9. Kapitel
Der Volksfürst.
Kein Gefühl gehört so unzertrennlich zu unserm Wesen wie das der Freiheit; vom Höchstgesitteten bis zum Barbaren tiefsten Tiefstandes sind alle Menschen gleichermaßen davon durchdrungen; geboren ohne Ketten, wollen wir auch leben ohne Zwang, wollen nur auf uns selber stehn, ohne uns fremden Launen zu unterwerfen. Dieser Geist stolzer Unabhängigkeit hat der Welt viele große Männer geschenkt, er hat auch jene Staatsgebilde geschaffen, die man Freistaaten nennt, die vermöge weiser Gesetze des Bürgers Freiheit gegen jegliche Unterdrückung beschützen und unter den Gliedern des freien Staates eine Art von Gleichheit aufrichten, wodurch sie dem Naturzustande äußerst nahe kommen.
Machiavell erteilt im vorliegenden Kapitel denen gute und ausgezeichnete Lehren, denen der Beistand der Häupter eines Freistaates oder des Volkes zur höchsten Macht verhilft. Das gibt mir Anlaß zu zwei Erwägungen; eine liegt auf politischem, die andere auf sittlichem Gebiete.
Mögen auch für solche, die wirklich dank der Gunst ihrer Mitbürger zu solcher Höhe gelangen, die Lehren des Verfassers recht am Platze sein, gleichwohl will mir scheinen, als wären die Beispiele für einen derartigen Aufstieg recht dünn gesät in der Geschichte. Der republikanische Geist, der bis zum äußersten eifersüchtig über seine Freiheit wacht, ist sofort mit seinem Argwohn bei der Hand gegen alles, was ihm mit Fesselung droht, und bäumt sich auf gegen die bloße Vorstellung eines Herrn. Völker, die das Joch ihrer Zwingherrn abgeworfen haben, sich einer glücklichen Unabhängigkeit zu erfreuen, kennt man in Europa etliche, aber es gibt kein Beispiel dafür, daß freie Völker sich freiwilliger Knechtschaft unterworfen hätten.
So manche Freistaaten sind im Lauf der Zeiten wieder in Despotismus zurückgefallen, ein Unglück, das unvermeidlich scheint, auf das alle derartigen Staaten gefaßt sein müssen, eine Folge des ewigen Wechsels, des Auf und Nieder in allen Dingen dieser Welt. Wie sollte ein Freistaat auch auf ewige Dauer den Kräften Widerstand leisten, die seine Freiheit untergraben? Wie vermöchte er auf die Dauer das Emporstreben der Großen niederzuhalten, das er selbst in seinem Schoße gedeihen