<205> Luxus pflegen könnten. Wird die Nachwelt glauben, daß der liebenswerte Prinz, der kaum die Schwelle des Heiligtums der Wissenschaften betreten hatte, so viele in ihrem Amte ergraute Gelehrte beschämte, die nur ihr Gedächtnis anfüllen, ohne ihren Verstand aufzuklären?
Ein guter Kopf ist fähig, sich auf jedem Gebiet zu betätigen. Er gleicht einem Proteus, der mühelos seine Gestalt wechselt und stets wirklich als das erscheint, was er darstellt. Mit dieser glücklichen Anlage geboren, bezog unser Prinz auch die Praxis der Kriegskunst in den Kreis seiner Kenntnisse ein. Für alles, was er unternahm, schien er geschaffen. Sein Wetteifer und seine militärische Neigung traten besonders bei den jährlichen Revuereisen hervor, die er im Gefolge des Königs durch alle Provinzen unternahm. Er kannte die Armee und war ihr bekannt. Er beherrschte die gefahrvolle Kriegskunst von den geringsten Einzelheiten bis zu den schwersten Aufgaben. Dabei war er stets guter Laune, mäßig in seinen Sitten, geschickt in allen Leibesübungen, beharrlich in seinen Unternehmungen, unermüdlich in der Arbeit und ein Freund von allem, was nützlich und ehrenvoll ist.
So viele hervorragende Talente, mit denen die Natur Prinz Heinrich begabt hatte, würden jedoch kein vollkommenes Lob ausmachen, ohne die Eigenschaften des Herzens, die für alle Menschen, besonders aber für die Großen so wichtig sind. Sie setzten seinem Charakter erst die Krone auf.
Hier eröffnet sich meinem Blick ein viel weiteres Feld, das mir eine reiche Ernte von Tugenden schenkt. Ein Jüngling, kaum in dem Alter, wo die Seele sich zu entwickeln beginnt, bietet mir eine Fülle von Beispielen der Vollkommenheit. Ich behaupte nichts, meine Herren, was ich nicht mit Beweisen belegen kann. Wie sehr ich auch an dem Prinzen hing, meine Liebe würde mich doch nicht so sehr verblenden, daß ich Augenzeugen täuschen wollte. Aber wer will mich Lügen strafen, wenn ich sage/ daß Prinz Heinrich, der mit feurigem Gemüt geboren war, seine Lebhaftigkeit durch Klugheit zu zügeln wußte? Wer immer die Ehre hatte, ihm näherzutreten, wußte, daß man ihm ruhig sein Herz ausschütten konnte, ohne befürchten zu müssen, daß er ein ihm anvertrautes Geheimnis verriete. Sein Herz war das Schönste und Edelste an ihm. Er war sanftmütig gegen alle, die ihm nahten, mitleidig gegen die Unglücklichen, zärtlich gegen die Leidenden, menschlich gegen jedermann. Er teilte den Gram der Betrübten, trocknete die Tränen der vom Schicksal Verfolgten und überschüttete die Dürftigen mit Wohltaten. Nichts war ihm zu kostbar, um den Notleidenden Linderung zu schaffen. Euch rufe ich zu Zeugen, ihr darbenden Familien, denen er mit allen Kräften beistand, ihr verschämten Armen, die bei ihm stets sichere Zuflucht fanden, ihr Unglücklichen jeder Art, die in ihm einen Wohltäter, einen Vater verloren! Die Herzensgüte war ihm angeboren. Es kostete ihm so wenig, sie zu betätigen, daß man deutlich erkannte: sie floß aus einer lauteren unerschöpflichen Quelle. Warum ließ ein feindliches Geschick sie so bald versiegen? Soll ich die kurze Zeit vergessen, die er bei seinem Regiment zugebracht hat? Ihr, seine Offiziere, und