Über die Gründe, Gesetze einzuführen oder abzuschaffen (1749)1
Man erwirbt sich genaue Kenntnis über die Gründe zur Einführung oder Abschaffung von Gesetzen nur aus der Geschichte. Sie zeigt uns, daß alle Völker ihre eignen Gesetze hatten, daß sie nach und nach eingeführt wurden und daß die Menschen stets viel Zeit brauchten, um zu etwas Vernünftigem zu gelangen. Wir sehen ferner, daß die Gesetze am längsten bestanden haben, deren Urheber auf das Gemeinwohl bedacht waren und den Geist des Volkes am besten kannten. Diese Betrachtung nötigt uns zu näherem Eingehen auf die Geschichte der Gesetze und die Art ihrer Einführung in den kultiviertesten Ländern. Wahrscheinlich waren die Familienhäupter die ersten Gesetzgeber. Das Bedürfnis, Ordnung in ihren Familien zu schaffen, veranlaßte sie ohne Zweifel, Hausgesetze zu geben. Nach diesen ersten Zeiten, als die Menschen sich in Städten anzusiedeln begannen, reichten die Gesetze der Hausgerichtsbarkeit für die zahlreichere Gesellschaft nicht mehr aus. Die Bosheit des menschlichen Herzens, die in der Einsamkeit abzusterben scheint, lebt in der Geisellschaft wieder auf. Der Umgang mit seinesgleichen, der die verwandten Charaktere zusammenführt, gibt den Tugendhaften Gefährten, aber auch den Lasterhaften Mitschuldige.
Die Ausschreitungen in den Städten nahmen zu. Neue Lasier entstanden, und die Familienhäupter, denen am meisten an ihrer Unterdrückung lag, schlössen sich ihrer Sicherheit halber zusammen, um ihnen entgegenzutreten. Man erließ daher Gesetze
1 Die obige Abhandlung entstand ungefähr gleichzeitig mit Coccejis Entwurf eines Landrechts und bald nach Montesquieus Schrift „Esprit des Iois“, durch die Friedrichs Auffassung mehrfach beeinflußt erscheint. Der Aussatz wurde nach dem am Schluß angegebenen Vermerk am I. Dezember 1749 beendet und am 22. Januar 1750 in der Akademie verlesen.