<254> unsre Tage. Der Professor soll den jungen Leuten die Lehrmeinung jeder Sekte genau auseinandersetzen unter Zuhilfenahme der Artikel von Bayle1, der „Tuskulanen“ und der Schrift „De natura deorum“ von Cicero in französischer Übersetzung. Dann soll er zu Descartes, Leibniz, Malebranche und schließlich zu Locke übergehen, der sich allein am Faden der Erfahrung durch die Finsternisse der Meta, physik tastet, soweit dieser Faden reicht, und am Rande der für die menschliche Vernunft unzugänglichen Abgründe halt macht. Bei Locke muß der Lehrer also am längsten verweilen.
Indes soll er nach jeder Stunde den jungen Leuten noch eine halbe Stunde Zeit geben, wo sie, durch die Vorschule der Logik und Rhetorik gebildet, die von ihnen geforderten Übungen zu machen imstande sind. Der Professor wird also durch einen der jungen Leute das System des Zeno angreifen und es durch einen andren verteidigen lassen, und so weiter bei jedem System. Danach soll er alles rekapitulieren, was sie über den Gegenstand gesagt haben, sie auf die Schwächen ihrer Angriffe oder Verteidigungen hinweisen, die Gründe ergänzen, die sie nicht angeführt, oder die Folgerungen ziehen, die sie unterlassen haben. Diese Disputationen sollen ohne Vorbereitung stattfinden, erstens, um die jungen Leute zur Aufmerksamkeit im Unterricht anzuhalten, zweitens, damit sie selbständig denken lernen, und drittens, damit sie sich daran gewöhnen, sofort über alle Gegenstände zu reden.
Ich gehe zum Mathematiklehrer über. Herr Sulzer begreift, daß er keine Bernoullis und Newtons heranbilden soll. Trigonometrie und Befestigungslehre sind das, was seinen Schülern am nützlichsten werden kann. Er wird also hierbei und bei allem, was damit zusammenhängt, am längsten verweilen. Daneben wird er einen Kursus der Astronomie abhalten, in dem er alle verschiedenen Systeme bis Newton durchgeht und den Gegenstand mehr historisch als mathematisch behandelt. Auch einen Überblick über die Mechanik wird er hinzufügen, ohne jedoch zu tief auf den Gegenstand einzugehen. Vor allem muß er danach trachten, das Urteil der jungen Leute zu berichtigen und sie nach Möglichkeit daran zu gewöhnen, Schlüsse zu ziehen und die verschiedenen Beziehungen der Wahrheiten untereinander rasch zu erfassen.
Der Rechtslehrer wird Hugo Grotius zur Grundlage seines Unterrichts wählen. Es wird keineswegs verlangt, daß er vollendete Juristen aus ihnen macht. Für einen Mann der großen Welt genügen richtige Begriffe von der Rechtswissenschaft, ohne allzu genaue Detailkenntnisse. Er wird sich also begnügen, seinen Schülern eine Vorsiellung vom bürgerlichen Recht, vom öffentlichen Recht und vom sogenannten Völkerrecht zu geben. Immerhin wird er die jungen Leute darauf hinweisen, daß das Völkerrecht, dem jede Vollstreckungsgewalt fehlt, nur ein leeres Phantom ist, das die Herrscher in ihren Streitschriften und Manifesten heraufbeschwören, selbst dann, wenn sie es selber verletzen. Er wird seinen Unterricht mit der Erläuterung des Codex Fridericianus2 beschließen, der als Sammlung der Landesgesetze jedem Untertanen bekannt sein muß.
1 Vgl. S.40ff.
2 Vgl. Bd. III. S. 8.