<147> auf einen hohen Berg zu führen wagte. Er zeigte ihm alle Reiche der Welt und sagte: „Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest!“ Unseliger Reichtum, verderbliche Größe, ihr verderbt den, der euch anhangt! Nein, die Reichen werden das Reich Gottes nicht erben. Auch Ihr, große Herrscher der Welt, Ihr, die Ihr Euch in frecher Hoffahrt auf Euren prunkvollen Thronen bläht, wahrlich! Ihr werdet dereinst ein Raub der ewigen Flammen sein, indes der arme Lazarus in Abrahams Schoße mitleidig auf Eure Leiden und Qualen herabsieht.
Man bemerke zugleich, daß der Teufel seiner Gattin zwar alle Schlüssel gibt, ihr aber die geheime Kammer zu öffnen verbietet. Schon allein dieser Zug verrät uns die göttliche Inspiration des Buches; denn in diesen wenigen Worten wird die Tücke des Bösen mit treffenden Farben geschildert. Geschickt benutzt er unsre Leidenschaften, um uns in sein Joch zu zwingen, aber wir sollen die Listen und Fallstricke nicht kennen, mit denen es ihm gelingt, uns zu Fall zu bringen. Indem er uns bindet, ja knebelt, will er doch, daß seine Ketten unsichtbar bleiben, damit wir nicht merken, daß wir seine unglücklichen Sklaven sind. Jene unheilvolle Kammer birgt die Geheimnisse der Ungerechtigkeit. Seine junge Gattin soll sie nicht betreten, aber zugleich versucht er sie, indem er ihre Neugier erregt. Die gleiche List, mit der er unsre Urmutter verführte! Zu ihr sprach er: „So du von dieser schönen Frucht issest, wirst du alle Dinge wissen. Man neidet sie dir, weil sie köstlich ist. Iß davon, da du sie besitzest.“ O verderbliche Neugier, Schicksalsapfel, Apfel des Verderbens, du hast die Menschheit zugrunde gerichtet! Blaubarts junge Gattin war ein Weib und ebenso neugierig wie Eva. Die Versuchung war stark. „Warum gab er mir den Schlüssel zu der Kammer? Warum verbietet er mir, hineinzugehen?“ So fragte sie bei sich selbst. „Gewiß ist dort das Seltsamste und Köstlichste verborgen, was mein Gatte besitzt.“ Wie konnte sie allen Feinden widerstehen, die sie umgaben! Sie ward ja zugleich vom Teufel der Fleischeslust, vom Teufel der Völlerei, vom Teufel des Reichtums angefochten und vom Stachel der Neugier getrieben. Sie sieht weder die Falle, die ihr gestellt ist, noch ihre unheilvollen Folgen. Ach! was vermochte über ihr Herz noch der schwache Rest der zureichenden Gnade, die ihr seit ihrer schrecklichen Heirat mit dem Fürsten der Finsternis schon dreiviertels abhanden gekommen war. Die Gnade hat keine Macht mehr über sie und verläßt sie. Fortan umnachtet der Geist der Verwirrung alle ihre Sinne und beherrscht sie despotisch.
Siehe, sie greift zu dem Schlüssel der verbotenen Kammer, eilt hin, öffnet die Tür und steigt hinab. Welch ein Anblick, gerechter Gott! bietet sich ihren Blicken dar. Die Leichen mehrerer ermordeter Frauen, deren Blut den Estrich der Kammer bedeckte! Diese Gegenstände des Schreckens entsetzen und betören sie. Finstere Trübt sal erfüllt ihre Seele mit Schmerz. Der Schleier des Trugs zerreißt. Auf den Taumel der trügerischen Freuden folgt die Reue, der Gewissensbiß, die Verzagtheit. In dem Augenblick, da sie sich verloren wähnt, schießt der Himmel einen Strahl der veränderlichen Gnade und drei Strahlen der mitwirkenden Gnade auf sie herab, die