<262> Familien vor dem Untergang retten. Die Regellosigkeit ihrer Sitten zieht hierzulande um so schlimmere Folgen nach sich, als das Recht der Erstgeburt nicht gilt, wie etwa in Österreich und in den andren Provinzen der Kaiserin-Königin. Ein einziges schlechtes Subjekt in einer Familie reicht hin, um sie in Verfall und Armut zu bringen.

So schlagende Beispiele müßten meines Erachtens die Aufmerksamkeit der Väter auf die Zucht ihrer Kinder verdoppeln, damit sie den Glanz ihrer Vorfahren aufrecht zu erhalten vermögen, ihrem Vaterlande nützliche Untertanen werden und sich persönliche Achtung erwerben. Man glaubt insgemein, genug für seine Erben getan zu haben, wenn man Reichtümer für seine Kinder ansammelt, sie versorgt, ihnen Ämter verschafft. Solche Fürsorge ist guter Eltern gewiß würdig, aber darauf darf man sich nicht beschränken. Die Hauptsache ist, ihre Sitten zu bilden und ihr Urteil früh zu reifen. Wie oft hätte ich ausrufen mögen: „Ihr Familienväter, liebt Eure Kinder, dazu fordert man Euch auf. Aber liebt sie mit vernünftiger Liebe, die sich auf ihr wahres Wohl richtet. Betrachtet das junge Geschöpf, das Ihr zur Welt kommen sahet, als ein heiliges Gut, das Euch die Vorsehung anvertraut hat. Eure Vernunft soll ihnen in der Haltlosigkeit ihrer Jugend und in ihren Schwächen als Stütze dienen. Sie kennen die Welt nicht, Ihr aber kennt sie. An Euch ist es also, sie so zu erziehen, wie ihr eigner Vorteil, das Wohl Eurer Familie und der ganzen Gesellschaft es erfordert. Ich wiederhole also: festigt ihre Sitten, prägt ihnen tugendhafte Gesinnung ein, erhebt ihre Seele, erzieht sie zum Fleiß, bildet sorgfältig ihren Verstand, damit sie sich ihre Schritte wohl überlegen, verständig und umsichtig werden, Einfachheit und Mäßigkeit lieben. Dann könnt Ihr Euer Erbe, wenn Ihr sterbt, getrost ihren guten Sitten anvertrauen. Es wird gut verwaltet werden, und Eure Familie wird sich in ihrem Glanze erhalten. Wenn nicht, werden Verschwendung und Ausschweifung mit dem Augenblick Eures Todes beginnen, und könntet Ihr in dreißig Jahren auferstehen, Ihr würdet Euren schönen Besitz in fremden Händen sehen.“

Immer wieder komme ich auf die Gesetze der Griechen und Römer zurück. Ich glaube, man müßte nach ihrem Vorbild die Bestimmung treffen, daß die Söhne erst mit sechsundzwanzig Jahren mündig werden, und die Väter müßten in gewisser Weise für ihr Betragen verantwortlich sein. Sicherlich überließe man die Jugend dann nicht der verderblichen Gesellschaft der Dienstboten. Sicherlich wäre man einsichtsvoller in der Wahl ihrer Lehrer und Erzieher, denen man sein Kostbarstes anvertraut. Sicherlich würde der Vater seinen Sohn selbst zurechtweisen und ihn im Notfalle züchtigen, um aufkeimende Lasier zu ersticken. Fügen Sie dazu noch einige notwendige Verbesserungen in den Schulen und Universitäten. Die Hauptsache wäre die Ausbildung der Urteilskraft neben der Übung des Gedächtnisses1. Ferner müßten


1 Vgl. den Kabinettserlaß vom 5. September 1779 an den Staatsminister Freiherrn von Zedlitz (Anhang, Nr. 2).