„<295> genug sein zu können.“ Ich gestatte mir, wie er zu denken und zu fühlen, und ich wage zu hoffen, Sie werden nach reiflicher Erwägung aller dargelegten Gründe einer Meinung mit mir über das Verhalten eines Ehrenmannes sein und wir werden einander ermuntern, die Pflichten eines guten Bürgers zu erfüllen, der mit zärtlicher Liebe an seinem Vaterland hängt und von patriotischem Eifer erglüht.
Sie haben mir Einwendungen gemacht, die ich widerlegen mußte. Ich war außerstande, so viele Dinge in weniger Worte zu fassen. Finden Sie meinen Brief zu lang, so bitte ich um Entschuldigung. Sie werden mir hoffentlich Verzeihung gewähren in Anbetracht der aufrichtigen Freundschaft, mit der ich bin usw.
7. Brief des Anapistemon
Ich muß gestehen, lieber Freund, daß Sie mir stark zusetzen. Nicht die geringste Kleinigkeit lassen Sie mir durchgehen. Zur Zerstörung einiger kleiner Schlußfolgerungen, die ich nach Kräften zu verteidigen suche, fahren Sie schweres Geschütz auf, das in meine armen Beweisgründe Bresche schießt, und stellen das Feuer nicht eher ein, als bis meine zerstörten und eingestürzten Verteidigungswerke Ihnen kein Ziel mehr bieten. Ja, Sie haben es beschlossen, ich soll mit aller Gewalt mein Vaterland lieben, ihm dienen und anhängen, und Sie bedrängen mich derart, daß ich fast nicht mehr weiß, wie ich Ihnen entkommen soll.
Indes hat man mir von irgend einem Enzyklopädisten erzählt, nach dessen Worten die Erde der gemeinsame Wohnsitz aller Menschen ist und der Weise ein Weltbürger, der sich überall wohl befindet1. Vor einiger Zeit hörte ich einen Gelehrten dies Thema erörtern. Alles, was er sagte, nahm mein Geist mit solcher Leichtigkeit auf, als hätte ich es selber gedacht. Diese Ideen erhoben meine Seele. Meine Eitelkeit gefiel sich in dem Gedanken, daß ich mich nicht mehr als unbekannten Untertan eines kleinen Staates, sondern fortan als Weltbürger betrachten könnte. Ich wurde alsbald Chinese, Engländer, Türke, Franzose und Grieche, wie es meiner Laune gefiel. Ich versetzte mich im Geiste bald in das eine, bald in das andre Volk und verweilte bei dem, das mir am meisten zusagte.
Aber mir ist, als hörte ich Sie schon. Sie möchten auch diesen holden Traum zerstören. Er ist leicht zu verscheuchen, allein was gewinne ich dabei? Ist schöner Trug nicht besser als traurige Wahrheiten, die uns anwidern? Ich weiß, wie schwer man Sie von Ihren Meinungen abbringt. Sie wurzeln in so festen Gründen,
1 Die Erwähnung der Enzyklopädisten begründet der König in dem Schreiben an d'Alembert vom 3. Dezember 1779 mit den Worten: „Ich habe in ihren Werten gelesen, daß die Vaterlandsliebe ein Vorurteil sei.“