21. Kapitel
Wie ein Fürst sich Ruhm erwirbt.
Lärm und Aussehen in der Welt verursachen und sich Ruhm gewinnen — das ist zweierlei. Die große Masse, ein sehr unberufener Richter darüber, wem Ehre gebühre, läßt sich gar leicht betören durch den äußeren Schein alles Großen und Wunderbaren und verwechselt gar zu gern gute Taten und außerordentliche, Reichtum und persönliches Verdienst, blendenden Glanz und innere Gediegenheit. Ganz anders der Maßstab, den aufgeklärte und geistig bedeutende Menschen anlegen, vor denen hält's schwerer zu bestehn; sie zergliedern das Leben der Großen wie ein Anatom eine Leiche und werfen die Frage auf: War, was sie wollten, recht und edel? Waren sie gerechten Sinnes? Was hatte von ihnen die Welt: mehr Segen oder mehr Schaden? Stand ihr Mut unter der Vormundschaft ihrer Weisheit oder war er nur ein Aufwallen ihres erregbaren Blutes? Den Wert des Erreichten bemessen sie nach dem Werte der Beweggründe, nicht aber jene bewegenden Ursachen im Gemüt nach dem Erfolge. Mag das Lasier in den schönsten Schein sich hüllen, sie lassen sich nicht blenden und geben den Preis des Ruhms nur dem Verdienste und dem Manneswert.
Was Machiavell groß und ruhmwürdig nennt, ist genau jener falsche Schimmer, der das Urteil der Masse besticht! Ganz im Geiste des Volkes schreibt er, und zwar des niedrigen, des gemeinen Volkes. Doch für ihn wird es ebenso unmöglich sein, mit dieser gewöhnlichen Denkweise den vornehmen Geschmack eines Mannes von höheren Ehrbegriffen zu treffen, wie es dem Moliere unmöglich war; wer den Misanthrop recht hochstellt, wird den Scapin um so tiefer stellen.
Das vorliegende Kapitel Machiavells enthält Brauchbares und Fehlerhaftes nebeneinander. Ich will zunächst die Verstöße aufweisen, um dann zu unterschreiben, was er an Richtigem und Löblichem vorbringt. Zum Schluß will ich mir erlauben, zu einigen Fragen, die sich ungezwungen hier anschließen, Stellung zu nehmen.
Für alle, die durch große Unternehmungen und seltene, außerordentliche Leistungen sich auszuzeichnen gedenken, stellt der Verfasser als Vorbilder auf: Ferdinand von Aragonien86-1 und Bernhard von Mailand86-2. Er findet das Wunder ohnegleichen in<87> der Kühnheit eines Unternehmens und in der Schnelligkeit seiner Ausführung. Das ist etwas Großes, zugegeben; doch anerkennenswert vermag ich's nur so weit zu nennen, wie der Eroberer in den Grenzen des Rechts bleibt. „Du rühmst dich der Ausrottung der Räuber“, sagten die skythischen Gesandten zu Alexander, „und dabei bist du selber der größte Räuber auf Erden; hast du doch die Völker, die dir erlagen, insgesamt ausgeraubt und geplündert. Bist du ein Gott, so mußt du den Menschen Gutes tun und ihnen nicht entreißen, was sie besitzen; bist du ein Mensch, so vergiß auch niemals, daß du's bist.“
Ferdinand von Aragonien begnügte sich nicht damit, offen und ehrlich das Kriegshandwerk zu treiben, sondern er benutzte als Deckmantel für seine Pläne die Religion. War dieser König wirklich fromm, so beging er eine lästerliche Entweihung des Heiligen, indem er die Sache Gottes zum Vorwand nahm, seinen wilden Leidenschaften zu folgen. War er nicht gläubig, so handelte er gar als Betrüger und Schuft, indem er durch sein heuchlerisches Tun den frommen Glauben des Volkes mißbrauchte zugunsten seines Machthungers.
Gefährlich ist's, wenn ein Fürst seine Untertanen an den Gedanken gewöhnt, daß religiöse Überzeugungen eine gerechte Sache seien, die Waffen dafür zu erheben: das heißt, mittelbar die Klerisei zum Herrn über Krieg und Frieden machen, zum Schiedsrichter über Herrscher und Volk. Verdankte doch das weströmische Reich seinen Fall zum Teil solchen Glaubenskämpfen, und in Frankreich, unter den letzten Valois, erlebte man die unseligen Folgen eines frommen eifernden Wahns. Meines Erachtens verlangt eines Fürsten wohlverstandener VorteU, daß er an den Glauben seiner Völker nicht rühre, im übrigen, soviel in seiner Macht sieht, den Geist der Milde und Duldung in der Geistlichkeit seiner Staaten und bei seinen Untertanen kräftige und erhalte. Solches Bemühen stimmt nicht allein zum Sinne des Evangeliums, das nur Friedfertigkeit, Demut und Bruderliebe predigt, sondern fördert auch des Fürsten eigene Zwecke, da er mit der Ausrottung des falschen Glaubenseifers und des Fanatismus in seinen Landen zugleich den gefährlichsten Stein des Anstoßes aus seinem Wege räumt, die allerbedrohlichste Klippe. Denn wo bleibt alle Treue und aller gute Wille in der Menge, wenn religiöse Leidenschaft und wilde Glaubensbegeisterung ihr Haupt erheben, wenn dem Mörder als Preis seines Verbrechens der Himmel winkt, ihm die Palme des Glaubenszeugen verheißen ist zum Lohn für den Tod durch Henkershand?
So kann denn ein Herrscher gar nicht genug Verachtung bezeigen für die eitlen Zänkereien der Priester, die im Grunde nur ein Streit um Worte sind, und kann garnicht genug darauf bedacht sein, allen Aberglauben und die davon untrennbaren Ausbrüche religiöser Leidenschaft zu ersticken.
An zweiter Stelle führt Machiavell das Beispiel Bernhards von Mailand an zur Beherzigung für die Fürsten, daß sie daran lernen mögen, ihre Belohnungen wie ihre Strafen so ins Werk zu sehen, daß es in die Augen fällt, damit all ihr Tun die<88> Gebärde der Größe trage. Nun, Fürsten von edler Art kommen ohnehin schon zu Glanz und Ansehn, zumal wenn ihre Freigebigkeit, ohne selbstische Zwecke, einfach der Ausdruck ihrer Seelengröße ist. Herzensgüte wird ihnen leichter denn jeder andere Vorzug den Weg zur Größe bahnen. Cicero88-1 sagte zu Cäsar: „Das Größte, was dein Glück dir gegeben, ist die Macht, so vielen Mitbürgern ein Retter zu sein, nichts was deiner Güte würdiger wäre, als der Wille, es zu tun.“ Alle Strafen also, die ein Fürst verhängt, sollten hinter dem Maße der Kränkung, die er erfuhr, zurückbleiben, alle Belohnungen, die er spendet, hinausgehn über die Bedeutung des Dienstes, den er empfing.
Hier aber ein Widerspruch! Unser Doktor verlangt an dieser Stelle vom Fürsten unbedingte Bündnistreue, im achtzehnten Kapitel hat er ihn in aller Form seines Wortes entbunden! Wie ein Wahrsager: zu einem sagt er weiß, zum andern schwarz!
So unrichtig die eben betrachteten Ausführungen Machiavells sind, so zutreffend ist seine Warnung an die Fürsten, sich mit anderen Herrschern, die mächtiger sind als sie, leichtfertig einzulassen, die, anstatt ihnen beizustehn, sie gar erst in den Abgrund stoßen könnten. Das wußte sehr wohl ein großer deutscher Fürst, gleich geachtet bei Freund und Feind. Die Schweden fielen in sein Land zur Zeit, da er mit allen seinen Truppen fern am Niederrhein stand, den Kaiser in seinem Kriege gegen Frankreich zu unterstützen. Seine Minister rieten ihm auf die Kunde von dem überraschenden Einbruch, den russischen Zaren zu Hilfe zu rufen. Der Fürst jedoch, scharfsichtiger als sie, erwiderte, die Moskowiter seien wie die Bären: wehe dem, der sie loskette; einmal freigelassen, seien sie schwer wieder an die Kette zu legen! Hochgemut nahm er das schwere Werk der Vergeltung auf seine eigenen Schultern, und er brauchte es nicht zu bereuen88-2.
Lebte ich im kommenden Jahrhundert, so gäb's sicherlich so mancherlei Betrachtungen, die hier hingehörten, diesen Abschnitt zu erweitern; allein über die Fürsten meiner Zeit sieht mir kein Richteramt zu, man muß auf dieser Welt zur rechten Zeit zu reden und zu schweigen wissen.
Ebenso verständig wie das Bündnisverhältnis behandelt Machiavell die Neutralität. Alte Erfahrung lehrt, daß ein Fürst, der neutral bleibt, dadurch sein Gebiet rücksichtsloser Behandlung durch beide kriegführende Parteien aussetzt; seine Staaten werden das Kriegstheater, stets verliert er nur durch seine neutrale Haltung, ohne je einen greifbaren Vorteil dabei zu gewinnen.
Auf zwiefache Art kann ein Herrscher sich vergrößern: einmal durch Eroberung, wenn ein kriegerischer Fürst mit Waffengewalt die Grenzen seiner Herrschaft erweitert; der andere Weg ist der der rührigen Arbeit, wenn nämlich ein fleißiger Landesherr in seinen Staaten alle Künste und alle Wissenschaften zur Blüte bringt, die ihnen<89> erhöhte Bedeutung und Gesittung geben. Unser Buch enthält von vorn bis hinten nichts als Betrachtungen über jene erste Art der Vergrößerung; reden wir doch auch einmal von der zweiten, die unschuldiger und gerechter ist und dabei ganz so gedeihlich wie jene.
Die für das Leben notwendigsten Fertigkeiten sind die Landwirtschaft, der Handel und der Gewerbefieiß; die Wissenschaften, darinnen der Menschengeist seine höchste Würde offenbart, sind die Geometrie, Philosophie, Astronomie, Redekunst und Poesie, alles schließlich, was man unter dem Namen der schönen Künste versieht.
Wie nun jegliches Land seine eigene Natur hat, so ruht die Stärke des einen in seiner Landwirtschaft, die anderer im Weinbau, hier in den Gewerben, da im Handel; auch gedeihen diese Fertigkeiten in manchem Lande wohl gleichzeitig nebeneinander.
Entscheidet sich nun ein Fürst für diese friedliche und freundliche Form der Machterweiterung, so wird seine nächste Aufgabe sein, sich um die gründliche Kenntnis der Natur seines Landes zu bemühen, um sich darüber klar zu werden, welche von jenen Erwerbsmöglichkeiten dort die aussichtsvollsten und welche demgemäß zu fördern am dringendsten die Pflicht gebietet. Den Franzosen und Spaniern ward das Fehlen des Handels fühlbar, und so sannen sie denn auf Mittel, den der Engländer zu vernichten. Sollte Frankreich damit Glück haben, so würde der Niedergang des englischen Handels seine Machtstellung in viel beträchtlicherem Maße heben, als es die Eroberung von zwanzig Städten und tausend Dörfern vermöchte, und England und Holland, die beiden blühendsten und reichsten Länder der Welt, würden dabei ganz allmählich zugrunde gehn, wie ein Kranker, der an der Schwindsucht oder Auszehrung dahinsiecht.
Die Länder, deren Getreide- und Weinbau all ihren Reichtum darstellt, haben zweierlei zu beobachten: erstens sollen sie alles Land sorglich urbar machen, um jedes Fleckchen Bodens auszunutzen; zweitens sollen sie auf jede Weise bedacht sein, den Absatz zu vergrößern und zu erweitern, ferner ihre Waren wohlfeU zu befördern und deren Preis nach Möglichkeit heraufzuschrauben.
Die Industrie bringt vielleicht jedem Staate am meisten Nutzen und Gewinn; denn sie befriedigt die Bedürfnisse und den Luxus der Einwohner, und auch die Nachbarn sehen sich genötigt, eurem Gewerbefieiß ihren Zoll zu entrichten. So wird auf der einen Seite das Geld im Lande gehalten, auf der anderen muß es hereinströmen.
Stets war's meine Überzeugung, daß der Mangel an diesen Erzeugnissen eine Ursache mehr für die ungeheuren Auswanderungen aus den Nordlanden gewesen ist, so der Goten und der Vandalen, die so häufig die südlichen Länder überschwemmten. In jenen fernen Zeiten kannte man in Schweden, in Dänemark wie im größten Teile von Deutschland von allen Fettigkeiten nur den Ackerbau; der ertragfähige Boden war auf eine bestimmte Anzahl von Eignern verteilt, die ihn bebauten und ihren Unterhalt daraus zogen. Nun ist aber das Menschengeschlecht zu jeder Zeit von<90> besonderer Fruchtbarkeit in jenen kalten Himmelsstrichen gewesen, und so gab's bald doppelt soviel Einwohner im Lande, als der Ackerbau ernähren konnte; da taten sich denn die jüngeren Söhne der Adelsgeschlechter zusammen, wurden notgedrungen zu Glücksrittern, überfielen fremde Länder und warfen da die Besitzer hinaus. In der Geschichte Ost- und Westroms war's denn auch die Regel, daß die Barbarenhorden nichts begehrten als Grund und Boden zur Bebauung, um ihren Lebensunterhalt zu finden. Die Nordlande sind heut nicht weniger dicht bevölkert als dazumal, aber inzwischen hat der Luxus wohlweislich unsere Bedürfnisse vervielfältigt und damit den Anstoß zu gewerblicher Tätigkeit und zu all jenen Fertigkeiten in der Herstellung gegeben, von denen ganze Völker leben können, die sonst ihren Unterhalt auswärts suchen müßten.
Diese verschiedenen Mittel, die einen Staat zur Blüte bringen, sind der fürstlichen Weisheit anvertraute Pfunde; der Fürst soll damit wuchern, soll sie nutzbringend an legen. Das sicherste Kennzeichen dafür, daß ein Land unter weiser Leitung des Glückes, der Wohlhabenheit und Fülle genießt, ist dann das Erwachen der schönen Künste und der Wissenschaften; denn diese Blumen gedeihen nur auf fettem Boden und unter mildem Himmel; bei Trockenheit, beim Ungestüm nördlicher Winde sterben sie hin.
Nichts gibt einem Reiche mehr Glanz, als wenn die Künste unter seinem Schutz erblühen. Das Zeitalter des Perikles dankt seinen Ruhm ebenso dem Phidias, dem Praxiteles und zahlreichen anderen Großen, die damals zu Athen lebten, wie den Schlachten, die dieselben Athener gewannen. Das augusteische ist bekannter durch einen Cicero, Ooid, Horaz und Vergil als durch die Ächtungslisten jenes grausamen Kaisers, der schließlich doch ein gut Teil seines Nachruhms der Leier des Horaz verdankt. Das Jahrhundert des großen Ludwig ist gefeierter um solcher Größen willen wie Corneille, Racine, Molière, Boileau, Descartes, Coypel, Le Brun90-1, Regnaudin90-2, als durch den über alles Maß gelobten Rheinübergang90-3, die Belagerung von Mons90-4, an der Ludwig in Person teilnahm, und die Schlacht bei Turin, die Marsin auf allerhöchsten Befehl den Herzog von Orleans verlieren ließ 90-5.
Die Könige ehren die ganze Menschheit in der Auszeichnung und Belohnung derer, die ihr am meisten Ehre machen; wer wäre das sonst als jene überragenden Geister, die der Vervollkommnung unserer Erkenntnis, dem Dienste der Wahrheit sich weihen, die keinem irdischen Werte nachfragen, um die Fähigkeit des reinen Gedankens zu immer höherer Vollendung zu steigern? Wie die Weisen die Leuchten der Welt sind, so sollten sie eigentlich ihre Gesetzgeber sein.
<91>Glücklich die Herrscher, die selbst diese Wissenschaften pflegen, die da mit Cicero91-1, dem römischen Konsul, dem Befreier seines Vaterlandes, dem Altmeister der Redekunst, denken: „Die Wissenschaft bildet die Jugend heran, gibt den reiferen Jahren seinen schönsten Reiz; dem Glück gibt sie höheren Glanz, dem Unglück Trost; sie macht in unseren vier Wänden, im fremden Hause, auf der Reise, in der Einsamkeit, zu allen Zeiten wie an jedem Orte die Wonne unseres Daseins aus.“
Lorenzo von Medici, der Größte seines Voltes, war für Italien der Friedebringer und zugleich der Erneuerer der Wissenschaften; sein redlicher Sinn gewann ihm das Vertrauen aller Fürsten insgesamt. Mark Aurel, einer der größten Kaiser Roms, vereinte Feldherrnglück mit der Weisheit des Philosophen; er hielt sich in seiner Lebensführung aufs strengste an die Sittenlehre, die er bekannte. Schließen wir mit seinem Wort: „Einem Könige, den Gerechtigkeit leitet, ist die Welt ein Tempel, darinnen die guten Menschen als Priester des Opferdienstes walten.“
86-1 Ferdinand der Katholische, König von Spanien (1479—1516).
86-2 Bernhard Visconti, Herr von Mailand (1354—1385).
88-1 pro Ligario, cap. 12.
88-2 Hier liegt ein Irrtum vor, da Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, Rußland, wenngleich erfolglos, um Unterstützung bat. Durch den Sieg bei Fehrbellin am 28. Juni 1675 zwang er die Schweden zum Rückzug.
90-1 Noël Coypel (1628—1707) und Charles le Brun (1619—1690), französische Maler.
90-2 Thomas Regnaudin (1627—1706), französischer Bildhauer.
90-3 Der Übergang über den Niederrhein bei Tolhuys 1672 bei Beginn des Feldzugs gegen Holland, der den Franzosen den Weg in die nieder, ländische Republik öffnete.
90-4 Die Einnahme von Mons erfolgte am 9. April 1691.
90-5 Durch die Weigerung des Marschalls von Frankreich, Graf Ferdinand Marsin, dem Feinde, der zum Entsatz von Turin herbeieilte, entgegenzugehen, wie der Herzog Philipp von Orleans es wollte, ging die Schlacht bei Turin (7. September 1706) für die Franzosen verloren.
91-1 pro Archia poeta, cap. 7.