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„Aber Blaubarts Ungeduld nahm noch zu, und er schrie lauter denn je: Komm herab, oder ich steige hinauf!“ Damit meint der heilige Verfasser den Greuel aller Greuel in der heiligen Stadt oder des Pompejus Einzug in Jerusalem1, die Aufrichtung der römischen Adler und Götzenbilder neben dem Tempel, die Erbauung der Burg Antonia, die der verruchte Herodes zu Ehren des Triumvirs Antonius errichten ließ, und den Fleiß, mit dem dieser König den Götzendienst in dem Lande einzuführen trachtete, das der Herr Zebaoth für alle Zeit seinem auserwählten Volke bestimmt hatte. Diese bedeutsamen Ereignisse gingen der Ankunft Christi um etwa dreißig Jahre voraus. Mit so erstaunlicher Genauigkeit hat der fromme Verfasser des heiligen Buches die Zukunft geschaut und vorhergesagt! Rechnet man bei der viertelstündigen Gnadenfrist, die Blaubart seinem Weibe gewährt, die Minute zu drei Jahren, so kommt genau die Zeit zwischen der Eroberung Jerusalems durch Pompejus und der heilbringenden Ankunft und Geburt des Messias heraus.

„Aber Blaubarts unglückliche Gattin stand zitternd und fast entseelt und glaubte sich dem Tode geweiht. Ihre Kräfte verließen sie; ihre Stimme versagte schier; doch inbrünstig wiederholte sie die frommen Worte: 'Anna, meine Schwester, Schwester Anna, siehst du nichts nahen?'“ — „Ich sehe“, erwidert ihre Schwester, „eine Staubwolke von Osten her aufsteigen.“ Die verzweifelte junge Gattin fragt: „Sind es nicht meine Brüder?“ — „Ach nein,“ antwortet Anna, „es sind Schafe.“ Man beachte vor allem, daß in dieser Stelle jedes Wort große Wahrheiten verkündet. Der göttliche Verfasser stellt uns in Gestalt dieser Schafherde Johannes den Täufer, den heiligen Vorläufer Christi dar. Er selbst war sanft wie die Lämmer und verkündete der in ihren Sünden versunkenen Menschheit das Lamm ohne Makel. Hätte unser heiliger Verfasser mit eignen Augen all die Geschehnisse erblickt, die sich vor der heilbringenden Ankunft des Messias zutrugen, er hätte sie nicht ordnungsmäßiger berichten können als in seinem Gleichnis. Es ist mehr eine Geschichte als eine Prophezeiung.

Endlich gelangen wir zu dem Augenblick, da die kreißende Welt den Heiland gebärt. Blaubart, oder sagen wir vielmehr der ergrimmte Teufel, kommt und will seine Beute packen.

In diesem Augenblick verkündet Anna ihrer Schwester, sie sähe zwei Reiter, aber sie wären noch fern. Die beiden Reiter sind der Sohn und der Heilige Geist, der Person nach verschieden, aber beide unlöslich im Logos verbunden, mit dem sie die heilige, anbetungswürdige Dreieinigkeit bilden. Wann kommen sie? Zu einer Zeit, da die Welt Frieden hatte, da Augustus den Janustempel schließen ließ, aber auch zu einer Zeit, da alle Mächte der Hölle gegen ihren Schöpfer losgelassen waren, da die Priester, Leviten und Schriftgelehrten, in verschiedene Sekten ge-


1 Im Jahre 63 v. Chr.