<192>urteile zugunsten dieser oder jener Nation einzuflößen. Schmeichler würden seinen Charakter, ja selbst seine Sitten verderben, womöglich auf Weisung ihrer eigenen Herrscher. Nur allzu früh würde der Charakter des künftigen Herrschers bekannt werden, und die anderen Höfe hätten die Möglichkeit, seine Schwächen auszunutzen, sobald er den Thron besteigt, oder ihm wenigstens allerlei Vorurteile beizubringen, die späterhin dem Staatswohl schaden könnten. Aber die verderblichste Folge seiner Reise wäre die, daß der Prinz Geschmack an Verschwendung gewönne und, sobald er König wird, darauf verfiele, den großen Herrn zu spielen und über seine Verhältnisse zu leben.
Ihr seht, daß die von mir vorgeschlagene Erziehung nicht den Zweck verfolgt, einen Theaterkönig heranzubilden, sondern einen König von Preußen, der sich nach seiner eigenen Einsicht zu richten vermag, der auf eigene Kosten klug und verständig geworden und geistig reif ist, wenn er zum Throne gelangt. Aus diesen Gründen rate ich, ihn wie einen Privatmann zu erziehen, der sich sein Glück selber schmieden muß, und ihn fern von Hoheit und Prunk aufwachsen zu lassen, damit er nicht die dreiste Anmaßung und den unerträglichen Hochmut besitze, den die Söhne der kleinen deutschen Fürsten haben. Aus denselben Gründen verlange ich, daß er an ein arbeitsames, tätiges und einfaches Leben gewöhnt und daß der Same der Tugenden, den die Natur in ihn gelegt hat, in ihm großgezogen werde. Indessen bin ich weit entfernt, zu behaupten, daß ein Prinz bei solcher Erziehung nicht irgendwelche Fehler habe. Er muß nur, wie Heinrich IV. sagte, genug hervorragende Eigenschaften besitzen, um ein kleines Laster zu verdecken. Sind die nicht die vollkommensten Menschen, die am wenigsten Um Vollkommenheiten besitzen?
Ich wage zu behaupten, man wird nur einen mittelmäßigen Prinzen aus dem präsumptiven Thronfolger machen, wenn man den von mir vorgeschlagenen Erziehungsplan nicht befolgt. Will man ihn in der Art von Königssöhnen erziehen, so wird der Prinz nur ein erlauchter Müßiggänger sein, ein Götzenbild, dem die Öffentlichkeit Weihrauch streut. Er wird sich aus Langeweile einem verschwenderischen Leben ergeben, angeekelt die Geschäfte fliehen, weder seine Völker noch die Menschen kennen lernen und sich selber nicht kennen, aber alle Leidenschaften besitzen, außer denen, die den Herrschern anstehen. Solcherart gibt es Viele auf der Welt, die für rechtschaffene Leute und Mitglieder der guten Gesellschaft gelten. Was aber bei einem Privatmann nur ein Fehler ist, wird bei einem König zum Laster.