<138> Streit von hervorragender Gelehrsamkeit. Die Verteidiger von „Blaubart“ stützten sich auf Erasmus, der das Werk in seinem unvergleichlichen „Lob der Narrheit“ erwähnt, auf den heiligen Athanasius, der Stücke daraus in seinem Streit mit den Arianern zitiert, auf den heiligen Basilius, der es streng rechtgläubig findet, auf den heiligen Gregor von Nazianz, der sich in einer an Kaiser Julian gerichteten Verteidigung des Christentums auf die in „Blaubart“ enthaltenen Prophezeiungen stützt, auf den heiligen Johannes Chrysostomos, der aus diesem frommen Buche die schönsten rhetorischen Figuren entnahm, mit denen er seine wundervollen Homilien schmückte. Der fromme Bischof Las Casas1 las zu seiner Erbauung täglich einen Abschnitt daraus. „Blaubart“ war das Brevier Papst Alexanders VI. Auch der Kardinal von Lothringen2 hielt das Buch für kanonisch. Zählt man die Stimmen, so ergibt sich also, daß die Zahl derer, die „Blaubart“ für ein prophetisches und von Gott inspiriertes Buch erklären, weit größer ist als die Zahl derer, die es anzweifeln.
Von seinem Ursprung ist so viel bekannt: „Blaubart“ erschien in Alexandria mit der Septuaginta-Übersetzung des Pentateuchs und der übrigen Bücher des Alten Bundes3. Während der Babylonischen Gefangenschaft hatten die Israelis ten das Alte Testament verloren, aber die Samariter hatten es bewahrt, mit ihm auch den „Blaubart“. Als das jüdische Volk aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückgekehrt war, sammelten Esra und Nehemia mit größtem Fleiß alles, was sie von den verlorenen kostbaren Schriften aufbringen konnten. Einige Bücher fanden sie wieder, andre stellten sie nach der mündlichen Überlieferung her. Bei ihrer ungeheuren Arbeit und dem Bestreben, ihr Werk rasch zu vollenden, versäumten sie, „Blaubart“ der von ihnen nach besten Kräften wiederhergestellten Sammlung der Heiligen Schriften einzuverleiben. Diese Nachlässigkeit Esras trägt die Hauptschuld an den Zweifeln, die einige Doktoren über die Echtheit des Werkes geäußert haben.
Indes braucht man nur nachzulesen, was der heilige Franz von Assisi darüber schreibt, um auch den letzten Zweifel über „Blaubart“ zu verscheuchen. Der heilige Franz sagt nach strenger Prüfung des Werkes: „Es trägt alle Kennzeichen göttlicher Eingebung. Es ist ein Gleichnis oder vielmehr eine Prophezeiung unsres ganzen Heilswerkes. Ich erkenne den Stil der Propheten wieder, die Anmut des 'Hohenlieds', das Wunderbare des Propheten Jesaias, die männliche Energie Hefekiels, dazu das ganze Pathos des Ieremias. Da sich ferner im hebräischen Original an syrischen Ausdrücken und Wendungen nichts findet, so hat der von Gott inspirierte Verfasser von 'Blaubart' unstreitig“
1 Spanischer Bischof(1471—1566), der die Mexikaner gegen die Bedrückung der Spanier in Schutz nahm.
2 Karl von Guise (1525—1574).
3 Die griechische Übersetzung des Alten Testaments durch jüdische Schriftgelehrte, die siebzig Dolmetscher.