<195> Seelen, die sich in der Ruhe verzehrten, während stürmische Zeiten ihr Lebenselement bildeten? An der Spitze wilder Barbarenvölker überschwemmten sie mit ihren Kriegsscharen die Oberfläche unsres Erdballs und zogen Zerstörung und Verheerung nach sich. Man braucht kaum hinzuzufügen, daß Mohammed, Soliman, die Päpste Gregor der Große und Hildebrand1, Karl V., die Guises, Ludwig XIV. und Karl XII. auf die gleiche Stufe zu stellen sind. Das Menschenherz ist von Grund aus verderbt, und unsre unseligen Neigungen treiben uns zum Lasier. Wie verhängnisvoll wird dem Menschengeschlecht jede Tätigkeit! Wie nutzbringend ist ihm die Trägheit!
Aber das Unglück, das unsren Erdball heimsucht, fließt aus mehr als aus einer Quelle. Mit Recht klagen wir über die zügellose Wildheit der Ehrsüchtigen. Doch die fanatische Tatkraft der Einsiedler ist uns nicht minder verderblich geworden. Wieviel Mönche haben den Geist der Zwietracht und des Aberglaubens geschürt! In aller Stille haben sie die Arme der Leichtgläubigen mit dem heiligen Schwerte bewaffnet, mit dem sie ihre Brüder abschlachteten. Ich erinnere weder an Samuel, der König Agag in Stücke zerhieb2, noch an Judith, die durch feigen Verrat den Holofernes umbrachte, noch an Ahab3, noch an die Leviten, die zwanzigtausend Kinder Israel ermordeten4, wohl aber an Esra5, der die fälschlich Moses zugeschriebenen Schriften zusammenstellte. Diese fanatischen Schriften erfüllten die Juden mit aufrührerischem Eifer. Sie brachen jeden Verkehr mit den andren Völkern ab, und leichtgläubig gegen die Träume seiner Seher, voller Zuversicht auf die Größe, die sie ihm verhießen, lehnte sich das jüdische Volt gegen das römische Joch auf und zwang dadurch Titus zur Zerstörung Jerusalems und seines Tempels (70 n. Chr.).
Ein gleiches gilt von den Evangelien, die den Aposteln zugeschrieben werden, von den Beschlüssen so vieler KirchentonzUe, die die Glaubensartikel vermehrten, um ihr Ansehen zu vergrößern. Sehr vom Übel war es, daß sie das Gedächtnis der leicht, gläubigen Christen mit einem Wust unglaubwürdiger Wunder anfüllten. Diese führten zu heftigen Streitigkeiten unter so vielen Sekten, die Europa in der Folge gespalten haben. Schließlich rief eine Menge fanatischer Schriften die Kreuzzüge hervor, so viele barbarische Kriege, die unter dem Deckmantel der Religion geführt wurden, die Errichtung des abscheulichen Tribunals6, das die Menschlichkeit und die Vernunft empört, das Blutbad der Bartholomäusnacht, die Metzelei in Irland7, die Pulververschwörung8 und so viele Königsmorde, über die auch die verbrecherischsten Menschen erröten sollten. Die Welt wäre glücklich gewesen, hätten solche in völligem Müßiggang lebende Skribenten nicht emsig die Feder geführt.
1 Gregor VII.
2 I. Samuelis XV, Vers 33.
3 I. Könige XXII.
4 2. Mose XXXII.
5 Jüdischer Schriftgelehrter, der 458 v. Chr. eine zweite Schaar Juden aus der babylonischen Verbannung zurückbrachte. Sein Wirken wird im biblischen Buch Esra beschrieben.
6 Die Inquisition.
7 Gemeint ist die blutige Niederwerfung der aufständischen Iren durch Cromwell (1649).
8 Fanatische Katholiken planten, am 5. November 1605 König Jakob I. von England und das Parlament in die Luft zu sprengen.