„<291> daß andre für ihn tätig sind, wahrend er müßig geht, so werdet Ihr mit Hilfe der Götter Eure Sache wiederherstellen und das zurückgewinnen, was Ihr durch Nachlässigkeit verloren habt.“ Noch eine andre, fast gleichlautende Stelle aus einer Rede für die Regierung: „Hört, Athener! Die öffentlichen Gelder, die in überflüssigen Ausgaben verloren gehen, sollt Ihr gleichmäßig und nutzbringend verteilen. Das heißt, die unter Euch, die im waffenfähigen Alter sind, durch Kriegsdienste, die über dies Alter hinaus sind, durch Ämter beim Gericht oder in der Verwaltung oder sonstwie. Ihr sollt selbst dienen, keinem andren diese Bürgerpflicht abtreten und selbst ein Heer bilden, das man das Volk in Waffen nennen kann. Dadurch werdet Ihr leisten, was das Vaterland von Euch fordert.“ Das verlangte Demosthenes von den athenischen Bürgern.
Ebenso dachte man in Sparta, obwohl die Regierungsform dort oligarchisch war. Der Grund dieser gleichen Gesinnung war ganz einfach: kein Staat, welche Verfassung er auch habe, kann bestehen, wenn nicht alle Bürger übereinstimmend zur Erhaltung ihres gemeinsamen Vaterlandes beitragen.
Gehen wir nun die Beispiele durch, die uns die römische Republik liefert. Ihre große Zahl bringt mich in Verlegenheit um die Auswahl. Ich will Ihnen nicht von Mucius Scävola, Decius1 und dem alteren Brutus2 reden, der das Todesurteil seines eignen Sohnes unterschrieb, um die Freiheit der Republik zu retten. Aber wie könnte ich die Hochherzigkeit des Atilius Regulus vergessen, der seinen eignen Vorteil dem der Republik opferte und nach Karthago zurückkehrte, um dort einen quälvollen Tod zu erleiden? Nach ihm kommt Scipio Africanus, der den Krieg, den Hannibal in Italien führte, nach Afrika verlegte und ihn durch einen entscheidenden Sieg über die Karthager ruhmvoll beendete. Dann erscheint Cato, der Zensor, Ämilius Paullus, der Besieger des Königs Perseus, dann Cato von Utica, der eifrige Verfechter der alten Verfassung. Soll ich Cicero vergessen, der sein Vaterland vor den Mordanschlägen Catilinas rettete, Cicero, der die sterbende Freiheit der Republik verteidigte und mit ihr unterging? Soviel vermag die Vaterlandsliebe über die energische, hochherzige Seele eines guten Bürgers. Dem von dieser glücklichen Begeisterung erfüllten Geiste erscheint nichts unmöglich; er schwingt sich rasch zum Heldentum empor. Das Andenken jener großen Männer wurde mit Lob überschüttet; alle Jahrhunderte bis auf unsre Zeit haben es nicht zu schwächen vermocht: ihre Namen werden noch heute mit Verehrung genannt. Das sind Vorbilder, würdig der Nachahmung bei allen Völkern und in allen Verfassungen. Aber das Geschlecht dieser männlichen Seelen, dieser Männer voller Nero und Tugend, scheint ausgestorben. Weichlichkeit ist an Stelle der Ruhmesliebe getreten. Müßiggang hat die Wachsamkeit ersetzt, und elender Eigennutz zerstört die Vaterlandsliebe.
1 Vgl. E. 50.
2 Lucius Junius Brutus († 509 v. Chr.). Vgl. S. 239.