Es ist für einen Fürsten gar nicht so leicht, wie man meint, die Sinnes- und Gemütsart der Männer, die er für seinen Dienst ausersehen, recht zu ergründen; denn so schwer es dem Fürsten gemacht ist, sein inneres Wesen vor den Augen der Welt zu verhehlen1, so leicht hat's der einzelne, vor dem Auge des Herrn eine falsche Rolle zu spielen. Mit dem inneren Wesen der Höflinge ist's wie mit dem Gesicht geschminkter Frauen: mit vieler Kunst erreichen sie es, daß einer genau so aussieht wie der andere. Könige sehen die Menschen niemals, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern nur so, wie sie erscheinen wollen. Ein Mensch beim Hochamt im Augenblick der Weihe, ein Hofmann bei Hof in der Gegenwart des Fürsten, und derselbe im Freundeskreise — jedesmal wird das ein völlig anderer Mensch sein; der Cato des Hofes gilt als der Anakreon der Stadt; der Weise vor der Öffentlichkeit ist ein Narr daheim, und wer mit lauter Stimme ein großes, prunkendes Wesen von seiner Tugend macht, vernimmt in seinem Innern die leise Stimme seines Gewissens, die ihn schmählich Lügen straft.
Doch hier handelt es sich nur um Verstellung gewöhnlicher Art. Nun laßt aber erst einmal selbstsüchtige, laßt ehrgeizige Zwecke mit dareinreden, laßt sie sich um eine erledigte Stelle drängen mit einer Gier, wie die zahlreiche Freierschar Penelope umwarb! Mit der Habgier eines Höflings wächst seine Dienstbeflissenheit für seinen Fürsten und seine Achtsamkeit auf sich selbst; alle Mittel der Betörung, auf die sein Geist verfällt, sind ihm recht, wenn es gilt, sich angenehm machen; er schmeichelt dem Fürsten, teilt seinen Geschmack, heißt seine Leidenschaften gut — ein Chamäleon, bereit, jede Farbe seiner Umgebung anzunehmen.
Vermochte also Sixtus V. siebenzig Kardinäle, die ihn hätten kennen müssen, über sich zu täuschen, wieviel leichter ist es einem einzelnen gemacht, den prüfenden Blick eines Fürsten zu hintergehen, dem es an der Gelegenheit fehlt, ihn zu ergründen. Ohne Mühe wird ein Fürst von Geist sich ein Urteil bilden über das Genie und die Fähigkeiten seiner Diener; aber fast ein Ding der Unmöglichkeit ist es für ihn, ein rechtes Bild zu gewinnen von dem Grade ihrer Selbstlosigkeit und Treue; besieht doch gewöhnlich darin die ganze Kunst der Minister, ihre Ränke und Schliche vor dem geheimzuhalten, der, wenn er dahinter käme, berechtigt wäre, sie zu bestrafen.
Oft erlebt man's, daß Menschen im Scheine der Untadeligkeit dastehen, nur weil's ihnen an der Gelegenheit fehlte, sich als das Gegenteil zu entpuppen, daß sie aber, kaum daß ihre Tugend auf die ersie Probe gestellt ward, auf alle Ehrbarkeit verzichteten. Ehe Tiberius, Nero, Caligula auf den Thron gelangt waren, wußte in Rom kein Mensch ihnen was Arges nachzusagen; wer weiß, ob nicht ihre Ruchlosigkeit in der Entwicklung steckengeblieben wäre, ohne die Gelegenheit, die ihr Luft machte, die gleichsam den Keim ihrer Niedertracht erst aufgehn ließ.
Es gibt Menschen, bei denen sich eine Fülle von Geist, Weltgewandtheit und Fähigkeiten zu dem schwärzesten, undankbarsten Gemüts gesellt, und wieder andere mit
1 Vgl. S. 70f.