweden also mindestens für drei Monate Proviant, lebendes Vieh im Verhältnis und viel Munition mitführen müssen. Dazu waren wenigstens 3 000 Wagen nötig, jeder mit vier Pferden bespannt, insgesamt also 12000 Pferde zum Transport dieser Vorräte. Wie hätte er diese Anzahl in der Ukraine finden können? Aber auch wenn er sie hätte auftreiben können: ergibt sich daraus nicht, daß die halbe schwedische Armee zur Bedeckung der Vorräte notwendig gewesen wäre, da ihr Verlust ja den Untergang der ganzen Armee nach sich ziehen mußte? Wollte Karl XII. dem Zaren einen empfindlichen Schlag versetzen, so mußte dies durch Esthland geschehen, wo ihm seine Flotte Proviant und Munition herbeischaffen und er seine Armee sogar aus den finn-ländischen Milizen rekrutieren konnte. Die Unglücksfälle, die ihn trafen, hat er sich selbst zugezogen, da er alle Kriegsregeln mißachtet hat und allein seiner Laune gefolgt ist.
Der Türkenkrieg, den die Österreicher im Jahre 1736 unternahmen211-2, fiel für sie nur deshalb so unglücklich aus, well seine Anlage auf falschen Berechnungen beruhte. Prinz Eugen hatte die Donau stets als Nährmutter der in Ungarn operierenden Armeen angesehen und verließ sie sowenig wie möglich. Der Wiener Hof, der nicht einmal Ungarn kannte, entwarf Pläne, die seine Truppen vollständig von der Donau entfernten. Er veränderte die Feldzugspläne mitten im Laufe der Operationen. Der erste beste, wenn man so sagen darf, der sich Hirngespinste ausdachte, beeinflußte die Befehle, die Kaiser Karl VI. seinen Armeen gab. Dadurch wurde alles verdorben. Allerdings verhehle ich nicht, daß die falsche Führung der Generale viel zu den Fehlschlägen beitrug, die jener Krieg dem Kaiserhause bescherte.<212> Betrachtungen über die Feldzugspläne
Prüfen wir aufmerksam, wodurch die Hoffnungen vernichtet wurden, die Frankreich 1741 auf die Demütigung des Hauses Österreich setzte, so finden wir die Ursache zumeist in den falschen Maßregeln, die Frankreich zur Ausführung eines so weitschauenden Planes ergriff. Die Franzosen wollten die österreichische Monarchie zerstückeln. Sie wollten Niederösterreich, Böhmen und Mähren von ihr lostrennen, desgleichen Schlesien, dessen sich eben die Preußen bemächtigt hatten. Sie rechneten auf den Beistand von 12 000 Bayern und 25 000 Sachsen, ohne der preußischen Armee zu gedenken, die mit den Hauptkräften des Hauses Österreich im Kampfe lag. Je größer die Pläne sind, um so mehr müssen ihnen die Mittel zur Ausführung entsprechen. Es hätte in Frankreichs Interesse gelegen, ein Heer von 80 000 Mann zum Kurfürsten von Bayern stoßen zu lassen, sowohl um den Krieg in einem Feldzuge zu beenden, wie auch, um durch diese zahlreichen Streitkräfte ein Übergewicht über seine Verbündeten zu haben. Anstatt aber solche weisen Maßregeln zu treffen, schickte Frankreich nur 30 000 Mann, um die Königin von Ungarn in ihren Staaten anzugreifen und das mächtige Kaiserhaus zu stürzen. Und selbst das wäre gelungen, wären die Franzosen und Bayern nach der Einnahme von Linz stracks auf Wien gerückt212-1. Die fast unverteidigte Hauptstadt hätte ihnen nicht lange Widerstand geleistet. Der König von Preußen hätte sich wohl eiligst der Donau genähert, und nach aller Wahrscheinlichkeit hätte Frankreich die Friedensbedingungen diktiert. Doch entweder erkannten die Franzosen diese Vorteile nicht oder sie zogen falsche Schlüsse, was leicht möglich ist; denn nach der Einnahme von Linz wandten sie sich ohne triftigen Grund nach Böhmen. Dieser nicht wieder gutzumachende Fehler vernichtete ihre großen Hoffnungen und verursachte all das Mißgeschick, das nachher über sie hereinbrach.
Möge man daraus lernen, wie verderblich im Kriegshandwerk falsche Logik und wie nötig es ist, richtig zu urteilen. Auch bei dieser Gelegenheit zeigt sich, daß Kriege, die ein Fürst weit von seinen Grenzen unternimmt, selten gelingen; denn die große Entfernung von der Heimat macht den rechtzeitigen Ersatz der Mannschaften, den Nachschub an Remonten, Munition und andrem Armeebedarf unmöglich, und da die Verbindung öfters unterbrochen wird, so können die notwendigen Verstärkungen nicht durchkommen. In Offensivkriegen muß man also entweder alles aufbringen, was zu großen Unternehmungen erforderlich ist, oder, wenn es daran fehlt, auf so weitschauende Pläne verzichten.
Ganz anders als bei dem eben dargestellten verhält es sich bei einem Kriege mit gleichen Kräften. Hier muß man seine Pläne nach seinen Kräften richten und sich hüten, etwas zu unternehmen, zu dessen Ausführung die Mittel fehlen. Der Hof kann dem Heerführer zwar befehlen, alles aufzubieten, um den und den Fluß zu erreichen, die und die Stadt zu erobern, aber er kann ihm die Einzelheiten seiner<213> Operationen nicht vorschreiben; denn da sein Heer nicht stark genug ist, um den Feind zu zwingen, seine Bewegungen nach den eignen zu richten, so muß er sich alle Vorteile, die er dem Gegner abgewinnt, durch List und Geschicklichkeit verschaffen. In einem solchen Kriege kommt man im Fuchspelz weiter als in der Löwenhaut.
Nicht genug zu empfehlen ist, dem Gegner in der Eröffnung des Feldzuges zuvorzukommen. Dadurch gewinnt man Terrain, und das führt oft zu Überfällen oder gibt Gelegenheit, ein Detachement des Feindes zu schlagen. Der Feldherr soll stets den festen Vorsatz haben, die Offensive zu ergreifen, sobald die Gelegenheit sich bietet. Bei Eröffnung des Feldzuges muß er seine Pläne gut verbergen, den Feind irreführen, den feindlichen Heerführer so gut wie möglich kennen lernen, um mit seiner Methode und seiner Art des Handelns vertraut zu sein213-1. Je besser man ihn kennt, um so besser gelingt es, ihn zu hintergehen. Die Überlegenheit über den Feind erlangt man, indem man unvermutet in seine Quartiere einfällt und einen Teil seiner Armee aufhebt. So machte es Turenne, als er über Thann und Belfert ins Elsaß einfiel, Bournonvilles Quartiere aufhob und den Großen Kurfürsten, der in Kolmar stand, zum Rückzug über den Rhein zwang213-2. Ein weiteres Mittel ist, eine Entscheidungsschlacht zu gewinnen, oder dem Feind seine Magazine fortzunehmen, oder endlich, sich auf seine Verbindungslinien zu werfen, wodurch man ihn zwingt, zurückzugehen und Euch das Terrain zu überlassen. In einem Lande mit vielen Festungen erregt man leicht die Besorgnis des Feindes, indem man durch wohlberechnete Bewegungen mehrere Plätze zugleich bedroht. Aber in Deutschland zum Beispiel wäre diese Art Kriegführung zwecklos. Hier kann man den Gegner nur dadurch besorgt machen, daß man seine Magazine bedroht oder sich auf seine Verbindungslinien wirft. Tut man dies aber, so darf man nicht vergessen, seine eignen Depots und Verbindungen zu sichern.
Um Euch nicht durch eine Reihe allgemeiner Regeln zu ermüden, will ich Euch als Beispiel einen geschickten Feldherrn anführen, der dem Krieg, den er führte, durch seinen Scharfblick und sein Genie eine andre Wendung gab. Ich meine den Marschall von Luxemburg. Lest seinen Feldzug von 1693 in der „Histoire militaire de Louis XIV“.213-3 Der König hatte beschlossen, einen Offensivkrieg in Flandern zu führen. Dann änderte er seinen Plan und nahm von jener Armee 40 000 Mann, um sie unter dem Dauphin213-4 nach Deutschland zu senden. Der Prinz von Oranien, der die Armee der Alliierten führte, stand im Feldlager bei Parc213-5 und schien sehr in Bedrängnis, Lüttich und Löwen, die die Franzosen zu belagern drohten, gleichzeitig zu halten. Sofort nach dem Abmarsch der 40 000. Mann bezog Luxemburg das Lager von Meldert. Durch diese Stellung hielt er den Prinzen von Oranien dauernd in Besorgnis. Der Prinz schickte sogleich 12 000. Mann ab, um das verschanzte Lager vor Lüttich zu beziehen. Bald darauf ließ Luxemburg in Namur, das damals im<214> Besitz der Franzosen war, einen Artilleriepark zusammenstellen. Auf diese Nachricht hin schickt der Prinz von Oranien den Truppen im Lager bei Lüttich eine neue Verstärkung und lagert selbst an der Geete zwischen den Dörfern Landen und Neerwinden. Das genügte Luxemburg noch nicht. Er wollte, daß sein Gegner sich noch mehr schwächte, und schickte von seiner Armee ein starkes Detachement ab, angeblich, um die Vogtei von Courtrai zu besetzen. Er hatte den Generalen jedoch geheime Weisungen gegeben, wie sie ihren Marsch einrichten sollten. Sobald der Prinz von Oranien von dieser Detachierung Wind bekam, schickte er den Prinzen von Württemberg214-1 mit einem beträchtlichen Korps ab, um den Unternehmungen der Franzosen entgegenzutreten. Daraufhin setzte sich Luxemburg in Marsch; unterwegs stieß das Detachement zu ihm, und er schlug den Prinzen von Oranien bei Neerwinden214-2. Diesen Sieg und die Überlegenheit, die er dadurch über die Alliierten erlangte, verdankte er nur seinem Genie. Durch die Absendung der Truppen, die der König nach Deutschland schickte, war er sogar schwächer an Zahl als der Prinz von Oranien. Aber seine Geschicklichkeit verschaffte ihm die Überlegenheit über seinen Gegner, und er beendigte den Feldzug mit der Belagerung und Eroberung von Charleroi. Dies Beispiel muß jedem General, der gegen eine gleich starke Armee operiert, stets vor Augen stehen. Er soll sich nicht etwa der gleichen List bedienen, wohl aber ähnliche anwenden oder einige der Mittel benutzen, die ich im Anfang erwähnte.
Wäre es nötig, die Beispiele dieser Art zu vermehren, so würde ich den Feldzug des österreichischen Generals Khevenhüller in Bayern (1743) erwähnen. Er focht dort gegen die Franzosen und Bayern, überfiel und schlug sie bei Vilshofen und Deggendorf, zwang die Franzosen, über den Lech zurückzugehen, und die Bayern, eine Art von Neutralität anzunehmen214-3.
Durch solche Mittel kann man sich die Überlegenheit über den Feind verschaffen. Der Leser wird aber leicht einsehen, daß dazu eine fruchtbare Phantasie gehört, die an Hilfsmitteln und Auswegen reich ist, und daß man über das Kriegshandwerk nachdenken und es studieren muß. Sonst wird man in solchen Dingen nie Erfolg haben.
Ich komme nun zum Defensivkriege, der, soll er gut geführt werden, noch mehr Kunst verlangt als die beiden eben behandelten Kriegsarten. Ein Defensivkrieg kann drei Ursachen haben:
1. Wenn Eure Truppen nicht zahlreich genug sind, um nachdrücklich gegen den Feind zu operieren;
2. Wenn Eure Truppen durch einen Mißerfolg geschwächt und entmutigt sind, und 3. Wenn Ihr Hilfe erwartet.
<215>Als allgemeine Regel gilt für diese Kriegsart, daß man sich nie zu streng auf die Defensive beschränken und vor allem nie aus den Augen verlieren darf, sie bei der ersten Gelegenheit in die Offensive zu verwandeln. Unwissende Offiziere glauben, einen richtigen Defensivkrieg zu führen, wenn sie stets vor dem Feinde zurückweichen und jedes Gefecht vermeiden. Dann geht es ihnen wie dem Herzog von Cumberland, der nach der selbstverschuldeten und auch gewollten Niederlage bei Hastenbeck bis nach Stabe ans Meeresufer floh, wo er mit dem Marschall Richelieu eine schimpfliche Kapitulation abschloß215-1. Wäre er ein Feldherr gewesen, dann hätte er nicht so unüberlegt 30 Meilen Land preisgegeben. Er hätte dem Feind das Gelände wenigstens Schritt für Schritt streitig machen müssen und nur das aufgeben dürfen, was er nicht mehr halten konnte. Auf diese Weise hätte er den Krieg in die Länge ziehen können und so unzweifelhaft Gelegenheit gefunden, das Gleichgewicht mit den Franzosen wiederherzustellen.
Ein Defensivplan bedarf reiflicher Erwägung. Es gibt Stellungen, die ganze Provinzen decken, ja von denen aus man die feindlichen Provinzen bedrohen kann. Solche Stellungen muß man einnehmen und sie nach allen Regeln der Kunst besetzen. Da man alles voraussehen muß, was ein geschickter Feind gegen Euren Staat zu ersinnen vermag, so kann man annehmen, daß er Euch durch seine Bewegungen zum Verlassen Eurer Verteidigungsstellung wird zwingen wollen. Man muß also schon vorher ein andres Lager ausgesucht haben, entweder rechts oder links oder auch rückwärts, durch das man ihn seinerseits in Schach halten kann. Denkt stets an die gefährlichsten Pläne, die man gegen Euch schmieden kann, und sucht stets die Mittel bereit zu halten, um solche Unternehmungen zu durchkreuzen. Führt der Feind sie aus, so werdet Ihr nicht überrascht und könnt ihm mit kaltem Blut so entgegentreten, wie Ihr es Euch schon vorher ausgedacht habt. Wer sich nicht selbst täuscht, sondern alles voraussieht, wird selten überrascht und findet Mittel zum Parieren der gefährlichsten Schläge, die man gegen ihn führen wollte.
Stützt Eure Defensive nie auf Flüsse, außer wenn sie steile, felsige Ufer haben. Man kann einen Fluß verteidigen, den man hinter sich hat, aber noch nie ist die Verteidigung gelungen, wenn er vor der Front der Armee fließt215-2. Ein Heerführer, der mit einem Defensivkrieg betraut ist, muß auf die geringsten Fehler des Feindes achten und ihn womöglich zu Fehlern verleiten, um seine geringste Fahrlässigkeit auszunutzen. Solange der Feind kunstgerecht operiert, wachsam ist, das Gelände gut ausnutzt, sich vorteilhaft lagert, seine Detachements nicht leichtsinnig aufs Spiel setzt, seine Märsche deckt, sie in guter Ordnung zurücklegt, seine Lebensmittel sichert und mit Vorsicht fouragiert, hat auch der gewandteste General fast keine Aussicht, ihn mit einigem Erfolg anzugreifen. Ist er aber fahrlässig und begeht Schnitzer, so muß man die Gelegenheit wahrnehmen, sei es, indem man ihn selber angreift, wenn<216> sein Lager schlecht gewählt ist, oder eins seiner Detachements aufhebt, das er nicht unterstützen kann, sei es, daß man ihn in ein Nachhutgefecht verwickelt, wenn sein falsches Benehmen dazu Anlaß gibt, oder einen Krieg gegen seine Verpflegung führt, indem man seine Proviantzüge abfängt, seine Fourageure schlägt oder auch den Winter benutzt, um in seine Quartiere einzufallen, wenn er sie nicht genügend gesichert hat. Zahlreiche kleine Erfolge wiegen den Gewinn einer Schlacht auf und geben auf die Dauer ein entscheidendes Übergewicht.
Ich könnte Euch kein schöneres Beispiel eines nach diesen Grundsätzen geführten Defensivkrieges nennen als das des Feldzuges von 1758, wo Prinz Ferdinand mit denselben Truppen, mit denen der Herzog von Cumberland so feige gekämpft hatte, in die Quartiere der französischen Armee einfiel, sie aus Braunschweig und Hannover verjagte und sie in weniger als zwei Monaten über die Weser, die Lippe und den Rhein zurücktrieb216-1. Bedenkt dabei, daß es in der ganzen Armee an wirklichen Generalen nur Prinz Ferdinand und den Erbprinzen216-2 gab. Die Feldzüge, die er weiterhin führte, waren zwar weniger glänzend, aber von derselben Art, da die Franzosen nicht weniger als 100 000 Mann in Deutschland hatten und Prinz Ferdinand ihnen nur 60 000 Mann entgegenstellen konnte. Dies Mißverhältnis, das jeden andren entmutigt hätte, hinderte ihn nicht, ganz Niedersachsen und einen Teil von Westfalen gegen die Unternehmungen der Franzosen zu decken und sie öfters im Laufe eines Feldzuges zweimal zu schlagen. Die Art, wie Prinz Ferdinand jenen Krieg führte, hat seinen Namen berühmt gemacht. An derartigen Kennzeichen unterscheidet man wirkliche Generale von solchen, die nur den Generalstitel tragen. Vergleicht man sein Verhalten mit dem sämtlicher Marschälle, die Frankreich ihm entgegenstellte, so wird man sehen, wie sehr er ihnen überlegen war. Er allein war für die Armee der Alliierten soviel wert wie 40 000 Mann.
Ein andres Beispiel, wenn auch weniger glänzend und von weit geringerem Schlage, ist das Karl Emanuels, des Königs von Sardinien, der den Alpenübergang im Jahre 1747 ausgezeichnet verteidigte. Da er den Col d'Assiette mit großer Kunst und Geschicklichkeit besetzt hatte, so vernichtete er durch dies Hindernis die Pläne der Franzosen und Spanier. Chevalier Belle-Isle, der Führer der Verbündeten, griff diese wichtige Stellung zu leichtfertig an. Seine Truppen wurden überall zurückgeschlagen, und er selbst fiel216-3. Die Franzosen und Spanier gingen über den Var zurück, und der König von Sardinien hatte den Ruhm, seine Staaten für diesen Feldzug vor der feindlichen Invasion gerettet zu haben. Den Erfolg verdankte er lediglich der verständigen Wahl einer uneinnehmbaren Stellung und den guten Maßregeln, die er getroffen hatte.
Eine Armee kann durch einen Mißerfolg oder durch den Verlust einer Schlacht auf die Defensive beschränkt werden. Doch verlangt die Kriegsregel und die Erfahrung,<217> sich nach einer Niederlage so wenig wie möglich zurückzuziehen. Es ist sehr selten, daß man keine Stellung eine halbe Meile hinter dem Schlachtfelde findet. Dort muß man Halt machen, und zwar aus folgenden Gründen. Je weiter Ihr flieht, um so größer werden Eure Verluste. Verwundete, die sich mit Mühe eine halbe Meile weit schleppen, können Euch nicht zwei Meilen folgen und fallen somit in Feindeshand. Je mehr Ihr Euren Rückzug abkürzt, um so weniger werden Eure Soldaten auseinanderlaufen. Hinzu kommt, daß, wenn Ihr dem Feinde wenig Terrain überlaßt, Ihr seinen Sieg bedeutend schmälert; denn man führt nur Krieg, um Land zu gewinnen. Vor allem aber ist zu bedenken, daß eine Armee nie weniger kampflustig ist als unmittelbar nach einem Siege. Jedermann frohlockt und prahlt mit seinen großen Heldentaten. Die breite Masse ist heilsfroh, den großen Gefahren, denen man sie ausgesetzt hat, glücklich entronnen zu sein, und niemand hat Lust, ihnen sofort wieder die Stirn zu bieten. Kein General wird siegreiche Truppen am nächsten Tage nochmals ins Feuer führen. Ihr könnt also ruhig in Eurem Lager bleiben und Euren Truppen Zeit geben, wieder zur Besinnung zu kommen. Die Soldaten gewöhnen sich wieder an den Anblick des Feindes, und bald kommen die Gemüter ins Gleichgewicht.
Ist Euer Gegner 60 000 Mann stark und bleiben Euch nur 45 000 Mann, so darf Euch das keineswegs entmutigen; denn Ihr habt noch hundert Mittel, um Euch für den erlittenen Schimpf zu rächen. 45 000 Mann sind bei guter Führung mehr wert als 60 000 unter einem mäßigen Feldherrn. Bleiben Euch nur 30 000 Mann gegenüber 60 000, was wir als die Stärke des Feindes annehmen, so wird Cure Lage schon schwieriger, und es bedarf sicherlich viel größerer Geschicklichkeit, um ein folgenschweres Unglück zu vermeiden. Es ist unmöglich, mit 30 000 Mann eine Art von Gleichgewicht zwischen beiden Armeen wiederherzustellen. Selbst wenn Ihr dem Feinde ein Detachement von 10 000 Mann vernichtet, sieht Ihr ihm an Zahl doch viel zu weit nach, um ihm Gesetze vorzuschreiben, es sei denn, daß der Euch gegenüberstehende General der dümmste und unfähigste Mensch ist. Mithin bleibt Euch nur übrig, uneinnehmbare Stellungen zu beziehen, wo solche vorhanden sind, Euch vor allem die Ausgänge und den Rücken frei zu halten, mehr als Parteigänger, denn als Feldherr zu verfahren, die Stellung nach Bedarf zu wechseln, besonders wenn der Feind Miene macht, sie anzugreifen, mehr einen Scheinkrieg als einen wirklichen Krieg zu führen, möglichst viele kleine Erfolge zu erringen, um Euch Respekt zu verschaffen und das Ungestüm des Feindes zu dämpfen, kurz, alle Mittel und Auswege zu benutzen, die Eure Gewandtheit, Eure Einbildungskraft und die Hilfsquellen Eures Geistes Euch liefern.
Am nachteiligsten für kleine Heere sind die Detachements, die der Feind abschicken kann. Stellt man ihnen ein Detachement aus der eignen schwachen Armee entgegen, so kann es ihnen keinen Widerstand leisten, und man schwächt sich dadurch noch mehr. Stellt man ihnen aber garnichts entgegen, so läuft man Gefahr, von seinen Lebens<218>Mitteln und Verbindungen abgeschnitten zu werden. Steht das feindliche Detachement in gebührender Entfernung von seiner Hauptarmee, so ist es besser, ihm mit allen Kräften auf den Leib zu rücken, um es zu schlagen und den Gegner dadurch einzuschüchtern. Immerhin ist nicht zu leugnen, daß der General sich in einer schwierigen und peinlichen Lage befindet, und daß er seine Tätigkeit, Wachsamkeit, Geistesgegenwart und wenn möglich auch seine Gewandtheit verdoppeln muß, um sich mit Ehren herauszuziehen.
In dem zuerst angenommenen Falle jedoch, wo Euch 45 000 Mann gegen 60 000 verbleiben, sind die Schwierigkeiten bei weitem nicht so bedeutend. Denn habt Ihr auch nicht genug Truppen, um den Feind anzugreifen, so reichen sie doch zu Eurer Verteidigung aus. Oft wird der Feind nach einigen frisch errungenen Erfolgen übermütig. Er verläßt sich auf sein Glück, verachtet den Besiegten und läßt sich gehen. Er behandelt den Krieg nur noch als Läpperei, glaubt, sich nicht mehr streng an die Kriegsregeln halten zu müssen, faßt unüberlegte Entschlüsse, handelt drauf los und bietet Euch dadurch selbst die Gelegenheiten, die Ihr nicht unbenutzt lassen dürft, um wieder das Übergewicht zu erlangen, das Ihr an einem schlimmen Tage verloren hattet. Sobald Ihr merkt, daß der Feind im Gefühl seiner Sicherheit einschläft, müßt Ihr ihn darin noch bestärken; denn das ist der Vorbote des Unglücks, das seiner harrt. Kurz, legt ihm allerlei Fallen, damit er wo nicht in die eine, so doch in die andre tappt. Stellt Euch, als wolltet Ihr vor ihm zurückgehen, sucht ihn zu einer falschen Bewegung zu verleiten und benutzt unverweilt seine geringste Fahrlässigkeit.
Seid Ihr schwächer als der Feind und wartet Ihr auf Hilfe, so würdet Ihr eine unverzeihliche Torheit begehen, wenn Ihr das Geringste unternähmet, bevor die Verstärkung heran ist. Denn durch Eure Ungeduld bringt Ihr Euch in Gefahr, all die Erfolge zu verlieren, die die Hilfstruppen Euch sicherlich verschaffen würden, wenn Ihr deren Eintreffen abwarten wolltet. Nur in solchen Fällen darf sich ein Heerführer auf die Defensive in der vollen Bedeutung des Wortes beschränken.
Fassen wir nun die allgemeinen Grundsätze zusammen, die wir für die verschiedenen, eben besprochenen Kriegsatten aufgestellt haben, und geben wir einen kurzen Abriß der Regeln für die Feldzugspläne, je nach der Lage, in der man sich befindet:
1. Wer einen Krieg unternehmen will, muß sich genaue Kenntnis von der Stärke des Feindes, mit dem er kämpfen will, und von dem Beistand seiner Verbündeten verschaffen, um die eignen Kräfte mit denen des Gegners zu messen und festzustellen, auf welcher Seite die Überlegenheit ist.
2. Man muß gründliche Kenntnis von der Natur des Landes haben, in dem man Krieg führen will, um die Einzelheiten der geplanten Unternehmung danach einzurichten.
3. Die Hauptsorge gilt den Lebensmitteln, die man für den Feldzug braucht. Man beschränke sich nicht auf ihre Anschaffung, sondern sinne im voraus auf Mittel und<219> Wege zur Erleichterung ihres Transportes. Denn wenn der Proviant fehlt, kann man auch mit der tüchtigsten Armee nichts anfangen.
Diese allgemeinen Regeln gelten für den Krieg überhaupt. Die folgenden sind besonders für den Offensivkrieg bestimmt:
1. Eure Pläne müssen ein großes Ziel haben. Gleichwohl dürft Ihr nur Ausführbares unternehmen und müßt Hirngespinste verwerfen. Gelingt es Euch auch nicht, einen großen Plan völlig durchzuführen, so kommt Ihr doch viel weiter als die Feldherren, die den Krieg ohne Plan von heute auf morgen führen. Liefert nur dann Schlachten, wenn Ihr auf einen entscheidenden Erfolg hoffen könnt, und niemals, bloß um den Feind zu besiegen, vielmehr nur, um Euren Plan auszuführen, der ohne diese Entscheidung nicht vorwärts käme.
2. Wiegt Euch nie in Sicherheit, sondern stellt Euch nachdrücklich alle Hindernisse vor, die der Feind Euren Plänen entgegensetzen könnte, damit Euch nichts überrascht und Ihr in jedem Falle, weil alles schon vorgesehen ist, die Gegenmaßregeln bereit habt.
3. Erforscht Wesen und Handeln der Euch gegenüberstehenden Generale, um ihr Handeln besser zu erraten, ihnen imponieren zu können und zu wissen, welche Listen Ihr ihnen gegenüber anwenden könnt.
4. Die Eröffnung Eures Feldzuges muß für den Feind gleichsam ein Rätsel sein. Er darf nicht ergründen, wo Eure Truppen vordringen sollen und welchen Plan Ihr verfolgt.
5. Versucht bei jeder Gelegenheit, Bewegungen und Unternehmungen zu machen, auf die der Feind nicht gefaßt ist. Das ist das sicherste Mittel zum Erfolg.
Im Kriege bei gleichen Kräften:
1. Je mehr Listen und Kniffe Ihr anwendet, um so mehr Erfolge werdet Ihr über den Feind erringen. Man muß ihn täuschen und irreführen, um aus seinen Fehlern Nutzen zu ziehen.
2. Haltet stets als Grundsatz fest, die Offensive an Euch zu reißen, sobald sich eine Gelegenheit bietet. Dahin müssen alle Eure Operationen zielen.
3. Überlegt Euch alles, was der Feind Euch antun kann, und kommt ihm durch Eure Klugheit zuvor.
4. Greift den Feind nicht an, solange er nach allen Regeln der Kunst handelt, aber benutzt unverweilt seine geringsten Fehler. Wer sich die Gelegenheit entgehen läßt, ist nicht wert, sie zu erfassen.
5. Nutzt gewonnene Schlachten aus. Verfolgt den Feind bis zum äußersten und beutet Euren Vorteil so weit aus, als Ihr vermögt; denn solche glücklichen Ereignisse sind nicht häufig.
<220>6. Entreißt dem Glück durch Eure Voraussicht, soviel Ihr könnt. Es wird trotzdem noch zuviel Einfluß auf die militärischen Operationen behalten. Genug, wenn Eure Klugheit mit dem Zufall teilt.
7. Erfolge über den Feind erringen könnt Ihr sowohl durch den Parteigänger-krieg wie dadurch, daß Ihr seine Transportbedeckungen schlagt, seine Lebensmittel wegnehmt, seine Magazine überfallt, seine Streifkorps oft schlagt, einige seiner Detachements vernichtet, seine Nachhut schlagt, ihn auf dem Marsche angreift, kurz, indem Ihr ihm auf den Leib rückt, sobald er schlecht postiert ist, oder auch, indem Ihr in seine Winterquartiere einbrecht und über seine Posten herfallt, wenn er für die Sicherheit seiner Kantonnements nicht gesorgt hat.
Für den Defensivkrieg ist im großen und ganzen folgendes zu beachten:
1. Nehmt Euch vor, alles daranzusetzen, um die Offensive an Euch zu reißen.
2. Seht das Allerschädlichste voraus, was der Feind Euch antun könnte, und denkt darüber nach, auf welche Weise Ihr seine Pläne durchkreuzen könnt.
3. Wählt uneinnehmbare Lager, die den Feind fesseln, indem sie ihn um seine rückwärtigen Verbindungen besorgt machen, sobald er seine Stellung verändert, und deckt Eure eignen Magazine gut.
4. Häuft viele kleine Erfolge, die alle zusammen einen großen aufwiegen. Sucht Euch beim Feinde in Respekt zu setzen und ihn durch die Furcht vor Euren Waffen in Schranken zu halten.
5. Alle Eure Bewegungen müssen wohl berechnet, die Grundsätze und Regeln der Taktik und Lagerkunst aufs strengste beobachtet werden.
6. Habt Ihr Erfolge errungen, so nutzt sie soweit wie möglich aus. Züchtigt den Feind für seine geringsten Fehler, als ob Ihr sein Schulmeister wäret.
Seid Ihr in der Defensive nach einer verlorenen Schlacht, so gilt folgendes:
1. Euer Rückzug muß kurz sein. Ihr müßt Eure Truppen wieder daran gewöhnen, dem Feind ins Auge zu schauen, müßt sie nach und nach kühner machen und den Augenblick abwarten, wo Ihr Euch für die erlittene Unbill rächen könnt.
2. Gebraucht Listen, Kniffe, falsche Nachrichten, die Ihr dem Feind zukommen laßt, um den glücklichen Augenblick herbeizuführen, wo Ihr ihm den Schaden, den er Euch zugefügt hat, mit Zinsen heimzahlen könnt.
Seid Ihr halb so stark wie der Feind:
1. Führt einen Parteigängerkrieg. Wechselt die Stellung, so oft die Notwendigkeit es erheischt.
2. Detachiert nicht, denn sonst werdet Ihr im einzelnen geschlagen. Handelt nur mit der ganzen Armee.
<221>3. Könnt Ihr Euch auf die Verbindungslinien des Feindes werfen, ohne Eure eignen Magazine zu gefährden, so tut es.
4. Tätigkeit und Wachsamkeit müssen Tag und Nacht an Eurem Zelte die Wacht halten.
5. Denkt mehr an Eure rückwärtigen Verbindungen als an das, was Ihr vor Euch habt, damit Ihr nicht umzingelt werdet.
6. Sinnt stets über neue Mittel und Auswege nach, um Euch zu halten. Ändert Eure Methode, um den Feind zu täuschen. Ihr weidet oft gezwungen sein, einen Scheinkrieg zu führen.
7. Schlagt und vernichtet den Feind im einzelnen, wo immer es möglich ist, aber laßt Euch auf keine reguläre Schlacht ein; denn bei Eurer Schwäche würdet Ihr unterliegen. Gewinnt Zeit, das ist alles, was man hier von dem geschicktesten Feldherrn erwarten kann.
8. Flieht nicht nach Orten, wo man Euch einschließen kann, und denkt an Pultawa und Stabe.
Erwartet eine in der Defensive befindliche Armee Hilfe, so setzt Ihr alles aufs Spiel, wenn Ihr Euch vor Ankunft der Verstärkungen auf irgend eine Unternehmung einlaßt. Sobald sie jedoch eingetroffen sind, setzen sie Euch in den Stand, alles, was Ihr plant, mit sicherem Erfolg auszuführen. Mithin müßt Ihr Euch während ihres Anmarsches auf die strengste Defensive beschränken.
Aus dieser Darstellung erseht Ihr, wievielerlei Kenntnisse für einen wirklichen Feldherrn erforderlich sind. Er muß ein richtiges politisches Urteil haben, um über die Absichten der Fürsten, die Kräfte der Staaten und ihre Bündnisse Bescheid zu wissen, muß die Zahl der Truppen kennen, die sie und ihre Verbündeten ins Feld stellen können, und ihre Finanzen richtig einschätzen. Die Kenntnis des Landes, in dem er Krieg führen muß, bildet die Grundlage aller Projekte, die er fassen will. Er muß so viel Vorstellungskraft besitzen, daß er sich alle Hindernisse vergegenwärtigt, die der Feind ihm entgegenstellen kann, um ihnen zuvorzukommen. Vor allem muß er seinen Geist daran gewöhnen, in der Not mannigfache Hilfsmittel und Auswege zu finden. All das erfordert Studium und Übung. Für jeden, der sich dem Kriegshandwerk widmet, muß der Friede die Zeit des Nachdenkens und der Krieg die Zeit sein, wo er seine Gedanken zur Ausführung bringt.
201-1 Vgl. dazu S. 8 ff. und 106 ff.
202-1 Vgl. S. 15.
202-2 Vgl. Bd. VII, S. 215.
203-1 Vgl. S. 38. Anm. 4.
206-1 Auf Grund des 1764 mit Preußen geschlossenen und 1769 erneuerten Defensivbündnisses.
206-2 Vgl. S. 10 f. und Bd. II, S. 189.
209-1 Vgl. S.31. VI 14
210-1 13. August 1704.
210-2 Schlacht bei Belgrad, 16. August 1717, und Friedensschluß zu Paffarowitz (1718).
210-3 Vgl. den Aufsatz „Betrachtungen über die militärischen Talente und den Charakter Karls XII,“ (S. 367 ff.).
211-1 Vgl. S. 8 f. 107.
211-2 Vgl. Bd. I. S. 158 ff.
212-1 Vgl. Bd. II, S, 84 93. 101 f.
213-1 Vgl. S. 41 und 110.
213-2 Vgl. S. 83 und 192 f.
213-3 Vgl. S. 38, Anm. 4.
213-4 Der 1711 gestorbene Dauphin Ludwig.
213-5 Die Abtei Du Parc bei Löwen.
214-1 Prinz Ferdinand Wilhelm von Württemberg-Neustadt.
214-2 Vgl. S. 38 und 109,
214-3 Vgl. Bd. II, S. 138 f.
215-1 Die Konvention von Kloster Zeven vom 8. September 1757 (vgl. Bd. III, S. 91).
215-2 Vgl. S. 165 f.
216-1 Vgl. Bd. III, S. 123 ff.
216-2 Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig (vgl. Bd. III, S. 87. 123).
216-3 Vgl. Bd. III, S. 17.