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Wollte man in den Gedankenwirrwarr Machiavells etwas wie Sinn und Verstand hineinbringen, auch etwas von der Weise eines anständigen Menschen, so könnte man's etwa solchergestalt wenden: die Welt gleicht einer Spielpartie, da gibt's anständige Spieler, aber auch Gauner, die betrügen. Da muß denn, um nicht betrogen zu werden, ein Fürst, der sich dem Spiele nicht entziehen darf, sich auf sämtliche Falschspielerknisse verstehen, nicht um jemals solche Wissenschaft selber zu üben, sondern nur, um nicht der Angeführte zu sein.

Doch zurück zu den Entgleisungen unseres Staatslehrers. „Weil alle Menschen Schurken sind und euch zu jeder Zeit ihr Wort brechen, so verpflichtet euch nichts, ihnen das eure zu halten.“ Zunächst gibt's da gleich einen Widerspruch, denn we-nig später heißt's, die Heuchler würden immer Menschen finden, die einfältig genug seien, sich täuschen zu lassen. Wie reimt sich das? Alle Menschen sind Schurken, und dabei wollt ihr Einfältige finden, die sich betrügen lassen? Soweit sein Widerspruch. Doch die ganze Betrachtung ist nichts wert; denn daß die Welt nur aus Schurken be-siehe, ist grundfalsch! Man muß schon ein ausgemachter Menschenfeind sein, um sich der Einsicht zu verschließen, daß es in jeglicher Gesellschaft eine ganze Menge Redlicher gibt, daneben die große Zahl derer, die nicht gut und nicht böse sind, und daneben auch einige Lumpe, hinter denen die Gerechtigkeit her ist, und die sie streng bestraft, wenn sie sie faßt. Wenn freilich Machiavell nicht eine ganze Welt der Ruchlosigkeit angenommen hätte, worauf hätte er seine niederträchtige Lehre dann stützen sollen? Man sieht, hatte er sich einmal darauf eingelassen, ein Glaubens- und Lehrgebäude der Schurkerei zu errichten, so war's Ehrensache für ihn, so vorzugehn; und er hielt es für sein gutes Recht, die Menschen hinters Licht zu führen, lehrt er sie doch selber, wie man betrügt.

Wenn wir übrigens die Annahme Machiavells von der Schlechtigkeit der Menschen teilten, so wäre daraus noch lange nicht zu schließen: also müssen wir sie nachahmen. Stiehlt, raubt und mordet Cartouche, so schließe ich daraus: Cartouche ist ein elender Lump, aber doch beileibe nicht, daß ich mich in meinem Wandel nach ihm zu richten hätte! Gäb's auf Erden nicht Ehre und Manneswert mehr, so sagt ein Geschichtschreiber, so müßte man bei den Fürsten doch ihre Spuren noch vorfinden1. Doch kurz gesagt, es gibt überhaupt keine Betrachtungsweise, die einen anständigen Menschen im Ernste bestimmen könnte, vom Wege der Pflicht zu weichen.

Wie notwendig das Verbrechen, hat der Verfasser dargelegt, nun will er seine Gläubigen ermuntern durch die Versicherung, wie leicht es sei: „Wer die Kunst der Heuchelei meistert, wird stets Leute finden, die einfältig genug sind, sich anführen zu lassen“ — mit anderen Worten: dein Nachbar ist ein Dummkopf, du hast Witz, also mußt du ihn hineinlegen. Um solcher Schlußfolgerungen willen sind manche der Schüler Machiavells auf dem Richtplatz gehängt und gerädert worden.


1 Dieses Wort wird Johann II., dem Guten, König von Frankreich, zugeschrieben.