Kritik des „Systems der Natur“ (1770)
Das „System der Natur“ gehört zu den Werken, die beim ersten Lesen bestechen und deren Fehler man, da sie mit viel Kunst verhüllt sind, erst nach mehrfachem Wiederlesen entdeckt. Der Verfasser verstand es geschickt, bei seinen Lehrsätzen die Folgerungen zu übergehen, um die nachprüfenden Kritiker irrezuführen. Doch ist die Täuschung nicht allzu stark. Man merkt recht wohl die Folgewidrigkeiten und Widersprüche, in die er oft verfällt, und die seinem System entgegengesetzten Zugeständnisse, die ihm anscheinend von der Macht der Wahrheit entrissen werden.
Die metaphysischen Fragen, die er behandelt, sind dunkel und strotzen von Schwierigkeiten ärgster Art. Selbsttäuschung ist ja verzeihlich, wenn man sich in ein Labyrinth begibt, worin schon so viele sich verirrten. Es scheint aber, daß man diese finstere Straße mit geringerer Gefahr durchschreiten kann, wenn man der eigenen Einsicht mißtraut, wenn man sich erinnert, daß die Erfahrung bei solchen Untersuchungen nicht als Führer zu gebrauchen ist und uns nur mehr oder minder starke Wahrscheinlichkeiten bleiben, um unsere Meinungen zu stützen. Diese Erwägung sollte genügen, um jedem Philosophen, der ein System aufstellen will, Zurückhaltung und Bescheidenheit einzuflößen. Unser Autor hat offenbar nicht so gedacht, da er sich rühmt, ein Dogmatiker zu sein.
Die Hauptpunkte, die er in seinem Werk behandelt, sind: erstens Gott und die Natur, zweitens die Fatalität, drittens die Moral der Religion im Vergleich zur Moral der Naturreligion, viertens die Herrscher als Ursachen allen Unglücks der Staaten.
Was den ersten Punkt betrifft, so ist man angesichts seiner Bedeutung ein wenig überrascht von den Gründen, die der Verfasser anführt, um die Gottheit zu verneinen. Er sagt, es falle ihm nicht so schwer, eine blinde Materie anzunehmen, die durch die Bewegung zum Handeln gelangt, als seine Zuflucht bei einer intelligenten Urkraft zu suchen, die aus sich selber handelt. Als ob das, was er mit geringer Mühe einordnet, wahrer sei als das, was ohne Anstrengung nicht aufzuklären ist! Er gibt zu, daß die Empörung über die Religionsverfolgungen ihn zum Atheisten gemacht hat. Sind dies nun Gründe, die Anschauungen von Philosophen zu bestimmen: Trägheit und Leidenschaften? Ein so naives Eingeständnis kann in seinen Lesern nur Mißtrauen erwecken — wie soll man ihm Glauben schenken, wenn er sich durch so leicht-