<213> zur Philosophie und zum Studium erhielt seine Reise wissenschaftliche Bedeutung. Er beschränkte sich nicht darauf, sich Paläste anzusehen, Bauwerke zu betrachten, die verschiedenen Gebräuche eines fremden Landes zu studieren, — die einzige Frucht, die die Jugend bei ihrem Leichtsinn und ihrer geringen Urteilskraft von ihren Reisen mitzubringen pflegt. Denn fürwahr: welchen Nutzen kann man aus dem Besuch jener örtlichkeiten ziehen, die nur das Werk des Luxus und oft der Verschwendung sind? Sein Ziel war lediglich, die großen Männer kennen zu lernen, die durch umfassenden Geist, hohe Gesinnung und Gelehrsamkeit ihrem Vaterland und Zeitalter zur Zierde gereichen. Ich nenne Ihnen nur die Namen's Gravesande, Muschenbroek1, Voltaire, Fontenelle, Dubos, Clarke,Pope,Moivre2 und übergehe viele andre der Kürze halber. Diese berühmten Männer wollte Jordan sehen; er war würdig, ihre Bekanntschaft zu machen. So reisten die Römer einst nach Griechenland, besonders nach Athen, um ihren Geist und Geschmack in jenem Lande zu bilden, das damals die Wiege der Künste und die Heimat der Talente war. Er befriedigte seine Wißbegier: das fiel ihm nicht schwer. Er wollte auch sein Herz befriedigen und verfaßte eine Reisebeschreibung3, in der er dem schönen Geist und den Talenten jener seltnen Männer Gerechtigkeit widerfahren ließ, denen er zeitlebens Hochachtung bewahrte. Wie schwer fällt es doch der Eigenliebe, dem Verdienst reine und völlig neidlose Be, wunderung zu zollen! Die guten Eigenschaften unsrer Nächsten, insbesondre derer, die mit uns in der gleichen Bahn laufen, scheinen die eignen zu verdunkeln. Ja, wie selten gehen Bescheidenheit und Unparteilichkeit mit viel Geist und Kenntnissen Hand ln Hand! Das war eine besondre Tugend bei Jordan, der er sein Leben lang treu geblieben ist und ohne die er nicht die große Zahl von Freunden hinterlassen hätte, die seinen Verlust ehrlich betrauerten.

Nach Berlin heimgekehrt, schloß er sich wieder ln sein Arbeitszimmer ein und widmete sich ganz dem Studium, voll des edlen Wetteifers, der strebsame Geister zu steter Vervollkommnung treibt. Er las alles und vergaß nichts von dem Gelesenen. Sein umfassendes Gedächtnis war sozusagen ein Repertorium aller Bücher, Les, arten und Ausgaben und der merkwürdigsten Anekdoten auf diesem Gebiete.

Bei seinem Geist, seinen Verdiensten und besonders bei seinem guten Charakter blieb Jordan nicht lange in der Stille seines Arbeitszimmers verborgen. Der da, malige Kronprinz und jetzige König berief ihn im September 1736 in seinen Dienste4. Seitdem verbrachte er sein Leben in Rheinsberg, wo er sich abwechselnd dem Studium und der Geselligkeit widmete und von allen geliebt und geachtet wurde. Mit gründ, lichen Kenntnissen verband er die Höflichkeit, die der Verkehr in der großen Welt


1 Wilhelm Jakob 's Gravesande (1688—1742), Philosoph und Mathematiker; Peter van Muschenbroek (1692—1761), Naturforscher.

2 Jean Baptiste Dubos (1672—1742), Ästhetiker; Samuel Clarke (1675—1729), Philosoph und Theolog; Alexander Pope (1688—1744), Dichter; Abraham Moivre (1667—1754), Mathematiker.

3 „Histoire d'un voyage littéraire fait, en 1733, en France, en Angleterre et en Hollande“, Haag 1735.

4 Jordan wurde Friedrichs Sekretär und literarischer Berater.