„<163> denn er könnte sich mit Stärkeren verbünden, und er weiß im Innern der Feste zu gut Bescheid.“
Dann aber deuchte mich, als rückte ein ganzes Heer gegen die Verruchte an. Ich war erstaunt ob seiner Stärke und fragte nach dem Namen des Volkes. Der Geist antwortete: „Es sind mehrere Völker. Die einen nennen sich Waldenser, die andren Wycliffiten, wieder andre Taboriten1. Das da sind die Utraquisten2, und die letzten sind die Socinianer3 und Anabaptisten4 und alle Isten der Welt.“ — „Wie?“ rief ich, „diese Leute wollen Krieg führen? Haben sie denn die Enzyklopädie und die Enzyklopädisten nicht gelesen?“5 — „Ihre Werke“, erwiderte der Geist, „waren damals noch nicht geschrieben. Aber die Enzyklopädisten kommen auch noch dran. Gedulde dich nur, und du wirst sie kämpfen sehen.“ Indes nahm die Belagerung ihren Anfang. Das Blut stoß in großen Strömen, und die Vorstädte wurden erobert. Es war ein entsetzliches Gemetzel. Eine finstre, wilde Wut beseelte die Kämpfer. Sie schlugen sich im Dunkeln herum, doch die Stadt ward nicht erobert.
Die Belagerung ward aufgehoben, und abermals erschien ein Schwarm von Plänklern. Sie waren unverwundbar und von unbezwinglicher Kraft. „Der eine“, sagte der Geist, „heißt Galilei, der Sonnenritter. Er will, daß die Erde sich dreht, aber die Verruchte will sich nicht drehen. Der andre da ist der Ritter Gassendi6. Er möchte, daß die Verruchte ihren Unrat ausräumt, aber die Verruchte liebt ihren Unrat. Der wackre Kämpe, der nach ihm kommt, das ist Bayle, der Ritter Pyrrhons7, ein großer Ingenieur. Er würde die Stadt wohl erobern, wenn er Truppen hätte. Toland8 und Woolsion9 sind seine Knappen.“ — „Und warum“, fragte ich, „hat er keine Truppen?“ — „Weil er nicht das rechte Geld hat, um sie zu besolden“, antwortete der Geist. — „Und welches Geld ist das?“ — „Es sind Guineen, die mit dem Stempel des gesunden Menschenverstandes geprägt sind. Das Publikum kennt diese Münze nicht. Sie hat weder in Paris, noch in Madrid, noch in Genua, noch in Rom, Wien usw. Kurs und Geltung.“ — „Trotzdem“, versetzte ich, „gehen diese Leute geschickt mit ihrem Sturmbock um. Würden sie unterstützt, so wäre es um die Verruchte geschehen.“ Gleichwohl leistete die Mauer Widerstand. Die Einwohner und der Despot spotteten dieses Krieges. Das tonsurierte Volk schrie, die Prätorianer wetzten ihre Messer, und die Kämpfer verschwanden.
Dann folgte eine neue Szene. Ein lichtstrahlender Ritter in funkelnder Rüstung erschien am Horizont. Die Leute liefen auf seinen Ruf herbei. Die aus der Stadt entwichen und kamen zu ihm, und bald hatte er ein Heer beisammen. „Was ist das?“ fragte ich. „Welcher Wundermann tritt mir vor Augen?“ — „Ein himmlischer Geist“
1 Der radikale Teil der Hussiten.
2 Vgl. S. 166.
3 Anhänger des Faustus Cocinus (vgl. S. 152).
4 Wiedertäufer.
5 Vgl. Bd.VI l, S. 247 s.
6 Pierre Gassendi, französischer Physiker (1592—1655), Verfasser der „Institutio astronomica“, der Biographien von Tycho de Brahe und Kopernilus.
7 Vgl. S. 17.
8 John Toland (1670—1722), englischer Freidenker.
9 Thomas Woolsion (1679—1731), englischer Freidenker, Verfasser der Fourth Freegift to the Clergy (1724).