Prinzenerziehung
Angesichts der schlechten Erfolge der durchschnittlichen Erziehung der Prinzen souveräner Häuser habe ich mich oft gefragt, welche Wege einzuschlagen seien zur Heranbildung eines Mannes, der würdig ist, anderen zu gebieten. Der Grund für die schlechte Erziehung, die die Söhne der Könige erhalten, ist jedenfalls in der Politik der Minister und der Selbstsucht der Geistlichen zu suchen. Die finden ihre Rechnung dabei, wenn sie die Prinzen in Furcht und Abhängigkeit aufwachsen lassen. Eifersüchtig auf ihr Ansehen und ihre Macht, möchten die Minister den Herrschern nur die äußere Repräsentation lassen. Sie selbst wollen despotisch regieren, aber ihr Herr soll sich mit der leeren Prärogative begnügen, ihre Befehle in seinem Namen zu erlassen. Um einen Prinzen von klein auf an das Joch zu gewöhnen, das sie ihm zudenken, erziehen sie ihn unter dem Gepränge der Größe und Majestät und schließen ihn von der Gesellschaft unter dem Vorwande ab, daß sein hoher Rang ihm nicht gestatte, sich zum Niveau der Sterblichen herabzulassen. Sie flößen ihm eine so törichte hohe Meinung von seiner erlauchten Geburt ein, daß er sich wie ein göttliches Wesen vorkommt, dessen Wünsche Gesetze sind und das, wie die Götter Epikurs, in ewiger Untätigkeit dahinleben soll. Sie bringen ihm die Meinung bei, daß es seiner unwürdig sei, sich mit Einzelheiten abzugeben. Er brauche nur zu sagen, es werde Licht, und es wird Licht. Seinen Bedienten komme es zu, zu arbeiten, er aber habe in glücklichem Nichtstun die Frucht ihrer Mühen zu genießen. Zu allen diesen Chimären von seiner Herrlichkeit gesellt sich der Zwang der Etikette. Seine Schritte werden mit dem Zirkel des Zeremoniells abgemessen. Seine Äußerungen und Unterhaltungen sind von seinem Gouverneur diktiert. Seine Begrüßungen richten sich sklavisch nach dem Titel derer, die er empfängt. Seine Vergnügungen sind im Etikettenbuch verzeichnet, nebst Tag und Stunde, wo er sie genießen darf. Sein Gouverneur stößt ihm großes Mißtrauen gegen sich selbst ein. Er wagt nicht das kleinste zu unternehmen, ohne um Rat zu fragen und Erlaubnis einzuholen. Schließlich macht diese fortgesetzte Gewohnheit den Zögling verlegen gegenüber der Welt, die er nicht kennt, mißtrauisch gegen seine eigenen Kräfte, scheu, furchtsam. Er wird träge, die Geschäfte langweilen ihn, und statt ein Herr zu werden, wird er ein Sklave.