<149> Aber der Teufel, an den sie gerichtet waren, ist unbarmherziger als alle Tiger der Welt. Er kennt keine andre Freude, als die Gefährten seiner Schandtaten zu mehren und die Streiter Christi ihrem Banner abspenstig zu machen, um sie in seine aufrührerischen Rotten zu stellen und zum Raub der Hölle zu machen. „Sie müssen sterben, Madame!“ schreit Blaubart. „Sie müssen auf der Stelle sterben!“ Furchtbare Worte, die die ganze Grausamkeit des bösen Feindes ausdrücken; nützliche Worte, die der Heilige Geist dem frommen Verfasser diktiert hat, um uns all den Abscheu, all das Grausen einzuflößen, das wir vor dem Fürsten der Finsternis haben sollen. „Da ich denn doch sterben soll,“ entgegnet seine Gattin, in Tränen gebadet, „gewährt mir nur eine Viertelstunde Frist!“ — „Wohlan,“ sprach Blaubart, „aber nicht einen Augenblick mehr.“
Eine notwendige und nützliche Frist. Ein goldner Augenblick für den Ausgang des Gleichnisses! Wie schon gesagt, bedeutet die junge Gattin das Volk Israel und ihre Heirat mit Blaubart die Abgötterei, die das auserwählte Volk mit Baal Peor, Moloch und andren Götzen trieb. Das Hinabsteigen der jungen Gattin in den bluterfüllten Keller bedeutet klar die Babylonische Gefangenschaft, in der der Dienst des wahren Gottes aufgehört hatte, und die lange Knechtschaft, in der das Volk Gottes seufzte, als es nacheinander von den Ägyptern, Assyrern, Medern und Römern unterjocht ward. Blaubarts Rückkehr und seine Absicht, die Gattin zu töten, bedeutet die letzten Anstrengungen der Hölle zur Zerstörung des Glaubens, des Dienstes und der Altäre Zebaoths, die Häufung der Verbrechen auf der ganzen Welt, das Verstummen der Propheten, das Aufhören der Wunder und die unselige Verlassenheit des Menschengeschlechts, die den Höchsten bewog, seinen unschuldigen Sohn auf die Welt zu schicken, auf daß er durch seinen Tod die Sünder erlöste.
Doch fürchten wir nichts! Die Gnade wirkt; sie belebt die untröstliche junge Gattin, die in die bemerkenswerten Worte ausbricht: „Anna, meine Schwester, Schwester Anna, siehst du nichts nahen?“ Gleich als hätte sie gerufen: „Der Herr wird mich nicht verlassen. So groß meine Sünde auch sei, ich vertraue auf sein Erbarmen. Meine Reue ist größer als meine Missetaten. Ich weiß, er wappnet einen Rächer, der mich vom Joch der Hölle befreien wird. Anna, meine Schwester, Schwester Anna, siehst du den göttlichen Retter noch nicht nahen? Ach, ich habe ihn beleidigt. Ja, ich habe seinen Zorn verdient. Aber so sehr auch meine Sünden gen Himmel schreien, seine Gnade ist größer. Wann wird Der kommen, den Iesaia, Hesekiel und Daniel den Völkern verhießen, der der Schlange den Kopf zertritt, die unsre Urväter verführt hat, Er, dem die Menschheit ihr Heil danken wird? Ich bin vom Stamme Iuda, ich bin eine Tochter des Höchsten. Der da kommen wird, mich zu befreien, ist sein Sohn, also mein Bruder. Ach, lieber Bruder, komm! Ich erwarte dich mit Sehnen. Anna, meine Schwester, kommt er noch nicht?“
Ihre Schwester Anna steigt flugs auf einen Turm des Schlosses; denn man muß sich aus dem Staub des Irdischen erheben, will man die himmlischen Dinge erschauen.