Fünfter Gesang
Winterquartiere
Minerva, die auf mannigfachem Pfad
Zum Ruhm Euch leitete mit weisem Rat
Und die für jeden Zeitlauf Helden zieht,
Gibt Euch nun Kunde durch mein Lied,
Wie Ihr nach überstandenen Gefahren
Des Sieges Früchte klüglich sollt bewahren.
Schon naht der Winter sich im Silberhaar,
Und Äolus entläßt der Winde Schar.
Den Zephyr scheuchend, schnaubt aus rauhem Nord
Boreas' Wut, und Halm und Frucht verdorrt.
Der Reif umspinnt der Wälder welkes Laub;
Den Winden fällt Pomonas Reich zum Raub.
Vom Frost gebannt, des Stromes Wellen stehn;
Die Herden die verwelkte Trift verlassen,
Und durch des Lagers hochgebaute Gassen
Die rauhen Winterstürme wehn.
Abbrechen muß der Krieger nun sein Zelt
Und Einhalt seinem Siegeslaufe tun.
Wie hoch auch Tatendrang die Herzen schwellt,
Der Winter zwingt die Feldherrn auszuruhn.
Bei Freund und Feind die Heere sich zerteilen,
Um in der Städte sichrem Schutz zu weilen.
Der Winter soll dem mühereichen Leben
Des Kriegers die ersehnte Ruhe geben
Und die erschöpfte Kraft erneun.
Doch will das Ganze sich der Rast erfreun,
So muß ein Teil, zum Kampfe stets bereit,
Geschäftig sein für seine Sicherheit
Und es wie ein lebendiger Wall umfassen.
Erprobten, klugen Führern unterstellt,
Die Postenkette rings die Grenzwacht hält.
<418>Die Wälder sind besetzt, die großen Straßen
Und Pässe; hurtige Dragoner und Husaren
Erspähn den Feind und warnen vor Gefahren
Und stören ihn und geben keine Rast.
Sein kleinster Schritt wird von den raschen Reitern
Dir hinterbracht, und seine Pläne scheitern
An ihrer Hut, kaum daß er sie gefaßt.
Hast Du der Vorsicht Rat Dich nun gefügt
Und bis ins kleinste Deiner Pflicht genügt,
Gleich siehst Du eine neue Dir erstehn.
Schenkt auch Orions kalter Stern dem Heer
Ein Weilchen Frieden, Du darfst nimmermehr
In dieser kurzen Spanne müßig gehn!
Wenig vollbringt, wer einzig vor Gefahren
Sein Heer beschirmt und Zucht und Ordnung schafft.
Ergänzen mußt Du Deine Heldenscharen,
Die Dir der Schlachtentod dahingerafft.
Der Sieg war teuer; der Gefallnen Ruhm
Heischt Erben, ihnen gleich an Heldentum.
In neuen Truppen suche drum Dein Heil:
Dem Fische gleich, der nach dem Köder drängt
Und bald am schnöden Angelhaken hängt,
Ist um gelingen Sold der Arme feil.
Den Landmann lockt von seinem kargen Feld
Das klingende Metall; er ficht für Geld,
Weiß nicht, ob Deine Sache gut, ob schlecht;
Doch an die Fahne fesselt ihn mit Macht
Die sirenge Zucht; sein Mannesmut erwacht
Und zum Soldaten wird ein blöder Knecht.
Des Heeres Zahl entscheidet oft die Schlacht;
Vor Deiner Stärke packt den Feind ein Zagen.
Auf Rosse, stark und feurig, sei bedacht,
Die willig ihre schwere Bürde tragen:
An Jahren jung soll Roß und Reiter sein.
Sorgfältig sammle Ceres' Gaben ein:
Der Sieg ist fruchtlos, wenn Dir Mangel droht418-1.
Dein Heer, ein treues Volk, verlangt nach Brot:
Du gibst es täglich einer Krankheit preis,
Die keines Arztes Kunst zu heilen weiß;
Durch Überfluß nur wird's von ihr befreit.
Versäumst Du diese Pflicht, so schleicht ins Lager
Aus ihrer Höhle öder Einsamkeit
Ein Ungeheuer, bleich und hager:
Der Hunger mit dem schrecklichen Geleit
Von Seuchen, Schwäche, Furcht und bittrer Not,
Verzweiflung, Aufruhr und gewissem Tod.
In diesem Lager, das von Leichen starrt,
Hältst Du allein dem Feinde Widerpart?
Drum beug dem Unheil vor! Versorg Dein Heer
Mit Nahrung vor des Lenzes Wiederkehr,
So wirst Du jetzt schon, in des Winters Schoß,
Besiegeln Deiner künftigen Schlachten Los.
Indes der Feldherr, sorgend für das Ganze,
Zum neuen Feldzug rüstet im Quartier,
Lohnt stilles Glück den tapfren Offizier
Und eint die Myrte mit dem Lorbeerkranze.
Die treue Gattin, deren liebend Herz
Sich oft nach ihm gesehnt in bangen Stunden,
Vergißt in seinem Arm der Trennung Schmerz.
O holde Zeit, da Sorg' und Not entschwunden!
O Wiedersehn, entrückt dem Waffenklang!
Er stillt die Tränen, lindert ihren Harm;
Sie windet ihm die Waffen aus dem Arm
Und hört mit Stolz, wie er den Feind bezwang.
O süßes Glück, wenn sie das Herze rührt,
Das unverzagt im Schlachtengraus geblieben,
Wenn sie den Mund küßt, der den Mut geschürt,
Der Tod entfesselt und zum Sieg getrieben!
Indes das Haupt des Helden frohgemut
Am Busen der geliebten Gattin ruht,
Umspielen ihn, die ihrem Bund entsprungen.
Begeistert küßt des Vaters Hand der Sohn,
Voll Ungeduld, den gleichen Heldenlohn
Zu ernten, den der Tapfre sich errungen.
<420>Die Kleinen lehnen an des Vaters Knie,
Umkosen ihn mit froher Zärtlichkeit,
Und in den zarten Händen halten sie
Das Schwert, das er geführt im blutigen Streit,
Den Panzer und den Helm von blankem Erz:
Bald strebt dem Vater nach ihr junges Herz.
Doch solche Freuden, solche holde Lust Gießt Amor nur in eine keusche Brust.
Geteilte Liebe schlingt ein festes Band,
Und Liebe geht mit Achtung Hand in Hand —
Ein Glück, das fremd den wilden Herzen bleibt,
Die nur der Sinne Brand zur Wollust treibt.
Sein liebend Herz ist zärtlich, doch nicht schwach.
Vom Gift der Wollust, das am Leben zehrt,
Blieb sein gesunder Körper unversehrt,
Und ruft die Pflicht — ihr folgt er einzig nach.
Ja, diese keusche Lust, der Pflicht gesellt,
Beschert ihm ftische Kraft und stählt den Mut.
Bald siehst Du ihn voll neuer Kampfesglut
Dem Ruf der Ehre folgen in das Feld.
Noch ehe vor dem Lenz der Winter flieht,
Eilen die Führer zu den Postenketten,
Ersinnen Pläne, wählen Lagerstätten;
Das Land vermessen Schüler des Euklid
Und weisen zu dem Sammelplatz die Wege.
Der Feldherr über ihre Arbeit wacht,
Entwirft den Plan, berechnet seine Schläge.
Doch nicht allein auf Künftiges bedacht,
Ist auch sein Sinn dem Heute zugewandt.
Das weise Mißtraun, des Erfolges Pfand,
Mehrt seine Wachsamkeit und spornt ihn an,
Reißt ihn vom Lager aus des Schlafes Bann,
Belebt den müden Geist in dunkler Nacht
Und raunt ihm zu: Hab Deines Feindes acht!
Erwäge, was er tut und was er kann.
Im Lager, überall, laß ihn umringen
Von Spähern, die in sein Geheimnis dringen.
Für sichre Nachricht geize nicht mit Sold:
<421>Feil ist der Menschen Sinn für blankes Gold.
Mit fremden Augen prüfe Deinen Plan
Und wieg Dich nie in selbstgewissem Wahn!
Du glaubst in voller Sicherheit zu sein?
Die Berge flößen Dir Vertrauen ein?
Wie, wenn der Feind die Truppen überfällt,
Die Du am Fluß als Grenzwacht aufgestellt?
Und ist auch Deine Stellung noch so gut,
Vertrau nicht ihr allein! Sei auf der Hut!
Der Alpen wolkenhoher Felsenwall,
Der Romas Reich gleich einem Bollwerk deckte
Und unersteiglich schier die Feinde schreckte,
Hemmt nicht den unverzagten Hannibal.
Er übersteigt ihn mit verwegnem Mut421-1;
Denn Heldenkühnheit große Wunder tut.
Er kommt, er naht auf unbetretnen Wegen,
Und bald ist ihm das Römerheer erlegen.
Vendôme sich auf die Felsenkette stützt,
Die der Lombarden reiche Flur beschützt.
Keck wagt Eugen die Etsch zu überschreiten421-2;
Wie er besonnen, aber plötzlich naht,
Wird frei der Po durch eine tapfre Tat
Vom Joch, das die Franzosen ihm bereiten.
Bedenke, daß der Ströme Flut zu Eis gerann
Und daß der Frost dem Feinde Brücken schlug,
Darüberhin er in beherztem Zug
In die verstreuten Lager brechen kann:
Verwirrung, Schrecken reißt zu wilder Flucht
Die Deinen hin. Mühvoller Jahre Frucht
Zerstört ein Tag. Der Feind raubt Deinem Heere
Den Siegeslohn und Dir die Waffenehre.
Weh Dir, bricht er in die Quartiere ein!
Verderben bringt nicht der Verlust allein:
Dein Kriegsvolk wird rebellisch und versagt
Die Achtung Dir, verliert die Zuversicht,
Die frische Kampflust, die den Sieg erficht,
Und Führer wie Soldat verzagt.
Ein Unheil wird vom andern rasch geboren:
Verfolgt der Feind Dich hart, bist Du verloren.
Geschlagen, doch durch Nachschub kühn gemacht,
Geht Bournonville über den breiten Rhein.
Turenne, sein Feind, vermeidet klug die Schlacht
Und weicht in Lothringens Gebirg hinein.
Da teilt der Deutsche, unbedacht und dreist,
Sein Heer, eh noch der Frost das Land vereist:
Im Elsaß lagernd, sorglos und verstreut,
Beschwört er selbst den Sturm, der ihn bedräut.
Indes er so in Sicherheit sich wiegt,
Der Kaiseraar in tiefem Schlummer liegt,
Vereint Turenne im Bergesschutz sein Heer,
Dringt vor, stürmt durch die Ebne unentwegt,
Fällt über Bournonvilles Quartiere her,
Macht Scharen von Gefangenen und schlägt
Den Deutschen, der in regelloser Flucht
Am andern Ufer seine Rettung sucht422-1.
Der Winter kann Euch rasches Glück bescheren,
Die Ruhezeit Euch reichen Lohn gewähren.
Wenn auf den weitverstreuten Feind mit Macht
Ihr fallt und es gelingt, ihn zu verjagen,
Dann siegt Ihr, ohne eine Schlacht zu wagen:
Dem Kühnen hat das Glück noch stets gelacht!
So naht den Sachsen jener kühne Held,
Der Stanislaus beschirmt, mit raschem Mut,
Als August in der Liebe heißer Glut
Ein junges Weib in seinen Armen hält
Und froh ums Haupt den Rebenkranz sich flicht,
Sein Heer vergessend, Polen, seine Pflicht.
Karl eilt herbei in ungestümem Laufe
Und stört das Bacchanal, das Liebesfest422-2.
Zur feigen Flucht kehrt sich der Söldnerhaufe.
Und der geschlagne Sachse überläßt
Dem neuen Abdolonymos423-1 den Thron.
So sieht aus Höhen, wo die Blitze drohn,
Der Aar das WUd sich tummeln durch den Forst,
Nicht ahnend, daß Gefahr ihm nahe sei.
Pfeilschnell schießt er herab mit frohem Schrei
Und trägt die blutige Beute in den Horst.
418-1 Vgl. S. 15. 202. 373.
421-1 218 v. Chr.
421-2 Im Frühling 1701 (vgl. S. 52). Der französische Heerführer, der dem Prinzen Eugen gegenüberstand, war Marschall Catinat und nicht der Herzog von Vendöme, der erst 1702 das Kommando übernahm.
422-1 Im Winter 1674/75 (vgl> S. 83.192 f. 213 und Bd. I, S. 72 f.).
422-2 Gemeint ist der Sieg Karls XII, bei Klissow (1722) über August II. (vgl. S. 371).
423-1 Wie Alexander der Große nach der Eroberung Sidons Abdolonymos, so erhob Karl XII. 1704 Stanislaus Leszczynski auf den Thron (vgl. Bd. l, S. 107 und Bd. VII, S. 33).