<236> seinen Mitbürgern Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen. Er macht sich also schuldig, wenn er das Geld des Volkes, den Ertrag der Steuern in Luxus, Festgepränge oder Ausschweifungen vergeudet — er, dem es obliegt, über die guten Sitten, die Hüterinnen der Gesetze, zu wachen und die Volkserziehung zu vervollkommnen, nicht aber sie durch schlechte Beispiele noch zu verderben. Die Reinhaltung der guten Sitten ist eines der wichtigsten Ziele. Dazu kann der Herrscher viel beitragen, wenn er solche, die sich tüchtig erweisen, auszeichnet und belohnt, während er denen, die in ihrer Verkommenheit über ihren schlechten Lebenswandel nicht mehr erröten, seine Verachtung kundgibt. Der Fürst soll jede ehrlose Handlung vernehmlich mißbilligen und den Unverbesserlichen jede Auszeichnung verweigern.
Noch ein bedeutsamer Punkt darf nicht außer acht gelassen werden; seine Vernachlässigung brächte den guten Sitten einen nicht wieder gutzumachenden Schaden. Das geschieht nämlich, wenn der Fürst Personen allzusehr auszeichnet, die kein Verdienst haben, aber große Reichtümer besitzen. So übel angebrachte Ehrenbezeugungen bestärken die Allgemeinheit in dem volkstümlichen Vorurteil, reich sein genüge, um angesehen zu sein. Eigennutz und Begehrlichkeit sprengen dann die Fessel, die sie noch hielt. Jeder will Reichtümer anhäufen. Sie zu erwerben, werden die rechtswidrigsten Mittel angewandt. Die Korruption greift um sich, schlägt Wurzeln und wird allgemein. Die Talente, die sittenreinen Leute werden mißachtet, und die Welt ehrt nur die Bastarde des Midas, die mit ihrem reichlichen Geldausgeben, ihrem Prunk sie blenden. Um zu verhindern, daß die nationale Sittlichkeit so scheußlich entarte, muß der Fürst ohne Unterlaß darauf bedacht sein, nur das persönliche Verdienst auszuzeichnen und dem üppigen Reichtum ohne Sitte und Tugend nur Verachtung zu zeigen.
Endlich ist der Herrscher recht eigentlich das Oberhaupt einer Familie von Bürgern, der Vater seiner Völker und muß daher bei jeder Gelegenheit den Unglücklichen zur letzten Zuflucht dienen: an den Waisen Vaterstelle vertreten, den Witwen beistehen, ein Herz haben für den letzten Armen wie für den ersten Höfling und seine Freigebigkeit auf jene verteilen, die jeden Beistandes bar sind und allein durch seine Wohltaten Hilfe finden.
Damit haben wir, nach den eingangs aufgestellten Grundsätzen, eine genaue Vorstellung gegeben von den Herrscherpflichten und von der einzigen Möglichkeit, die monarchische Regierung gut und ersprießlich zu gestalten. Wenn viele Fürsten es anders halten, so kommt das daher, daß sie über ihr Amt und die Pflichten, die daraus erwachsen, zu wenig nachgedacht haben. Sie haben eine Bürde auf sich genommen, deren Gewicht und Bedeutung sie verkannten, sie sind aus Mangel an Kenntnissen fehlgegangen; denn in unserer Zeit hat die Unwissenheit mehr Verfehlungen auf dem Gewissen als die Bosheit. Diese Skizze eines Herrschers wird den Kritikern vielleicht wie das Vorbild der Stoiker erscheinen, wie die Idee des Weisen, den sie sich vorstellten, der niemals gelebt hat und dem nur Mark Aurel sehr nahe kam. Wir wünschten wohl, dieser schwache Versuch wäre imstande, Fürsten wie Mark Aurel her-