<80> wir uns erinnern, daß Severus beherrscht wurde von seinem Günstling Plautinus, gerade wie Tiberius von Sejan, und daß man deswegen keinen der beiden Fürsten etwa verachtet hat. Einer der beliebten schiefen Gedankengänge des Verfassers ist es, wenn er behauptet, die Welt habe über dem großen Namen dieses Kaisers seine gewaltigen Erpressungen vergessen, sein Name habe ihn gedeckt vor dem Volkshasse. Ich finde, daß umgekehrt die Erpressungen und Ungerechtigkeiten, die die Welt mit ansieht, die bereits erworbene Größe eines Namens vergessen machen. Mag der Leser darüber entscheiden. Wenn Seoerus sich auf dem Throne behauptete, so verdankte er dies auf gewisse Weise dem Kaiser Hadrian, der die militärische Zucht wiederhergestellt hatte; vermochten seine Nachfolger sich nicht zu behaupten, so war Severus mit seiner Vernachlässigung der Disziplin daran schuld. Noch einen großen staatsmännischen Fehler beging Severus: seine Ächtungen trieben die Soldaten aus dem Heere des Pescennius Niger1 in Haufen zu den Parthern, denen sie eine kunstgerechte Kriegführung beibrachten, was in der Folge dem Reiche ein fühlbarer Schade werden sollte. Ein besonnener Fürst soll nicht nur seine eigene Regierungszeit vor Augen haben, er soll voraus bedenken, welche Folgen kommende Regierungen von seinen gegenwärtigen Fehlern etwa auszubaden haben.

Wir wollen also nicht vergessen, daß es ein großer Irrtum von Machiavell ist, zu meinen, es habe zu den Zeiten des Severus genügt, die Soldaten mit Vorsicht zu behandeln, um sich obenzuhalten. Die Kaisergeschichte belehrt uns eines anderen. Heutzutage muß ein Fürst gegen alle Stände gleichmäßig auftreten; wollte er Unterschiede machen, so gäb's nur Eifersucht, und er hätte den Schaden davon.

Also dies Machiavellische Vorbild für Thronwerber, Severus, ist genau so ungeeignet, wie das des Mark Aurel segensvoll wäre. Welch ein tolles Nebeneinander aber von Vorbildern: Severus, Cäsar Borgia, Mark Aurel! Das heißt doch Weisheit und lautersten Menschenwert gesellen mit abstoßendster Ruchlosigkeit!

Eine Schlußbemerkung mag ich mir nicht versagen. Trotz aller Grausamkeit und Tücke nahm Cäsar Borgia ein höchst klägliches Ende, indes Mark Aurel, der gekrönte Philosoph, der immer nur gütig, immer sittenrein gewesen, bis an seinen Tod leine Ungunst des Geschickes erfuhr.


1 Pescennius Niger machte dem Kaiser Septimius Severus die Herrschaft im Osten streitig.