Schreiben des Königs an Prinz Heinrich von Preußen1
Grüssau, 10. August 1758.
Mein lieber Bruder!
Ich bitte Dich um das unverbrüchlichste Stillschweigen über alles, was dieser Brief enthält. Er soll nur Dir allein zur Richtschnur dienen.
Morgen marschiere ich gegen die Russen. Da die Kriegsereignisse die verschiedenartigsten Zufälle zeitigen können, und da es leicht möglich ist, daß ich totgeschossen werde, so habe ich es für meine Pflicht gehalten. Dich von meinen Maßnahmen zu unterrichten, um so mehr, als Du der Vormund meines Neffen2 mit unbegrenzter Vollmacht bist.
1. Wenn ich totgeschossen werde, so müssen unverzüglich alle meine Armeen meinem Neffen den Eid leisten.
2. Die Operationen müssen mit solcher Tatkraft fortgesetzt werden, daß der Feind keinen Wechsel im Oberbefehl merkt.
3. Mein jetziges Vorhaben besieht darin, die Russen, wenn möglich, vollkommen zu schlagen, Dohna sofort wieder gegen die Schweden zu senden und mit meinem Korps selbst zurückzugehen, sei es nach der Lausitz, wenn der Feind von dorther eindringen sollte, sei es, um mich wieder mit der Armee3 zu vereinigen und 6 bis 7 000 Mann nach Oberschlesien zu detachieren, um de Ville4, der es beunruhigt, zu verjagen. Was Dich betrifft, so stelle ich Dir frei, so zu handeln, wie die Gelegenheit sich bietet. Dein Hauptaugenmerk muß auf die Pläne des Feindes gerichtet sein. Sie müssen gestört werden, bevor sie zur Reife gelangen.
1 Der obige Brief an Prinz Heinrich in Sachsen ist geschrieben vor dem Aufbruch des Königs aus Schlesien zum Marsch gegen die Russen. Friedrich vereinigte sich am 21. August 1758 mit dem Korps des Grafen Dohna, das bisher in Pommern gekämpft hatte, und schlug am 25. die Russen bei Zorndorf.
2 Friedrich Wilhelm, der älteste Sohn des am 12. Juni 1758 gestorbenen Prinzen August Wilhelm und präsumptive Thronfolger (vgl. S.204).
3 Der König hatte 51 Bataillone und 75 Schwadronen in Schlesien zurückgelassen.
4 Marquis Karl de Ville de Canon, österreichischer Generalfeldzeugmeister.