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Mit zwanzig Jahren soll der Prinz vollständig aus der Vormundschaft entlassen werden. Es ist dann anzunehmen, daß er mit Strenge erzogen, oft wegen seiner Fehler getadelt und bestraft, wegen seines Stolzes gedemütigt, wegen seiner Indiskretionen bloßgestellt, wegen seiner Spöttereien verspottet, wegen seiner Schroffheiten gestraft, wegen seines mangelnden Fleißes gerügt ist und vor allem, daß seine sämtlichen Fehler gebessert sind. Ist er ins mannbare Alter gekommen, so müssen ihm klare Vorstellungen gegeben werden: von der Form der Regierung, der Verfassung des Landes, von den allgemeinen Interessen des Staates, der Kriegskunst und besonders von den Pflichten eines Heerführers, von der europäischen Politik, der Kunst der Diplomaten, von der Einrichtung der Finanzen, der Manufakturen, des Handels, von der öffentlichen Ordnung und den Gesetzen, die die Grund, lage der Rechtspflege bilden. Alles ist gewonnen, wenn man ihm Geschmack an der Lektüre beibringt. Man lernt nie so gut von Lehrern als durch eigenes Studium, und die Unterhaltung mit den Toten, die man nicht der Selbstsucht beschuldigen kann, macht tieferen Eindruck als die mit unseren Zeitgenossen. An der Lektüre guter Bücher über Politik, Philosophie, Geschichte, Kriegskunst und Literatur kann ein Prinz sich bilden und Kenntnisse erwerben, die für ihn notwendig sind. Besonders aus der Geschichte kann er im voraus erfahren, wie die Nachwelt eines Tages über ihn urteilen wird.

Hat er die niederen Grade der militärischen Stufenleiter durchlaufen, so erhält er ein Regiment, für das er wie ein Berufsoffizier die Verantwortung tragen muß. Alles muß er selber tun und sich um das geringste Detail kümmern. Darauf soll der Prinz mit dem Herrscher alle Provinzen des preußischen Staates bereisen, um alle verschiedenen Landesteile, die Festungen, Truppen, Offiziere, die Finanz- und Justizbeamten und den Adel kennen zu lernen. Sonst regiert er dereinst als Unbekannter über Unbekannte.

Ohne sehr triftige Gründe scheint es mir verkehrt, einen Prinzen zu jung zu vermählen. Zum mindesten muß er die ersten Jugendstreiche hinter sich haben und imstände sein, sich vernünftig zu betragen. Die üblen Folgen verfrühter Heiraten sind diese: Die Fürsten werden sehr schnell ihrer Gemahlinnen überdrüssig. Wenn sie Thronerben haben, erreichen diese das Mannesalter, während der Vater noch jung ist, und werden der langen Thronfolgerschaft oft müde. Wahrlich, es muß alles zu seiner Zeit geschehen! Wenn ein Prinz im Alter von fünft bis sechsundzwanzig Jahren heiratet, ist es weder zu früh noch zu spät. Vermählt man ihn aber, während eben der erste Flaum sein Kinn schmückt, so kann es nur eine schlechte Ehe geben.

Ich möchte nicht dazu raten, den präsumptiven Thronerben ins Ausland reisen zu lassen. Seine Untertanen wünschen, daß er die Sitten und Gebräuche seines Landes annehme und nicht fremde Gewohnheiten. Und in politischer Hinsicht sieht es fest, daß alle Welt danach trachtet, den Erben einer Krone kennen zu lernen. Man würde im Ausland also alles aufbieten, um ihn für sich zu gewinnen und ihm Vor-