Betrachtungen über die preußische Finanzverwaltung
(20. Oktober 1784)
Preußens Staaten sind nicht reich, nicht einmal wohlhabend. Der Boden ist im ganzen recht dürr, und die einzigen Handelszweige, wodurch die Bilanz der Ein, und Ausfuhr günstig gestaltet wird, bestehen aus dem Verkauf von Leinenwaren und Wollstoffen, sowie aus dem Durchgangshandel, den uns Polen, Sachsen und die rheinischen Staaten verschaffen. Zu meines Vaters Zeit verloren wir in dieser Bilanz jährlich 500 000 Taler. Durch die Erwerbung Schlesiens und Westpreußens, ferner durch die Menge neuerrichteter Manufakturen habe ich die ungünstigen Verhältnisse zu unseren Gunsten derart umgestaltet, daß unser Handel im vergangenen Jahr, nach Abzug der Einfuhr, einen Reingewinn von 4 430 000 Talern einbrachte.
Diesen Mehrertrag an barem Gelde habe ich der Finanzverwaltung zugrunde gelegt. Dadurch war ich imstande, alle Jahre drei Millionen zurückzulegen222-1, und konnte dem Land noch jährlich 1400 000 in bar zukommen lassen. Unsere Einnahmen beliefen sich im Jahre 1783/84 auf 21 730 000 Taler222-2; die Ausgaben abgerechnet bleiben 7 120 000, worüber der Herrscher verfügen kann. Man muß sich durchaus hüten, dieses Kapital auf dauernde Ausgaben zu verwenden. Es muß vielmehr für den Krieg aufgespart werden, der sicherlich ausbrechen wird, wenn ich kaum die Augen geschlossen habe222-3.
Ein Feldzug kostet an außerordentlichen Ausgaben ungefähr 12 Millionen Taler222-4 Wenn der Krieg ausbricht, dürfen wir statt der 7 Millionen, die wir erübrigen, nur sechs erwarten, weil die Akziseeinnahmen geringer werden und einige Summen, die unsere anderen Kassen in Friedenszeiten liefern, alsdann ausbleiben. Wir haben<223> Fourage für drei Feldzüge, in Breslau wie auch in Magdeburg; wir haben, in natura und in Geld, Mehl auf drei Jahre für die ganze Armee223-1. Dank diesen Vorsichtsmaßregeln können wir für die drei ersten Feldzüge gratis liefern: Korn, Fourage und die 6 Millionen für die außerordentlichen Kriegskosien. Ferner haben wir im Staatsschatz genug, um noch für drei Feldzüge das Fehlende vollständig zusteuern zu können. Auf solche Weise habe ich's durch eine einsichtige Verwaltung erreicht, daß unser armes Land sechs Feldzüge auszuhalten vermag, ohne die Steuern zu erhöhen oder den Staat mit drückenden Schulden zu belasten, die ihn aufreiben, auf die Dauer ihn der Armut preisgeben und früher oder später zu schmählichen, betrügerischen Bankrotten führen.
Um ein so armes, großer Hilfsquellen entbehrendes Land lebensfähig zu erhalten, muß man Grundsätzen folgen, die weise und gerecht sind und den dürftigen Zustand des Landes berücksichtigen. Es versieht sich von selbst, daß die Einkünfte des Fürsten von denen des Staates zu trennen sind. Die Staatseinnahmen müssen geheiligt sein, und ihre Bestimmung darf in Friedenszeiten einzig darin erblickt werden, daß sie der Wohlfahrt des Bürgers dienen, indem entweder Land urbar gemacht wird oder die Städte Manufakturen erhalten, die ihnen fehlen, oder endlich, indem alle Einrichtungen besser gefestigt und die einzelnen Staatsbürger, vom Edelmann bis zum Kuhbauer, wohlhabender und wohlhäbiger gemacht werden. Das Einkommen des wohlverwalteten Staates wird des weiteren dazu verwendet, daß alljährlich ein Teil als Beitrag zu den Kriegskosien zurückgelegt wird und so dem armen Volk die Steuern erspart bleiben, die ein untüchtiger Herrscher ihm in Kriegszeiten aufladen würde. Durch solche vernünftige Staatswirtschaft schafft man dem Volt Erleichterung, und der Staat bewahrt sich ausreichende Hilfsquellen für die unerwarteten Fälle, die ihn zwingen, seine Besitzungen gegen begehrliche Nachbarn zu verteidigen.
Bei der Verwaltung der Finanzen muß man die eigenen Launen, Leidenschaften und Gelüste zu zügeln wissen; denn vor allem: die Einnahmen des Staates gehören nicht dem Herrscher. Dies Geld wird rechtmäßig nur da verwendet, wo es dem Wohl des Volkes und der Erleichterung seiner Lasten dienstbar gemacht wird. Jeder Fürst, der dieses Einkommen in Vergnügungen und übel angebrachter Freigebigkeit vergeudet, hat in seinem Tun weniger vom Herrscher an sich als vom Straßenräuber, da er dies Geld, das Herzblut des Volkes, für unnütze und oft lächerliche Ausgaben verbraucht. Denn davon müssen wir ausgehen, daß kein Fürst in Wahrheit sagen kann: „Jetzt brauchen wir keinen Krieg mehr zu führen, nun können wir wie Epikuräer leben und ausschließlich auf die Befriedigung unserer Leidenschaften und Neinen Lüste bedacht sein.“ Was geschieht dann? Plötzlich, siehe, entbrennt ein Krieg, und unser Epikuräer, der sein Gut im voraus verzehrt hat, sieht sich mittellos, während Hannibal schon, wie die Römer sagten, vor den Toren sieht.
<224>Alle Handlungen des Menschen sollen die Folge gründlichen Erwägens sein, dürfen nur nach tiefer und reiflicher Überlegung unternommen werden. Allein ich wage zuversichtlich zu behaupten, daß die Fürsten ihre Vorsicht noch weiter treiben müssen als die Bürger. Bei diesen zieht verkehrtes Denken nur das Unheil einer einzelnen Familie nach sich. Wenn dagegen die Könige nur oberflächlich an die Zukunft denken, wenn sie unüberlegte Maßnahmen treffen, so müssen Millionen Menschen darunter leiden, der Ruhm solcher Fürsten verdunkelt sich, und ihre Feinde beuten ihre Torheit aus. Diese Folgen sind so bedeutsam, daß man sie denen, die durch Geburt zur Herrschaft bestimmt sind, nicht genug einschärfen kann. Zumal wenn derartige Fürsten an Verschwendungssucht leiden, Abneigung gegen Finanzberechnungen hegen und obendrein die unverständige Gewohnheit angenommen haben, sich gleichmütig von sämtlichen Bedienten bestehlen zu lassen. Entweder soll einer nicht nach der Herrschaft über Staaten begehren, oder aber er muß den edlen Vorsatz fassen, sich ihrer würdig zu erweisen, und zwar dadurch, daß er sich alles Wissen aneignet, das zum Fürsten gehört, und edlen Eifers sich antreibt, keine Arbeit und keine Sorge zu scheuen, wenn das Regieren sie erheischt. Man könnte beispielsweise sagen: „Das Rechnungswesen ist mir zuwider.“ Ich antworte: „Das Wohl des Staates fordert, daß ich die Rechnungen durchsehe, und in dem Falle darf mir nichts zu sauer werden.“ Sehen wir uns doch die größten Staaten Europas an: wie ungeheuer sind sie verschuldet! Warum? Weil sie noch nie nach einem Friedensschluß ans Abtragen ihrer Schulden gedacht haben. Die Kosten der Hofhaltung und die Verschwenderwirtschaft ihrer Herrscher haben alle ordentlichen Einkünfte verschlungen. Unter Ludwig XV. stieg die Verderbt, heil so hoch, daß die Finanzminister mitten im Frieden die Schuldenlast der Nation um dreißig und vierzig Millionen Livres jährlich vergrößerten, um seine zügellosen Ausgaben bestreiten zu können. Dabei muß noch bemerkt werden, daß ein Königreich wie das französische mit unermeßlichen Wohlstandsquellen rechnen kann, während in einem armen Land, wie alle preußischen Provinzen es sind, der Zusammenbruch nach kurzer Frist vollständig und nicht mehr gutzumachen sein würde.
Mein Nachfolger wird wohl daran tun, wenn er diesen meinen Betrachtungen auf den Grund geht und sie sich zu eigen macht, auf daß der Staat nach meinem Tod in der Lage sei, sich zu behaupten und nicht zu unterliegen. Dies aber würde sicher geschehen, wenn er nichts Besseres als einen Verschwender und Windbeutel an der Spitze hätte.
222-1 Vgl. S. 129 und 211.
222-2 Vgl. S. 128 und 210.
222-3 Vgl. S. 218.
222-4 Vgl. S. 162. 211.
223-1 Vgl. S. 211 f.