<106> Art von Aristokratie, deren Häupter die Kaiser, die Päpste und die vornehmsten Patriarchen waren. Diese Regierungsform erfuhr in der Folge Veränderungen, wie alles Menschenwerk. Wenn Ehrgeizige miteinander um Macht und Ansehen buhlen, so sparen sie weder List noch Kunstgriffe, um einander zu verdrängen, und am Ende siegen die Geriebensten über ihre Rivalen. Die Schlausten waren diesmal die Päpste. Sie benutzten die Schwäche des osirömischen Reiches, um die Macht der Cäsaren an sich zu reißen und die Rechte der Kaiserkrone auf die päpstliche Tiara zu übertragen. Gregor III. war der erste, der das versuchte. Papst Stephan III. ging auf diesem Wege weiter. Vom Langobardenkönig Aistulph aus Rom vertrieben, floh er nach Frankreich und krönte dort den Usurpator Pippin (754), unter der Bedingung, daß Pippin Rom von den Langobarden befreite. Nach Rom zurückgekehrt, schrieb der Papst, um die Hilfe aus Frankreich zu beschleunigen, einen Brief an den König, den er im Namen der Jungfrau, des heiligen Petrus und aller Heiligen gekrönt hatte, und drohte ihm mit ewiger Verdammnis, wenn er ihn nicht schleunigst vom Druck der Langobarden befreite. Das fränkische Reich, auf das er keinerlei Recht besaß, hatte er Pippin geschenkt, und Pippin schenkte ihm dafür — so behauptete er wenigstens — Rom und das römische Gebiet1, das doch eigentlich den Kaisern in Konstantinopel gehörte. Darauf wurde Karl der Große vom Papste2 zu Rom gekrönt (800) — nicht, weil er glaubte, die Kaiserkrone kraft päpstlicher Gnade zu empfangen, sondern weil geschrieben sieht, daß Samuel die Könige Saul und David salbte. Durch diese Zeremonie wollten die Kaiser nur Dem huldigen, der nach seinem Willen die Reiche erhebt oder erschüttert, erhält oder stürzt. Aber so verstanden die Päpste es nicht. Unter Ludwig dem Frommen, Karls des Großen Sohn, erhob Gregor IV. seine geistliche Macht über die weltliche und machte dem Kaiser begreiflich, daß sein Vater Krone und Reich nur dem Heiligen Stuhle zu danken hätte. So deuteten die Päpste, die Ausleger der Mysterien, die Salbung der Herrscher! Man hielt sie für Statthalter Christi; sie erklärten sich für unfehlbar und wurden angebetet. Die Finsternis der Unwissenheit wurde von Jahrhundert zu Jahrhundert tiefer. Was bedurfte es noch mehr, um dem Betrug Ansehen und Verbreitung zu verschaffen?

Die stets rastlose Politik der Geistlichkeit machte immer neue Fortschritte. Ein Mönch von anmaßendem, strengem und kühnem Charakter, namens Hildebrand, bekannter als Gregor VII.3, legte den eigentlichen Grund zur Größe des Papsttums. Er kannte kein Maß mehr, schrieb sich das Recht zu, Kronen auszuteilen und zu nehmen, Königreiche in den Bann zu tun, Untertanen vom Treueid zu entbinden. Seine Ansprüche waren grenzenlos, wie man sich aus seiner berüchtigten Bulle ln coena Domini4 überzeugen kann.


1 Das sogenannte patrimonium Pein, den Kern des späteren Kirchenstaates.

2 Leo III.

3 1073—1085.

4 Diese Bannbulle gegen die Ketzer wurde vielmehr 1362 von Papst Urban V. erlassen.