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Lob der Trägheit

Jede Meinung, so wunderlich sie auch ist, hat eifrige Verteidiger gefunden. Der Bischof Las Casas1 warf sich zum Beschützer der sokratischen Liebe auf... Erasmus, der weise Erasmus, hat das Lob der Narrheit gesungen2. Wenn die Geistesstörung, wenn die Trübung des logischen Denkvermögens in unsren Hirnen einen Fürsprecher in einem großen Manne gefunden hat, warum soll es uns dann nicht erst recht verstauet sein, die unendlichen Vorzüge der Trägheit zu rühmen und klar zu beweisen, daß diese glückliche und friedfertige Anlage, die sich bei einigen Lieblingen der Natur findet, der Gesellschaft im allgemeinen wie dem Individuum, das sie besitzt, gleich vorteilhaft ist? An Beweisen fehlt es uns nicht, im Gegenteil, ihre Menge setzt uns in Verlegenheit. Halten wir uns an die einfachsten. Wir berufen uns auf die Stimme der Öffentlichkeit, auf jene wegen ihrer Allgemeingültige keit sprichwörtlich gewordenen Meinungen und bitten, uns die Trivialität der Ausdrücke angesichts ihres tiefen Sinnes nachzusehen.

Das Volt sagt insgemein: „Schläft die Katze, so weckt sie nicht!“ Eine tiefe Lehre, die allein schon ein Lob der Trägheit bedeutet. Die Katze ist boshaft, der Schlaf macht sie regungslos. Hat sein ftiedenspendender Mohn ihre Lider geschlossen, so hütet Euch, sie zu wecken. So unschuldig sie in ihrer Untätigkeit ist, so tückisch wird sie, wenn sie durch die Erregung ihrer Sinne aus dieser sanften Lethargie erwacht.

Segnet, segnet die Trägheit der Menschen! Stört sie nicht! Möge ihre sanfte, gemütliche Herrschaft ewig währen! Ach! der Mensch ist zu böse, grausam und wild. Er neigt so selten zum Guten, daß es zu wünschen wäre, seine Untätigkeit hielte ewig an. Ja fürwahr, waren die größten Geißeln der Welt nicht die tatlusiigen, rastlosen, waghalsigen Seelen? Alexander, der hochgelobte und viel verlästerte Alexander, der die Ruhe Griechenlands störte und Asien umwälzte, der seine Eroberungen bis in die fernsten Himmelsstriche ausdehnte und seine Weltmacht auf den Trümmern der Throne errichtete, von denen er die rechtmäßigen Herr,cyer gestürzt hatte, Alexander, sage ich, hätte nicht soviel Unrecht begangen, nicht soviel Blut vergossen, hätte es seiner Seele nicht an der Kraft der Trägheit gefehlt! Cäsars Regsamkeit und Unternehmungslust stürzte die römische Republik. Tätiger als Pompejus, besiegte er diesen, riß die höchste Gewalt an sich und unterdrückte die Freiheit seines Vaterlandes. Was waren Tamerlan, Dschingiskhan, Alarich und Attila, wenn nicht von Ehrgeiz geplagte, von den Heftigsten Leidenschaften zerrissene


1 Vgl. S. 138.

2 Vgl. S. 95. 138.