Trotzdem er so gesucht war, blieb er bescheiden und verweigerte seine Dienste keinem, der ihn darum bat. Obwohl oft mit Arbeit überbürdet, befliß er sich, jedermann zufriedenzustellen, dachte weniger an seinen Vorteil als an die innere Befriedigung, nützlich zu sein und sein Handwerk zu vervollkommnen. Stets war er in seiner Werkstatt sanft, leutselig, ertrug Belästigungen, zeigte nie die geringste Ungeduld noch die leiseste Unruhe, wenn neue Zudringliche hintereinander kamen, um ihn in der Arbeit zu stören und zu drängen. Darin unterschied er sich sehr von gewissen vornehmen Herren, die alle anfahren, die ihnen nahen, gleich zu allem nein sagen, statt die Leute ausreden zu lassen, und von ihrer Sprache nur das Nein deutlich aussprechen, weil sie es beständig im Munde führen.
Meister Reinharts Werkstatt war eine Schule der guten Sitte. Bewundernswerte Ordnung herrschte darin. Nie wagten seine Lehrlinge zu fluchen oder anstößige Reden zu führen. Oft sagte er zu ihnen: „Wenn Ihr fleißig arbeitet, kommt Ihr auf keine andren Gedanken.“ Und so lehrte er sie denn getreulich alles, was er mit soviel Mühe, Zeit und Arbeit zur Vollkommenheit gebracht hatte. Ihm lag daran, auch nach seinem Tode noch nützlich zu sein und in denen, die er herangebildet hatte, weiterzuleben. Aus seiner Werkstatt sind eine Menge geschickter Arbeiter hervorgegangen, die jetzt im ganzen Lande ansässig sind. Statt eifersüchtig auf sie zu sein, ermunterte er sie noch und freute sich, daß es ihm so gut gelungen war.
Eine so schlichte Tugend ist in einem so verderbten Jahrhundert sehr selten. Andre Künstler sind auf ihre Entdeckungen oder Geheimnisse eifersüchtig. Ein Arzt, der ein neues Heilmittel gefunden zu haben glaubt, entzieht es der Kenntnis der Welt. Er ist neidisch darauf und will, daß es mit ihm begraben werde. Viele große Feldherren fürchten sich, Generale heranzubilden, die ihnen eines Tages ihren Ruhm streitig machen könnten. Auch Minister pflegen ihre Geschäftsgeheimnisse vor ihren Untergebenen zu verbergen und sie in ihrem Busen zu bewahren. Fürchten sie doch, sich Nebenbuhler zu machen, wenn sie einen anderen ins Vertrauen ziehen. Und so hinterlassen sie denn auch alles in Unordnung und Verwirrung, und bisweilen geht das Geheimnis für immer verloren. Aber Mathias Reinhart hatte Bürgersinn. Er dachte an das Wohl seines Vaterlandes. Wer anders handelt, denkt nur an sich selbst. Warum habe ich nicht Ciceros Beredsamkeit, meine Lieben, um den Ruhm dieses unvergleichlichen Mannes zu verkünden, der jene so gepriesene Römertugend besaß! Die Vorsehung hat ihn nicht so hoch gestellt, daß er seine große Seele in vollem Glänze zeigen konnte. Aber wenn jedes Mitglied der Gesellschaft nach seinen Grundsätzen handelte, so ergäbe sich daraus, wie Ihr mir zugeben müßt, die allgemeine Wohlfahrt.
Was hätte nicht jener römische Konsul, der Vater der Beredsamkeit und des Vaterlandes, hierüber gesagt, er, der die trockensten Gegenstände ftuchbar machte, der den Schuldigen den Freispruch erwirkte1, gewöhnliche Menschen in große Männer
1 Vgl. S. 36.