<242> vergleichen lassen. Man kann sagen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, daß Voltaire allein eine ganze Akademie aufwog. Er hat manches geschrieben, worin man Bayle mit dem ganzen Rüstzeug seiner Logik zu erkennen glaubt, andres, wo man Thukydides zu lesen vermeint. Bald entdeckt er als Physiker die Naturgeheimnisse, bald folgt er als Metaphysiker, auf Analogie und Erfahrung gestützt, mit gemessenen Schritten der Fährte Lockes. In andren Werken finden Sie ihn als Nebenbuhler des SophoNes; dort weiß er ein trockenes Thema reizvoll zu gestalten; hier pflegt er die heitere Muse. Aber offenbar strebt er in seinem hohen Geistesflug nicht allein danach, sich mit Terenz oder Moliere zu messen. Bald sehen Sie ihn den Pegasus besteigen, der seine Flügel entfaltet und ihn auf die Höhen des Helikon trägt, wo der Gott der Musen ihm seinen Platz zwischen Homer und Virgil anweist.
Solche mannigfaltigen Schöpfungen und solche gewaltigen Anstrengungen des Genius wirkten schließlich mächtig auf die Geister, und ganz Europa zollte Voltaires hervorragenden Talenten Beifall. Man darf nicht glauben, daß Eifersucht und Neid ihm erspart blieben: sie spitzten alle ihre Pfeile, um ihn zu Fall zu bringen. Der den Menschen eingeborene Unabhängigkeitstrieb, der ihnen Abneigung selbst gegen die rechtmäßigste Autorität einstößt, machte sie um so erbitterter gegen eine Überlegenheit an Talenten, die sie in ihrer Unzulänglichkeit nicht erreichen konnten. Doch der Beifall übertönte das Geschrei der Neider. Die Gelehrten fühlten sich durch die Bekanntschaft mit diesem großen Manne geehrt. Wer irgend Philosoph genug war, um das persönliche Verdienst anzuerkennen, stellte Voltaire weit über die, deren Vorfahren, Titel, Stolz und Reichtum ihr einziges Verdienst bilden. Voltaire gehörte zu der kleinen Zahl der Philosophen, die da sagen können: Omnia mea mecum porto1. Prinzen, Fürsten, Könige, Kaiserinnen überhäuften ihn mit Zeichen ihrer Hochachtung und Bewunderung. Damit wollen wir zwar nicht behaupten, daß die Großen der Erde die besten Beurteiler des Verdienstes seien, aber es beweist doch so viel, daß der Ruf unsres Autors allgemein so fest begründet war, daß die Häupter der Völker der öffentlichen Meinung nicht widersprachen, sondern im Gegenteil glaubten, sich ihr anschließen zu müssen.
Wie aber in der Welt das Gute stets mit dem Schlechten gepaart ist, so geschah es, daß Voltaire, so empfänglich für den Beifall der Welt, dessen er sich erfreute, nicht minder empfindlich war gegen die Stiche jener Insekten, die sich vom Schlamme des Musenquells nähren. Weit entfernt, sie zu züchtigen, verewigte er sie, indem er ihre obskuren Namen in seine Werke setzte. Von ihnen wurde er jedoch nur leicht verunglimpft im Vergleich zu den weit heftigeren Verfolgungen, die er von den Geistlichen zu erdulden hatte. Sie, die schon von Berufs wegen als Diener des Friedens nur Werke der Barmherzigkeit und Wohltaten hätten vollbringen sollen, fielen, durch falschen Eifer verblendet und durch Fanatismus verdummt, über ihn
1 All meinen Besitz trage ich bei mir.