<105> Sie erklärten und bestätigten rundweg die Göttlichkeit Christi, fügten ins Glaubens, bekenntnis die Worte „Gottes eingeborener Sohn“ ein und taten schließlich die Arianer in Bann. So erwuchsen bei jeder Kirchenversammlung neue Dogmen. Beim Konzil zu Konstantinopel (381) kam die Reihe an den Heiligen Geist. Den versammelten Kirchenvätern wäre es indessen wohl schwer gefallen, die dritte Person der Gottheit zum Vater und Sohn hinzuzufügen, wäre ihnen nicht ein Priester zu Hilfe gekommen, der verschmitzter und durchtriebener war als die andren. Er stickte nämlich einen eigens ersonnenen Vers vorn an das Johannesevangelium an: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ usw.1. So grob der Betrug in unsrer Zeit scheinen würde, so war er es damals doch nicht. Denn schon hatten anstatt des Volkes die Bischöfe die Bewahrung des Glaubens und der Schriften in die Hände bekommen und aus einer Menge von Schriften eine Anzahl ausgewählt, die sie für kanonisch erklärten. Zu diesem Vorteil, den sie bereits hatten, kam noch die Spaltung des Reiches, kamen die Kriege und die Verheerungen der Barbaren, die die Wissenschaft zerstörten und Unwissenheit und Dummheit beförderten. So war das Betrügen denn, wie man einsieht, keine große Kunst. Unbildung, Aberglaube und Stumpfsinn hatten ihm lange genug vorgearbeitet. Hätte auch jemand gewagt, die Stelle im Iohannesevangelium für interpoliert zu erklären, so brauchte man ja nur zu sagen, die Originalhandschrift sei erst neuerdings entdeckt worden.
Als Stifter neuer Dogmen mußten die Bischöfe sich notwendig ihrer Macht und ihres Einflusses bewußt werden. Es liegt in der Menschennatur, die Vorteile, die man hat, auszunutzen. Auch die Geistlichen waren Menschen und handelten demgemäß. Immerhin gingen sie mit einem gewissen Geschick zu Werke. Irgend ein Waghalsiger, den sie vorschoben, mußte eine neue Meinung äußern, die für sie vorteilhaft war und die sie annehmen wollten. Dann beriefen sie ein Konzil, und da wurde die Meinung als Glaubensartikel festgesetzt. So fand irgend ein Mönch in einer Stelle der Makkabäer2 die Lehre vom Fegefeuer. Die Kirche nahm sie an, und das neue Dogma brachte ihr mehr Schatze ein, als Spanien durch die Entdeckung von Amerika gewonnen hat. Ähnlichen Machenschaften ist auch die Verfertigung der falschen Dekretalien3 zuzuschreiben, die den Päpsten zum Schemel ihres Thrones gedient haben, von dem herab sie fortan den bestürzten Völkern Gesetze diktierten.
Bevor die Kirche aber zu dieser Höhe emporstieg, machte sie noch mehrere Wandlungen durch. Während der ersten drei Jahrhunderte dauerte die republikanische Form fort. Seit Kaiser Konstantins Übertritt zum Christentum aber entstand eine
1 Nicht der Anfang des Johannesevangeliums ist interpoliert, sondern die Stelle über die Dreieinigkeit, I. Johannes V, 7.
2 2. Makkabäer, XII, 40ff.
3 Die Pseudo-Isidorischen Detretalien sind eine Frankreich im 9. Jahrhundert entstandene, unter dem Namen des Isidorus Mercator gehende Sammlung gefälschter päpstlicher Briefe und Verfügungen, die später für die Behauptung des Primats des Papsttums verwandt wurde.