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Der Widerspruch steckt da: will ein Fürst die Zuneigung des Volkes und seiner Großen gewinnen, bedarf er dazu ein redlich TeU an Rechtschaffenheit und Manneswert; menschlich gesonnen muß er sein und wohltätig, und muß mit diesen Herzensgaben die Fähigkelten vereinen, die mühseligen Pflichten seines Amtes mit Weisheit zu versehen, auf daß man Vertrauen zu ihm haben könne. Nun nehme man da, gegen die Eigenschaften, die Machiavell seinem Fürsten verleiht! Welch ein Widerspruch! Mit solchen Eigenschaften, wie er sie in seinem Buche lehrt, gewinnt man keine Herzen: mit Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Ehrbegier und einem Sinn, der nur von der Sorge um Machterweiterung erfüllt ist.

Damit wäre denn dieser Staatslehrer entlarvt, den sein Jahrhundert als einen Großen bewunderte, den viele Minister in seiner Gefährlichkeit erkannt haben, um ihm dann doch zu folgen, dessen Schandlehre man Fürsten in die Hand gab, dem bislang noch niemand gebührend geantwortet hat, ja in dessen Bahnen noch heut so mancher Staatsmann sich bewegt, so sehr er sich auch gegen solchen Vorwurf verwahren wird.

Glücklich der, dem es gelänge, den Machiavellismus von Grund aus in der Welt zu vernichten! Seinen Mangel an Folgerichtigkeit habe ich aufgewiesen; nun liegt's den Gebietern dieser Erde ob, der Welt das Vorbild der Untadeligkeit zu geben. Ich wage die Behauptung, daß es ihre Pflicht sei, die Öffentlichkeit zu hellen von der irrigen Vorstellung, die sie sich von der Staatskunst macht: Staatskunst ist im Grunde nichts als die Summe tiefster fürstlicher Einsicht. Gemeiniglich aber sieht sie in dem Verdacht, als wäre sie das Hand- und Lehrbuch aller Schurkerei und Rechtswidrigkeit. An den Fürsten ist es, die Spitzfindigkeiten und die Falschheit aus den Verträgen zu verbannen und der Redlichkeit und Lauterkeit, die, die Wahrheit zu sagen, aus dem Fürstenkreise gewichen sind, wieder zu neuem Leben zu verhelfen. An ihnen ist es, zu zeigen, daß sie auf die Provinzen des Nachbarn ebensowenig neidisch sind, wie sie eifersüchtig über die Erhaltung der eigenen Staaten wachen. Achtung bringt man den Herrschern entgegen, so Willis die Pflicht, ja, so muß es sein; aber man würde sie lieben, wären sie weniger auf Vergrößerung ihrer Herrschaft bedacht, dafür aber um so angelegentlicher auf ein gedeihlich Regiment. Das eine ist das Spiel einer Einbildungskraft, die nicht zur Ruhe kommen will, das andere ist das Kennzeichen gerechten Sinnes, der das Echte zu ergreifen weiß, den festen Boden der Pflicht dem Schimmer von Luftschlössern vorzieht. Der Fürst, der alles sein nennen möchte, ist wie ein Magen, der gefräßig sich mit Fleisch überlädt, ohne zu bedenken, daß er es nicht verdauen kann; beschränkt er sich darauf, ein wackres Regiment zu führen, gleicht er dem Manne, der mit Maßen ißt und dessen Magen gut verdaut.