4. Brief.
Am nächsten Tage kam Pater Berteau zu mir. Ich fragte ihn gleich, ob er zu den Bonzen gehöre, die man aus Portugal vertrieben habe. Er bejahte es und setzte hinzu: „Ach, durch schreiendes Unrecht hat man die guten Väter aus ihrer heiligen Freistatt verjagt!“ Diese Worte trieben mir das Blut ins Gesicht. „Wie, mein Vater!“ rief ich. „Sollte der König von Portugal sich denn von diesen Schelmen von Bonzen ermorden lassen?“ — „Für sein Seelenheil,“ erwiderte der Pater, „war es besser, er wurde ermordet, als daß er die frommen Mönche vertrieb.“ — „Welch scheußlicher Grundsatz, mein Vater! Wie stimmt das“, setzte ich hinzu, „zu den Moralbüchern, die Sie mir zu lesen gaben?“ — „Ausgezeichnet“, entgegnete jener. „Nach der Meinung des Paters Bauni1, des Sanchez2 und einiger unsrer berühmtesten Kasuisten muß man die Könige töten, wenn sie Tyrannen sind.“ — „O Kon, futse, Konfutse!“ rief ich aus. „Was würdest du sagen, wenn du solche Ruchlosig, leiten hörtest!“ Wie glücklich ist Dein Reich, erhabner Kaiser, daß ein Glaube, der so schändliche Grundsätze duldet und übt, unter Deiner Herrschaft nicht besieht!
Seit jener Unterredung faßte ich einen Abscheu gegen Pater Berteau und wollte nicht mehr mit ihm verkehren. Am nächsten Tage war ich in einer Gesellschaft von Priestern; denn hierzulande ist jedermann Priester, in der Hoffnung, einst Lama zu werden. Auch der Portugiese war darunter. Ich war begierig, zu erfahren, wie der große Lama gewählt wird. Folgendes habe ich darüber ungefähr festgestellt. Nach ihrer Behauptung zerfällt der Tien in drei Teile — ich habe das nie verstanden, so sehr sie es mir auch klarzumachen suchten —, und ein Teil des Tien, den sie den Hei, ligen Geist nennen, leitet die Wahl des Lama. Er wird aus siebzig Bonzen gewählt, die samt und sonders krebsrot3 sind. Mein Portugiese sagte zu mir: „Glauben Sie nichts von alledem. Einige Könige, die in großem Ansehen stehen, und die Ränke dieser Krebse bestimmen den Lama. Obwohl er vor Freude, Lama geworden zu sein, aufjauchzen möchte, muß er weinen und über die große Bürde klagen, die man ihm auflädt. Man wählt einen möglichst Alten, damit ein andrer dieser Ehrgeizigen, die nach seinem Throne streben, ihm bald nachfolgen kann. Noch aus einem andren stärkeren Grunde wählt man einen möglichst Alten: die Greise geben weniger Anlaß zu Ärgernis. In einem Siebzigjährigen sind alle unkeuschen Begierden erloschen; ihm bleibt nur noch Herrschsucht und Geiz. Da man aber daran keinen Anstoß nimmt, so tut das der Kirche keinen Abbruch.“
„Aber wie“, fragte ich, „ist diese ganze Kirche mit ihrem Kult und ihren listigen Glaubenssätzen zustande gekommen?“
1 „La Somme des péchés qui se commettent en tous états“, von Baptist Bauni, einem französischen Jesuiten, erschien 1634 und wurde mehrmals neu gedruckt.
2 „Opus morale in praecepta Decalogi, sive summa casuum conscientiae“ (Köln 1614); Consilia, seu opuscula moralia (Lyon 1635).
3 Anspielung auf die Tracht der Kardinale.