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Brief eines Akademikers in Berlin an einen Akademiker in Paris
(November 1752)1

Seit es Gelehrte gibt, gibt es auch gelehrte Streitigkeiten; denn jedermann hat das Recht auf seine eigne Meinung, und jeder glaubt gute Gründe zum Verfechten dieser Meinungen zu haben. Erniedrigend für den menschlichen Geist aber ist neidische Gehässigkeit, sind die Pamphlete und Schmähungen, die rohen Verleumdungen, mit denen kleine Geister das Andenken der Großen zu besudeln suchen.


1 Mit der obigen Schrift griff der König im November 1752 in den Streit ein, der zwischen dem Mathematiker Samuel König in Leiden und dem Präsidenten der Berliner Akademie, Maupertuis, um die Priorität der Entdeckung des „Prinzips der Neinsien Aktion“ entbrannt war. Nach diesem Gesetz sollte sich die haushälterische Natur für alle Bewegung stets mit dem kleinsten Kraftmaß begnügen. Maupertuis nahm diese Entdesung für sich in Anspruch, während Samuel König sie Leibniz zuwies. Der Leibnizbrief, auf den sich König bezog, wurde von der Berliner Akademie für eine Fälschung erklärt — wie heute feststeht, mit Unrecht. In einer anonymen Flugschrift „Réponse d'un académicien de Berlin à un académicien de Paris“ nahm nun Voltaire aus persönlichen Gründen gegen Maupertuis Partei. Gegen sie wandte sich Friedrich im obigen „Brief“. Voltaires Antwort blldete das Pamphlet: „Diatribe du Docteur Akakia, médecin du Pape“, die Friedrich öffentlich verbrennen ließ. Damit war der Bruch zwischen ihm und Voltaire unvermeidlich.