<12> indem man die anderen sich verpflichtet, indem man sie mit Guttat überhäuft? Man soll sich doch stets gegenwärtig halten den Grundsatz: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füge keinem andern zu. Dann käme keiner mehr auf den Einfall, sich der Besitztümer des Nächsten zu bemächtigen, wäre jeder mit seinem Glücksstande zufrieden.
Der Wahn von der Erobererherrlichkeit mochte zu Machiavells Zeit allgemein verbreitet sein; für seine Nichtswürdigkeit ist er zuversichtlich allein verantwortlich. Was schlägt er für abscheuliche Mittel zur Behauptung von Eroberungen vor! Bei Licht besehen, ist nicht eins darunter, das vernünftig oder gerecht wäre: „Ausgetilgt den Fürstenstamm, der vor eurer Eroberung an der Herrschaft war!“ so rät dieser Nichtswürdige. Kann man dergleichen Lehren ohne Schauder und Entrüstung lesen? Das heißt mit Füßen treten, was es an Heiligem und Unverletzlichem auf Erden gibt, und von allen Gesetzen gerade das umstürzen, was dem Menschen am höchsten stehen soll; das heißt der nackten Selbstsucht die Wege jedes gewalttätigen Verbrechens bahnen, Verrat, Mord und Totschlag und was es sonst noch Verruchtes auf der Welt gibt, gutheißen.
Wie konnte nur eine Obrigkeit die Veröffentlichung der ruchlosen Staatslehre eines Machiavell zulassen? Wie konnte man diesen fluchwürdigen Verbrecher in der Welt sein Wesen treiben lassen, der jedes Recht auf Besitz und Lebenssicherheit über den Haufen wirft — ein Recht, das den Menschen heilig ist wie keines sonst, das der Gesetzgeber ernst nimmt wie kein zweites, das unverletzlichste nach den Geboten der Menschlichleit. Wie? Wenn ein Ehrgeiziger sich mit bewaffneter Hand der Staaten eines Fürsten bemächtigt hat, soll er das Recht haben, jenen mit Dolch oder Gift aus dem Wege räumen zu lassen? Daß nur der Brauch, den er da aufbringt, sich nicht verhängnisvoll gegen den Eroberer selber kehre! Ein Zweiter, noch ehrgeiziger, noch geschickter denn er, wird Gleiches mit Gleichem vergelten, wird in seine Staaten einbrechen und ihn unter gleichem Rechtsbruch ums Leben bringen, wie er seinen Vorgänger. Welche uferlose Hochflut von Untat, Grausamkeit, Roheit, wobei aller Glaube an die Menschheit verzweifeln möchte! Solch ein Königtum wäre wie ein Reich von Wölfen, dem freilich ein Tiger wie Machiavell als Gesetzgeber geziemte. Gälte nur noch Verbrechen in der Welt, so wäre damit die Ausrottung des Menschengeschlechts gegeben; ohne Herrschaft der Sittlichkeit gibt's keine Sicherheit für Menschen.
Der zweite Grundsatz, den Machiavell aufstellt, heißt: „Ein Eroberer soll seinen Sitz in seinem neuerworbenen Gebiete ausschlagen.“ Darin liegt durchaus keine Härte, in mancher Hinsicht hat der Gedanke sogar etwas für sich; nur muß man bedenken, die Mehrzahl der Staaten der großen Fürsten wird ihrer ganzen Lage nach eine Entfernung des Herrschers aus dem Herzen seines Reiches ohne fühlbare Nachteile für den Staat kaum zulassen; geht doch vom Herrscher alle lebendige Kraft im Staatskörper aus; scheidet er also aus dessen Mittelpunkt, so werden notwendigere weise die Glieder verkümmern.