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8. Vorrede zum Auszug aus den Kommentaren des Chevalier Folard zur Geschichte des Polybios (1753)351-1

Das vorliegende Werk kann sich der „Geist Folards“ nennen. Unter den Visionen und Maßlosigkeiten des berühmten Militärschriftstellers finden sich Schätze. Er hat Diamanten im Dunghaufen vergraben. Wir haben sie ans Licht gezogen, und statt sechs dicker Quartbände bieten wir den vierten Teil eines dieser Bände. Das Kolonnensystem351-2 ist ausgemerzt. Beibehalten sind nur die Kriegsoperationen, die er richtig beschreibt, die weise Kritik, die er an der Heerführung einiger französischer Feldherren übt, verschiedene taktische Regeln, Beispiele merkwürdiger und genialer Verteidigungen und schließlich einige nützliche Projekte, die Anlaß zu noch nützlicheren Betrachtungen geben. Man darf den Chevalier Folard nicht verwerfen, weil er sich ein besonderes System des Krieges gezimmert hat; vielmehr muß man es loben, daß sein Werk Stoff zu einem so nützlichen Auszuge wie der nachfolgende geliefert hat. Unter der Unzahl der gedruckten Bücher sind nur sehr wenige aus lauterem Gold und auch nur wenige, aus denen man so Gutes lernen kann wie aus den Kommentaren zu Polybios.

Es wäre für den Fortschritt des menschlichen Wissens zu wünschen, daß man, statt neue Bücher zu schreiben, vielmehr gute Auszüge aus den schon vorhandenen machte. Dann brauchte man nicht zu fürchten, seine Zeit mit unnützer Lektüre zu verlieren. Die Militärs werden uns hoffentlich Dank wissen, daß wir ihnen die Lektüre der sechs Bände ersparen und ihnen nur die Quintessenz bieten.

Die Kriegskunst verdient gewiß ebenso gründlich studiert zu werden wie jede andre Kunst. Aber es fehlt ihr noch an Klassikern. Wir haben nur wenige. Cäsar lehrt uns<352> in seinen Kommentarien nichts mehr, als was wir im Pandurenkrieg sehen352-1. Sein Zug nach Britannien ist nichts andres. Ein heutiger Heerführer könnte von alledem nichts gebrauchen als die Aufstellung seiner Reiterei in der Schlacht bei Pharsalus. Von allen Kriegen, die zur Zeit des späteren Kaiserreichs geführt wurden, ist nichts zu lernen. Erst während des Aufstands der Niederlande kommt die Kriegskunst wieder empor. Turenne, ein Schüler des Prinzen Moritz von Oranien, lernte dort die seit vielen Jahrhunderten daniederliegende Kunst. Seine von ihm selbst beschriebenen beiden letzten Feldzüge352-2 zählen zu unsten besten klassischen Büchern. Nach ihm kommt Feuquières352-3, ein strenger Beurteiler der Feldherren seiner Zeit. Hinzufügen kann man noch Santa Cruz352-4 und die Kriegsgeschichte Ludwigs XIV.352-5, die für das Studium der Feldzugspläne wichtig ist; nicht als ob wir diese als Muster empfehlen, sondern weil man an ihrem Ausgang sieht, woran man es damals bei seinen Maßregeln fehlen ließ352-6, und weil man aus den Fehlern der andren lernt und auf ihre Kosten seine Erfahrung bereichert.

Zu diesen Werken kann man auch den von uns redigierten und gekürzten Folard rechnen. Der Herausgeber dieses Auszugs bezweckt nichts als den größeren Ruhm des Waffendienstes, indem er den Offizieren das Studium ihrer Kunst und eines Berufes erleichtert, der zur Unsterblichkeit führt.


351-1 2er französische Militärschriftsteller Jean Charles de Folard (1669—1752) hatte 1729 eine Übersetzung der Geschichte des Polybios mit Kommentaren veröffentlicht. Aus ihnen ließ König Friedrich einen Auszug herstellen, für den er die obige Vorrede schrieb. Von dem Auszug wurde 1753 nur eine beschränkte Anzahl von Exemplaren gedruckt, die er persönlich verteilte; erst 1760 kam das Werk durch Nachdruck in den Handel. Der Titel lautet: „Extrait tiré des Commentaires du chevalier Folard sur l'histoire de Polybe, pour l'usage d'un officier.“ -

351-2 eine Lieblingstheorie Folards.

352-1 In den Generalprinzipien (S. 52) führt der König Cäsars Rheinübergang als Muster an, im Militärischen Testament (S,2;4) auch den Krieg des Sertorius in Spanien.

352-2 Die Memoiren von Turenne (1611—1675) umfassen nur die Jahre 1643—1658. Das vom König angeführte Werk „Mémoires des deux dernières campagnes de M. de Turenne en Allemagne“ (Paris 1678) wird Qeschamps zugeschrieben.

352-3 Vgl. S. 117, Anm. 1.

352-4 R´flexions militaires et politiques, traduites de I'espagnol de M. le marquis de Santa Cruz de Marzenado, par M. de Vergy, Paris 1738.

352-5 Vgl. für das Werk des Marquis de Quincy S. 353.

352-6 Vgl. S. 203.