<66> Also, Machiavell, die Schätze des Reichen sollen im Urteil der Welt alles andere aufwiegen? Metall, an sich verächtlich, dessen Schätzung eine willkürliche ist, soll aus seinem Besitzer ohne weiteres eine hochlöbliche Persönlichkeit machen? Also nicht der Mensch, der Haufen Goldes ist's, dem man Ehre zollt! Begreift einer, wie eine solche Vorstellung im Hirn eines denkenden Menschen Eingang finden kann? Man kommt zu Reichtum durch Fleiß, durch Erbschaft oder, was bedenklicher, durch Gewaltmittel; alle diese Erwerbungen bleiben außerhalb des eigentlichen Menschen, er besitzt sie und kann sie wieder verlieren. Wie kann man also Dinge von so innerlich verschiedener Art wie Menschenwert und ein elendes Stück Geld in einen Sack tun! Der Herzog von Newcastle, Samuel Bernard1 oder Pels2 sind durch ihre Reichtümer bekannt; doch Bekanntsein und Geachtetsein sind zweierlei. Der stolze Krösus mit seinen Schätzen, der habgierige Crassus mit seinen Reichtümern wurden vom Volke in dem Glanze ihres Auftretens angestaunt wie Sehenswürdigkeiten; seinem Herzen sagten sie nichts, seine Achtung erwarben sie nicht. Doch der gerechte Aristides und der weise Philopömen3, der Marschall Turenne und Catinat4, untadelig in ihren Sitten, wie man sich gern die Männer früherer Zeiten denkt, sie waren die Bewunderung ihrer Zeitgenossen und sind das Vorbild der Ehrenmänner aller Zeiten — und sie lebten in Einfachheit und Uneigennützigkeit. Also nicht Macht, Stärke und Reichtum gewinnen die Herzen, sondern diese werbende Macht bleibt den persönlichen Eigenschaften vorbehalten, der Güte, der Tugend. Also können auch Armut und Bedürftigkeit niemals den Menschenwert herabsetzen, ebensowenig wie äußere Vorteile das Lasier zu adeln oder zu Ehre zu bringen imstande sind.
Die Masse und die Bedürftigen hegen eine gewisse Achtung vor dem Reichtum, gerade weil sie ihn nicht kennen, nichts von ihm wissen. Dagegen wer selber etwas hat und dazu denkt wie ein vernünftiger Mensch, der fühlt eine überlegene Verachtung gegenüber allem, was von Glückes oder Zufalls Gnaden ist; da sie selber die Güter dieser Welt besitzen, so kennen sie um so besser deren inneren Unwert und Nichtigkeit.
Nicht verblüffen soll man die Welt, ihre Achtung nicht durch Überrumpelung gleichsam an sich reißen; sie redlich zu erwerben, darauf kommt's an.
1 Bankier in Paris.
2 Bankier in Amsterdam.
3 PHUopömen, griechischer Feldherr, Haupt des Achäischen Bundes (253—183).
4 Heinrich de la Tour d'Auvergne, Vicomte Turenne († 1675) und Nicolas de Catinat († 1712), französische Feldherren.