<259> Griechischen und Lateinischen nicht mehr so betrieben wird wie früher. Anscheinend sind die guten Deutschen der gründlichen Gelehrsamkeit überdrüssig geworden, die sie einst besaßen, und wollen jetzt so billig wie möglich zu wissenschaftlichem Rufkommen.1 Sie nehmen sich ein Beispiel an einem Nachbarvolke, das sich mit Liebenswürdigkeit begnügt, und werden sehr bald oberflächlich werden. Das Leben, das die Studenten einst auf den Universitäten führten, war ein Gegenstand öffentlichen Ärgernisses. Die Stätten, die Heiligtümer der Musen sein sollten, waren Schulen des Lasters und der Ausschweifung. Berufsmäßige Raufbolde übten das Handwerk der Gladiatoren. Die Jugend lebte in Saus und Braus, in Ausschreitungen aller Art. Sie lernte alles, was sie nie hätte erfahren dürfen, und was sie hätte lernen sollen, das lernte sie nicht. Die Zügellosigkeit ging so weit, daß Totschläge unter den Studenten vorkamen. Das rüttelte die Regierung aus ihrer Schlaffheit auf. Sie war einsichtig genug, diesem Unwesen zu steuern und die Hochschulen ihrem ursprünglichen Zweck wieder dienstbar zu machen. Seitdem können die Väter ihre Söhne unbesorgt zur Universität schicken, mit dem gerechten Vertrauen, daß sie dort etwas lernen, und ohne zu fürchten, daß ihre Sitten verdorben werden.
Aber trotz der Abschaffung solcher Mißbräuche bleiben noch genug andre, die ebensosehr der Verbesserung bedürfen. Dank dem Eigennutz und der Trägheit der Professoren verbreiten sich die Kenntnisse nicht so ausgiebig, wie es zu wünschen wäre. Die Professoren begnügen sich mit möglichst knapper Erfüllung ihrer Pflicht, lesen ihre Kollegien, und damit gut. Fordern die Studenten Privatstunden von ihnen, so geben sie diese nur für außerordentliche Preise. Die Unbemittelten sind also außerstande, eine öffentliche Ansialt zu benutzen, die jeden belehren und aufklären soll, den der Wissensdrang dorthin treibt.
Ein andrer Mißstand: die jungen Leute arbeiten ihre Reden, Thesen und Disputationen nicht selbst aus, sondern lassen sie von einem Repetitor machen. Ein Student mit gutem Gedächtnis, aber oft ohne Talent, erwirbt sich derart wohlfeilen Beifall. Heißt das nicht, die Jugend zu Faulheit und Müßiggang ermuntern, wenn man sie Nichtstun lehrt? Der Jüngling soll zum Fleiß erzogen werden, selber arbeiten lernen, verbessert werden, seine Arbeit noch einmal umändern. Dann gewöhnt er sich durch wiederholtes Durcharbeiten an richtiges Denken und genauen Ausdruck. Anstatt diese Methode zu befolgen, füllt man das Gedächtnis der Jugend und läßt ihre Urteilskraft verrosten. Man häuft Kenntnisse an, aber ohne die nötige Kritik, die sie nutzbringend machen könnte.
Ein andrer Fehler ist die schlechte Wahl der Autoren, die erklärt werden. In der Medizin ist es in der Ordnung, wenn man mit Hippokrates und Galen beginnt und die Geschichte dieser Wissenschaft — wenn es eine ist — bis auf unsre Tage verfolgt. Anstatt aber das System Hoffmanns2 oder irgend eines unbekannten Arztes zu über-
1 Vgl. S. 79.
2 Vgl. S. 81.