<68> eines Untertanen antasten, und er muß sich darum mit peinlichster Besonnenheit und ängstlichster Gewissenhaftigkeit fragen, ob eine solche auch vorliege.
Fragen von solcher ernsten Gewichtigkeit behandelt Machiavell als Geringfügigkeiten; ein Menschenleben gilt ihm nichts, der Nutzen, die einzige Gottheit, die er verehrt, alles. Er gibt der Grausamkeit den Vorzug vor der Gnade und rät jedem Neuling auf der Höhe der Macht, sich weniger als jeder andere Mensch daraus zu machen, als grausam verschrien zu sein. Wie die Helden Machiavells sich von Henkersknechten zum Throne emporführen lassen, so behaupten sie sich dort oben durch rohe Gewalt. Cäsar Borgia, das ist sein Muster für Grausamkeit, an ihn hält er sich, wie Fénelon sich an Telemach hält, wenn er den Weg zur Tugend weisen will.
Machiavell führt noch einige Verse an, die Vergil der Dido in den Mund legt, eine Anführung, die ganz und gar nicht am Platze ist; denn Vergil läßt seine Dido sprechen wie Voltaire die Jokaste in seinem Ödipus. DerDichter leiht eben seinen Gestalten eine Redeweise, wie sie ihrem Wesen entspricht; in einer Abhandlung über Staatsfragen darf man also wirtlich nicht bei der Maßgeblichkeit einer Dido und auch nicht einer Jokaste eine Anleihe machen, hier gilt nur das Vorbild großer und edelgearteter Männer.
Zu einer knappen Antwort an den Verfasser zu kommen, genügt die eine Erwägung: so verhängnisvoll ist die Verkettung verbrecherischer Taten untereinander, daß, sobald einmal die erste geschehen, nun mit Notwendigkeit eine der anderen folgt. So zieht Thronraub Verbannungen, Ächtungen. Gütereinziehungen und Mordtat nach sich. Ich frage: zeugt es nicht von schauriger Härte des Gemütes, von fluchwürdigem Machthunger, alle Untaten, die man zur Behauptung seiner Herrschaft begehen muß, im voraus zu wissen und doch noch nach der Herrschaft zu streben? Ich frage: ist irgendein persönlicher Vorteil in der Welt denkbar, der den Tod Unschuldiger rechtfertigte. Unschuldiger, die nicht so wollen, wie ein Usurpator will? Und welchen Reiz kann eine blutbefleckte Krone haben? Solche Erwägungen werden vielleicht einen Menschen wie Machiavell kalt lassen, doch ich bin überzeugt, nicht die ganze Welt ist so verderbt wie er.
Vor allem gegen die Truppen empfiehlt unser Staatslehrer Härte und stellt der Nachsicht Scipios die Strenge Hannibals gegenüber, stellt sich hierin ganz auf Seite des Karthagers und kommt sogleich zu dem Schluß, Grausamkeit sei die Handhabe der Ordnung und Mannszucht, somit der Siegestaten eines Heeres. Es ist kein ehrlich Spiel von seilen Machiavells, wenn er als Gegenbeispiel zu Hannibal gerade den Scipio wählt, den weichsten und lässigsten in der Heereszucht unter allen römischen Führern: um die blutige Härte in ein günstig Licht zu setzen, stellt er ihr wohlweislich die Schwachheit eines Scipio gegenüber, dabei muß er selber zugeben, daß Cato jenen den Verderber des römischen Soldatengeistes genannt hat. Und so behauptet er, nun wisse er ganz genau, woher die Verschiedenheit der Erfolge der beiden Feldherren; daher weg mit aller Milde, die er nach seiner Art mit den Fehlern verwechselt, zu denen übertriebene Gutherzigkeit ausarten kann!