<286> des Wohlbehagens, der die stoische Unempfindlichkeit predigt! Nicht dies mußte er sagen, sondern das Gegenteil. Das edelste Trachten des Weisen besteht nicht darin, die Gelegenheiten zu vermeiden, sondern wenn sie sich darbieten, die Seelenruhe zu bewahren — in den Augenblicken, wo alles ringsum seine Leidenschaften erregt und aufreizt. Es ist kein Verdienst, wenn ein Steuermann sein Schiff auf ruhiger See lenkt, wohl aber, wenn er es den Stürmen und widrigen Winden zum Trotz glücklich in den Hafen bringt. Leichte und bequeme Dinge achtet niemand; nur Überwindung von Schwierigkeiten wird anerkannt. „Es ist also besser, die Welt gehen zu lassen, wie sie geht, und nur an sich zu denken.“ Oh, Herr Epikur, sind das eines Philosophen würdige Gefühle? Ist nicht das erste, woran Sie denken sollten, das Wohl der Menschheit? Sie wagen zu verkünden, daß ein jeder nur sich selbst lieben soll? Würde ein Mensch, der das Unglück hat, Ihren Grundsätzen zu folgen, nicht mit Recht allgemein verabscheut werden? Wenn ich niemanden liebe, wie kann ich da Liebe beanspruchen? Sehen Sie nicht ein, daß man mich dann als gefährliches Ungeheuer ansehen würde, dessen Beseitigung im Interesse der öffentlichen Sicherheit statthaft wäre? Wenn die Freundschaft verschwände, welcher Trost bliebe dann unsrem armen Geschlecht?
Nehmen wir ein Gleichnis zu Hilfe, um uns noch verständlicher zu machen! Vergleichen wir den Staat mit dem menschlichen Körper. Aus der Tätigkeit und dem einmütigen Zusammenwirken aller seiner Teile entsieht seine Gesundheit, Kraft und Stärke. Venen, Schlagadern, ja die feinsten Nerven wirken an seinem animalischen Dasein mit. Wenn der Magen seine Verdauungsarbeit verlangsamte, die Gedärme ihre wurmförmige Bewegung nicht kräftig ausführten, die Lunge zu schwach atmete, das Herz sich nicht rechtzeitig erweiterte und zusammenzöge, die Pulse sich nicht nach den Bedürfnissen des Blutumlaufs öffneten und schlössen, der Nervensaft nicht nach den Muskeln strömte, die sich zur Ausführung der Bewegungen zusammenziehen müssen, so würde der Körper erschlaffen, unmerklich hinsiechen, und die Untätigkeit seiner Glieder würde seine völlige Zerstörung herbeiführen. Dieser Körper ist der Staat. Seine Glieder sind Sie und alle Bürger, die ihm angehören. Sie sehen also, daß jeder einzelne seine Aufgabe erfüllen muß, damit die Gesamtheit gedeiht. Was wird nun aus der glücklichen Unabhängigkeit, die Sie so preisen, wenn nicht dies, daß sie Sie zu einem gelähmten Gliede des Körpers macht, dem Sie angehören?
Bemerken Sie doch gütigst, daß Ihre Philosophie die klarsten Begriffe verwirrt. Sie empfiehlt Trägheit und Müßiggang als Tugend, während doch jeder zugibt, daß sie Lasier sind. Ist es eines Philosophen würdig, uns anzuspornen, unsre Zeit zu verlieren, die das Kostbarste ist, was wir haben, da sie stets entflieht und nie zurückkehrt? Soll man uns ermutigen, ein müßiges Leben zu führen, unsre Pflichten zu verabsäumen, für alle andren unnütz und uns selbst zur Last zu werden? Ein altes Sprichwort sagt: Müßiggang ist aller Lasier Anfang. Man könnte hinzufügen: